Eden: Ludan

Ori­gi­nal­ti­tel: Eden's De­li­ver­an­ce
Über­set­zer: San­dra Mar­tin

Er­schie­nen: 04/2024
Serie: Eden
Teil der Serie: 4

Genre: Fan­ta­sy Ro­mance

Lo­ca­ti­on: Fan­ta­sy­welt, Dal­las


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ISBN:
Print: 978-3-86495-684-3
ebook: 978-3-86495-685-0

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Eden: Ludan


In­halts­an­ga­be

Das Schick­sal ist das Leben, das uns ge­ge­ben wird. Die Vor­se­hung ist das, was wir dar­aus ma­chen.

Als Kind ge­fan­gen ge­nom­men und vom An­füh­rer der Re­bel­li­on in die Skla­ve­rei ge­zwun­gen, wuchs Bren­na Haven in fast völ­li­ger Iso­la­ti­on und mit größ­ter Grau­sam­keit auf. Sie kann­te weder Freund­lich­keit noch Mit­ge­fühl, bis das Schick­sal für ihre Ret­tung sorg­te. End­lich frei, wünscht sie sich nichts sehn­li­cher, als in ihre Hei­mat auf der Erde zu­rück­zu­keh­ren. Sie möch­te sich wie­der mit ihrer mensch­li­chen Fa­mi­lie ver­ei­nen und ein ein­fa­ches, ru­hi­ges Leben füh­ren. Aber ihre neu ge­won­ne­nen Kräf­te er­for­dern eine ganz an­de­re Zu­kunft. Eine Zu­kunft vol­ler Ge­fah­ren und einer furcht­er­re­gen­den Rolle in einer alten My­ren-Pro­phe­zei­ung.

Als kampf­er­prob­ter Krie­ger und Leib­wäch­ter des Kö­nigs ver­fügt Ludan Forte über eine mäch­ti­ge Gabe, die Er­in­ne­run­gen raubt. Aber seine Fä­hig­keit hat ihren Preis. Eine quä­len­de Last, die er seit sei­nes Er­wa­chens vor über hun­dert Jah­ren ver­birgt. Er hätte sich nie träu­men las­sen, dass er in Ver­su­chung gerät, das Ge­lüb­de, das er dem König ge­gen­über ab­ge­legt hat, auf­zu­ge­ben. Doch in Bren­nas süßer, be­tö­ren­der Ge­gen­wart wird die Last, die auf sei­nen Schul­tern ruht, von ihm ge­nom­men.

Als Bren­nas Rolle in der Pro­phe­zei­ung ihr Leben be­droht, wird Ludan nichts un­ver­sucht las­sen, um sie zu be­schüt­zen.

Über die Au­to­rin

Die aus Okla­ho­ma stam­men­de Mut­ter zwei­er hüb­scher Töch­tern ist at­tes­tier­te Lie­bes­ro­man­süch­ti­ge. Ihr bis­he­ri­ger Le­bens­lauf spie­gelt ihre Lei­den­schaft für alles Neue wider: Rhen­na Mor­gan ar­bei­te­te u.a. als Im­mo­bi­li­en­mak­le­rin, Pro­jekt­ma­na­ge­rin sowie beim Radio.

Wie bei den meis­ten Frau­en ist ihr All­tag von mor­gens...

Wei­te­re Teile der Eden Serie

Le­se­pro­be

Bren­na Haven eilte tau­melnd durch den dunk­len Flur des Schlos­ses zur Dienst­bo­ten­trep­pe, wäh­rend die Ver­kün­di­gung des Gro­ßen mit jedem Schritt in ihren Ge­dan­ken wi­der­hall­te. So­wohl ihre Trä­nen als auch die Er­in­ne­rung an die Vi­si­on, die sie un­ge­wollt mit Ram­say ge­teilt hatte, lie­ßen ihre Sicht ver­schwim­men. Ob­wohl sie hell­wach und im Voll­be­sitz ihrer geis­ti­gen Kräf­te war, tanz­ten die Bil­der vor ihrem in­ne­ren Auge so le­ben­dig, als seien sie real. Sie sah die gol­de­nen und sil­ber­nen Strei­fen am re­gen­bo­gen­far­be­nen Him­mel. Die auf­rech­ten Fel­sen. Der ur­al­te My­ren-Krie­ger, durch den die Pro­phe­zei­ung zu­stan­de kam, und seine tote mensch­li­che Ge­fähr­tin, die auf sei­nem Schoß lag.

.../>Sie konn­te un­mög­lich die Rich­te­rin sein, von der der Schöp­fer ge­spro­chen hatte. Gott konn­te doch un­mög­lich die Bürde aller Ras­sen auf ihre Schul­tern legen. Nicht nach allem, was sie durch­ge­macht hatte. Ge­ra­de erst hatte sie eine Chan­ce auf Frie­den ge­fun­den.
Der Kno­ten in ihrer Kehle schien immer mehr an­zu­schwel­len, wäh­rend die Ge­spens­ter der Ver­gan­gen­heit sich einen Weg in ihr Be­wusst­sein bahn­ten und dort ihren Schre­cken ver­brei­te­ten. Bren­na schüt­tel­te den Kopf und lief wei­ter. Die tote Frau, die sie ge­se­hen hatte, war nicht sie. Die Vi­si­on stamm­te aus der Ver­gan­gen­heit. Sie selbst war am Leben und in Si­cher­heit. Die Blut­er­güs­se waren ver­heilt und nie­mand würde sie je wie­der auf eine der­art schänd­li­che Art miss­brau­chen, denn Maxis war tot.
Ihr rausch­te das Blut in den Ohren, als sie ihre Schrit­te be­schleu­nig­te. Alles dreh­te sich um sie herum und sie nahm den Flur nur noch ver­schwom­men wahr, doch sie spür­te die küh­len Stein­wän­de unter ihren Hän­den und ging wei­ter dem Licht ent­ge­gen. Luft. Sie brauch­te fri­sche Luft. Und Frei­raum.
Frei­heit.
Sie hielt sich am schmie­de­ei­ser­nen Trep­pen­ge­län­der fest und stol­per­te die grau­en Stein­stu­fen hin­un­ter, wobei sie dar­auf ach­te­te, mit ihren San­da­len kei­nen Lärm zu ma­chen. Der Duft von frisch ge­ba­cke­nem Brot und Zimt lag in der Luft, und aus der Küche dran­gen ge­dämpf­te Frau­en­stim­men. Wahr­schein­lich be­rei­te­ten sich Orla und der Rest des Kü­chen­per­so­nals auf den Tag vol­ler hung­ri­ger Krie­ger und Fa­mi­li­en­mit­glie­der vor. Mög­li­cher­wei­se waren auch Lexi und Ga­le­na bei ihnen. Sie hat­ten sie ge­ret­tet und be­schützt und brach­ten ihr auf­rich­ti­ges Mit­ge­fühl ent­ge­gen, doch sie hat­ten auch ein wach­sa­mes Auge auf Bren­na und durch­lö­cher­ten sie mit ihren Fra­gen.
Sie um­ging die Küche, durch­quer­te den Spei­se­saal und wand­te sich der Ein­gangs­hal­le zu, hin­ter der die weit­läu­fi­gen Gär­ten lagen. Die Vor­mit­tags­son­ne fiel durch die ge­öff­ne­ten, zwei­stö­cki­gen Bo­gen­fens­ter, wäh­rend die sal­zi­ge Mee­res­bri­se ihre trä­nen­über­ström­ten Wan­gen lieb­kos­te. Ihr Herz mach­te einen Satz, denn das Aroma zog sie an wie da­mals an dem Tag, den sie mit ihren El­tern am Meer ver­bracht hatte. Bevor Maxis sie ent­führt und alles zer­stört hatte.
Sie stieß eine der bei­den Ma­ha­go­ni­tü­ren auf, schnapp­te nach Luft und wich einen Schritt zu­rück.
Ein Krie­ger, in des­sen Rü­cken die auf­ge­hen­de Sonne glüh­te, stell­te sich ihr in den Weg. Er war groß und trug die volle Krie­ger­mon­tur aus schwar­zen Le­der­ho­sen, Stie­feln und sil­ber­nem Drast. Bevor die Tür sich wie­der schlie­ßen konn­te, hielt er sie auf und trat aus dem Son­nen­licht.
Bren­na stock­te der Atem. Der Mann vor ihr war nicht ir­gend­ein Krie­ger, son­dern Ludan Forte, rech­te Hand und Somo des Mal­rans. Er war zwei Meter groß und dop­pelt so mus­ku­lös wie seine Ka­me­ra­den. Von hin­ten von der Sonne an­ge­strahlt, wirk­te er wie ein le­ben­dig ge­wor­de­ner Rä­cher aus einer Le­gen­de.
Er legte den Kopf schief und mus­ter­te sie von oben bis unten, wobei ihm eine Sträh­ne sei­nes ge­well­ten, blau­schwar­zen Haa­res in die Stirn fiel. Er press­te die Lip­pen, die von einem kurz ge­stutz­ten Bart um­rahmt waren, zu einer dün­nen Linie zu­sam­men und run­zel­te die Stirn. Seine Miene wirk­te ge­ra­de­zu be­droh­lich.
„Du hast ge­weint.“ Die Worte waren von einem an­kla­gen­den Un­ter­ton un­ter­malt, wäh­rend sie zu­gleich eine Er­klä­rung zu for­dern schie­nen. Seine Stim­me klang ge­nau­so schroff wie immer.
„Ich …“ Bren­na ver­schlug es die Spra­che. Sie senk­te den Blick und wisch­te sich mit dem Hand­rü­cken über die Wange. Ihre Füße ver­sag­ten ihr den Dienst und sie blieb wie er­starrt ste­hen, wäh­rend er sie mit einem glü­hen­den Blick aus sei­nen eis­blau­en Augen fi­xier­te. „Es geht mir gut, ich habe nur …“
„Ludan, wirst du das arme Mäd­chen end­lich vor­bei­las­sen, oder willst du sie an­star­ren, bis sie um­kippt?“ Ian Smiths raue Stim­me er­tön­te hin­ter ihr. Bren­na konn­te seine schwe­ren Schrit­te in der Ein­gangs­hal­le hören. Sie würde die Ab­len­kung nut­zen.
„Ent­schul­digt“, hauch­te sie und duck­te sich unter Lu­dans Arm hin­durch, um stol­pernd über die Ve­ran­da zu eilen, wobei ihre San­da­len auf dem Stein­bo­den ein klat­schen­des Ge­räusch von sich gaben. Ihre Lun­gen brann­ten und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Nur noch ein paar Schrit­te wei­ter und sie wäre an der Küste und könn­te dem fried­li­chen Rau­schen des Mee­res lau­schen. Dann würde sie in Ruhe durch­at­men und die Si­tua­ti­on neu be­wer­ten kön­nen. Sie woll­te die Ver­gan­gen­heit end­lich be­gra­ben, damit sie sie nicht län­ger quäl­te und das we­ni­ge Gute, das sie ge­fun­den hatte, nicht be­schmutz­te.
Sie um­run­de­te die letz­te Ecke, und so­fort peitsch­te der Wind ihr of­fe­nes, dunk­les Haar um ihr Ge­sicht und das ein­fa­che, sa­phir­far­be­ne Kleid um ihre Knö­chel. Die hüft­ho­he Mauer er­streck­te sich ent­lang der halb­mond­för­mi­gen Bucht. Das grau­brau­ne Ge­stein ver­schmolz mit dem ma­kel­lo­sen, azur­blau­en und re­gen­bo­gen­far­be­nen, my­re­ni­schen Him­mel. In re­gel­mä­ßi­gen Ab­stän­den un­ter­bra­chen es etwa alle vier­hun­dert Meter scho­ko­la­den­brau­ne Tore. Das ihr am nächs­ten ge­le­ge­ne Tor war nicht ver­rie­gelt.
Sie stapf­te über das leuch­tend grüne Gras, das die­sel­be Farbe wie das in ihrer Hei­mat in Evad hatte. Hier in Eden war es je­doch von einem sil­ber­nen Schim­mer durch­setzt, der die rot­ge­rän­der­te Sonne re­flek­tier­te. Sie hatte kaum noch Er­in­ne­run­gen an die Zeit vor ihrer Ge­fan­gen­nah­me. Bis auf ei­ni­ge ver­ein­zel­te Fet­zen war alles ver­lo­ren. Ihre Fa­mi­lie. Ihre Zu­kunft und jede Hoff­nung auf Zärt­lich­keit oder Liebe. Wel­cher Mann würde sie mit ihrer be­schmutz­ten Ver­gan­gen­heit noch wol­len? Und nun war sie mit­ten in eine Pro­phe­zei­ung ge­sto­ßen wor­den, die von der Grau­sam­keit her­rühr­te, die ihr Leben ge­prägt hatte. Es war so un­ge­recht. Zu­min­dest hätte sie einen Neu­an­fang ver­dient, etwas Frie­den und Zu­frie­den­heit, und viel­leicht sogar Trost.
Unter ihr bran­de­ten die tür­kis­far­be­nen Wel­len an den pu­der­wei­ßen Strand und die schwar­zen Fel­sen. So hoch das drei­stö­cki­ge Schloss in den Him­mel auf­rag­te, so weit ent­fernt schien das stür­mi­sche Meer zu sein. Sie trat näher an den Rand der Klip­pe, bis die Spit­zen ihrer San­da­len fast die Kante be­rühr­ten.
Wie­der hatte sie das Bild von der toten mensch­li­chen Frau vor Augen. Sie sah ihr zum Ver­wech­seln ähn­lich und teil­te sogar ihr Schick­sal. Al­ler­dings hatte Bren­na über­lebt.
Das ist nicht der ein­zi­ge Un­ter­schied.
Der Ge­dan­ke ver­setz­te ihr einen Stich im Her­zen. Im Ge­gen­satz zu ihr war diese Frau ge­liebt wor­den. Ihr Ge­fähr­te hatte ihren Tod be­trau­ert. Er hatte sie ge­rächt und seine Gaben zur Ver­fü­gung ge­stellt, um Men­schen wie sie selbst zu be­schüt­zen. Bren­na hatte nie­man­den.
Ein Kie­sel­stein rutsch­te unter ihren Füßen weg und prall­te ein paar­mal von der schwar­zen Fels­wand ab, bevor er ins Was­ser fiel. Die ganze Zeit über hatte sie sich an die Hoff­nung ge­klam­mert, ir­gend­wann nach Hause zu ihrer Fa­mi­lie zu­rück­keh­ren zu kön­nen. Sie hatte an dem Glau­ben fest­ge­hal­ten, dass sie eines Tages all das Leid hin­ter sich las­sen und sich ein neues Leben auf­bau­en würde. Aber wozu? Um gegen ihren Wil­len die Ver­ant­wor­tung für alle Ras­sen zu schul­tern?
Der Wind frisch­te auf und alles um sie herum trat in den Hin­ter­grund. Außer den bran­den­den Wel­len unter ihr und einem träl­lern­den Lar­ken in der Ferne nahm sie nichts wahr. Fünf­zehn Jahre lang hatte sie ge­lit­ten, und die ein­zi­ge Wahl, die ihr ge­blie­ben war, war die zwi­schen Leben und Tod.
Sie hatte genug davon.
Sie war es leid, sich den Wil­len an­de­rer auf­zwin­gen zu las­sen. Wenn sie ihre Rolle in der Pro­phe­zei­ung nicht spie­len woll­te, dann muss­te sie sie nicht an­neh­men, selbst wenn die an­de­ren glaub­ten, sie sei auf sie zu­ge­schnit­ten. Dies war ihr Leben und sie konn­te es ge­stal­ten, wie sie es für rich­tig hielt. Die Ge­set­ze der Myren und die Pro­phe­zei­ung konn­ten zur Hölle fah­ren. Nie­mand durf­te über ihr Leben be­stim­men oder sie zu ir­gend­et­was zwin­gen.
Sie hob den Kopf, kon­zen­trier­te sich auf den Ho­ri­zont und at­me­te tief durch. Sie würde es schaf­fen. Dies­mal würde sie für ihre ei­ge­nen Wün­sche ein­ste­hen und ihr Leben selbst in die Hand neh­men. Und sie würde ihre For­de­run­gen und Be­dürf­nis­se zum Aus­druck brin­gen.
Sie dreh­te sich um und warf einen Blick auf das Schloss.
Plötz­lich brach der Boden unter ihren Füßen weg und sie tau­mel­te zur Seite. Sie fiel über den Rand der Klip­pe und ru­der­te ver­zwei­felt mit den Armen, wobei sie es ge­ra­de noch schaff­te, sich an der Kante fest­zu­hal­ten. Der Wind peitsch­te das Ge­wand um ihre Beine, die in der Luft bau­mel­ten. Vol­ler Panik schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie durf­te jetzt nicht ster­ben. Sie hatte doch ge­ra­de erst die Chan­ce auf ein neues Leben ge­fun­den.
Sie ver­grub ihre Fin­ger in der feuch­ten Erde und ver­such­te mit aller Kraft, sich hoch­zu­zie­hen.
Der Lehm zer­brö­ckel­te je­doch und glitt unter ihren Hän­den hin­durch. Dann fiel sie in die Tiefe.

***

Sie geht dich nichts an.
Ludan fes­tig­te sei­nen Griff um die dicke Ma­ha­go­ni­tür am Ein­gang des Schlos­ses, bis er glaub­te, das Holz würde bre­chen. Seit er Bren­na zum ers­ten Mal ge­se­hen hatte, wie­der­hol­te er diese Worte in Ge­dan­ken immer wie­der wie ein end­lo­ses Man­tra.
Es misch­te sich unter all die an­de­ren Stim­men in sei­nem Kopf.
Ian ge­sell­te sich zu ihm und warf ge­ra­de noch einen Blick auf die Ve­ran­da, als Bren­na auf der an­de­ren Seite die Stu­fen hin­un­te­reil­te. „Was zum Teu­fel hast du zu ihr ge­sagt?“
„Ich habe gar nichts ge­sagt.“ Ludan zwang sich, die Tür los­zu­las­sen, die dar­auf­hin zu­fiel. Auf dem Land jen­seits des Schlos­ses war alles ruhig. Weder in der Nähe des Oze­ans, auf den Bren­na zu­ge­lau­fen war, noch im Wald auf der an­de­ren Seite waren ir­gend­wel­che frem­den En­er­gie­mus­ter zu er­ken­nen, wäh­rend die blen­dend grel­le Vor­mit­tags­son­ne am strah­lend blau­en Him­mel auf sie her­ab­schien.
Ludan war den­noch un­be­hag­lich zu­mu­te. In den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten waren viel zu viele merk­wür­di­ge Dinge vor­ge­fal­len. Und nun waren so­wohl Se­re­na als auch Angus’ Page Sully ver­schwun­den. Dann waren da noch die Spi­ri­tu und die Pro­phe­zei­ung. Er warf einen Blick auf Ian. „Geh und suche nach Lexi. Sie soll dich noch heute nach Evad trans­por­tie­ren. Ich werde Bren­na aus­fin­dig ma­chen und sie ins Schloss zu­rück­brin­gen.“
„Denkst du, das ist eine gute Idee?“
Der bis­si­ge Un­ter­ton in Ians Stim­me ließ Ludan auf­hor­chen. „Warum denn nicht?“
„Weil du sie ge­ra­de an­ge­se­hen hast, als woll­test du ihr den Kopf ab­rei­ßen.“
Wohl kaum. Sogar ein hoff­nungs­lo­ser Jun­kie würde eher sei­nen Stoff auf­ge­ben, als Bren­na etwas an­zu­tun. Doch das wuss­te Ian na­tür­lich nicht. Kei­ner von ihnen wuss­te es. Und sie wür­den es auch nie er­fah­ren. „Ich war in Ge­dan­ken.“ Er hatte unter an­de­rem daran ge­dacht, dass der an­dau­ern­de Lärm in sei­nem Kopf auf ein er­träg­li­ches Maß ab­ebb­te, wenn er sich Bren­na auf fünf Meter nä­her­te.
Ian legte den Kopf schief, ver­grub die Hände in den Ta­schen sei­nes Ja­cketts und mus­ter­te Ludan mit einem durch­drin­gen­den Blick. Der Mist­kerl war ver­dammt scharf­sin­nig. Alle Po­li­zis­ten – vor allem ehe­ma­li­ge Po­li­zis­ten, die wie Ian zum Pri­vat­de­tek­tiv wur­den – waren für ge­wöhn­lich über­aus auf­merk­sam.
„Finde Lexi“, brumm­te Ludan, bevor Ian auf dumme Ge­dan­ken kom­men konn­te. „Je eher ich Bren­na aus­fin­dig mache und du in Evad bist, um In­for­ma­tio­nen ein­zu­ho­len, desto eher kann ich wie­der Eryx be­wa­chen.“
Mit die­sen Wor­ten ging er davon und igno­rier­te Ians Blick, der sich in sei­nen Rü­cken bohr­te. In letz­ter Zeit fühl­te er sich, als läge er unter einem Mi­kro­skop. Die Leute be­dach­ten ihn mit miss­traui­schen Bli­cken, schnüf­fel­ten in sei­nem Pri­vat­le­ben herum und stell­ten un­an­ge­neh­me Fra­gen. Ian konn­te den­ken, was er woll­te. Es wäre zum Bes­ten aller Be­tei­lig­ten, wenn er Bren­na auf­spür­te und si­cher­stell­te, dass nicht noch ein Sturm am Ho­ri­zont auf­zog. Mehr steck­te nicht da­hin­ter.
Das kannst du dir ein­re­den, wenn du willst, aber du wür­dest ihr auch ohne Pro­phe­zei­ung fol­gen.
Die in­ne­re Stim­me traf ihn mit einem Schlag in die Ma­gen­gru­be, und er blieb wie an­ge­wur­zelt ste­hen.
Bren­na stand auf der an­de­ren Seite der stei­ner­nen Schutz­mau­er und starr­te reg­los auf die Bucht hin­un­ter. Nur ihr dunk­les Haar peitsch­te in der Mee­res­bri­se. Wäh­rend der ver­gan­ge­nen Mo­na­te hatte Ludan be­ob­ach­tet, wie sie fast ge­stor­ben wäre und sich ins Leben zu­rück­ge­kämpft hatte. Er hatte ge­se­hen, wie sie ver­ängs­tigt aus ihrem Schne­cken­haus ge­kro­chen war, in dem sie fünf­zehn Jahre lang mit Maxis über­lebt hatte. Da­nach hatte sie Tag für Tag die Schul­tern etwas mehr ge­strafft und ihren Kopf ein wenig mehr in die Höhe ge­reckt.
Heute war ihre Hal­tung je­doch nicht ganz so auf­recht. Etwas in ihren fast schwar­zen Augen schien zer­bro­chen. Der An­blick brach­te sämt­li­che Alarm­glo­cken in ihm zum Läu­ten.
Er ließ seine Sinne über die Bucht aus­schwei­fen, um die Ge­gend nach un­ge­wöhn­li­chen En­er­gie­mus­tern ab­zu­su­chen, die er viel­leicht über­se­hen hatte. Ein Lar­ken zwit­scher­te am Him­mel, des­sen tief­blau­es Ge­fie­der fast die­sel­be Farbe wie Bren­nas Ge­wand hatte. Außer dem Vogel und Bren­na konn­te er je­doch nie­man­den und damit auch kei­ner­lei Be­dro­hun­gen aus­ma­chen. Was immer sie plag­te, war ent­we­der be­reits ge­sche­hen oder exis­tier­te nur in ihrer Fan­ta­sie.
Er soll­te sie in Ruhe las­sen und Lexi holen. Seine Vor­zü­ge lagen in der Kampf­kunst und der Tar­nung. Wären diese Fä­hig­kei­ten im Hin­blick auf die Ver­ar­bei­tung von Emo­tio­nen von ir­gend­ei­nem Nut­zen, dann hätte er seine ei­ge­nen Dä­mo­nen schon vor Jah­ren be­wäl­tigt. Zum His­tus, selbst Ian war in sol­chen Din­gen bes­ser be­wan­dert als er. Zu­min­dest hatte der Mann etwas mit Bren­na ge­mein­sam. Sie waren beide Men­schen, deren Leben durch Maxis Stey­sis auf den Kopf ge­stellt wor­den war.
Plötz­lich dräng­te sich ihm eine Er­in­ne­rung auf und seine Knie hät­ten fast nach­ge­ge­ben. Er sah seine Mut­ter vor sich, die blut­über­strömt, ge­schän­det und ge­bro­chen dalag. Keine Frau soll­te je so ein Schick­sal er­lei­den. Ihre Schreie hall­ten in sei­nen Ge­dan­ken wider, bis ein ste­chen­der Schmerz sei­nen Schä­del durch­bohr­te.
Er schüt­tel­te den Kopf und be­trach­te­te das Gras zu sei­nen Füßen. Der sil­ber­ne Schim­mer in den kräf­tig grü­nen Hal­men fun­kel­te in der Mor­gen­son­ne, wäh­rend die rei­che, dunk­le Erde nach dem Sturm in der ver­gan­ge­nen Nacht noch feucht war. Es war nur eine Er­in­ne­rung. Von all denen, die er noch ein­mal durch­le­ben muss­te, war diese zwar die schlimms­te, aber die Ge­scheh­nis­se lagen in der Ver­gan­gen­heit. Dies war das Hier und Jetzt.
Bren­na hatte sich noch immer nicht be­wegt. Wahr­schein­lich brauch­te sie ein­fach nur etwas Zeit für sich. Von allen ver­stand er die­ses Be­dürf­nis wohl am bes­ten, des­halb würde er sie nicht stö­ren. Aber er würde nach ihr sehen kön­nen, ohne sie in Ver­le­gen­heit zu brin­gen. Er mach­te von sei­ner Tarn­fä­hig­keit Ge­brauch und ver­schmolz mit den Ele­men­ten, dann flog er zum Him­mel auf, um über der Bucht zu krei­sen. Plötz­lich trieb ihn ein fast ver­zwei­fel­ter Drang vor­wärts und er flog schnel­ler, bis er nur we­ni­ge Zen­ti­me­ter vor ihr schweb­te.
Mit lee­rem und dis­tan­zier­tem Blick starr­te sie auf das Meer hin­aus. Er kann­te die­sen Aus­druck nur zu gut. Darin spie­gel­ten sich Re­si­gna­ti­on und Nie­der­ge­schla­gen­heit wider. Er selbst hatte viele Jahre lang unter der­sel­ben Last ge­lit­ten. Sie hatte die Hände zu Fäus­ten ge­ballt und war bis an den Rand der Klip­pe ge­tre­ten. Sie würde doch un­mög­lich ver­su­chen, sich das Leben zu neh­men. Nicht jetzt. Nicht nach allem, was sie be­reits über­lebt hatte.
Als hätte sie seine Ge­dan­ken ge­hört, hob Bren­na ruck­ar­tig den Kopf und kon­zen­trier­te sich auf den Ho­ri­zont.
Er ent­spann­te sich ein wenig und stieß er­leich­tert den Atem aus. Was immer sie ge­ra­de ge­quält hatte, war ver­flo­gen. Sogar ihre En­er­gie schien hel­ler als zuvor zu schwin­gen. Es war, als wäre die Mee­res­bri­se bis in ihr In­ners­tes vor­ge­drun­gen und hätte die Mons­ter, die in ihrer Seele schlum­mer­ten, ver­trie­ben. Trotz allem wäre es klug, sie wei­ter­hin im Auge zu be­hal­ten.
In ihm regte sich eine fins­te­re, ani­ma­li­sche Prä­senz, von einem un­bän­di­gen Hun­ger ge­trie­ben. Er hatte das Biest stets vor allen an­de­ren ver­bor­gen, doch nun reck­te es den Kopf und spitz­te die Ohren, als es seine lieb­li­che Beute wit­ter­te. Zu nah.
Er zwang sich, ei­ni­ge Meter zu­rück­zu­wei­chen. Es wäre nicht gut, in Bren­nas un­mit­tel­ba­rer Nähe zu sein. Ei­ner­seits war ihre Ge­gen­wart eine wahre Wohl­tat, denn sie ver­moch­te die Ne­ben­wir­kun­gen sei­ner Gabe zu dämp­fen, doch an­de­rer­seits trau­te er dem Biest in sei­nem In­ne­ren nicht über den Weg. Die­sen häss­li­chen und un­be­re­chen­ba­ren Teil von sich selbst konn­te er nur im Kampf ent­fes­seln. Also würde er Lexi oder Ga­le­na von sei­nen Sor­gen im Hin­blick auf Bren­na be­rich­ten. Letz­te­re würde sich im Krei­se der Frau­en oh­ne­hin woh­ler füh­len.
Er wand­te sich dem Schloss zu. Vor sich sah er das Bild ihrer see­len­vol­len, fast schwar­zen Augen, die sie heute Mor­gen auf seine Lip­pen ge­rich­tet hatte. Für einen quä­len­den Mo­ment hätte er schwö­ren kön­nen, dass sie ihn eben­so sehr be­gehr­te wie er sie. Doch das war nicht mög­lich. Sie fürch­te­te sich vor Män­nern. Und zwar vor allen.
Unter ihm wich das stür­mi­sche Meer dem saf­ti­gen grü­nen Gras, das um das Schloss herum wuchs. Er hatte eine Auf­ga­be zu er­fül­len. Dafür war er ge­bo­ren wor­den, und je eher er sich wie­der an die Ar­beit mach­te, desto schnel­ler würde er die­ser An­zie­hungs­kraft ent­ge­hen kön­nen, die zwi­schen Bren­na und ihm herrsch­te. Zu­min­dest hoff­te er das. An­dern­falls würde er sich wie in den ver­gan­ge­nen Wo­chen mit Spar­ring­ein­hei­ten ab­re­agie­ren und in einen Voll­rausch trin­ken müs­sen.
Plötz­lich er­tön­te hin­ter ihm ein Schrei, der so angst­er­füllt war, dass er das Ge­fühl hatte, als würde ihm ein Speer in die Brust ge­trie­ben.
Noch bevor er be­griff, dass der Schrei aus Bren­nas Mund ge­kom­men war, setz­te er sich in­stink­tiv in Be­we­gung. In Win­des­ei­le schloss er die Dis­tanz zwi­schen ihnen. Er ent­deck­te Bren­na, die sich ver­zwei­felt in den lo­cke­ren Lehm­bo­den krall­te und mit aller Kraft ver­such­te, sich hoch­zu­zie­hen.
Die moos­be­deck­te Erde brö­ckel­te.
Bren­na ver­lor den Halt und ver­schwand aus sei­nem Blick­feld.
Das Biest in ihm brüll­te und ver­such­te, nach außen zu drän­gen. Die Angst nähr­te seine Kräf­te und ließ ihn so schnell durch die Luft schie­ßen, dass der Wind auf sei­nem Ge­sicht brann­te. Er flog auf die schwar­zen Fel­sen und den fei­nen Sand­strand unter ihm zu. Bren­na war nur noch zwei Arm­län­gen ent­fernt.
Etwa einen Meter, bevor sie auf dem Boden auf­kom­men konn­te, ließ er sich unter sie glei­ten und flog mit ihr in einem stei­len Win­kel auf. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Lunge rang nach Luft, doch er hielt Bren­na fest in sei­nen Armen. Sie zit­ter­te zwar wie Es­pen­laub und krall­te sich ver­zwei­felt in seine Schul­tern, aber sie war in Si­cher­heit.
Er schweb­te mit ihr über dem Ozean und drück­te sie noch dich­ter an sich.
Ihr Atem kit­zel­te an sei­ner Haut, als er spür­te, wie etwas Feuch­tes an sei­nem Hals hin­un­ter­rann. Trä­nen. Sie kul­ler­ten ihr über die Wan­gen, wäh­rend sie immer wie­der leise schluchz­te.
Er konn­te jeden ihrer Atem­zü­ge so deut­lich hören wie ein Flüs­tern in einer wind­stil­len Nacht. Sogar das Rau­schen der Wel­len und das Zwit­schern des Lar­ken waren glas­klar zu ver­neh­men. Weder plag­ten ihn Stim­men in sei­nem Kopf, die die Laute um ihn herum ver­ne­bel­ten, noch stürm­ten Er­in­ne­run­gen auf ihn ein und kämpf­ten um die Vor­herr­schaft sei­ner Ge­dan­ken. Sie waren nicht nur ge­dämpft, wie sonst in ihrer Nähe; sie waren ganz und gar ver­schwun­den. Ab­so­lu­te Stil­le. Seit über hun­dert Jah­ren konn­te er zum ers­ten Mal auf­at­men.
Er spann­te in­stink­tiv die Arme an, als könne sie weg­flie­gen oder sich in Luft auf­lö­sen, wenn er sie nicht fest­hielt. Dann rieb er seine Wange an ihrem Kopf und ge­noss das Ge­fühl ihres sei­di­gen Haars an sei­ner Haut. Seine Stim­me war kaum mehr als ein Flüs­tern, als er sagte: „Du bist in Si­cher­heit.“
Sie schmieg­te sich dich­ter an ihn und zog die Knie an ihre Brust, wäh­rend sie leise wim­mer­te. Unter ihnen rausch­te das stür­mi­sche Meer. Wahr­schein­lich war der An­blick für einen Men­schen, der nicht flie­gen konn­te, nicht son­der­lich be­ru­hi­gend.
Kein Wun­der, dass sie so ver­ängs­tigt war. Sie wäre bei­na­he ge­stor­ben. Er konn­te wohl kaum er­war­ten, dass sie den Kopf hob und ihn an­strahl­te.
Er ließ sich zu einem fla­chen Fel­sen am Fuße der Bucht trei­ben und lehn­te sich mit dem Rü­cken an eine Steil­wand. Dann zog er die Knie an und drück­te Bren­na an sich.
Ver­dammt, sie fühl­te sich gut an. So zier­lich und sanft. Sie öff­ne­te und schloss immer wie­der die Hand, die an sei­ner Brust lag und ball­te dabei den rauen Stoff sei­nes Drasts an sei­ner Haut, die vor Ad­re­na­lin vi­brier­te. Wahr­schein­lich hätte er das Ge­fühl nicht der­art ge­nie­ßen sol­len, aber er konn­te nichts da­ge­gen tun. In An­be­tracht der Tat­sa­che, dass Bren­na immer noch nach Atem rang, war der Ge­dan­ke völ­lig fehl am Platz. Es muss­te doch etwas geben, was er für sie tun konn­te. Ir­gend­wie muss­te er sie be­ru­hi­gen.
Zur Ab­wechs­lung kam ihm eine po­si­ti­ve Er­in­ne­rung in den Sinn. Als Kind hatte er sei­nen Vater imi­tie­ren wol­len und war vom Dach der Hütte sei­ner El­tern ge­sprun­gen, um einen Flug­ver­such zu un­ter­neh­men. Er war noch zu klein ge­we­sen, um zu be­grei­fen, dass er erst nach sei­ner Er­we­ckung würde flie­gen kön­nen, die für einen acht­jäh­ri­gen Jun­gen in fer­ner Zu­kunft lag. Seine Mut­ter hatte seine Wun­den ge­heilt und ihn auf ihrem Schoß lang­sam hin und her ge­wiegt, wäh­rend er ge­weint hatte.
Das war ein schö­nes Ge­fühl ge­we­sen. Er hatte es so sehr ge­nos­sen, dass er vor­ge­ge­ben hatte, auch dann noch zu wei­nen, als seine Trä­nen be­reits ver­siegt waren, nur damit er noch etwas län­ger in den Armen sei­ner Mut­ter ver­wei­len konn­te.
Be­hut­sam ahmte er die Be­we­gung nach, wenn­gleich er dabei etwas un­be­hol­fe­ner war als seine Mut­ter. Mit einer Hand strich er über ihren Kopf und ihren Rü­cken. Unter sei­nen schwie­li­gen Fin­gern spür­te er ihr ge­schmei­di­ges Haar. Seit er ihr zum ers­ten Mal be­geg­net war, hat­ten ihre dunk­len, scho­ko­la­den­brau­nen Sträh­nen ihn fas­zi­niert, die so gut zu ihren Augen pass­ten.
Der Wind rausch­te über die Bucht und hüll­te sie in ein schwa­ches Va­nil­lea­ro­ma. Er senk­te den Kopf, bis seine Nase nur we­ni­ge Zen­ti­me­ter von ihrer Schlä­fe ent­fernt war, und at­me­te tief ein. Der Duft ging von Bren­na selbst aus, ent­we­der von ihrem Haar oder ihrer Haut. Was immer die Quel­le war, es roch per­fekt. Tröst­lich und sanft.
Die Dun­kel­heit in ihm be­ru­hig­te sich. Seit sei­ner Er­we­ckung hatte er die­sen in­ne­ren Frie­den nicht mehr ge­spürt. Er hatte zahl­lo­se Schlach­ten ge­schla­gen und die schreck­lichs­ten Er­in­ne­run­gen in sich auf­ge­so­gen, um sei­nen Mal­ran und sein Volk zu schüt­zen, doch all diese Taten schie­nen im Ver­gleich zu die­sem Mo­ment zu ver­blas­sen. Ganze Ar­me­en kämpf­ten für diese Art von Frie­den. Und Män­ner op­fer­ten dafür ihr Leben.
Bren­na stieß einen tie­fen Seuf­zer aus und er­schau­der­te spür­bar. Sie löste ihre Arme von sei­nem Hals und ließ ihre Hände über seine Schul­tern bis zu sei­nem Bi­zeps glei­ten.
Ludan spann­te die Mus­keln an und hieß ihre Be­rüh­rung mit jeder Faser sei­nes Kör­pers will­kom­men.
Zö­ger­lich krall­te sie sich in seine Arme, bevor sie den Kopf hob. Ihre fast schwar­zen Augen waren trä­nen­feucht und ihre Wan­gen ge­rö­tet. Der An­blick hätte ihn nicht der­art be­rüh­ren sol­len, doch er hätte sie am liebs­ten wie­der an sich ge­zo­gen und von ihr ver­langt, sit­zen­zu­blei­ben.
Sie be­geg­ne­te sei­nem Blick zwar nicht, aber sie wand­te auch nicht ihr Ge­sicht ab. Das war ein­deu­tig ein Fort­schritt im Ver­gleich zu dem Tag, an dem er ihr zum ers­ten Mal be­geg­net war.
„Danke“, mur­mel­te sie.
Ihre Stim­me. Beim Gro­ßen, sie war wun­der­schön. Er hatte sie schon häu­fi­ger ge­hört, doch dann war sie immer ge­dämpft und ver­hal­ten ge­we­sen. Jetzt war sie je­doch klar und fest und ohne den Lärm in sei­nem Kopf deut­lich zu ver­neh­men.
Er nick­te ihr zu, denn er wuss­te nicht, wie er ihr mit Wor­ten noch hätte hel­fen kön­nen. Au­ßer­dem woll­te er ihre Stim­me noch ein­mal hören und hoff­te, dass sie noch etwas sagte. Ir­gend­et­was. Zum His­tus, wenn es nach ihm ginge, könn­te sie ein­fach das ver­damm­te Al­pha­bet auf­sa­gen.
Statt­des­sen fi­xier­te sie eine ihrer Hände an sei­nem Bi­zeps. Für den Bruch­teil einer Se­kun­de leuch­te­ten ihre Augen auf, bevor sie blin­zel­te, den Kopf schüt­tel­te und ver­such­te, von sei­nem Schoß auf­zu­ste­hen.
Ludan fes­tig­te sei­nen Griff um sie. „Ich bin nicht son­der­lich sanft­mü­tig.“ Seine Stim­me klang rauer als be­ab­sich­tigt und schien von einem Be­dürf­nis ge­trie­ben, das er nicht be­nen­nen konn­te. „Ich bin nicht so elo­quent wie Eryx, aber ich kann zu­hö­ren.“
Für eine ge­fühl­te Ewig­keit ver­harr­te Bren­na auf sei­nem Schoß und durch­bohr­te ihn mit einem Blick, den er tief in sei­ner Seele spür­te. Es schien, als könn­te sie den Sinn sei­ner Exis­tenz in sei­nen Augen ab­le­sen. Er­neut rann ihr eine Träne über die Wange.
Mit einer Hand strich er ihr über die Wange und be­trach­te­te fas­zi­niert, wie sehr sie sich von­ein­an­der un­ter­schie­den. Ihre ge­schmei­di­ge, creme­far­be­ne Haut kon­tras­tier­te mit sei­nen ge­bräun­ten, rauen Fin­gern. Seine Pran­ke wirk­te rie­sig an ihrem zier­li­chen Ge­sicht.
„Ich will nicht dar­über spre­chen, was mir wi­der­fah­ren ist.“ Ihre Stim­me riss ihn aus sei­nen Ge­dan­ken, und die Angst, die darin mit­schwang, weck­te das Biest in sei­nem In­ne­ren von Neuem. „Ich will ihm nicht noch mehr von mir geben, als er oh­ne­hin schon ge­nom­men hat.“
Mit ihm mein­te sie Maxis. Die­sen Scheiß­kerl.
Ludan stieß lang­sam den Atem aus, wand­te je­doch nicht den Blick von Bren­na ab. In die­sem Mo­ment würde er ei­ni­ges dafür geben, um Maxis wie­der auf­er­ste­hen zu las­sen und ihn zu Tode zu prü­geln. „Dann ver­ra­te mir, warum du weg­ge­lau­fen bist.“
„Wegen mei­ner Er­in­ne­run­gen.“ Sie wand­te den Blick ab und ließ ihn über die Bucht schwei­fen, wobei sie vor­gab, sich zu ori­en­tie­ren. Ludan er­kann­te je­doch, dass sie nur ver­such­te, ab­zu­len­ken. Er selbst mach­te seit Jah­ren von der Tak­tik Ge­brauch, wenn ihm je­mand zu na­he­kam.
Sie strich den Stoff ihres Klei­des an ihrem Ober­schen­kel glatt. Bis auf das leise Schnie­fen, das sie wei­ter­hin in un­re­gel­mä­ßi­gen Ab­stän­den von sich gab, er­schien sie ziem­lich ge­fasst. Was auch immer sie heute Mor­gen ver­an­lasst hatte, Hals über Kopf in den Gar­ten zu stür­men, sie hielt es unter Ver­schluss. Für den Mo­ment. „Es wird Zeit, dass ich zu­rück ins Schloss gehe. Ram­say ist auf­ge­wacht, aber Tri­ni­ty ist in kei­ner guten Ver­fas­sung. Ich woll­te ihnen etwas Zeit für sich geben und habe ihnen ver­spro­chen, ich würde Eryx und Ga­le­na wis­sen las­sen, dass er wohl­auf ist.“
Die Worte kamen ihr wie bei­läu­fig über die Lip­pen, doch sie ris­sen Ludan schlag­ar­tig aus sei­nen Ge­dan­ken. Als Ram­say und Tri­ni­ty aus Win­run zu­rück­ge­kehrt waren, war Ram­say be­wusst­los und Tri­ni­ty ein Ner­ven­bün­del ge­we­sen. Eryx war seit­dem in einem un­ge­nieß­ba­ren Zu­stand und sein Tem­pe­ra­ment war un­be­re­chen­ba­rer als jede Klin­ge, gegen die Ludan je ge­kämpft hatte. Er nick­te und stell­te sie auf die Füße, wobei er sie an der Hüfte fest­hielt, bis sie ihr Gleich­ge­wicht wie­der­ge­fun­den hatte.
In dem Mo­ment, in dem er seine Hände von ihr löste, hall­ten die Stim­men er­neut in sei­nem Kopf wider. Zwar waren sie nicht an­nä­hernd so laut wie sonst, doch die ab­so­lu­te Stil­le wich den Er­in­ne­run­gen, die er in über hun­dert Jah­ren in sich auf­ge­saugt hatte.
Dann war es also kein Zu­fall ge­we­sen. Bren­na war tat­säch­lich der Schlüs­sel. Sie war die be­ru­hi­gen­de Prä­senz, die er von Be­ginn an in ihr wahr­ge­nom­men hatte.
Er stand auf und schüt­tel­te den Ge­dan­ken ab. Eryx und Ram­say brauch­ten ihn. Diese klei­ne Atem­pau­se war oh­ne­hin mehr ge­we­sen, als er ver­dient hatte. Er hatte auf schreck­li­che Art und Weise ler­nen müs­sen, was ge­schah, wenn er seine Pflich­ten igno­rier­te. „Ich habe Ian ge­be­ten, Lexi aus­fin­dig zu ma­chen, bevor ich dir ge­folgt bin. Eryx be­fin­det sich auf dem Trai­nings­ge­län­de, doch ich werde ihn kon­tak­tie­ren und ihn bit­ten, sich mit uns im Schloss zu tref­fen.“
Er trat einen Schritt auf sie zu, um sie hoch­zu­he­ben, doch sie wich zu­rück und hob ab­weh­rend die Hände in die Höhe. „Was hast du vor?“
„Ich brin­ge dich zu­rück ins Schloss.“ Ludan warf einen Blick über die Schul­ter und auf die Steil­küs­te, die hin­ter ihm auf­rag­te. „Es sei denn, du ziehst es vor, hin­auf­zu­klet­tern.“
Sie senk­te den Kopf, wobei ihr eine hüb­sche Röte in die Wan­gen stieg. „In Ord­nung.“
Er hob sie hoch und so­fort ver­stumm­ten die Stim­men in sei­nem Kopf von Neuem. Er­staun­lich. Es war ein ver­damm­tes Wun­der in lieb­li­cher, un­schul­di­ger Ge­stalt. Er trat einen Schritt vor, be­reit, sich in die Lüfte zu er­he­ben.
„Ludan.“
Er hielt inne und be­geg­ne­te ihrem Blick. Der tief­grün­di­ge und emo­ti­ons­ge­la­de­ne Aus­druck in ihren Augen raub­te ihm den Atem. Darin spie­gel­te sich mehr Wis­sen wider, als eine Frau ihres Al­ters be­wäl­ti­gen soll­te. „Du irrst dich.“
Auch dies­mal warf ihn der an­ge­neh­me Un­ter­ton in ihrer Stim­me aus der Bahn, und es dau­er­te min­des­tens sie­ben Se­kun­den, bis er die Be­deu­tung ihrer Worte er­fass­te. Er zog fra­gend eine Au­gen­braue in die Höhe. Es war ihm egal, was sie zu sagen hatte; er woll­te ein­fach wie­der ihre Stim­me hören.
Sie wand­te den Blick ab und fes­tig­te ihren Griff um sei­nen Hals. „Viel­leicht bist du nicht son­der­lich elo­quent, aber du warst mir ge­gen­über sehr sanft­mü­tig.“

***

So fühl­te es sich also an, zu flie­gen. Von Lu­dans star­ken Armen um­schlun­gen, ließ Bren­na ihre Zu­kunfts­ängs­te von dem küh­len Wind da­von­tra­gen, der auf ihre Wan­gen traf, und at­me­te die sal­zi­ge See­luft ein. Die rot­ge­rän­der­te Sonne warf ihre mil­den Strah­len auf die Land­schaft unter ihr. Sanf­te Hügel waren von moos­grü­nem Gras be­wach­sen, das sil­bern schim­mer­te, wäh­rend ver­ein­zelt An­samm­lun­gen wei­ßer Blu­men her­vor­rag­ten. In der Ferne er­streck­te sich ein Wald vol­ler Bäume mit la­ven­del­far­be­nen Blät­tern und scho­ko­la­den­brau­nen Stäm­men ent­lang einer fas­zi­nie­ren­den, perl­mutt­far­be­nen Berg­ket­te. „Es ist wun­der­schön.“
Ludan sah sie an und mus­ter­te sie ein­dring­lich. „Hast du es noch nie von oben ge­se­hen?“
Sie schüt­tel­te den Kopf und warf einen Blick über die Schul­ter auf den tür­kis­far­be­nen Ozean und den re­gen­bo­gen­far­be­nen Him­mel. Es war bes­ser, sie wand­te ihr Ge­sicht ab, bevor sie ihm einen zu per­sön­li­chen Ein­blick ge­währ­te. „Bis­her bin ich nur zwei­mal ge­flo­gen. Ein­mal an dem Tag, an dem Maxis mich ge­fan­gen nahm, und ein zwei­tes Mal, als Eryx mich hier­her­brach­te.“ Sie muss­te ihre Worte ge­gen­über Ludan nicht näher er­läu­tern. Er war dabei ge­we­sen, als sie sich vor Lexi ge­wor­fen und für sie eine Kugel ab­ge­fan­gen hatte. Eryx hatte sie ge­heilt und sie be­wusst­los ins Schloss trans­por­tiert, ohne zu ahnen, wel­che Aus­wir­kun­gen seine Heil­kräf­te auf ihren mensch­li­chen Kör­per ge­habt hat­ten.
Mitt­ler­wei­le kann­ten sie die Kon­se­quen­zen, zu­min­dest ei­ni­ge von ihnen. Bren­na war in der Lage, die Gaben der Myren in ihrer Nähe zu spie­geln, was wahr­schein­lich der Grund dafür war, warum sie Ram­says Traum von der Pro­phe­zei­ung hatte sehen kön­nen.
Ludan strich mit dem Dau­men auf be­fremd­li­che Weise über ihre Schul­ter und hin­ter­ließ ein Krib­beln auf ihrer Haut. „Ich kann dich gern noch ein­mal mit­neh­men.“
Scho­ckiert sah sie ihn an. „Das wür­dest du tun?“
Er nick­te lang­sam und fei­er­lich, als würde er einen Schwur leis­ten. Sein ge­well­tes schwar­zes Haar wehte im Wind. Ei­ni­ge der Sträh­nen wan­den sich um sei­nen Hals und kit­zel­ten ihren Arm. Es war kür­zer als das von Eryx, reich­te ihm nur bis knapp über die Schul­tern, aber es war ge­nau­so dicht und mit einem Hauch von Blau durch­zo­gen.
Sie würde viel dafür geben, es zu be­rüh­ren und mit ihren Fin­gern hin­durch­zu­käm­men, um zu sehen, ob es sich so weich an­fühl­te, wie es aus­sah. Statt­des­sen ball­te sie ihre Hand zur Faust. Für einen Mann wie Ludan wäre so etwas si­cher viel zu sach­te und mäd­chen­haft. „Das würde mir ge­fal­len.“
Er starr­te sie wei­ter mit sei­nen ge­spens­tisch blau­en Augen an, die er un­si­cher zu dün­nen Schlit­zen zu­sam­men­ge­knif­fen hatte. Kurz dar­auf schluck­te er und senk­te den Blick zu Boden. „Eryx ist auf dem Weg, und Lexi war­tet im Ar­beits­zim­mer auf dich.“ Im Hand­um­dre­hen war der An­flug von Ver­letz­lich­keit aus sei­nen Zügen ver­schwun­den und sei­ner üb­li­chen schrof­fen Art ge­wi­chen.
Sie nä­her­ten sich der Ter­ras­se des Schlos­ses, die mit grau schim­mern­den Stein­flie­sen aus­ge­legt war und deren Ba­lus­tra­den mit Efeu um­rankt waren. Noch ein paar Se­kun­den und sie würde wie­der auf ihren Füßen und damit auf dem Boden der Tat­sa­chen ste­hen. Sie schmieg­te ihr Ge­sicht an seine Hals­beu­ge und hielt den Atem an.
Ludan lan­de­te mit einem dump­fen Laut. Seine Bar­stop­peln streif­ten ihre Wange, als er ihr mit tie­fer, grol­len­der Stim­me ins Ohr flüs­ter­te: „Du bist in Si­cher­heit.“
Das war das zwei­te Mal, dass er diese Worte aus­sprach. Jedes Mal löste er damit un­ge­wohn­te Emp­fin­dun­gen in ihr aus, die weder ihr Ver­stand noch ihr Kör­per ver­ar­bei­ten konn­ten. Sie hob den Kopf und at­me­te tief durch. Sein Duft durch­drang ihre Lunge mit einer Mi­schung aus Leder und Erde und er­in­ner­te sie an einen Wald. Er be­ru­hig­te ihre Ner­ven bes­ser als eines von Ga­le­nas Mit­tel­chen. „Tut mir leid. Ich soll­te mich nicht so von mei­nen Ängs­ten über­wäl­ti­gen las­sen.“
„Wir wer­den daran ar­bei­ten.“
Wür­den sie das?
Of­fen­bar spie­gel­te ihre Ver­wir­rung sich auf ihrem Ge­sicht wider, denn er ver­zog den Mund fast zu einem Grin­sen. Er legte ihr eine Hand an den Rü­cken und schob sie sanft vor­wärts, wobei die Span­ne von sei­nem klei­nen Fin­ger bis zu sei­nem Dau­men fast ihr ge­sam­tes Kreuz be­deck­te. Sie konn­te die Be­rüh­rung unter ihrem schlich­ten Samt­kleid deut­lich spü­ren und war so dar­auf fi­xiert, dass sie den gan­zen Weg von der Ve­ran­da zum Ar­beits­zim­mer des Kö­nigs­paa­res kaum wahr­nahm.
Lexi stand al­lein auf der an­de­ren Seite des Rau­mes und starr­te aus dem hohen Bo­gen­fens­ter. Eryx war nir­gends zu sehen.
Plötz­lich blieb Bren­na wie an­ge­wur­zelt ste­hen und Ludan wäre fast mit ihr zu­sam­men­ge­prallt. „Warum ist Eryx im Trai­nings­zen­trum? Als ich ihn zu­letzt ge­se­hen habe, hat er dar­auf ge­war­tet, dass Ram­say auf­wacht.“
Bei den Wor­ten dreh­te sich Lexi um und stieß sich vom Fens­ter ab. Wie üb­lich hatte sie auf das tra­di­tio­nel­le Ge­wand der my­re­ni­schen High So­cie­ty ver­zich­tet und trug statt­des­sen eine schlich­te schar­lach­ro­te Tu­ni­ka und Leg­gings. Das Zei­chen des Mal­rans zog sich über ihren rech­ten Arm. Es war ein schwar­zes, ge­flü­gel­tes Pferd, das sich auf den Hin­ter­bei­nen auf­bäum­te, wäh­rend es die Flü­gel aus­ge­brei­tet hatte. Lexi war zwar leger ge­klei­det, aber ihr Ge­sicht war an­ge­spannt. „Sie ver­su­chen, Se­re­na und Sully auf­zu­spü­ren.“
„Wie bitte?“ Bren­na dreh­te sich um und such­te fra­gend Lu­dans Ge­sicht ab.
Lei­der hatte er die für ihn ty­pi­sche aus­drucks­lo­se Maske auf­ge­setzt und starr­te sie mit ge­lang­weil­ter Miene an, die fast über­heb­lich wirk­te.
„Ich dach­te, sie stün­de unter Haus­ar­rest“, sagte Bren­na. „Und wer ist Sully?“
„Sie stand unter Haus­ar­rest.“ Lexi schritt auf sie zu und ließ dabei die Fin­ger­knö­chel kna­cken. „Ir­gend­wann ges­tern Nach­mit­tag ist sie ver­schwun­den. Sully ist Angus’ Page und die ein­zi­ge Per­son, die uns hel­fen kann, Se­re­na und Angus ein für alle Mal zu fas­sen. Al­ler­dings ist er eben­falls nicht auf­zu­fin­den. Die Krie­ger su­chen seit ges­tern Abend nach ihnen.“
„Des­halb war Eryx so auf­ge­bracht“, mur­mel­te sie zu sich selbst. Mehr­mals hat­ten Eryx und Lexi nach Ram­say ge­se­hen, wäh­rend er be­wusst­los ge­we­sen war. Mit jedem Be­such hatte sich Eryx’ Ner­vo­si­tät ge­stei­gert.
Bren­na durch­fuhr ein eis­kal­ter Schau­er. „Sie ist frei.“
Ludan trat dicht hin­ter sie. Sie nahm seine Prä­senz so deut­lich wahr wie eine glü­hen­de Rüs­tung. „Nie­mand wird dir etwas antun.“ Es war ein Ver­spre­chen, das nur für ihre Ohren be­stimmt war.
„Maxis ist tot.“ Lexi blieb di­rekt vor ihr ste­hen. Für eine Se­kun­de ließ sie ihren Blick zu Ludan glei­ten, bevor sie wie­der Bren­na ansah. Ihre Miene er­weich­te sich. „Die meis­ten Re­bel­len haben sich ge­stellt, in der Hoff­nung, ihre Stra­fe ab­mil­dern zu kön­nen. Se­re­na ist nicht in der Lage, ihre Drecks­ar­beit al­lein zu er­le­di­gen, des­halb stellt sie keine Be­dro­hung für dich dar.“
Viel­leicht nicht kör­per­lich. Aber Bren­na hatte mit ei­ge­nen Augen ge­se­hen, wie sehr Se­re­na die Men­schen ver­ab­scheu­te. Und Gott stehe ihr bei, falls sich Ram­says Vi­si­on be­wahr­hei­te­te und Se­re­na von Bren­nas Rolle in der Pro­phe­zei­ung er­fuhr.
Eryx und Reese schrit­ten durch die bo­gen­för­mi­ge Ein­gangs­tür. Die bei­den tru­gen wie Ludan einen sil­ber­nen Drast, sowie schwar­ze Le­der­ho­sen und Stie­fel. Wie bei ver­paar­ten my­re­ni­schen Män­nern üb­lich, hat­ten auch sie ihr Haar zu­sam­men­ge­bun­den. Reese hatte seine Mähne zu einem Kno­ten hoch­ge­bun­den, wäh­rend Pla­tin­per­len Eryx’ Zöpfe zu­sam­men­hiel­ten, die ihm fast bis zur Tail­le reich­ten.
Eryx blieb nur zwei Schrit­te hin­ter der Tür ste­hen und sah sich im Raum um. Sein Blick blieb auf Ludan haf­ten. „Was gibt es Neues?“
„Ram­say ist auf­ge­wacht“, mel­de­te sich Bren­na zu Wort. „Vor etwas mehr als einer Stun­de.“
Er wir­bel­te herum und ging auf die große Trep­pe zu. „Und ich er­fah­re erst jetzt davon?“
Reese folg­te ihm. „Ich werde Ga­le­na holen.“
„War­tet!“ Bren­na eilte hin­ter ihnen her. Sie hatte ge­ra­de ein paar Schrit­te zu­rück­ge­legt, als Eryx sich er­neut um­dreh­te. Er strahl­te eine un­ge­stü­me En­er­gie aus, die die Luft förm­lich zum Knis­tern brach­te. Bren­na wich zu­rück.
Ludan baute sich zwi­schen ihr und Eryx auf und stieß ein tie­fes, be­droh­li­ches Knur­ren aus.
Bren­na stell­ten sich die Na­cken­haa­re auf. Ohne nach­zu­den­ken, legte sie Ludan be­ru­hi­gend eine Hand an die Schul­ter und trat neben ihn. „Ram­say geht es gut. Sogar bes­ser als gut, aber er hat darum ge­be­ten, mit Tri­ni­ty al­lein zu sein. Sie ist am Boden zer­stört.“
Eryx be­merk­te Lu­dans ag­gres­si­ve Hal­tung und dann Bren­nas Hand an des­sen Schul­ter.
Sie zog sie has­tig zu­rück und rück­te dich­ter an Lexi heran, die neben ihr ste­hen ge­blie­ben war.
Eryx fi­xier­te wei­ter­hin Ludan, als er frag­te: „Was meinst du mit bes­ser als gut?“
Bren­na schluck­te und ver­schränk­te die Hände fest vor ihrem Kör­per. Auf kei­nen Fall woll­te sie Eryx wei­te­re Ein­zel­hei­ten er­zäh­len, so­lan­ge er der­art ge­launt war. Wenn es nach ihr ginge, würde sie ihm gar nichts sagen.
„Lass dich von ihm nicht aus der Ruhe brin­gen“, sagte Lexi und legte einen Arm um Bren­nas Schul­tern. „Er ist nur wü­tend wegen Se­re­na, es hat nichts mit dir zu tun. Er­zäh­le ihm von Ram­say.“
Ludan stand neben Bren­na und durch­bohr­te sei­nen Mal­ran mit einem fins­te­ren Blick. Er hatte die Schul­tern ge­strafft und seine hoch auf­ra­gen­de Sta­tur dro­hend nach vorn ge­beugt. Eryx und Lexi hat­ten Ram­say und sein Er­wa­chen für einen Mo­ment ver­ges­sen und starr­ten den Somo un­gläu­big an. Ludan würde sich doch kei­nes­falls ih­ret­we­gen auf sei­nen König stür­zen. Die bei­den waren beste Freun­de. Ob­wohl nicht das glei­che Blut durch ihre Adern floss, waren sie doch wie Brü­der.
„Tri­ni­tys Vater hat Ram­say nicht ver­letzt.“ Nun starr­ten alle Bren­na an, ein­schließ­lich Ludan. „Kazan hat ihm Wis­sen ver­mit­telt. Des­halb war er be­wusst­los, als er zu­rück­kam. Er hat die Pro­phe­zei­ung in Ge­dan­ken noch ein­mal durch­lebt.“
Eryx mach­te einen Schritt auf sie zu, doch Ludan stell­te sich ihm in den Weg.
Lexi hob eine Hand und starr­te die bei­den fins­ter an. „Könn­tet ihr bei­den euer Tes­to­ste­ron viel­leicht lange genug dämp­fen, bis wir etwas mehr in Er­fah­rung ge­bracht haben? Ihr er­schreckt Bren­na ja zu Tode.“ Sie stemm­te die Hände in die Hüfte, wand­te den Män­nern den Rü­cken zu und ging zu Bren­na. „In Ord­nung, fang noch ein­mal von vorn an. Aber dies­mal brau­chen wir etwas mehr Ein­zel­hei­ten.“
„Kazan hat Ram­say alles über die Pro­phe­zei­ung über­mit­telt“, er­klär­te Bren­na. „Wie sie zu­stan­de kam, wer daran be­tei­ligt war und wie sie funk­tio­niert. Ram­say hat so­zu­sa­gen alles noch ein­mal durch­lebt. Des­halb war er be­wusst­los.“ Bren­na würde sich den Teil, wie die Pro­phe­zei­ung ge­en­det hatte, für spä­ter auf­he­ben, wenn Eryx weit weg war.
Hin­ter Lexi er­tön­te Eryx’ Stim­me, die mitt­ler­wei­le etwas ru­hi­ger und leicht ver­blüfft klang. „Alles?“
Bren­na hielt ihren Blick auf Lexi ge­rich­tet und be­müh­te sich, den Schweiß auf ihrer Stirn und an ihrem Na­cken zu igno­rie­ren. Sie teil­te den an­de­ren le­dig­lich mit, was sie wuss­te. In kei­ner Weise deu­te­te sie an, eine Rolle in der Pro­phe­zei­ung zu spie­len, noch hatte sie sich dazu be­reit er­klärt. „Alles. Im Mo­ment will er je­doch noch eine Weile mit Tri­ni­ty al­lein sein. Sie war ziem­lich ver­stört, nach­dem er auf­ge­wacht war. Ich glau­be nicht, dass sie einem von euch davon er­zählt hat, aber die In­for­ma­tio­nen, die Kazan Ram­say ge­ge­ben hat, hat­ten ihren Preis.“
„Und die­sen muss­te Tri­ni­ty be­zah­len?“, woll­te Lexi wis­sen.
„Nicht Tri­ni­ty.“ Bren­na wisch­te sich eine ver­schwitz­te Hand an der Hüfte ab. „Ihr Vater hat sein Leben ver­wirkt.“
Eryx dreh­te sich um und starr­te in die Rich­tung des hin­te­ren Flü­gels, in dem Ram­says Ge­mä­cher lagen. Für einen Mo­ment trat ein dis­tan­zier­ter Aus­druck in seine Augen, bevor sein Blick wie­der auf Bren­na lan­de­te. Er nick­te. „Er will Tri­ni­ty zu­erst be­ru­hi­gen. Spä­ter kann er uns beim Abend­es­sen alles er­zäh­len. Reese und ich wer­den zum Trai­nings­zen­trum zu­rück­keh­ren und die Suche nach Se­re­na und Sully fort­set­zen.“ Er sah Ludan an. „Kommst du mit?“
Bevor Ludan ant­wor­ten konn­te, hob Reese eine Hand. Einen Mo­ment starr­te er zu Boden, bevor er zu Eryx auf­blick­te. „Der Qua­ran, der in Se­re­nas Haus ab­ge­stellt ist, hat mir ge­ra­de mit­ge­teilt, dass der An­walt der Fa­mi­lie ein­ge­trof­fen ist. Sie wer­den in­ner­halb der nächs­ten Stun­de aus­sa­gen kön­nen.“
„Ich dach­te, Re­gi­nald steht der­zeit hin­ter Se­re­na“, warf Ludan ein.
Eryx rieb sich den Na­cken und blick­te aus dem Fens­ter an der ge­gen­über­lie­gen­den Wand. „Re­gi­nald geht es in ers­ter Linie um sei­nen Pro­fit. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Er wand­te sich Ludan zu und kniff die Augen zu dün­nen Schlit­zen zu­sam­men. „Sie sind be­reit, ihre Er­in­ne­run­gen zu tei­len, ob­gleich unter dem Schutz eines An­walts. Bist du be­reit?“
Ludan ver­schränk­te seine kräf­ti­gen Arme vor der Brust und run­zel­te die Stirn. „Bin ich das nicht immer?“
Eryx blick­te zwi­schen Ludan und Bren­na hin und her und öff­ne­te den Mund, um etwas zu sagen.
„Das reicht jetzt“, kam Lexi ihm zuvor. „Wenn ihr bei­den euch auf die Brust trom­meln wollt, dann macht das bitte ohne uns. Aber seht zu, dass ihr kein Blut auf dem Tep­pich ver­gießt, sonst wird Orla euch an euren Eiern auf­hän­gen.“ Sie be­deu­te­te Bren­na, ihr zu fol­gen und warf Ludan noch einen Blick über die Schul­ter zu. „Und wenn ich mich nicht irre, wirst ge­ra­de du sie spä­ter noch brau­chen.“

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