Kings of Retribution MC: Nikolai

Ori­gi­nal­ti­tel: Ni­ko­lai: The Vol­kov-Em­pi­re
Über­set­zer: Sven­ja Ohl­sen

Er­schie­nen: 05/2024
Serie: Kings of Re­tri­bu­ti­on MC
Teil der Serie: 10

Genre: Mafia Ro­mance, Motor­cy­cle Club Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Mon­ta­na


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-662-1
ebook: 978-3-86495-663-8

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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und allen gän­gi­gen On­line­händ­lern und im Buch­han­del

Kings of Retribution MC: Nikolai

,

In­halts­an­ga­be

Seit sei­ner Kind­heit wurde Ni­ko­lai Vol­kov dar­auf vor­be­rei­tet, eines Tages über das Im­pe­ri­um sei­nes Va­ters zu herr­schen. Wenn man in einer Brat­va-Fa­mi­lie auf­wächst, hat man nicht viele Mög­lich­kei­ten. Man lebt und stirbt mit dem Namen Vol­kov.
Nach­dem er sei­nen Halb­bru­der in den USA ge­fun­den hat, be­schließt Ni­ko­lai, sich von den fa­mi­liä­ren Ver­pflich­tun­gen zu­rück­zu­zie­hen, um das zu fin­den, was ihm sein gan­zes Leben lang ge­fehlt hat. Er hat je­doch nicht damit ge­rech­net, dass eine kur­ven­rei­che junge Frau mit bern­stein­far­be­nen Augen und Bril­le das feh­len­de Puz­zle­teil sein würde. Er schwört, diese schüch­ter­ne und ver­ängs­tig­te Frau um jeden Preis zu be­schüt­zen.
Als Fein­de das Leben von Leah Win­ters be­dro­hen, kom­men Ni­ko­lais Vol­kov-Wur­zeln zum Vor­schein.
Für die­je­ni­gen, die sich zwi­schen Ni­ko­lai und die Frau, die er liebt, stel­len, gibt es nur eine Ant­wort: Krieg, Blut­ver­gie­ßen, Tod.

Jeden Tag in Angst zu leben, ist keine Art zu leben, aber es ist das ein­zi­ge Leben, das Leah Win­ters je ge­kannt hat. Die Fa­mi­lie soll­te ein si­che­rer Hafen sein, und nicht die Mons­ter, die einen nachts in Alb­träu­men ver­fol­gen.
Bis sie be­schließt, ihr Leben dem Kings of Re­tri­bu­ti­on MC an­zu­ver­trau­en, wo sie auf Ni­ko­lai Vol­kov trifft.

Ge­bro­chen durch Ge­walt, grau­sa­me Worte und ein ge­rin­ges Selbst­wert­ge­fühl, hätte Leah nie ge­dacht, dass ein mäch­ti­ger, at­trak­ti­ver Mann wie Ni­ko­lai sich je­mals in sie ver­lie­ben könn­te, bis ...
Seine Worte geben ihr Hoff­nung.
Seine Be­rüh­rung spen­den ihr Leben.
Sein Kuss ver­spricht ihr die Welt.

Über die Au­to­rin

Crys­tal Da­ni­els und Sandy Al­va­rez sind ein Schwes­tern-Duo und die USA To­day-Best­sel­ler­au­to­rin­nen der be­lieb­ten "Kings of Re­tri­bu­ti­on MC"-Se­rie.
Seit 2017 hat das Duo zahl­rei­che Ro­ma­ne ver­öf­fent­licht. Ihre ge­mein­sa­me Lei­den­schaft für Bü­cher und das Ge­schich­ten­er­zäh­len führ­te sie auf eine auf­re­gen­de Reise,...

Crys­tal Da­ni­els und Sandy Al­va­rez sind ein Schwes­tern-Duo und die USA To­day-Best­sel­ler­au­to­rin­nen der be­lieb­ten "Kings of Re­tri­bu­ti­on MC"-Se­rie.
Seit 2017 hat das Duo zahl­rei­che Ro­ma­ne ver­öf­fent­licht. Ihre ge­mein­sa­me Lei­den­schaft für Bü­cher und das Ge­schich­ten­er­zäh­len führ­te sie auf eine auf­re­gen­de Reise,...

Wei­te­re Teile der Kings of Re­tri­bu­ti­on MC Serie

Le­se­pro­be

Ni­ko­lai

Ich biege mit mei­nem Truck von der Haupt­stra­ße auf den Schot­ter­weg ab, der mich zu mei­nem Ziel­ort führt. So­bald ich die Hü­gel­kup­pe er­klom­men habe, kommt das Club­haus in Sicht, und noch nie hat sich die Heim­kehr so gut an­ge­fühlt. Die Kings haben mich auf­ge­nom­men, als wäre ich einer von ihnen. Sie haben mir sogar ein ei­ge­nes Zim­mer im Club­haus ge­ge­ben, in dem ich schla­fen kann, wann immer ich will. Als ich mich um­schaue, sehe ich, dass alle Män­ner an­we­send sind, le­dig­lich Reids Mo­tor­rad fehlt. Ich parke mei­nen Wagen an der Seite des Ge­bäu­des, stei­ge aus und gehe hin­ein. Warme Luft...

...​und der Ge­ruch von Tabak strö­men mir ins Ge­sicht, als ich die Ein­gangs­tür öffne. Drin­nen sehe ich die Jungs um einen gro­ßen run­den Tisch in der Mitte des schwach be­leuch­te­ten Raums sit­zen.
„Ni­ko­lai. Beweg dei­nen Arsch hier­her“, schallt Jakes dröh­nen­de Stim­me durch den Raum. Ein lee­rer Stuhl war­tet auf mich, als ich an den Tisch trete. „Schön, dass du wie­der in der Stadt bist.“ Er schiebt ein Glas von der Mitte des Ti­sches zu mir. Eine Fla­sche mei­nes Lieb­lings­wod­kas steht dort, au­ßer­dem noch etwas Bour­bon. Ich stre­cke die Hand aus, kippe die Fla­sche an und gieße mir einen Schluck in mein Glas.
Zwi­schen Jakes Fin­gern ba­lan­ciert ein klei­ner Zi­ga­ret­ten­stum­mel, wäh­rend er sich in sei­nem Stuhl zu­rück­lehnt. „Wie war es zu Hause?“, er hebt die Hand und nimmt einen Zug von sei­ner Kippe.
„Un­ge­klärt.“ Ich halte inne und nehme einen Schluck von mei­nem Ge­tränk, bevor ich meine Aus­sa­ge ver­voll­stän­di­ge. „Aber nichts, um das wir uns nicht küm­mern kön­nen.“
Jake gluckst. „Oh, das be­zweif­le ich nicht.“
Ich sehe mei­nen Bru­der an, der mir ge­gen­über­sitzt, des­sen Aus­se­hen dem mei­nen gleicht, bis auf un­se­re Haar­far­be. Logan sagt: „Schön, dass du wie­der zu Hause bist.“ Er hebt sein Glas in die Luft.
„Es ist gut, wie­der da­heim zu sein.“ Und ich meine es ernst, wenn ich diese Worte sage. Pol­son ist Wel­ten ent­fernt von dem Ort, an dem ich auf­ge­wach­sen bin und den ich so lange mein Zu­hau­se ge­nannt habe, aber Pol­son fühlt sich für mich wie der Ort an, für den ich immer be­stimmt war. Ich möch­te, dass meine Wur­zeln in die­sen Ber­gen fest­wach­sen. Ich atme tief durch die Nase ein und stoße einen lan­gen Atem­zug aus. „Ab­ge­se­hen davon, dass wir einen guten Drink zu­sam­men ge­nie­ßen, worum geht es bei un­se­rem Tref­fen sonst noch?“, frage ich, wäh­rend ich mich am Tisch um­schaue.
„Ga­bri­els Frau hat eine Freun­din, die auf der Suche nach Ar­beit ist. Das Mäd­chen muss eine Weile un­ter­tau­chen“, in­for­miert mich Logan. Ich be­ob­ach­te, wie Ga­bri­el sich ein wenig an­spannt, und frage mich, ob das etwas mit dem zu tun hat, was Alba ge­ra­de durch­ge­macht hat.
„Hat das etwas mit dem An­grei­fer dei­ner Frau zu tun?“, mein Blick rich­tet sich auf Ga­bri­el.
„Nein. Nie wie­der wird ein Mann ihr etwas antun.“ Ga­bri­els Ton­fall ist leise und viel­sa­gend.
„Albas Freun­de Leah und Sam sind auf der Suche nach Ar­beit. Wir dach­ten, sie könn­ten bei Kings Con­struc­tion an­fan­gen. Das heißt, wenn du damit ein­ver­stan­den bist. Leah ist die­je­ni­ge, die in Schwie­rig­kei­ten steckt, aber so­wohl Sam als auch Leah brau­chen einen Neu­an­fang“, fügt Jake hinzu.
Eine Frau?
„Leah ver­steckt sich vor ihrer Fa­mi­lie, vor ihrem Vater, um genau zu sein. Wir ken­nen nicht alle De­tails, aber genug, um zu wis­sen, dass er sie vor ein paar Wo­chen ver­prü­gelt hat, und das ist schon öfter vor­ge­kom­men. Sie hat eine To­des­angst vor ihm.“ Mehr braucht Jake nicht zu sagen.
„Habt ihr nach­ge­forscht, um mehr über ihren Vater her­aus­zu­fin­den?“
„Wir prü­fen ge­ra­de, wer er ist“, sagt Jake.
„Wenn sie unter eurem Schutz steht, dann auch unter mei­nem.“ Ich wende mich an Ga­bri­el, da er sie wahr­schein­lich we­sent­lich schnel­ler be­nach­rich­ti­gen kann als alle an­de­ren. „Schick sie gleich mor­gen früh zu mir und ich küm­me­re mich um alles.“ Ga­bri­el nickt zur Ant­wort, dann zieht er sein Handy aus der In­nen­sei­te sei­ner Kutte und tippt mit den Fin­gern auf den Bild­schirm. Meine Ge­dan­ken krei­sen um die Pro­ble­me, mit denen mein Vater zu kämp­fen hat, und um die Tat­sa­che, dass ich hier bin und nicht dort, um ihm bei un­se­ren zu­künf­ti­gen Lie­fe­run­gen zu hel­fen.
„Wie geht’s dem Alten?“, fragt Logan.
„Es geht ihm gut.“
„Du hast er­wähnt, dass die Dinge in Über­see noch un­ge­klärt sind. Kann der Club bei ir­gend­et­was hel­fen?“ Logan gießt sich einen klei­nen Ja­me­son in sein Glas. Die an­de­ren Män­ner be­äu­gen mich, ge­spannt dar­auf, mehr zu er­fah­ren.
Ich atme er­schöpft aus, als der Jet­lag ein­setzt. „Lei­der kann man von hier aus nichts tun. Eine Waf­fen­lie­fe­rung wurde von ihrem Aus­gangs­punkt ge­stoh­len und einer un­se­rer Män­ner ist un­glück­li­cher­wei­se ge­stor­ben.“ Ab­rams kalte, tote Augen, ge­folgt von der Er­in­ne­rung an das trä­nen­über­ström­te Ge­sicht sei­ner Frau, nach­dem wir ihrer Fa­mi­lie die letz­te Ehre er­wie­sen haben, kom­men mir in den Sinn, und meine Hand ver­krampft sich um das Glas in mei­ner Hand.
„Ver­dammt, Bru­der. Tut mir leid, das zu hören. Ir­gend­wel­che Hin­wei­se dar­auf, wer da­hin­ter­steckt?“, fragt Logan, bevor er ein Streich­holz über die raue Ober­flä­che des Ti­sches zieht und sich eine Zi­ga­ret­te an­zün­det.
„Wir ver­mu­ten, dass Miran No­vi­koff hin­ter den Dieb­stäh­len steckt. Es hat ähn­li­che Vor­fäl­le mit an­de­ren Grup­pie­run­gen in an­de­ren Ge­bie­ten ge­ge­ben“, er­klä­re ich ihnen.
„No­vi­koff“, wie­der­holt Jake. „Der Name kommt mir be­kannt vor.“
„Es gibt sie schon seit ei­ni­ger Zeit. No­vi­koff war ein guter Freund mei­nes Groß­va­ters und sie waren ge­mein­sam im Ge­schäft. No­vi­koff hat frü­her hier in Mon­ta­na Ge­schäf­te ge­macht und ist immer noch in Ka­na­da tätig. Frü­her hat er mei­nen Groß­va­ter auf sei­nen Rei­sen hier­her be­glei­tet. Des­halb ist dir sein Name wahr­schein­lich ein Be­griff. Als mein Groß­va­ter starb, brach mein Vater alle Ver­bin­dun­gen zu No­vi­koff ab. Man kann sagen, dass es böses Blut zwi­schen den bei­den Fa­mi­li­en gibt. Bis jetzt spiel­te er noch keine Rolle. Im letz­ten Jahr haben seine Or­ga­ni­sa­tio­nen je­doch zah­len­mä­ßig zu­ge­nom­men. Klei­ne­re Grup­pen tau­chen über­all in Russ­land auf. Sie re­kru­tie­ren mas­sen­haft.“
„Was für einen Scheiß ma­chen die denn?“, mischt sich Quinn ein, der die ganze Zeit über ge­schwie­gen hat.
„Alles, was ihnen Geld ein­bringt. Dro­gen, Sex, Men­schen­han­del“, er­zäh­le ich Quinn, und sein Ge­sicht ver­här­tet sich.
„Ich ver­ach­te Leute, die Men­schen ent­füh­ren und sie wie eine Ware ver­hö­kern.“ Quinn stellt sein Bier ab. „Wir alle hier sind selbst Kri­mi­nel­le und haben in un­se­rem Leben Dinge getan, über die man bes­ser nicht spricht, aber Men­schen­raub ist für mich das Schlimms­te, was man ma­chen kann. Frau­en und Kin­der zu ver­kau­fen.“ Quinn schüt­telt den Kopf. So­lan­ge ich ihn kenne, ist dies das erste Mal, dass ich ihn wirk­lich lei­den­schaft­lich über ein Thema reden höre. „Sol­che Wich­ser sind der Ab­schaum unter den Kri­mi­nel­len, und ich würde die Welt gerne von ihnen be­frei­en, wenn ich die Mög­lich­keit dazu hätte.“ Alle Män­ner an die­sem Tisch, mich ein­ge­schlos­sen, ni­cken zu­stim­mend.
Meine Augen füh­len sich schwer an und mein Kopf be­ginnt zu po­chen. Ich lasse den Rest mei­nes Ge­tränks un­be­rührt, stoße mich vom Tisch ab und stehe auf. „Diese lange Nacht hat mich ziem­lich ge­schafft. Ich glau­be, ich schla­fe heute hier.“ Ich un­ter­drü­cke ein Gäh­nen.
„Wir an­de­ren sind auch be­reit, Fei­er­abend zu ma­chen. Wir mel­den uns mor­gen wie­der bei euch“, kün­digt Jake an. „Wenn je­mand etwas braucht, wisst ihr, wo ihr mich fin­den könnt. Ich bin zu er­schöpft, um heute Abend nach Hause zu fah­ren.“

Am nächs­ten Mor­gen wache ich noch vor den an­de­ren im Club­haus auf, ziehe mich an und mache mich auf den Weg zur Ge­schäfts­stel­le, einem klei­nen ein­stö­cki­gen Ge­bäu­de auf dem Grund­stück, in dem wir alle un­se­re Ma­te­ria­li­en und Ma­schi­nen für die von uns durch­ge­führ­ten Ar­bei­ten un­ter­brin­gen. Nach Ein­ga­be eines Si­cher­heits­codes öff­net sich das Tor, und ich fahre mei­nen Wagen auf mei­nen üb­li­chen Platz.
Drin­nen schal­te ich das Licht ein. Das Wich­tigs­te zu­erst – ich brau­che Kaf­fee. Ich gehe in den klei­nen Pau­sen­raum, stel­le die Kaf­fee­ma­schi­ne an und warte dar­auf, dass sie meine Tasse füllt. So be­gin­nen die meis­ten mei­ner Ar­beits­ta­ge. In etwa zwei Stun­den wer­den meine Män­ner an­kom­men. Jake hat sich um Kings Con­struc­tion und den Laden ge­küm­mert, wäh­rend ich ver­reist war. Au­ßer­dem er­holt sich Reid ge­ra­de von sei­ner Tor­tur und ist nicht in der Lage, sich um die E-Mails und po­ten­zi­el­len An­ge­bo­te der Firma zu küm­mern, die in den letz­ten Wo­chen ein­ge­gan­gen sind. Mit mei­nem Kaf­fee in der Hand gehe ich zu mei­nem Ar­beits­platz und mache mich ans Werk.
Die nächs­ten Stun­den ver­ge­hen wie im Flug, wäh­rend ich mich in E-Mails, Rech­nun­gen, Kon­to­aus­zü­gen und Ge­halts­ab­rech­nun­gen ver­gra­be. Ich höre das un­ver­wech­sel­ba­re Ge­räusch von Garys altem Pick-up, der drau­ßen vor der Tür vor­fährt, und muss schmun­zeln, als das ver­damm­te Ding einen lau­ten Knall von sich gibt, bevor er den Motor ab­stellt. Ein paar Se­kun­den spä­ter klopft er mit den Fin­ger­knö­cheln gegen meine of­fe­ne Tür und ich hebe mei­nen Kopf.
„Hey, Boss. Seit wann bist du wie­der in der Stadt?“, fragt er und stopft sich die Reste sei­nes Früh­stücks­sand­wichs in den Mund. Gary ist einer un­se­rer Vor­ar­bei­ter und ein ver­dammt fä­hi­ger Mann.
„Seit ges­tern Abend.“ Ich lehne mich in mei­nem Stuhl zu­rück und stre­cke mei­nen Rü­cken.
„Schei­ße. Und du bist hier, bevor alle an­de­ren Kerle ihr Mau­rer­de­kol­leté aus dem Bett hie­ven?“ Er schüt­telt den Kopf und ich ki­che­re über seine bild­li­che Aus­drucks­wei­se.
„Keine Ruhe für die Gott­lo­sen, mein Freund“, sage ich ihm.
„Ich hoffe, du hast dir we­nigs­tens etwas Frei­zeit ge­gönnt, wäh­rend du weg warst“, fügt er hinzu. Das ist alles, was Gary an Für­sor­ge zu bie­ten hat. So ist er zu den meis­ten der Män­ner, die hier ar­bei­ten. Das ist eine wei­te­re ver­läss­li­che Ei­gen­schaft von ihm: Er ist eher von der rauen Sorte. Im Ge­gen­zug haben die Män­ner gro­ßen Re­spekt vor ihm und ich auch. Gary wen­det den Kopf, als er ein wei­te­res Fahr­zeug auf den Park­platz fah­ren hört, das uns an­kün­digt, dass die an­de­ren Jungs ein­tref­fen. „Nun, ich lasse dich dann mal in Ruhe. Ich werde mich auf den Weg ma­chen und die­ses Si­cher­heits­mee­ting über die Bühne krie­gen und die Män­ner an ihren Ein­satz­ort brin­gen.“
Bevor er geht, grei­fe ich nach dem Sta­pel Schecks, der in der Ecke mei­nes Schreib­tischs liegt. „Gib die für mich aus.“
Gary schnappt sie sich aus mei­ner aus­ge­streck­ten Hand. „Wird ge­macht. Es ist eine Schan­de, dass Miss Mar­ti­nez uns ver­las­sen hat. Ich werde ihren Kaf­fee und die Ko­kos­nuss­kek­se ver­mis­sen, die sie ab und zu mit­ge­bracht hat.“
„Was stimmt denn nicht mit mei­nem Kaf­fee?“ Ich ziehe eine Au­gen­braue hoch. Gary lässt den Kopf hän­gen und seine Schul­tern beben vor un­ter­drück­tem La­chen. Bevor er ant­wor­ten kann, höre ich, wie je­mand durch die Vor­der­tür her­ein­kommt. Gary steckt sei­nen Kopf in den Flur.
„Hallo, jun­ger Mann, wie kann ich dir hel­fen?“, fragt Gary, als er mei­nen Ar­beits­platz ver­lässt, und gleich­zei­tig vi­briert mein Handy auf mei­nem Schreib­tisch. Ich drehe es um, wi­sche über den Bild­schirm und lese eine SMS von Ga­bri­el.

Ga­bri­el: Sam und Leah soll­ten bald da sein.

Ich lege mein Handy weg. Als ich auf­schaue, sehe ich Gary wie­der in mei­ner Tür ste­hen. Er deu­tet mit dem Dau­men über seine Schul­ter.
„Ein Typ na­mens Sam ist hier drau­ßen, mit einer jun­gen Frau.“
Das muss Leah sein. Sie sind früh dran. Das ge­fällt mir. Es zeigt, dass sie eif­rig sind. „Schick sie rein.“
Gary nickt. „Ich melde mich spä­ter bei dir, Boss“, sagt er und ver­schwin­det. Se­kun­den spä­ter er­scheint Sam an mei­ner Tür. „Mr. Vol­kov.“
„Sam?“ Ich stehe auf.
„Ja, Sir.“ Er reicht mir die Hand und schüt­telt meine kurz.
„Mir wurde ge­sagt, Sie wür­den ge­mein­sam mit je­man­dem ein­tref­fen.“ Bei mei­nen Wor­ten schaut Sam nach links und streckt seine Hand aus. Ich be­ob­ach­te, wie eine junge Frau er­scheint und an seine Seite tritt.
„Ja, Sir. Das ist Leah.“ Sam stellt seine Freun­din vor, und meine Augen blei­ben eine Se­kun­de lang auf ihrem Ge­sicht haf­ten, bevor ich den Rest ihrer Er­schei­nung mus­te­re. Ihre weite Klei­dung ver­deckt nicht die vol­len Kur­ven, die sich dar­un­ter ver­ber­gen.
„Ich nehme an, dass Leah für sich selbst spre­chen kann.“ Ich räus­pe­re mich und warte, bis sie lang­sam ihren Blick zu mir hebt. Bern­stein­far­be­ne Augen, um­rahmt von dunk­len Wim­pern und einer Bril­le, schau­en ner­vös in meine, und es fühlt sich an, als würde je­mand den Sau­er­stoff aus dem Raum sau­gen.
Was zum Teu­fel?
Ich ver­scheu­che, was auch immer da über mich kommt. „Setzt euch“, winke ich mit der Hand zu den bei­den Stüh­len vor mei­nem Schreib­tisch, wäh­rend ich Platz nehme. „Ich habe ge­hört, ihr sucht nach Ar­beit?“ Ich sehe Leah an, die sich auf ihrem Stuhl nie­der­lässt. „Ja. Be­nö­ti­gen Sie Re­fe­ren­zen oder Ar­beits­zeug­nis­se?“, fragt Leah ner­vös. Ich schaue zwi­schen ihr und Sam hin und her, des­sen Hand sie nicht los­ge­las­sen hat, was mich etwas ir­ri­tiert.
„Die Kings haben sich für dich ver­bürgt.“ Ich kon­zen­trie­re mich wie­der auf Leah. Ihre un­ru­hi­gen Beine zei­gen, wie un­wohl und ner­vös sie sich fühlt, und ihr star­rer Aus­druck spie­gelt die Angst wider, die sie emp­fin­det. Ich denke an das Ge­spräch zu­rück, das ich ges­tern mit den Jungs im Club­haus ge­führt habe, wes­halb sie unter ihrem Schutz steht. Mein Blick ver­weilt auf den ver­blas­sen­den blau­en Fle­cken, die ihr Ge­sicht zie­ren. Wut kocht in mei­nem Bauch auf. Ich be­trach­te sie noch etwas län­ger, nur für eine Se­kun­de, und mus­te­re ihr herz­för­mi­ges Ge­sicht und ihr lan­ges, wi­der­spens­ti­ges, lo­cki­ges Haar. Leah beißt sich auf die Lippe, hebt ihre Hand und spielt mit ihrer Bril­le. Mein Mund zuckt, als sie ihr Ge­sicht auf ihren Schoß rich­tet und ihre Wan­gen rot wer­den. „Leah“, sage ich sanft zu ihr und sie sieht mir wie­der in die Augen. Und ver­dammt, wenn mich das nicht an­macht. „Hast du schon mal in einem Büro ge­ar­bei­tet?“
Leahs Lip­pen spit­zen sich und sie holt tief Luft, bevor sie spricht, und ich freue mich auf den Klang ihrer Stim­me. „Nein, aber ich lerne schnell und kenne mich mit Com­pu­tern aus.“ Ihr Ton ist sanft und lieb­lich.
„Ich habe kein Pro­blem damit, es dir bei­zu­brin­gen“, ver­si­che­re ich ihr und ein klei­nes Lä­cheln ziert ihr Ge­sicht.
Ver­dammt. Sie. Ist. Wun­der­schön.
Ich sehe Sam an. „Wie schnell kannst du an­fan­gen?“
„Heute“, sagt er eif­rig.
„Gut.“ Ich drehe mich auf mei­nem Stuhl um, öffne eine klei­ne Schrank­schub­la­de und blät­te­re durch die Pa­pie­re, bis ich auf ein Be­wer­bungs­for­mu­lar stoße. Ich drehe mich wie­der um, grei­fe über den Schreib­tisch und rei­che es ihm. „Füllt das aus und gebt Gary Be­scheid. Er ist der äl­te­re Mann, den du vor­hin ge­trof­fen hast. Er wird dich dem Team zu­tei­len, in dem er dich braucht.“ Nach einer kur­zen Er­ör­te­rung der Be­zah­lung steht Sam auf und ich eben­falls.
„Ich weiß die Mög­lich­keit zu schät­zen.“ Und wir schüt­teln uns wie­der die Hände. Dann schaut er zu Leah, die immer noch sitzt. „Ist es für dich in Ord­nung, dein Vor­stel­lungs­ge­spräch al­lein wei­ter­zu­füh­ren?“
Bevor Leah ant­wor­ten kann, ent­geg­ne ich für sie: „Bei mir ist sie si­cher.“
Nach einem Mo­ment des Zö­gerns nickt Leah ihrem Freund zu. „Ich komme schon klar, Sam“, ver­si­chert sie ihm mit einem Lä­cheln, und ich wünsch­te, es wäre für mich be­stimmt. Ich frage mich, ob die bei­den mehr als nur Freun­de sind, und merke, dass mir die Vor­stel­lung nicht ge­fällt.
„Am Ende des Tages warte ich auf dich, um dich nach Hause zu fah­ren“, ver­si­chert er ihr und ver­lässt dann mei­nen Ar­beits­platz.
Schwei­gen er­füllt den Raum und ich merke, dass Sams An­we­sen­heit ihr Halt ge­ge­ben hat, denn jetzt, wo er weg ist, wirkt sie noch an­ge­spann­ter als vor­her. „Möch­test du etwas Kaf­fee oder viel­leicht Was­ser?“, frage ich.
„Ähm, Was­ser, danke.“ Ich stehe auf, ver­las­se mei­nen Schreib­tisch, gehe durch den Flur zum Pau­sen­raum, hole mir eine Fla­sche Was­ser aus dem Kühl­schrank und kehre in mein Büro zu­rück. Die Tür ziehe ich hin­ter mir zu.
Leahs Kör­per­hal­tung wird steif und sie sieht ver­ängs­tigt aus. Das kann ich ihr nicht ver­den­ken. Wel­che Frau würde einem Mann ver­trau­en, nach­dem sie von einem an­de­ren ge­schla­gen wurde?
„Ich ver­spre­che, schnell zu ler­nen und nicht wei­ter zu stö­ren“, platzt sie plötz­lich her­aus.
„Du hat­test den Job schon, bevor du hier rein­ge­kom­men bist, Leah.“
„Hatte ich?“, fragt sie und legt den Kopf schief, so­dass ihre of­fe­nen Lo­cken über ihr Ge­sicht fal­len.
„Jake hat mir er­zählt, dass du dich vor dei­nem Vater ver­steckst. Stimmt das?“ An­statt mich auf mei­nen Stuhl zu set­zen, lasse ich mich auf der Kante mei­nes Schreib­tischs nie­der, di­rekt vor Leah.
Sie wen­det den Blick ab und starrt aus mei­nem Bü­ro­fens­ter. „Ja.“
Ich weiß nicht, was über mich kommt. Ich stre­cke die Hand aus und strei­che mit mei­nen Fin­gern an ihrem Kinn ent­lang, um sie dazu zu be­we­gen, mich an­zu­schau­en. Ich hatte er­war­tet, dass sie bei mei­ner Be­rüh­rung zu­sam­men­zu­cken würde, aber das ge­schah nicht. Die Trau­rig­keit in ihren Augen saugt mich förm­lich ein und ich habe das Ge­fühl, in ihr zu er­trin­ken. „Ver­traust du Jake und sei­nem Club?“ Ihre Un­ter­lip­pe zit­tert, aber sie nickt. „Gut. Das soll­test du. Es sind gute Män­ner und sie möch­ten, dass du das­sel­be mit mir tust. Glaubst du, das kannst du?“
Leah blin­zelt. „Dir ver­trau­en?“
„Ja.“
„Mein Vater ist Po­li­zist“, gibt sie mir eine In­for­ma­ti­on, die mir noch nicht be­kannt war. „Er ist ein­falls­reich und wird wahr­schein­lich nicht auf­ge­ben, bis er mich ge­fun­den hat.“
Mein Blick wird ernst und kalt. „Ich gehe davon aus, dass du weißt, dass die Män­ner, die dich be­schüt­zen, alles tun wer­den, um dich in Si­cher­heit zu brin­gen.“
Ich muss mir ein Grin­sen ver­knei­fen, als Leah mit den Augen rollt und mir eine an­de­re Seite von sich zeigt. „Ich lebe nicht hin­term Mond. Ich habe schon ei­ni­ges mit­be­kom­men.“ Sie ver­schränkt die Arme unter ihren gro­ßen Brüs­ten, was sie noch vol­ler er­schei­nen lässt.
Ich möch­te, dass sie den nächs­ten Teil ver­steht, also sorge ich dafür, dass ich ihre volle Auf­merk­sam­keit habe. „Dann weißt du auch, dass dein Vater mir nie­mals über den Weg lau­fen soll­te.“ Ich halte einen Mo­ment inne und lasse meine Worte sa­cken. „Du wirst hier für mich ar­bei­ten. Ich be­zah­le dich jede Woche in bar. So­lan­ge du auf der Ge­halts­lis­te stehst, wirst du nicht auf sei­nem Radar auf­tau­chen. Wenn du etwas brauchst, sag es mir. Ich werde dich be­schüt­zen.“ Auf diese Weise ver­spre­che ich, alles zu tun, was nötig ist, um Leah aus der Ge­fah­ren­zo­ne zu brin­gen – weg von ihrem Vater.

Leah

„Kommst du heute Abend mit Sam ins Club­haus?“, fragt Alba am Te­le­fon.
„Ich habe dir ges­tern doch ver­spro­chen, dass ich da sein werde.“
„Ich weiß, aber du hast die letz­ten bei­den Male, als wir Pläne ge­macht haben, ab­ge­sagt.“
Ich seuf­ze. Alba hat recht. Es ist schon ein paar Wo­chen her, dass sie ihren und Ga­bri­els Sohn Gabe zur Welt ge­bracht hat. Alba muss­te sich nicht nur davon er­ho­len, son­dern auch die Tor­tur mit ihrem Stal­ker über­win­den, der in ihr Haus ein­ge­bro­chen ist, sie ge­schla­gen und Ga­bri­els Schwes­ter Leyna fast um­ge­bracht hat. Zum Glück sind Alba und Leyna auf dem Weg der Bes­se­rung.
„Ich ver­spre­che, dass ich die­ses Mal komme. Ich muss jetzt auf­le­gen, bevor ich Ärger be­kom­me, weil ich auf der Ar­beit pri­va­te An­ru­fe ent­ge­gen­neh­me.“
„Gut“, freut sich Alba. „Du sollst nur wis­sen, wenn ich dei­nen Arsch hier spä­ter nicht wie ver­spro­chen finde, werde ich dich jagen und aus der Woh­nung zer­ren.“
„Okay, okay. Ich lege jetzt auf.“ Albas Ki­chern ist das Letz­te, was ich höre, bevor ich die Ver­bin­dung be­en­de. Ich ver­mu­te, dass sie mich des­halb auf der Ar­beit an­ge­ru­fen hat. Hier konn­te ich ihr nicht aus­wei­chen, wie ich es bei Sam getan habe. Und ich habe mich tat­säch­lich davor ge­drückt, sie zu be­su­chen. Ich habe sie gleich nach ihrer Ent­las­sung aus dem Kran­ken­haus ge­se­hen, aber das war alles. Jetzt will sie, dass ich heute zum Abend­es­sen ins Club­haus komme. Al­lein der Ge­dan­ke daran macht mich un­ru­hig. Ich kann nicht gut mit Men­schen um­ge­hen, vor allem nicht mit gro­ßen Per­so­nen­grup­pen. Und Alba sagte, dass alle da sein wür­den. Bei die­sem Ge­dan­ken fällt mir ein be­stimm­ter Mensch ein, und ich frage mich, ob er auch dabei sein wird. Ni­ko­lai. Ich halte es in der Nähe mei­nes neuen Chefs in­zwi­schen kaum aus, noch we­ni­ger, als ich es oh­ne­hin immer tue. Gott, die­ser Mann ist Furcht ein­flö­ßend und in­ten­siv. Nicht, dass er ir­gend­et­was tut, wes­halb ich Angst vor ihm haben soll­te. Es ist eher die­ser Blick, den er hat. Ich kann es nicht er­klä­ren. Es ist, als würde sich hin­ter sei­nen Augen ein Sturm zu­sam­men­brau­en. Diese Augen haf­ten an mir und ver­lan­gen meine Auf­merk­sam­keit, war­nen mich aber gleich­zei­tig, mich fern­zu­hal­ten. Im Laufe der Jahre habe ich das Hand­werk per­fek­tio­niert, un­sicht­bar zu wer­den, unter dem Radar zu blei­ben. Nicht, dass Jungs je­mals be­son­ders auf mich ge­ach­tet hät­ten. Wenn man das un­be­hol­fe­ne, pum­me­li­ge Mäd­chen ist, wird man von den Ker­len nicht wahr­ge­nom­men. Aber als ich neu­lich Ni­ko­lai traf, gab mir die In­ten­si­tät in sei­nen Augen das Ge­fühl, dass er nicht die schüch­ter­ne dicke Maus vor sich sah. Für den Bruch­teil einer Se­kun­de blitz­te etwas über sein Ge­sicht und es war, als ge­fie­le ihm, was er vor sich hatte. Ein Blick, der ge­nau­so schnell wie­der er­losch, wie er auf­ge­taucht war. Es war so­wie­so eine lä­cher­li­che Vor­stel­lung, dass ein Mann, der so gut aus­sieht, an je­man­dem wie mir in­ter­es­siert sein könn­te. Ganz zu schwei­gen von der Tat­sa­che, dass ich mich nicht dazu durch­rin­gen kann, ihm di­rekt ins Ge­sicht zu schau­en, wenn er mit mir spricht. Ich er­tap­pe mich dabei, wie ich auf seine Schul­ter oder seine Brust bli­cke. Manch­mal tue ich so, als würde ich an einem ima­gi­nä­ren Fus­sel auf mei­nem Hemd zup­fen. Ni­ko­lai Vol­kov ist um­wer­fend. Er ist einen Meter neun­zig groß, hat schmut­zig­blon­des Haar, das an den Sei­ten kurz und oben lang ra­siert ist und per­fekt zu sei­nem blon­den Bart passt. Ganz zu schwei­gen von sei­nen au­ßer­ge­wöhn­li­chen Augen: ein grü­nes und ein blau­es.
Das Klin­geln des Te­le­fons reißt mich aus mei­ner Be­nom­men­heit. Ich nehme den Hörer ab und sage: „Kings Con­struc­tion, kann ich Ihnen hel­fen?“
„Hey, Leah.“
„Hi, Sam. Möch­test du mit Ni­ko­lai spre­chen?“
„Nee. Ich habe an­ge­ru­fen, um zu fra­gen, ob du etwas essen möch­test. Ich bin auf dem Weg zum Holz­la­ger, aber ich kann auf dem Weg durch die Stadt vor­bei­kom­men und etwas für dich ab­ge­ben.“
„Nein, danke. Ich habe mein Essen dabei.“
„Bist du si­cher? Du musst dir nicht jeden Tag dein Mit­tag­es­sen ein­pa­cken. Es macht mir nichts aus, dir einen Bur­ger oder so zu brin­gen.“
„Ja, danke, Sam, aber es geht schon.“
„Alles klar, Süße. Wir sehen uns spä­ter.“
„Tschüss, Sam.“
Nach­dem ich den Hörer auf­ge­legt hatte, no­tier­te ich mir die Zeit. Ich habe jeden Tag um 12 Uhr eine Stun­de Mit­tags­pau­se. Ich grei­fe unter dem Schreib­tisch nach mei­ner Ta­sche und ziehe den Plas­tik­be­häl­ter her­aus, den ich heute Mor­gen dort ver­staut habe. Ich klap­pe den De­ckel auf, nehme mir einen der Ka­rot­ten­sticks und beiße hin­ein. Mit ge­schlos­se­nen Augen ver­su­che ich mir vor­zu­stel­len, dass es ein saf­ti­ger Ham­bur­ger ist. Ich seuf­ze und nehme noch einen Bis­sen. Lei­der klappt es nicht. Der bit­ter­sü­ße Ge­schmack der Ka­rot­te liegt mir auf der Zunge und macht mir nur allzu deut­lich, dass mein Ver­such, ab­zu­neh­men, eine Tor­tur wer­den wird. Vor ein paar Tagen habe ich be­schlos­sen, dass es an der Zeit ist, eine Diät zu ma­chen. Ich ver­su­che mir immer wie­der ein­zu­re­den, dass es nicht daran liegt, wie mein neuer Chef mich an­sieht, oder daran, dass ich immer wie­der die Stim­me mei­nes Va­ters in mei­nem Kopf höre, die mir sagt, dass kein Mann mich je wol­len wird.
„Kein Mann will eine fette Frau, Leah.“ Mein Vater hat diese Saat schon früh ge­streut, und sie hat Wur­zeln ge­schla­gen. Und wenn so etwas ein­mal ein­ge­pflanzt ist, ist es schwer, es wie­der aus­zu­rei­ßen. Es hilft auch nicht, wenn diese Wur­zeln ver­wäs­sert wer­den. Das lässt sie wei­ter wach­sen.
Ich drü­cke meine Augen zu und ver­su­che, die Stim­me des Mons­ters zu un­ter­drü­cken, das mich stän­dig daran er­in­nert, dass ich nicht gut genug bin.
„Was machst du da?“ Eine ver­trau­te hei­se­re Ba­ri­ton­stim­me reißt mich aus mei­nen Grü­be­lei­en. Als ich meine Augen öffne, steht Ni­ko­lai vor mei­nem Schreib­tisch. Er sieht mir di­rekt ins Ge­sicht. Wie immer, wenn ich un­be­hol­fen bin, blei­be ich stumm. Als ich seine Frage nicht be­ant­wor­te, stellt er sie er­neut, die­ses Mal lang­sa­mer. „Was machst du da?“
Ich mache mir plötz­lich Sor­gen, dass ich un­wis­sent­lich etwas falsch ge­macht habe. Wie lange war ich weg­ge­tre­ten? Ist meine Stun­de schon um? Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und stel­le fest, dass es erst fünf­zehn Mi­nu­ten nach zwölf ist. Dann schaue ich wie­der nach oben zu dem Mann, der vor mir steht. Nun ja, ich schaue auf seine vom T-Shirt be­deck­te Brust, weil ich, wie jedes Mal, wenn er mit mir spricht, nicht in sein um­wer­fend schö­nes Ge­sicht bli­cken kann. Gott, ich bin so däm­lich. Er muss den­ken, dass ich eine Voll­idio­tin bin.
„Ich esse zu Mit­tag.“
Als Ni­ko­lai nicht ant­wor­tet, werfe ich einen kur­zen Blick nach oben. Sprung­haft schaut er von mei­nem Ge­sicht zu der Schüs­sel mit Ka­rot­ten­sticks und Ap­fel­schei­ben, die vor mir steht. Als ich sehe, wie sein Kie­fer zuckt, schaue ich weg.
„Komm, wir gehen.“
Auf sei­nen ab­rup­ten Be­fehl hin reiße ich den Kopf hoch und lasse mei­nen Blick auf sei­ner Stirn ruhen. „Was?“
„Los, Leah.“ Ni­ko­lai macht auf dem Ab­satz kehrt und geht zur Tür hin­aus. Ver­wirrt, aber nicht ge­willt, mei­nem Chef zu trot­zen, stehe ich auf, grei­fe nach mei­ner Hand­ta­sche, werfe mei­nen Man­tel über und gehe hin­aus. Ni­ko­lai steht mit of­fe­ner Tür auf der Bei­fah­rer­sei­te sei­nes Wa­gens und war­tet dar­auf, dass ich ein­stei­ge. „Soll­test du nicht ab­schlie­ßen?“ Ich ges­ti­ku­lie­re in Rich­tung des Ein­gangs von Kings Con­struc­tion.
„Nie­mand hier ist so dumm, sich an dem Laden zu ver­grei­fen. Lass uns fah­ren.“
Ich hu­sche zu sei­nem Wagen und tue, was er sagt. So­bald ich ein­ge­stie­gen bin, schließt er die Tür. Mein Puls rast, als ich be­ob­ach­te, wie er um die Mo­tor­hau­be herum auf die Fah­rer­sei­te geht und sich hin­ter das Lenk­rad setzt. Ni­ko­lai sagt kein Wort, als er rück­wärts aus der Park­lü­cke fährt. Keine zehn Mi­nu­ten spä­ter hal­ten wir vor Pol­sons ört­li­chem Diner. Ni­ko­lai gibt ein wei­te­res Kom­man­do: „Bleib hier.“
„Was bin ich, ein Hund?“, frage ich in das leere Auto hin­ein, als er es ge­ra­de um­run­det.
Ni­ko­lai öff­net die Bei­fah­rer­tür für mich. Er war­tet ohne ein Wort, bis ich aus­stei­ge. Als ich es tue, er­schau­de­re ich beim Ge­fühl sei­ner Hand­flä­che auf mei­nem Rü­cken, wäh­rend er mich in das Diner führt. Ich be­we­ge mich vor­sich­tig und spüre, wie Ni­ko­lais Be­rüh­rung auf mei­ner Haut brennt.
Falls er meine Re­ak­ti­on be­merkt hat, ver­liert er kein Wort dar­über. We­ni­ge Se­kun­den nach­dem wir ein­ge­tre­ten sind, wird uns ein Tisch zu­ge­wie­sen, und eine Kell­ne­rin kommt zu uns her­über, um uns zu be­grü­ßen, wäh­rend sie un­se­re Spei­se­kar­ten auf den Tisch legt.
„Darf ich Ihnen etwas zu trin­ken brin­gen?“
Ich bli­cke zu ihr auf. „Ich nehme ein Was­ser, bitte.“
„Cola“, grunzt Ni­ko­lai.
Die Kell­ne­rin ent­fernt sich und ich nehme mir die Zeit, die Spei­se­kar­te zu stu­die­ren. Es gibt nicht viel, was mei­ner Diät ent­spricht, also werde ich wohl einen ge­misch­ten Salat be­stel­len, ob­wohl mir der Ge­dan­ke an ein Kä­se­steak-Sand­wich oder einen saf­ti­gen Bur­ger mit Pom­mes das Was­ser im Mund zu­sam­men­lau­fen lässt.
„Haben Sie sich ent­schie­den?“ Ich rich­te mei­nen Blick von der Spei­se­kar­te auf die Be­die­nung und wende mich er­neut an sie. „Ich nehme den Cobb-Sa­lat mit Dres­sing.“
„Nein, den nimmt sie nicht“, mischt sich Ni­ko­lai ein und ich drehe mei­nen Kopf in seine Rich­tung.
„Sie nimmt den Ba­con-Swiss-Bur­ger mit Pom­mes. Ich nehme das Glei­che, aber mit Zwie­bel­rin­gen. Brin­gen Sie ihr auch eine Cola.“ Er reicht der Kell­ne­rin die Spei­se­kar­ten und sie lä­chelt.
„Klar doch. Ich brin­ge Ihre Be­stel­lung gleich und bin so­fort mit der Cola zu­rück.“ Die Kell­ne­rin wen­det sich ab und ich er­grei­fe das Wort.
„Ich woll­te einen Salat.“
„Pech ge­habt. Du be­kommst statt­des­sen einen Bur­ger.“
„Ich … das ist nicht das, was ich woll­te“, sage ich und sehe ihm nicht in die Augen.
„Wenn du mit mir isst, dann etwas Rich­ti­ges. Und nichts von dem Scheiß, den du am Ar­beits­platz ge­ges­sen hast.“
Ich är­ge­re mich über sei­nen schrof­fen Ton, be­schlie­ße je­doch, nicht zu wi­der­spre­chen. Glück­li­cher­wei­se kommt die Kell­ne­rin mit un­se­rem Essen zu­rück, und Ni­ko­lai sagt nichts mehr. Mein Magen knurrt, als mein Tel­ler vor mir ab­ge­stellt wird. Ich sitze da und star­re auf mein Essen, wäh­rend Ni­ko­lai den Bur­ger auf sei­nem Tel­ler in die Hand nimmt und hin­ein­beißt. Die ge­sam­te Zeit, wäh­rend er isst, spüre ich seine Augen auf mir. Seine Auf­merk­sam­keit ist mir un­an­ge­nehm und ich fange an, mich in mei­nem Stuhl zu win­den.
„Willst du nicht essen?“
Ich nehme das Glas mit der Cola, das neben mei­nem Tel­ler steht, und trin­ke einen Schluck. „Ich bin nicht hung­rig“, murm­le ich. In die­sem Mo­ment be­schließt mein Magen, ein wei­te­res lau­tes Grum­meln von sich zu geben.
„Leah.“ Als Ni­ko­lai nun mei­nen Namen aus­spricht, tut er das in einem sanf­te­ren Ton, und ich kann nicht an­ders, als ihn an­zu­se­hen. Nicht auf seine Stirn oder seine Brust, son­dern in seine Augen. Wir sehen uns an, kei­ner von uns sagt etwas. An der Art und Weise, wie sich sein un­er­schüt­ter­li­cher Blick in mei­nen bohrt, weiß ich, dass er er­kennt, was ich zu ver­ber­gen ver­su­che.
„Iss dein Essen.“ Er deu­tet mit dem Kinn in Rich­tung mei­nes Tel­lers.
Ich beiße mir auf die Un­ter­lip­pe und schie­be mir die Bril­le auf die Nase. Nach einem kur­zen Mo­ment nicke ich. Dann hebe ich den Bur­ger hoch und nehme einen gro­ßen Bis­sen. Und ich schwö­re, es ist der beste Ham­bur­ger, den ich je ge­ges­sen habe.
Als wir wie­der bei Kings Con­struc­tion an­kom­men und ich mei­nen Platz hin­ter der Re­zep­ti­on ein­neh­me, hebt Ni­ko­lai die Dose mit den Ka­rot­ten­sticks hoch, die ich auf mei­nem Schreib­tisch ste­hen ge­las­sen habe, und wirft sie in den Pa­pier­korb. Er tut dies wort­los und ver­schwin­det den Flur hin­un­ter zu sei­nem Ar­beits­platz, ohne das klei­ne Lä­cheln zu be­mer­ken, das auf mei­nem Ge­sicht er­scheint.