In einer vom Krieg geteilten Welt ist es der ultimative Verrat, sich in den Feind zu verlieben.
Galena Shantos hat ihre Loyalität gegenüber Eden nie in Frage gestellt. Als Schwester des Myren-Königs dient sie als Heilerin und gehört zu den Besten in der Armee, die gegen die brutale Lomos-Rebellion kämpft. Sie hat nie daran gezweifelt, wie wichtig es ist, die Rebellen aufzuhalten, die die Menschen versklaven wollen. Doch dann sieht sie jenseits der feindlichen Linien einen Krieger - und weiß instinktiv, dass ihre Schicksale miteinander verwoben sind.
Der Rebellionskrieger Reese Theron hat nichts mehr zu verlieren. Um sein Familiengeheimnis zu wahren ist er gezwungen, auf der falschen Seite eines Krieges zu kämpfen, den er verabscheut. Reese hat seine Ehre und das Vertrauen seines eigenen Volkes verloren und sich in einen Kampf gestürzt, den er unmöglich überleben kann. Doch als er von einer Frau gerettet wird, deren wunderschöne Augen in ihm mehr zu sehen scheinen als den Verräter, zu dem er geworden ist, hat er vielleicht neuen Grund zum Leben gefunden ...
Die aus Oklahoma stammende Mutter zweier hübscher Töchtern ist attestierte Liebesromansüchtige. Ihr bisheriger Lebenslauf spiegelt ihre Leidenschaft für alles Neue wider: Rhenna Morgan arbeitete u.a. als Immobilienmaklerin, Projektmanagerin sowie beim Radio.
Wie bei den meisten Frauen ist ihr Alltag von morgens...
Reese erwachte zu dem stetigen Grollen gedämpfter Männerstimmen. Jeder Muskeln in seinem Körper tat weh und seine Lider waren so schwer wie der Rest von ihm. Er spürte die Kälte der harten, rauen Oberfläche, auf der er lag. Stein vielleicht. Als er versuchte, sich zu bewegen, durchzuckte ein stechender Schmerz seine Wirbelsäule. Beim Großen, was zum Teufel hatte er getrieben? Das Letzte, woran er sich erinnerte …
Der Blitz des Kriegers, der an Galenas Wange vorbeigeschossen war und ihn in die Schulter getroffen hatte. Eigentlich müsste er tot sein.
Kühle, feuchte Luft umwehte seinen Oberkörper. Sie war von dem...
...Geruch von Schimmel und Erde durchzogen, doch da war noch etwas anderes, was er nicht genau zuordnen konnte. Reese atmete tief durch und ignorierte die stechenden Schmerzen in seinen Rippen. Kräuter. Er hatte keine Ahnung, um welche Pflanzen es sich handelte, doch sie verströmten einen frischen Duft, der hier fehl am Platz schien. Und Blumen. Er roch eindeutig auch Blumen.
Wie aus dem Nichts baute sich um die Wunde ein Druck auf, der sich in Sekundenschnelle erwärmte, bis er glühend heiß war. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle, die jedoch wie zugeschnürt war. Er musste sich bewegen und wollte nur noch um sich schlagen, um sich dagegen zu wehren. Doch er war nicht imstande, sich zu bewegen, denn er war wie gelähmt.
Im nächsten Moment verflog der Schmerz und die Hitze verebbte.
Er bekam eine Gänsehaut und zitterte am ganzen Körper, denn er fror bis auf die Knochen. Etwas streifte sein Bewusstsein.
Seine Erinnerungen. Jemand versuchte gerade, in seinen Geist einzudringen und sie zu lesen. Eine Invasion. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, versuchte, sich aufzusetzen und erstarrte. Seine Stimme wurde brüchig. „Galena.“
Das Licht der Fackeln hinter ihr reflektierte auf ihrem kastanienbraunen Haar. Sie verzog die Lippen zu einem geübten Lächeln. „Ich weiß, das war schmerzhaft, aber bald wird es dir besser gehen.“
Sie hatte ihn geheilt. Das war das Brennen gewesen, das er unter seiner Haut gespürt hatte. Doch da war auch ein Ausdruck von Schuld in ihren Augen. Hatte sie sich Zugang zu seinen Erinnerungen verschafft, bevor er sie ausgeschlossen hatte?
„Das reicht jetzt.“
Reese zuckte zusammen, als er die Stimme hörte, denn er kannte diesen wütenden Tonfall nur allzu gut. Er wagte es nicht, aufzusehen. Er traute sich selbst nicht über den Weg.
„Bringt ihn nach oben in die Zelle.“ Sein ehemaliger Strategos Ramsay Shantos, der Reese ausgebildet und ihm dann die Aufnahme in die Bruderschaft der Krieger verweigert hatte, tauchte in seinem Blickfeld auf und zog Galena beiseite.
Zwei Wachen eilten herbei und hoben Reese an den Armen und Oberschenkeln hoch. Sie zerrten ihn in Richtung einer Zelle, wobei jeder Ruck und jeder Stoß seinen zerschundenen Körper erneut aufschreien ließ.
Ein eiskalter Schauer durchströmte ihn und sein Magen verkrampfte sich. Zeolith. Der Kristall zermalmte seine Kräfte so gnadenlos wie ein Stiefelabsatz einen Käfer.
Auch die Wachen stöhnten unter der Wucht auf. Die Scheiden ihrer Dolche prallten gegen ihre Gürtel, als sie ihn in eine Ecke schleuderten.
Er fiel auf eine dünn gepolsterte Pritsche und klapperte so laut mit den Zähnen wie die Zellentür, die die Wachen hinter sich zuschlugen.
Beim Großen, ihm tat alles weh. Am ganzen Körper. Er setzte sich auf und hielt den Atem an, bis der Schmerz sich gelegt hatte.
Auf dem verwitterten Holztisch neben ihm brannte eine Kerze. In Eden nutzte man Elektrizität nicht auf die gleiche Weise wie in der menschlichen Dimension, und kein Gefängniswärter, der noch bei Verstand war, würde es riskieren, den Raum durch ein Oberlicht zu beleuchten. Die Gefahr war einfach zu groß, dass ein Gefangener durch die Öffnung auf die Energie von Eden zurückgreifen konnte, um damit das Zeolith zu umgehen und seine Kräfte zu nähren.
Auf der anderen Seite der Tür brüllte Ramsay etwas und machte gerade jemanden zur Schnecke.
Reese kämpfte sich auf die Beine, drückte die Knie durch und verlangsamte seinen Atem. Er kannte Ramsay wie kaum ein anderer. Es würde höchstens noch dreißig Sekunden dauern, bis sein einstiger Freund durch die Zellentür stürmte und den Mann attackierte, auf den er wirklich wütend war.
Reese.
Er straffte die Schultern und atmete durch den Schmerz hindurch. Verdammt, er würde Ramsay mit Stolz gegenübertreten. Sein Drast war verschwunden und sein Oberkörper war unbedeckt, was aufgrund seiner Wunde nicht verwunderlich war. Doch er hatte immerhin noch seine Hose und seine Stiefel.
Jemand schob den Riegel zurück und riss die Tür auf.
Ramsay stürmte hinein und schloss die Tür mit einem lauten Knall hinter sich. Er hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass Reese schon glaubte, sein Kiefer könnte brechen. Dem Großen sei Dank, das Zeolith würde auch Ramsays Kräfte unbrauchbar machen und immerhin für eine faire Ausgangssituation zwischen den beiden Männern sorgen.
Reese warf einen Blick auf die Tür. „Wo ist Galena?“
„Das geht dich nichts an“, entgegnete Ramsay und klang dabei so hart und kalt wie der Kerker, in dem sie sich befanden.
Von wegen. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie ihn gerettet. „Wurde sie verletzt?“
Ramsay verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. „Warum interessiert es dich, wie es ihr geht? Du hast versucht, sie zu töten.“
Siebzig Jahre später und Ramsays Blick brachte ihn immer noch aus der Fassung.
„Ein Krieger, der etwas zu verbergen hat, hat keinen Platz in der Bruderschaft. Dieser Kandidat ist des Dienstes unwürdig.“
Die Worte waren Reese noch lebhaft in Erinnerung und rissen alte Wunden wieder auf. „Warum hast du zugelassen, dass sie mich heilt?“
Ramsay ließ die Arme hängen und trat mit geblähten Nasenflügeln einen Schritt auf ihn zu. „Weil du über Informationen verfügst, die ich haben will.“
Das Blut rauschte ihm in den Ohren und seine Knie drohten nachzugeben. Natürlich, deshalb hatte Galena ihn gerettet. Sie hatte an ihr Volk und ihre Brüder gedacht. Sie hatte ihn wegen seines Wissens gerettet, nicht aus Barmherzigkeit oder Güte.
Die Tür wurde mit Wucht aufgestoßen und prallte gegen die Steinwand. „Ramsay, gib ihm Zeit, um zu heilen.“
„Nicht jetzt, Galena“, erwiderte Ramsay, der weiterhin Reese anstarrte.
Sie schwankte und ihr Gesicht war blass. Was immer sie getan hatte, um ihn zu heilen, ihre empathische Gabe hatte ihren Tribut gefordert.
Ramsay ging auf Reese zu. „Du bist mittlerweile gesund genug, um mir die nötigen Informationen zu geben. Ich wette, ich kann einen Weg finden, um sie aus dir herauszuquetschen.“
„Ramsay.“ Galena stürmte nach vorn und geriet ins Stolpern.
Reese wich seitlich aus. Obwohl seine Beine nachgaben, fing er sie auf und dämpfte ihren Sturz ab, wobei er mit seiner gesunden Schulter auf den Steinboden prallte.
Galena drehte sich in seinen Armen um und inspizierte sofort seine Verletzungen. Sie hatte die Augen weit aufgerissen und den Mund leicht geöffnet. „Reese.“
Scheiß auf den Schmerz. Es war die Qualen wert, sie so nah bei sich zu haben. Ihre Lippen schwebten dicht an seinem Mund und er konnte ihren Atem an seinem Gesicht spüren. Ihr geschmeidiger Busen war an seine Brust gedrückt, während er sich von ihrem blumigen Duft umhüllen und an einen anderen Ort entführen ließ.
Ramsay hob sie hoch und riss sie aus Reeses Armen.
„Es geht mir gut“, protestierte Galena und versuchte, sich Ramsays Griff zu entziehen. „Lass mich runter.“
„Es geht dir nicht gut.“ Ramsay verlagerte ihr Gewicht in seinen Armen. „Du siehst furchtbar aus.“
Reese stieß sich auf wackeligen Beinen vom Boden ab und schnaufte dabei vor Anstrengung.
„Ich brauche nur etwas Ruhe.“ Sie wehrte sich noch immer. „Jetzt lass mich runter.“
„Nein.“ Ramsay wirbelte herum und ging auf die geöffnete Tür zu, vor der seine Wachen warteten. An der Schwelle hielt er inne und drehte sich noch einmal zu Reese um. „Sie hat dir den Arsch gerettet. Und zwar gleich zweimal. Wenn dir wirklich so viel an ihr liegt, dann solltest du dich für ihre Bemühungen bedanken, indem du Antworten für mich hast, wenn ich zurückkomme.“
Mit diesen Worten schlug er die Tür hinter sich zu, dann hörte Reese nur noch seine schnell verklingenden Schritte.
Er ließ sich zurück auf die Pritsche fallen, deren Holzbeine unter seinem Gewicht ein knirschendes Geräusch von sich gaben. Was zum Histus war nur mit ihm los? Er war ein Kriegsgefangener. Wahrscheinlich würde er in vierundzwanzig Stunden hängen, aber er konnte nur daran denken, wie gut Galena sich neben ihm anfühlte. Es war einfach zum Verrücktwerden.
Er ballte die Faust um die grobe braune Decke auf der Pritsche. Galena hätte ihre Energie nicht verschwenden sollen, um ihn zu heilen. Das Zeolith negierte seine Gaben, aber es schützte ihn auch vor Maxis. Sobald er nicht mehr von dem Kristall umgeben sein würde, würde Maxis ihn über seine Verbindung zu ihm finden und sein Gehirn genauso zermartern wie Phybes.
Er lachte und ließ seinen Hinterkopf gegen die Wand fallen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Ramsay und Eryx würden ihn wegen Verrats am Galgen baumeln lassen, ob er ihnen nun die gewünschten Informationen lieferte oder nicht. Selbst wenn sie im Austausch für sein Wissen Gnade walten ließen, würde er den Rest seines Lebens eingekerkert in Zeolith verbringen müssen, und das war weitaus schlimmer als der Tod.
Zwei Todesurteile oder ein Leben im Gefängnis. Er stieß ein Schnauben aus und ließ den Kopf hängen. Ganz gleich, wie die Sache ausgehen würde, er war auf jeden Fall am Arsch.
***
Galena setzte sich ruckartig im Bett auf und keuchte. Ihre Halsschlagader pochte heftig und ihre Brüste schmerzten. Kühle Luft umhüllte ihre schweißnasse Haut, als sie blinzelte und versuchte, sich zu orientieren. Smaragdgrüne Vorhänge umrahmten ein geöffnetes Fenster, durch das sie den dunklen Himmel sehen konnte. Eines ihrer Lieblingsgemälde hing an der gegenüberliegenden Wand. Ihr Zimmer im Schloss.
Jetzt erinnerte sie sich. Ramsay hatte ihr nicht erlaubt, nach Hause zu gehen.
Er hatte darauf bestanden, dass sie im Schloss übernachtete, statt sich in ihre Hütte zurückzuziehen.
Sie zupfte an der feuchten Seide, die ihren Bauch bedeckte und atmete tief durch, bevor sie den Kopf zurück in die Kissen fallen ließ. Die sinnlichen Bilder ihres Traums spielten sich noch einmal vor ihrem geistigen Auge ab. Sie und Reese, die einander leidenschaftlich küssten, während ihre schweißnassen Körper ineinander verschlungen waren. Sie presste die Schenkel zusammen und stöhnte auf, als ihr Unterleib sich bei der Erinnerung zusammenzog.
In ihrem Traum hatte er sie verschlungen und sie auf eine Weise berührt, wie kein Mann es je zuvor im wirklichen Leben getan hatte. Kühn. Wollüstig.
Ein Verräter.
Sie schlug die Decke beiseite und stand auf. Sie musste sich für rein gar nichts schämen. Was machte es schon, wenn sie ihren Begierden das Gesicht von Reese gab? Es bedeutete nicht, dass sie sich nach ihm sehnte, sondern nur, dass sie selbst begehrt werden wollte. Sie hatte keine Lust, in einer Beziehung zu enden, nur um jemandem zu einem politischen Vorteil zu gereichen oder die geistlose Hausfrau zu spielen. Sie wollte mehr.
Sie strich sich die Haare aus dem Nacken, stapfte zum Fenster und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Steinsims ab. Hätte sie sich auf ihre Manieren besonnen und sich aus Reeses Kopf herausgehalten, dann hätte sie ihrer Fantasie gar nicht so viel Stoff bieten können.
Sie lief hochrot an und ein erstickter Laut entrang sich ihrer Kehle. Eigentlich hatte sie nur herausfinden wollen, ob er irgendwelche bösen Absichten hegte und ihr bedrohlich werden könnte.
Aber sie hatte eine Überraschung erlebt. Sie hatte ihr Bild vor sich gesehen. Unter all seinen letzten Erinnerungen war es vorherrschend gewesen.
Sah er sie wirklich auf diese Weise? So sexy? Und sinnlich?
Eine Brise liebkoste ihren Hals und umwehte ihre feuchten Haarsträhnen. Es dämmerte bereits, doch ihre Umgebung trat in den Hintergrund. Wie würde es sich anfühlen, wenn Reese ihren Nacken berührte? Wenn er seine Hände in ihrem Haar vergrub? Und sie seinen Atem an ihrem Hals spürte?
Sie stieß sich vom Fenster ab und ging zum Kleiderschrank. Es tat ihr nicht gut, sich derartigen Gedanken hinzugeben. Außerdem war es nicht realistisch. Der Morgen brach allmählich herein, was bedeutete, dass sie zwölf, dreizehn Stunden geschlafen hatte. Genügend Zeit, um sich zu erholen. Beim Großen, sie brauchte die Energie.
Mit mentaler Kraft entzündete sie die Kerzen in ihrem Zimmer. Kräftige Farben und weiche Stoffe füllten ihren Kleiderschrank. Darunter befanden sich einige elegante Kleider, doch ihre Garderobe bestand hauptsächlich aus Tuniken und bequemen Leggings. Andere Frauen hielten sich an die althergebrachte Etikette und bevorzugten förmliche Kleidung, aber für eine Heilerin waren derartige Roben nur hinderlich.
Sie entschied sich für ein smaragdgrünes Ensemble und bürstete rasch ihr Haar. Was zum Histus war nur in Ramsay gefahren? Von allen Mitgliedern ihrer Familie war Ramsay das fröhlichste. Immer der Playboy, der die Frauen nur mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln ihrer Höschen entledigen konnte. Selbst während einer Schlacht hatte er hin und wieder einen Scherz auf den Lippen. Warum war er also wütend?
Natürlich hatte Reese auf der Seite der Rebellen gekämpft. Und er hatte offensichtlich etwas zu verbergen. Dennoch schien das Ausmaß seiner Wut übertrieben. Irgendetwas stimmte da nicht.
Sie warf die Haarbürste auf die Marmorplatte der Kommode. Das klappernde Geräusch übertönte ihr frustriertes Schnaufen. War sie kurzsichtig gewesen, als sie sich auf die Seite des Feindes gestellt hatte? Ramsay und Eryx waren ihre einzigen lebenden Verwandten. Wie konnte sie sie verraten, indem sie auch nur an jemanden dachte, der der Rebellion diente? Geschweige denn, über ihn zu fantasieren.
Sie schob den Gedanken beiseite und griff nach ihrer Zahnbürste. Statt in ihrem Zimmer herumzusitzen und Trübsal zu blasen, sollte sie nach Brenna sehen. Es war mutig von Eryx gewesen, die tapfere Menschenfrau zu heilen, die Lexi während der Schlacht das Leben gerettet hatte. Niemand konnte ahnen, welche Auswirkungen der Eingriff auf einen Sterblichen haben würde, außerdem versetze er Eryx in eine heikle Lage. Malran hin oder her, er hatte gegen die myrenischen Gesetze verstoßen, die jegliche Einmischung in das menschliche Schicksal untersagten. Dafür könnte er mit dem Tod bestraft werden.
Ein paar Wachen nickten ihr auf dem Weg zur Küche zu, aber die meisten von ihnen blickten stur geradeaus.
So viele Krieger. Maxis hatte es einmal geschafft, zu ihrer Familie vorzudringen, doch ein zweites Mal würde er keinen Erfolg haben. Eryx ging eindeutig kein Risiko ein. Sie könnte wetten, dass er auch in ihrer Hütte Wachen abgestellt hatte.
Der Duft von frisch gebackenem Brot und etwas Süßem stieg ihr in die Nase, noch bevor sie die Küche betrat. Als sie um die Ecke bog, begrüßte sie sofort ein Schwall Wärme, der aus den Holzöfen strömte.
„Warum um alles in der Welt bist du schon wach?“
Galena stieß einen Schrei aus und wirbelte herum. „Orla.“ Sie rieb sich mit der Hand über ihre Brust und starrte die grauhaarige Frau an. „Zur Hölle, du hast mich zu Tode erschreckt.“
Orla streckte eine Hand in Galenas Richtung aus und schnippte mit den Fingern.
Ein Stromstoß schoss durch den Raum und traf Galena in den Hintern. Sie zuckte mit der Hüfte, doch eher aus Reflex als vor Schmerz.
„Hüte deine Zunge, Galena. Aus dem Mund deiner Brüder bin ich den menschlichen Slang ja gewohnt, aber einer jungen Dame steht er nicht so gut zu Gesicht.“ Orla schloss die Tür zur Vorratskammer mit der Hüfte und huschte mit einer Kiste frischer Hefe zur Kücheninsel, wobei ihr langes Haar offen über ihre Schultern wallte. Für die frühmorgendliche Uhrzeit grinste sie viel zu strahlend.
Galena rieb sich die Stelle, die Orla mit ihrem Blitz getroffen hatte. „Lexi verbesserst du auch nicht, und sie flucht mehr als die meisten Männer.“
„Natürlich verbessere ich sie nicht. Zum einen ist sie die Malress. Und zum anderen muss sie mit den Kerlen so sprechen, wenn sie will, dass sie ihr zuhören.“ Sie trat um die Kücheninsel herum und tätschelte Galena die Wange. „In deinem Fall wirken solche Ausdrücke jedoch, als würde man ein schönes Kunstwerk mit Graffiti beschmieren.“
Galena stieß einen Seufzer aus und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, während Orla in einem der Schränke nach einer Schüssel kramte.
So viel zum Thema Hunger. Sie wäre besser beraten, wenn sie Rosen von ihren Dornen befreien oder das Unkraut in ihrem Garten jäten würde. Warum alle ein klassisches Kunstwerk in ihr sahen, würde sie nie verstehen. „Graffiti hat auch seine Reize.“
Orla drehte sich um, legte den Kopf schief und blickte sie fragend an. „Stimmt etwas nicht?“ Sie stellte die Schale beiseite und schenkte Galena ihre volle Aufmerksamkeit. „Du siehst aus, als wärst du nicht ganz … auf der Höhe.“
Nun, das war nicht überraschend. Wenn ihr Äußeres ihr Innerstes widerspiegelte, sah sie wahrscheinlich aus, als hätte sie eine fünftägige Sauftour hinter sich.
Galena zögerte und rieb die Hände aneinander. Orla hatte ein warmes Herz und eine fröhliche Persönlichkeit, aber sie hielt verbissen an alten Gepflogenheiten fest. „Bis dein Bruder eine Gefährtin gefunden hat, musst du die Rolle deiner Mutter übernehmen“, hatte sie gesagt. „Die königliche Familie ist ein Vorbild für alle. Vor allem du musst der nächsten Generation von Frauen als gutes Beispiel vorangehen.“
Sie versuchte, ein Schnauben zu unterdrücken, und klang dabei, als würde sie niesen. Nein. Mit Orla konnte sie nicht gerade ein offenherziges Gespräch von Frau zu Frau führen. Sie stieß sich von der Kücheninsel ab und umarmte Orla herzlich. „Es ist alles in Ordnung. Wahrscheinlich ist es einfach noch ein bisschen zu früh für mich. Sobald die Sonne aufgeht, bin ich wieder auf der Höhe.“
„Nimm dir etwas zu essen, wenn du schon mal hier bist. Auf dem Herd stehen frisches Brot und Briash. Lexi hat mich wieder einmal angefleht, Lastas zu machen, aber die werde ich erst in ein paar Stunden zubereiten.“ Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen und klopfte dann die Taschen ihrer Schürze ab. „Galena, könntest du mir meine Haarspange holen? Ich glaube, ich habe sie in der Nähe des Hintereingangs liegen lassen, als ich heute Morgen reinkam.“
Galena nickte und schnappte sich auf dem Weg nach draußen das Endstück eines Brotlaibs.
Genau wie Orla gesagt hatte, fand Galena die Spange auf dem Beistelltisch neben den Kleiderhaken am Hintereingang. Sie griff sie sich, wandte sich der Küche zu und hielt kurz inne.
Der Eingang zum Kerker lag direkt vor ihr, fest verschlossen und unbewacht. Es war nicht verwunderlich, dass Eryx keine Wachen abgestellt hatte. Er machte sich zwar Sorgen darüber, dass jemand eindringen könnte, aber einen möglichen Ausbruch befürchtete er nicht. Es war noch nie nötig gewesen, die Zellen abzusichern.
Sie war versucht, nach Reese zu sehen. Weit und breit war niemand in der Nähe, daher könnte auch niemand bezeugen, dass sie in den Kerkern war. Und falls er gar nicht dort wäre, würde es auch keinen Unterschied machen.
Nein. Reese ging sie nichts an. Falls Ramsay oder Eryx ihre Hilfe bräuchten, würden sie sich bei ihr melden.
Sie machte sich auf den Weg in die Küche. „Ich habe sie. Sie war genau da, wo du gesagt hast.“ Klang ihre Stimme ein wenig zu schrill und zu fröhlich? Sie legte die Spange beiseite und nahm sich noch eine Scheibe Brot. „Gib mir Bescheid, wenn die Lastas fertig sind. Ich werde Brenna einen Besuch abstatten.“
Orla blickte kaum von ihrem Teig auf. „Natürlich, Liebes. Lass mich wissen, falls ich irgendwie helfen kann.“
Galena ging in Richtung des Gästeflügels, in dem sich Brenna aufhielt. Sie wäre wirklich besser beraten, wenn sie nach dem Mädchen statt nach Reese sehen würde. Immerhin hatte sie alles Nötige getan, um ihn am Leben zu erhalten, damit er ihnen Informationen liefern konnte. Doch nun ging sie die Sache nichts mehr an.
An der untersten Treppenstufe hielt sie inne. Was wäre, wenn Ramsay von Reese nichts erfahren hatte? Ramsay war furchtbar wütend gewesen, als er gegangen war. Sie lief zurück in Richtung des Kerkers, wobei sie der Küche auf leisen Sohlen auswich. Vor dem Hintereingang des Hauses waren zwei Wachen postiert, die ihr jedoch den Rücken zugewandt hatten.
Sie achtete darauf, beim Entriegeln des Kellereingangs leise zu sein und öffnete die Tür.
Eine Brise feuchter Luft strich ihr das Haar aus dem Nacken. Der Geruch von Petroleum und Pech stieg ihr in dem von Fackeln beleuchteten Gang in die Nase.
Hier unten waren keine Wachen zu sehen. Eine lange Reihe von Zellen erstreckte sich vor ihr, deren Türen alle geschlossen waren. Neben der Tür zu Reeses Verlies brannte eine schwelende Fackel.
Mit zitternden Händen, die sie locker an ihrem Körper herabhängen ließ, schlich sie sich näher an die Tür heran. Im Inneren war es völlig still. Zumindest konnte sie außer dem Pochen ihres eigenen Pulsschlags nichts hören. Sie tastete nach dem eisernen Riegel und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Ihre Brüder wären sicher außer sich, wenn sie davon erführen.
Sie wich einen Schritt zurück und fasste sich an die Brust. Es war Wahnsinn. Wenn sie diese Tür wirklich öffnete, wäre sie ebenfalls eine Verräterin und nicht besser als Reese.
Sie wandte sich dem Ausgang zu.
„Galena.“
Als sie Reeses raue, tiefe Stimme vernahm, blieb sie wie angewurzelt stehen. Hatte sich seine Wunde wieder infiziert? Hatte Ramsay ihn gefoltert, um die gewünschten Informationen aus ihm herauszupressen? Und woher wusste er, dass sie es war, die vor seiner Tür stand?
„Geh nicht weg.“ Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch sie vernahm, welch große Schmerzen es ihm bereitete, sie auszusprechen. „Du hast mein Wort, ich werde dir nicht wehtun.“
***
Reese stemmte sich gegen die Zellenwand und spürte den glatten, kalten Kristall unter seinen Fingerknöcheln. Es konnte nur Galena vor seiner Tür sein. Die Schritte eines Kriegers wären viel schwerer, außerdem würde ein Mann nicht diesen sanften, blumigen Duft verströmen, der in die Zelle drang. Er spitzte die Ohren und lauschte in die Stille hinein. Seine Augen brannten, als er den Eisenriegel fixierte, als könnte er Galena mit seinem Starren dazu bewegen, die Tür zu öffnen.
„Ich will nur mit dir reden und mich bei dir bedanken. Es war nie meine Absicht, den Blitz auf dich abzuschießen.“ Damit gestand er ihr zwar nicht unbedingt, dass er seinem Leben ein Ende hatte bereiten wollen, aber es schmerzte dennoch, es auszusprechen. Reese stieß sich von der Wand ab. Offenbar würde sie die Tür nicht öffnen, und er konnte es ihr nicht verübeln. Aber zumindest kannte sie nun die Wahrheit.
Im nächsten Moment vernahm er ein metallisches Geräusch und sein Herz machte einen Satz.
Die Tür öffnete sich mit einem Knarren und Galenas Duft strömte durch den Spalt. Das Licht der Fackel hüllte ihr Gesicht in Schatten und umgab ihre Silhouette mit einem goldenen Schimmer. Ihre lange Tunika und ihre Leggings schmiegten sich perfekt an die weiblichen Kurven ihres Körpers. Ihre Hüfte war wie geschaffen, von einem Mann gepackt zu werden.
Er schluckte einen Kloß im Hals hinunter und wollte etwas sagen. Zumindest sollte er ihr danken, doch seine Lippen wollten ihm nicht gehorchen. Er drückte sich an die hinterste Wand, um sie nicht zu bedrängen.
Sie trat über die Schwelle und stolperte.
Reese stürzte nach vorn, um sie aufzufangen.
Galena schnappte erschrocken nach Luft und hob abwehrend die Hände in die Höhe. Reese wich sofort zurück. „Tut mir leid.“
Sie strich über ihre Tunika, richtete sich auf und nickte ihm zu. Ihre Stimme zitterte leicht, als sie sagte: „Die Wirkung des Zeoliths hat mich unvorbereitet getroffen.“
„Wenn man lange genug in der Zelle verweilt, gewöhnt man sich daran.“ Er deutete auf die Pritsche. „Du kannst dich setzen, wenn du willst. Ich werde dir nicht zu nahe kommen.“
Sie musterte den Abstand zwischen ihm und dem behelfsmäßigen Bett und runzelte die Stirn.
Er konnte ihr das Zögern nicht verdenken. Nur wenige Frauen würden sich mit einem Kriegsgefangenen und einem Feldbett sicher fühlen. Er ließ sich auf den Boden gleiten und lehnte sich gegen die glatte Kristallwand, die seinen nackten Rücken kühlte. Dann zog er die Knie an und legte die Unterarme darauf. „Wie viel Uhr ist es?“
Galena entspannte sich ein wenig und faltete die Hände vor sich zusammen. Die Geste wirkte formell und ein wenig unsicher, aber ein Gespräch unter vier Augen in einem Kerker war auch nicht gerade ein angenehmer Zeitvertreib. „Es ist kurz vor dem Morgengrauen.“ Sie blickte sich in der Zelle um. „War Ramsay noch einmal hier?“
Er schüttelte den Kopf. „Hast du ihn denn nicht gesehen?“
Sie warf wieder einen Blick auf die Pritsche. „Nicht seit gestern Abend.“
„Ich habe dir mein Wort gegeben. Ich bleibe, wo ich bin. Wenn es dir lieber ist, kann ich das Bett näher an die Tür rücken.“
Etwas in ihrer Haltung veränderte sich. Plötzlich strahlte sie eine Selbstsicherheit aus, die auch ihre Brüder an den Tag legten, doch an ihr wirkte sie dezenter und anmutiger. Mit einer ausladenden Geste zeigte sie auf die schlichte, schmale Liege. „Mir wäre es lieber, du würdest dich setzen, damit ich nach deiner Wunde sehen kann.“
Er stand langsam auf, um sie nicht zu erschrecken und ging zu der wackeligen Pritsche hinüber. „Du bist sehr vertrauensselig.“
Sie wollte gerade zu ihm gehen und erstarrte auf halbem Weg, wobei sie den Kopf zur Seite neigte. „Wie kommst du darauf?“
Er deutete mit dem Kinn in Richtung der geöffneten Tür. „Ich kenne nicht viele Frauen, die ohne Wache eine Zelle betreten, geschweige denn die Tür offenstehen lassen würden.“
Mit finsterer Miene ging sie zu dem kleinen Beistelltisch und zog ihn samt der Kerze etwas näher heran. „Du hast mir dein Wort gegeben. Mein Instinkt sagt mir, dass du dein Versprechen nicht brechen wirst. Wenn ich deshalb vertrauensselig bin, dann von mir aus.“
„Ramsay wäre sicher anderer Meinung.“
„Ich bin nicht Ramsay.“
„Das sehe ich.“ Er musste unwillkürlich grinsen, denn mit dem Wortwechsel hatte er ein Feuer zwischen ihnen entfacht.
„Er ist im Moment nicht er selbst“, erklärte sie. „Wir haben mit Maxis und der Rebellion eine Menge Ärger.“ Ihre Stimme klang sachlich und nüchtern, als sie vor ihm auf die Knie ging, um seine Schulter zu untersuchen.
Noch bevor sie ihn berühren konnte, packte Reese sie am Handgelenk. „Du musst sein Verhalten nicht rechtfertigen, Galena. Ich habe noch viel Schlimmeres verdient.“
Beim Großen, sie war wirklich wunderschön. Sie strahlte eine starke, sinnliche Aura aus, in der auch eine gewisse Unschuld mitschwang. Er konnte ihren Puls fühlen, der schnell und kräftig schlug. „Außerdem bist du klug. Und mutig. Keiner der Krieger ist auf den Gedanken gekommen, mich wegen der Informationen am Leben zu lassen, doch du bist in die Bresche gesprungen und hast mich gerettet.“
„So viel Anerkennung gebührt mir nicht.“ Sie entzog ihre Hand seinem Griff und berührte den Rand seiner Wunde, die langsam, aber sicher verheilte. „Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, sondern einfach nur gehandelt.“
Reese stieß ein Zischen aus und erschauderte, woraufhin Galena sofort ihre Hand zurückzog. „Habe ich dir wehgetan?“
Würde sinnliche Folter auch zählen? Sie hätte ihn genauso gut zwischen den Beinen streicheln können. „Es geht mir gut.“
Sie runzelte die Stirn und lehnte sich zurück, wobei sie einen argwöhnischen Ausdruck auf dem Gesicht hatte.
„Dann hast du es getan, weil du dich von der Intuition einer Heilerin hast leiten lassen?“
Keine Antwort.
„Wenn du mich nicht wegen meines Wissens geheilt hast, warum dann?“, fragte er.
Sie rührte sich nicht, doch sie warf ihm flüchtig einen Blick aus dem Augenwinkel zu, bevor sie sich wieder auf die Wunde konzentrierte. Eine hübsche Röte breitete sich auf ihren Wangen aus, als sie sein Handgelenk packte, um seinen Puls zu prüfen. „Warum willst du mein Verhalten begründen? Warum kannst du nicht einfach dankbar sein, dass du noch am Leben bist?“
„Weil es bestenfalls eine Gnadenfrist ist. Entweder werde ich in dieser Zelle sterben, von deinem Bruder zum Tode verurteilt werden oder Maxis wird mich töten.“
Sie erstarrte.
Er sollte es ihr sagen. Ramsay hatte recht. Sie hatte ihn gleich zweimal gerettet, und hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren. „Deine Bereitschaft, mich zu heilen, bedeutete mir viel. Ganz gleich, aus welchen Gründen du es getan hast.“
Im Schein der Kerze schien ihr Haar eher kastanienbraun als rotbraun. Sie neigte den Kopf, und plötzlich wusste er, an welche Blume ihr Duft ihn erinnerte. Sie roch nach Lotosblüte. Das Aroma passte zu der exotischen Farbe ihrer Augen. Er musste dabei an ein Meer denken, das an den weißen Sandstrand einer karibischen Küste brandete.
Nie hätte er sich träumen lassen, ihr jemals so nah zu sein. Nicht einmal, als er vor all den Jahren mit Ramsay das Schloss besucht hatte. „Ich hatte schon immer ein Auge auf dich.“ In diesem Moment war ein derartiges Geständnis wahrscheinlich weniger klug. Andererseits würde er wahrscheinlich nicht mehr lange leben. Die Konsequenzen konnten also kaum schlimmer sein.
Sie begegnete seinem Blick und öffnete den Mund.
„Es ist schon lange her“, fuhr er fort. „Damals habe ich noch mit Ramsay trainiert. Hat er dir von mir erzählt?“
Sie legte den Kopf schief und betrachtete eingehend seine Wunde. Es war zwar kein Ja, aber auch kein Nein.
„Ich habe mich nicht oft im Schloss aufgehalten, doch wenn ich einmal dort war, dann habe ich nach dir Ausschau gehalten. Du hattest deine Erweckungszeremonie gerade erst durchlaufen. In meinen Augen warst du perfekt.“ Er legte eine Hand an ihre Wange. „Daran hat sich nichts geändert.“ Mit den Fingern strich er über ihre Wange. „Deine Haut ist genauso warm und weich, wie ich sie mir vorgestellt habe.“
Sie schmiegte sich an seine Hand. Kaum merklich. Wahrscheinlich war es ihr nicht einmal bewusst. Ihre Augen wurden weicher, als sie die Lider senkte und ihr Haar über seine Fingerknöchel fiel.
„Reese.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Du siehst das Gute in mir“, sagte er, „doch dein Bruder kann mir meine Taten nicht verzeihen. Und das sollte er auch nicht. In wenigen Tagen, wenn nicht sogar Stunden, werde ich für meine Verbrechen sterben.“ Wollte er es wirklich tun? Würde er mit der Demütigung leben können, falls sie ihm seinen Wunsch verweigerte?
Auf jeden Fall.
Mit dem Finger strich er über ihre Unterlippe und spürte ihren Atem auf seiner Haut. „Ich habe mir immer vorgestellt, wie deine Lippen sich an meinen anfühlen würden. Wirst du mir dieses Geschenk machen?“
Galena erstarrte. „Du willst …“
„Einen Kuss.“ Erneut strich er mit dem Finger über ihren Mund und sie folgte mit der Zunge seiner Berührung. „Nur einen.“
Sie schluckte und schloss die Augen, als sie ihm einen Kuss in die Handfläche drückte.
Er spannte sich an und glaubte schon, sie würde ihm eine Abfuhr erteilen.
Dann öffnete sie die Augen. Er zuckte förmlich zusammen, als er die Leidenschaft in ihrem Blick sah. „Einen.“ In dem einzelnen Wort lagen so viel Gefühl, Begierde, Dringlichkeit, Furcht und Scham zugleich.
Er beugte sich vor und schlang seine freie Hand um ihren Nacken. Ein anständiger Mann würde sich nicht von seinen Begierden leiten lassen, doch ein weitaus animalischer und instinktgesteuerter Teil in seinem Inneren hatte nun die Kontrolle übernommen. Ihre Lippen waren den seinen so nah, dass er ein Kribbeln verspürte. Einen Moment verharrte er in dieser Position und genoss das Gefühl, das sie in ihm hervorrief. Er wollte sich auf ewig daran erinnern.
„Bitte“, flüsterte sie.
Er festigte den Griff um ihren Nacken und neigte ihren Kopf nach hinten. Dann beugte er sich langsam und behutsam vor.
Sie öffnete ihre weichen, vollen Lippen und leckte über ihre Unterlippe. Mit einem Stöhnen kam sie ihm entgegen, und er ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten.
Ihm entfuhr ein Knurren, als er ihr Aroma kostete. Sie schmeckte nach Minze und etwas, das ihn an träge Vormittage und Sonnenschein erinnerte. Ihr Atem vermengte sich mit seinem und strömte heiß zwischen ihren geschmeidigen Lippen hervor. Scheiß auf gewöhnliche Luft. Er wollte nur noch von ihrem Atem leben und damit tagein, tagaus seine Lunge füllen.