Adriana Vance ist eine erfolgreiche und selbstbewusste Geschäftsfrau. Ihre Werbeagentur genießt hohes Ansehen in der Branche. Doch die Scheidung ihrer Eltern sowie eine traumatische Beziehung haben sie so stark geprägt, dass sie keine tiefergehenden Gefühle – geschweige denn Liebe – an sich heranlassen kann.
Die Einladung zu einem High School-Treffen führt sie in ihren Heimatort, zurück aufs Land. Adriana hat längst mit ihrem früheren Leben abgeschlossen und nimmt die Einladung nur widerwillig an. Dort trifft sie auf ihren damaligen Klassenkammeraden Ryan Dawson und sofort entflammt die Leidenschaft.
Eine gemeinsame Nacht weckt bei beiden die Lust auf mehr, doch Adriana hat viel zu viel Angst vor einer festen Beziehung. Deshalb beginnen sie eine unverbindliche, lockere Affäre.
Was Adriana jedoch nicht weiß, ist, dass Ryan bereits seit der Highschool in sie verliebt ist. Aber auch ihr Ex ist nach wie vor in ihrem Leben und bereitet ihr große Probleme.
Adriana gelangt schließlich an den Punkt, an dem sie sich ihrer Vergangenheit stellen muss, damit ihre Zukunft eine Chance hat.
Leah Docks ist das Pseudonym einer Autorin, die im Jahre 1983 geboren wurde und mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern im schönen Düsseldorf lebt. Sie hat ihr sicheres Angestelltendasein aufgegeben, um sich mit einem eigenen Unternehmen selbst zu...
Nach und nach füllte sich die Festhalle des Gasthofs. Fröhliche Stimmen vermischten sich mit der dröhnenden Countrymusik, als Ryan Dawson lachend eintrat. Sein bester Freund, Kane Lewis, rief den Rauchern vor der Eingangstür noch etwas zu, bevor er sich grinsend auf Ryans Schultern stützte.
„Party, Party, Party! Heute wird so richtig die Sau rausgelassen. Hey, Sandy“, wandte er sich an die Schwarzhaarige mit den Namensschildchen, „wo kriegt man hier anständige Drinks?“
Mit dem Arm um Ryans Schultern schob er ihn zum Tisch mit den Namensschildchen. Dabei sah Ryan zufällig zur Seite und sein Blick fiel auf eine sehr...
...ansehnliche Rückenpartie einer Frau, die am anderen Ende der Halle an einem Stehtisch stand. Die hochhackigen Schuhe, die die Farbe eines schaumig cremigen Milchkaffees hatten, streckten ihre langen, schlanken Beine, die kurz über den Knien unter einem eng anliegenden schwarzen Kleid verschwanden. Sein Blick verharrte zunächst auf ihrem Po, der von dem Stoff des Kleides sehr sexy umspannt wurde. Als er jedoch weiter hochsah und den breiten Taillengürtel erreichte, der die gleiche Farbe wie die Schuhe hatte, kehrte sein Blick für einen Moment noch mal zu ihrem Po zurück. Seine Lippen schürzten sich anerkennend, während er den Kopf leicht schräg legte. Danach inspizierte er die Frau weiter. Ihre langen braunen Haare schlängelten sich wie fließende Seide auf ihrem Rücken und den Schultern.
Ein Stoß gegen die Schulter löste seinen Blick abrupt von der Frau.
„Komm, wir holen uns erst mal ein Bier“, hörte er Kane sagen, nahm sein Namensschildchen entgegen und ging mit ihm zur Theke.
„Fuck, ich habe wegen des megakrassen Schlittens da draußen immer noch einen Ständer“, sagte Ryan, der eine Schwäche für Sportwagen hatte und gerade eben auf einen Aston Martin V12 Vantage gestoßen war.
Kane lehnte lässig an der Theke und nahm einen Schluck Bier.
„Wegen des megakrassen Schlittens da draußen oder der hammerheißen Braut hier vorne?“, fragte er dann grinsend, denn der Gesichtsausdruck seines Kumpels, als er vorhin die Frau am Stehtisch gierig gemustert hatte, war ihm nicht entgangen. Ryan musste daraufhin ebenfalls grinsen, wobei sein Blick wieder den sexy Hintern der Brünetten streifte.
„Los, schnapp sie dir, Tiger!“, feuerte Kane ihn mit einem auffordernden Flüstern an.
Obwohl Ryan spürte, dass sein Schwanz extrem wild auf die Frau reagierte, ließ ihm der Sportwagen vor der Tür keine Ruhe. „Lass uns erst rausfinden, wem der Aston Martin gehört. Ich hätte jetzt richtig Bock auf eine 700-PS-Spritztour.“
Bei der Vorstellung an den grollenden Sound des Motors eines V12 Vantage und die rasante Geschwindigkeit bekam nicht nur er, sondern sogar Kane eine Gänsehaut.
„Was glaubst du, wem er gehört?“, überlegte Ryan.
Beide sahen sich ihre früheren Mitschüler, die alle mittlerweile Ende zwanzig und längst nicht mehr die pubertierenden, Zahnspangen tragenden und mit Gesichtspickeln kämpfenden Jugendlichen waren, stirnrunzelnd an. Doch keiner sah auch nur ansatzweise wie der Besitzer eines Luxuswagens aus.
„Hm, vielleicht einem, der hinten im Biergarten sitzt“, mutmaßte Kane. „Irgendeinem fetten, reichen Sack mit Glatze und einer heißen asiatischen Braut, die seinen Gärtner vögelt, während er auf Geschäftsreisen ist.“
Ryan grunzte.
„Das ist meiner“, ertönte plötzlich eine ruhige Stimme neben ihnen.
Die beiden Männer drehten sich gleichzeitig um. Die hübsche Brünette stand mit einem Glas Weißwein in der Hand am Stehtisch und tippte einhändig etwas in ihr Smartphone. Bei dem Anblick, der sich Ryan bot, musste er seine Lippen befeuchten. Das Kleid hatte einen raffinierten Ausschnitt und enthüllte gerade so viel, dass die Fantasie der Männer angeregt wurde. Am Ansatz des Dekolletés funkelte ein Edelstein in Tropfenform an einer feinen Kette. Die Ohrringe, passend zur Kette, reichten ihr bis zur Mitte des Halses und blitzten auf, wenn sie ihren Kopf bewegte. Dann führte sie ihr Glas an die Lippen und sah von ihrem Smartphone auf. Seelenruhig trank sie ihren Wein, während sie Ryans Blick scheinbar unbeirrt standhielt.
Fuck, wurden gerade seine Knie weich?
„Der Aston gehört dir?“, hörte er Kane neben sich skeptisch fragen.
„Man sieht euch regelrecht an, wie die Vorstellung an einen fetten Reichen, der eine heiße Asiatin vögelt, wie eine Seifenblase zerplatzt“, erwiderte Adriana amüsiert.
Ryan hoffte, dass er sie nicht allzu lange wie ein Vollidiot angestarrt hatte, als er schließlich seine Augenbrauen verdutzt kräuselte und mit leicht zur Seite geneigtem Kopf auf sie zukam. „Adriana? Adriana Vance?“
Na toll, jetzt gehts los, dachte sie. Du hast dich ja so verändert. Ich habe dich gar nicht wiedererkannt. Bla, bla, bla. Sie unterdrückte ein Augenrollen und wappnete sich innerlich gegen die bevorstehenden Bemerkungen.
„Hi“, sagte er schließlich.
Sie war auf alles gefasst, nur nicht auf diesen warmen Schauer, der beim Klang seiner tiefen, weichen, leicht heiseren Stimme in ihrem Körper ausgelöst wurde. Sie streckte selbstbewusst ihre Schultern, aber da Ryan sehr groß war, musste sie ihren Kopf zurücklegen, um ihn direkt ansehen zu können. Dabei fragte sie sich, ob er eigentlich immer schon so groß war. Das einzige Mal, dass er sich bisher so dicht neben ihr befunden hatte, war, als sie beide in der Hocke saßen und er ihr half, die Bücher aufzusammeln, die ihr beim Tragen runtergefallen waren. Das war das einzige Mal, dass ihr einer in der Highschool geholfen hatte, und diese Geste war unheimlich nett von ihm gewesen.
War Ryan eigentlich jemals gemein zu ihr gewesen? Eigentlich waren es immer die gleichen mit ihren dämlichen Scherzen: Jessica Young, deren Freundin Melody Price und der Kapitän des Schulbasketball-Teams, Steven Sullivan. Die anderen Mitschüler sahen eigentlich nur zu oder lachten sie aus. Hatte Ryan auch über sie gelacht? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
„Hi“, erwiderte sie und hoffte, dass man die Verunsicherung in ihrer Stimme nicht hören konnte.
„Du bist doch nie im Leben Adriana Vance“, polterte Kane Lewis ungläubig und stieß seinen Ellbogen mit so einer Wucht auf den Stehtisch, dass dieser stark zu wackeln begann.
Und da war schon der erste nervige Kommentar, auf den Adriana absolut keine Lust hatte.
„Stimmt! Das bin ich nicht“, entgegnete sie schnippisch, ergriff ihr Weinglas, bevor der Inhalt durch das Wackeln überschwappen konnte, ging augenrollend um Ryan herum und stolzierte davon.
Kane wandte sich direkt an seinen Kumpel. „Komm schon, Mann, das ist sie nicht. Never ever!“
„Oh, doch. Das ist sie“, erwiderte dieser, legte seinem besten Freund die Hand auf die Schulter und sah ihr beeindruckt hinterher.
Adriana ging langsam an den Stellwänden mit den Fotos entlang. Mit ihrem Glas in der Hand, an dem sie zwischendurch nippte, betrachtete sie die Aufnahmen aus der Schulzeit. Es waren viele Gruppenfotos dabei, einige von den Ausflügen oder Klassenfahrten, teils waren es Porträtfotos von dem jährlichen Besuch des Fotografen.
Auf einem Foto sah sie ein blasses, mageres Mädchen mit kurzen Haaren und eingezogenem Kopf, das abseits am Giraffengehege stand, während andere Mitschüler lachend posierten. Ein Hauch von Traurigkeit erfüllte sie, denn sie erinnerte sich ganz genau an diesen Tag. Als sie nach dem Schulausflug in den Zoo nach Hause kam, war ihr Vater ausgezogen. Sie wusste noch, wie entsetzt sie darüber gewesen war und bis tief in die Nacht geweint hatte.
Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und sie trank schnell einen Schluck aus ihrem Glas, um diesen hinunterzuspülen. Da fiel ihr Blick auf ein Bild, das sie nicht kannte. Sie selbst war auf dem Bild zu sehen, stand mit einigen Kärtchen in der Hand vor der Tafel und hielt offensichtlich ein Referat. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Aufnahme und versuchte vergeblich, sich an diesen Tag zu erinnern, und fragte sich, wer das Foto wohl geschossen hatte.
„Ich habe dich immer beneidet“, hörte sie plötzlich jemanden neben sich sagen.
Mit vor Erstaunen geweiteten Augen drehte sie den Kopf und musste ihn dann leicht anheben.
„Wie bitte?“
Ryan Dawson stand direkt neben ihr. Seine Hände steckten in den Vordertaschen seiner dunklen Jeans, die ihm – das musste sie zugeben – sehr gut stand und seine durchtrainierten Beine vorteilhaft betonte. Außerdem trug er ein hellblaues Hemd, das seine breiten Schultern und Oberarme umspannte, und ihre Vermutung bestätigte, dass er ziemlich gut gebaut sein musste.
„Du hattest immer Bestnoten“, antwortete er mit Blick auf das Referat-Foto. „Ich habe nie verstanden, wie das möglich war. Vor allem in Fächern wie Physik und Erdkunde.“
Adriana hob fragend eine Augenbraue. „Du hast nie verstanden, dass man gute Noten bekommt, wenn man fleißig lernt?“
„Hey, ich habe auch gelernt. Sehr viel sogar.“
Bei dem rechtfertigenden Unterton in seiner Stimme, der wohl überzeugend klingen sollte, musste sie schmunzeln.
„Einmal“, Ryan hob triumphierend seinen Finger, „ein einziges Mal hatte ich fast die Höchstpunktzahl bei einem Test erreicht. Gott, ich war so stolz.“ Er atmete tief durch. „Dann kam jedoch heraus, dass du die volle Punktzahl hattest.“
Adriana lachte leise auf, versuchte dann aber vergeblich, mitfühlend zu gucken. Es war schon süß, wie er versuchte, Konversation zu führen. „Eine fast erreichte Höchstpunktzahl ist auch eine gute Leistung“, sagte sie schließlich.
Ryan grunzte. „Ja klar. Ein Wagen ist letztendlich auch nur ein Wagen. Aber du hast ausgerechnet einen Aston Martin V12 Vantage.“
Bei dem plötzlichen Themenwechsel stutzte sie kurz, unterdrückte dann aber ein schelmisches Augenrollen. „Der hat es dir angetan, was?“
Adriana grinste ihn über den Rand ihres Weinglases hinweg an und bemerkte, wie seine Augen aufblitzten.
„Zeig mir einen Mann, der nicht auf Sportwagen steht“, zwinkerte er ihr grinsend zu. „Lässt du mich ihn mal fahren?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Ganz sicher nicht.“ Sie wandte sich wieder den Bildern zu.
„Nur mal Probesitzen?“
„Nein.“
Adriana hob schnell ihr Glas an die Lippen, um bei seinem enttäuschten Seufzer nicht zu kichern. Irgendwie gefielen ihr seine Aufmerksamkeit und sein offensichtliches Interesse an ihr. Das erkannte sie an seinem Blick, ohne dass er auch nur ein Wort darüber verlor. Dieser Blick schmeichelte ihr und weckte unvermittelt ein sehnsüchtiges Ziehen in ihrem Unterleib.
Sie schlenderte an ihm vorbei und setzte ihre Rundreise an den Stellwänden fort. An der letzten Wand waren Fotos von der Abschlussfeier zu sehen. Alle Anwesenden waren sehr schick gekleidet. Die Jungs im Anzug und Krawatte, die Mädels in traumhaften Abendkleidern. Bei einem Foto musste sie schmunzeln. Darauf war sie mit Kaylee zu sehen. Nach ihren Kleidern hatten sie wochenlang gesucht und vor dem Abschlussball hatten sie sich hübsche Hochsteckfrisuren gemacht und sich gegenseitig beim Schminken geholfen. So viel Spaß, wie an diesem Abend, hatte sie die ganze Schulzeit über nicht gehabt.
„Ich wollte dich an dem Abend zum Tanzen auffordern“, hörte sie Ryan sagen, der irgendwie wieder neben ihr stand, „aber ich hatte mich nicht getraut.“
„Du hattest wohl Angst, sie würden dich alle auslachen“, erwiderte Adriana und versuchte, die Bitterkeit in ihrer Stimme zu verbergen.
„Nein“, fuhr Ryan unbeirrt fort. „Ich hatte Angst, du würdest ablehnen und mich wie einen Trottel stehen lassen.“
Sie sah verwundert zu ihm auf. Er hatte es vollkommen ernst gemeint. Das war ganz deutlich aus seiner Stimme herauszuhören.
Ryan bemerkte ihren Blick zunächst nicht, denn er war in das Bild an der Stellwand vertieft. Plötzlich drehte er seinen Kopf und sah sie an. Der Blick aus seinen dunkelgrauen Augen war so intensiv, dass sie ihre Oberschenkel zusammenpressen musste, um das Pulsieren zwischen ihren Beinen zu bändigen.
„Aber heute bin ich nicht mehr so schüchtern.“ Nun drehte er sich mit dem ganzen Körper zu ihr um und stellte sich so dicht vor sie, dass der Duft seines Eau de Toilette in ihre Nase drang. Er roch so gut, so männlich. Beinahe hätte sie die Augen geschlossen und geseufzt. Er beugte seinen Kopf zu ihr runter. „Würdest du mit mir tanzen?“, drangen seine Worte zu ihr durch.
Obwohl er freundlich und höflich gefragt hatte, lag in seiner tiefen, rauen Stimme ein derart verlangender Unterton, dass sich die Muskeln in ihrem Unterleib sehnsüchtig zusammenzogen und ihr Kopfkino anfing, unglaublich schmutzige Bilder vor ihrem inneren Auge zu projizieren.
Räuspernd fing sie sich wieder. Ein Nein kam ihr unbewusst und so schnell über die Lippen, dass es schon an Unhöflichkeit grenzte. Und irgendwie war dieses Verhalten Ryan gegenüber auch nicht fair, immerhin war er stets freundlich zu ihr gewesen. Leicht beschämt senkte sie den Blick und drängte sich an ihm vorbei.
„Was? Wieso?“, fragte er verdutzt und folgte ihr.
Adriana drehte sich um und machte eine ausschweifende Handbewegung. „Weil ich ganz bestimmt nicht zur nervtötenden Countrymusik tanze.“
Diese Erklärung fand sie plausibler als die Tatsache, dass dieser Kerl viel zu gefährlich für sie war, denn er sorgte bei ihr schon allein mit seiner Stimme für ein feuchtes Höschen.
Ryan runzelte leicht die Stirn. Ihre Worte passten so gar nicht zu dem feurigen Aufblitzen in ihren Augen. Doch er merkte deutlich, dass ihre – seiner Meinung nach – gespielte Ablehnung lediglich seinen Jagdinstinkt anstachelte.
„An der Musik soll es nicht scheitern“, sagte er verwegen, grinste vielsagend und Adriana registrierte erneut ein verdächtiges Prickeln auf ihrer Haut. Unwillkürlich musste sie schmunzeln. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb allerdings, als sie sich umdrehte und plötzlich Jessica Young, ihrer Erzfeindin aus der Highschool, gegenüberstand.
Damals hatte Adriana immer ein unbehagliches Gefühl in ihrer Gegenwart verspürt. Jessica war hübsch und bei allen beliebt, doch sie war auch gemein und furchtbar arrogant. Sie schien immer sehr viel Spaß daran zu haben, Adriana zu erniedrigen oder sich über sie lustig zu machen.
„Na, wenn das nicht unsere Streberin ist“, gab Jessica mit gekräuselter Nase von sich.
Adriana erwiderte gelassen den Blick der Blondine, die viel zu viel Make-up trug. Die Zeiten, in denen sie den Kopf einzog, sich lieber irgendwo verkroch oder den Blick ängstlich abwandte, waren vorbei. Adriana war kein schüchternes Mädchen mehr, das sich durch die Scheidung ihrer Eltern klein und wehrlos gefühlt hatte. Sie hatte gelernt, mit Arroganz und Neid umzugehen, indem sie einfach nichts und niemanden mehr nah an sich heranließ. Dämliche Sprüche prallten einfach an ihr ab. Und sogar jemanden wie Jessica konnte sie mittlerweile mit einem einzigen Satz in den Boden stampfen. Adriana öffnete bereits den Mund, um etwas zu erwidern, als sie plötzlich spürte, wie sich eine warme Hand fest um ihr Handgelenk schloss.
„Nicht jetzt, Jess“, sagte Ryan mit einem leicht genervten Unterton in der Stimme. Er mochte die Blondine nicht. Die Art, wie sie sich immer in der Highschool benommen hatte, war unterste Schublade. Sie hielt sich für etwas Besseres und nahm auf niemanden Rücksicht. Allein die Erinnerung daran, wie sie sich Adriana gegenüber verhalten hatte, brachte ihn zur Weißglut. Auch jetzt erkannte er diese grässliche Feindseligkeit in ihren Augen aufblitzen und verspürte den Drang, sie an die Wand zu klatschen. Er unterdrückte diesen Drang, schob Jessica beiseite und zog Adriana entschlossen hinter sich her auf die Tanzfläche. Im Vorbeigehen rief er dem DJ etwas zu und kurz darauf drängte er sich mit seinem Körper an ihren.
„Also, wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er, während er ihren Blick mit leicht gesenktem Kopf einfing und seine Hände sich um ihre Hüften legten.
Hartnäckig ist er ja, musste Adriana gedanklich zugeben, und als sie sich wieder über die Musik beschweren wollte, erfüllte auf einmal Partymusik aus den 90ern den kompletten Saal. Überrascht sah sie zu Ryan auf und musste bei seinem selbstzufriedenen Grinsen beinahe lachen.
Er beugte sich vor und Adriana erstarrte, als sein heißer Atem ihre Wange streifte und sie kurz darauf seine heisere Stimme an ihrem Ohr hörte.
„Tanz mit mir, Adriana!“
Im selben Moment schob er seine Hand an ihren Rücken, drückte sie fest an sich und begann, sich passend zum Musiktakt zu bewegen.
Adrianas Puls schoss in die Höhe. Ihr Herz klopfte so stark, dass es in ihren Ohren widerhallte. Wieso reagierte ihr Körper so heftig auf Ryan? Sie tanzten doch nur. Während diese Frage ihre Gedanken beschäftigte, spürte sie, wie er seinen Oberschenkel zwischen ihre Beine schob, und ihr stockte für einen kurzen Moment der Atem. Ihr enges Kleid hinderte ihn zwar daran, weiter vorzudringen, doch das Reiben des groben Stoffes seiner Jeans auf ihrem Schenkel löste ein derart intensives Kribbeln in ihr aus, dass sie das rasende Pochen ihres Pulses nun sogar zwischen ihren Beinen wahrnahm.
Hitze stieg in ihr auf, und als seine Lippen leicht ihren Hals streiften, schmolz Adriana endgültig dahin. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und passte sich seinen rhythmischen Tanzbewegungen an. Im Taumel der ansteigenden Erregung schmiegte sie ihre Wange an seine Schulter und schloss die Augen, um diesen berauschenden Gefühlsmix genießen zu können. Die Wärme, die von Ryans Körper ausging und sie vollkommen einhüllte, fühlte sich so angenehm, so vertraut an ...
Plötzlich schoss ein stechend erdrückender Schmerz wie eine Kugel durch ihr Unterbewusstsein. Ein wutverzerrtes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf und Adriana kam es vor, als würde ihr etwas die Kehle zuschnüren. Nach Atem ringend riss sie die Augen auf und hob ihren Kopf an.
Ryan bemerkte die plötzliche Anspannung in ihrem Körper und schob irritiert die Augenbrauen zusammen, als ein Anflug von Panik durch ihre blauen Augen huschte.
„Alles okay?“, wunderte er sich.
Adriana nickte schnell. „Ich finde, wir haben jetzt genug getanzt.“ Sie schälte sich aus seiner Umarmung und wandte sich bereits um, um die Tanzfläche zu verlassen.
Doch Ryan hielt sie zurück. „Wir haben doch gerade erst angefangen“, merkte er an und seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, als sie ganz offensichtlich ein Augenrollen unterdrückte.
Ein stetiges Vibrieren in ihrer Handtasche, die sie über der Schulter trug, lenkte schließlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie holte ihr Smartphone heraus und nach einem kurzen Blick auf das Display hielt sie es Ryan vor die Nase.
„Telefon“, sagte sie und verschwand von der Tanzfläche. „Wo bist du?!“, zischte sie daraufhin in den Hörer.
„Ich habe eine Panne und stecke fest“, ertönte Kaylees klägliche Stimme. „Der Pannendienst ist schon unterwegs ...“ Adriana hörte ihrer Freundin nicht mehr zu, denn ein Tuscheln hinter ihrem Rücken drang wie spitze Nadeln zu ihr durch.
„Wie, du kannst dich nicht an sie erinnern?“, fragte jemand flüsternd und Adriana erkannte Jessicas Stimme sofort. „Die ganze Stadt sprach von den Vances. Das war so peinlich, wie sie sich bei der Scheidung zerfleischt haben.“ Sie kicherte und fuhr fort. „Es wurde gemunkelt, dass ihre Mutter fremdgegangen ist. Der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm. Kein Wunder, dass die sich jetzt so billig an Dawson ranschmeißt. Irgendwo muss sie sich dieses schlampige Verhalten doch abgeguckt haben.“
Entsetzt von dem, was sie gerade gehört hatte, drehte Adriana sich langsam um und blickte geradewegs in Jessicas zu schmalen Schlitzen verengte Augen. Ein beschämendes Gefühl stieg in ihr auf. Sie kannte dieses Gefühl nur allzu gut, denn es hatte sie fast ihre ganze Highschool-Zeit über gelähmt. Die Gerüchte über ihre Mutter fand sie schon damals sehr verletzend. Und auch jetzt, rund zehn Jahre später, versetzten ihr die Lästereien einen schmerzhaften Stich und brachten ihr solides Selbstbewusstsein ins Wanken. Ich brauche diesen Scheiß nicht, predigte sie sich gedanklich und atmete tief durch.
„Ich hau’ ab“, sagte sie daraufhin entschlossen in den Hörer.
„Nein, wart...“ Der Einwand von Kaylee wurde durch das schnelle Auflegen abgewürgt.
„Warum haust du ab?“
Adriana drehte sich um und war überrascht, Ryan direkt hinter sich stehen zu sehen. Sie war sich nicht sicher, ob er Jessicas Worte ebenfalls gehört hatte, aber ihr war die ganze Situation unangenehm. Und irgendwie machte sie die Tatsache, dass die Mauern, die sie um ihre Gefühlswelt errichtet hatte, anscheinend doch nicht dick genug gegen Jessicas Lästerei waren, wütend.
„Ich muss halt los“, sagte sie genervt.
„Lass dir doch von der nicht den Spaß verderben. Sie redet den ganzen Tag nur Müll.“ Er lehnte sich an die Theke und deutete mit einem kurzen Kopfnicken auf die überschminkte Blondine.
Mist, er hat es doch mitbekommen. Adriana schloss kurz die Augen und überspielte ihren Unmut mit einem Schulterzucken.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, gab sie kurz von sich und zog sich hastig ihren kurzen Blazer über, schob ihre Hände in den Nacken und zog ihre langen, glatten Haare heraus.
Ryan stockte der Atem, als die Haare ihr über die Schultern fielen und er einen herrlichen, spritzigen Duft wahrnahm. Seine Haut begann zu prickeln. Er stieß sich schnell von der Theke ab und versperrte ihr den Weg, als sie an ihm vorbeigehen wollte. Adriana reagierte zunächst irritiert, doch dann blitzte sie ihn wütend an.
Gott, diese Augen sind so wunderschön, schoss es ihm durch den Kopf. Dieses klare, leuchtende Blau faszinierte ihn schon seit der Highschool. Damals lag immer eine tiefe Traurigkeit drin, eine Traurigkeit, die er nicht verstand. Jetzt glänzten sie aber vor Wut, Wut und Herausforderung. Ryan spürte deutlich, wie das Blut heiß und pulsierend in seine Leistengegend schoss. Bei Gott, er wollte nicht, dass sie ging. Er wollte seine Hand ausstrecken, sie an sich ziehen und küssen.
Sie versuchte erneut, an ihm vorbeizugehen. Die Chancen, sie aufzuhalten, schwanden rasant. Verzweifelt überlegte Ryan, wie er sie zum Bleiben überreden könnte. Da fiel sein Blick auf den Autoschlüssel in ihrer Hand.
„Okay, dann machen wir eben eine Spritztour mit deinem Flitzer“, schlug er vor und begab sich zum Ausgang.
Adriana starrte ihn an, als hätte er etwas total Wirres und Irres gesagt.
„Wie bitte?“, fragte sie verständnislos und ihr wurde bewusst, dass er ihr gerade den Schlüssel aus der Hand gerissen hatte. „Ich glaub es ja wohl nicht“, murmelte sie vor sich hin. „Ryan! Warte!“
Sie lief ihm hinterher.
„Wenn du unbedingt gehen willst, dann werde ich dich fahren. Du hast vorhin Wein getrunken, wenn ich mich recht erinnere“, sagte Ryan, während er sich im Gehen umdrehte und einige Schritte vor ihr rückwärts weiterlief. „Safety first, Süße“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Adriana wusste nicht, was sie davon halten sollte. Völlig irritiert starrte sie ihn an.
„Hey, Leute, ihr wollt doch nicht schon gehen“, ertönte plötzlich die polternde Stimme von Kane nicht weit von ihnen.
Adriana warf einen Blick über ihre Schulter. Er hatte zwei andere Mitschüler, Chloe Richardson und Paul Becks, im Schlepptau, als er näherkam. „Hier wird jetzt nicht Feierabend gemacht. Die Nacht ist noch jung und wir wollen durch die Clubs ziehen. Ihr seid auf jeden Fall dabei. Keine Widerrede!“, entschied er.
Ryan sah Adriana mit fragend angehobenen Augenbrauen an. In seinem entschlossenen Blick schimmerte ebenso Hoffnung, Erwartung und ein Hauch von Verzweiflung, denn sie wirkte immer noch so, als würde sie jeden Moment das Weite suchen wollen.
Adriana stellte fest, dass er mit seinen dunkelgrauen Augen, den kurzen dunkelblonden Haaren, die ihm widerspenstig in die Stirn fielen, schon irgendwie süß aussah. Wie ein kleiner Welpe, der gerade aus dem Körbchen gefallen war. Sie stieß seufzend die Luft aus.