Pittsburgh Titans: Callum

Ori­gi­nal­ti­tel: Cal­lum: A Pitts­burgh Ti­tans Novel
Über­set­zer: Oli­ver Hoff­mann

Er­schie­nen: 03/2025
Serie: Pitts­burgh Ti­tans
Teil der Serie: 12

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Sport Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Pitts­burgh


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-760-4
ebook: 978-3-86495-761-1

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

Pittsburgh Titans: Callum


In­halts­an­ga­be

Cal­lum wurde von den Pitts­burgh Ti­tans als Ma­na­ger ein­ge­stellt, um den Ver­ein nach einem ver­hee­ren­den Flug­zeug­ab­sturz wie­der auf­zu­bau­en. Nun, da er das Team wie­der auf Kurs ge­bracht hat, ist es an der Zeit, sich um sein ei­ge­nes Leben zu küm­mern.

Als ich den Job als Ma­na­ger bei den Ti­tans an­nahm, war das genau die Chan­ce, die ich brauch­te, um mich in der Eis­ho­ckey­welt zu be­wei­sen. Lei­der ist meine Kar­rie­re nicht der ein­zi­ge Be­reich, in dem ich in der Ver­gan­gen­heit Feh­ler ge­macht habe.

Ju­ni­per Ryan ist ... kom­pli­ziert. Sie ist klug, wit­zig und un­glaub­lich hübsch. Sie war nicht nur meine erste große Liebe, son­dern diese Liebe be­scher­te mir auch das erste Mal ein ge­bro­che­nes Herz. Alte Wun­den hei­len je­doch nie ganz, und so wird mein Ver­lust der Ge­winn mei­nes Stief­bru­ders, denn Ju­ni­per ist seit fünf Jah­ren seine Frau. Ich habe gut daran getan, sie aus mei­ner Er­in­ne­rung zu lö­schen. Aber als ich zu einem fa­mi­liä­ren Not­fall nach Hause rei­sen muss und die blau­en Fle­cken an Ju­ni­pers Kör­per sehe, bin ich ent­setzt, dass sie in die Arme eines Mons­ters ge­trie­ben wurde.

Ich schwö­re mir, un­se­re Ver­gan­gen­heit hin­ter mir zu las­sen und er­fah­re dunk­le Wahr­hei­ten über mei­nen Stief­bru­der und seine Ehe mit mei­ner Ju­gend­lie­be. Und was noch schlim­mer ist: Ich merke, dass die Ge­füh­le, die ich einst für Ju­ni­per hatte, gar nicht so ge­tilgt sind, wie ich glaub­te.

Als die Er­eig­nis­se eine ge­fähr­li­che Wen­dung neh­men, bin ich be­reit, mich in die Schuss­li­nie zu be­ge­ben, um mein Mäd­chen in Si­cher­heit zu brin­gen. Ich war jun­ger ein Idiot, als ich Ju­ni­per das erste Mal ver­ließ, doch ich bin heute ein Mann, der den­sel­ben Feh­ler kein zwei­tes Mal macht!

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Pitts­burgh Ti­tans Serie

Le­se­pro­be

Ju­ni­per

Das Mor­gen­licht, das durch das Fens­ter in der Ecke fällt, reicht aus, um meine schlech­te Laune zu ver­trei­ben. Ich stüt­ze die Ell­bo­gen auf den Tisch, halte meine Kaf­fee­tas­se vor den Mund und blase leicht dar­über, um das heiße Ge­tränk ab­zu­küh­len.
Ar­bei­ten gehen kann ich heute nicht. Egal, wie gut ich mich schmin­ke, ich kann weder den blau­en Fleck an mei­ner Schlä­fe noch die blau­en Fle­cken an mei­nem Hals ver­ber­gen. Letz­te­re stel­len ein­deu­tig vier Fin­ger und einen Dau­men dar, die mich ges­tern Abend ge­würgt haben, als Pres­ton heim­kam. Es ist zu warm für einen Roll­kra­gen­pull­over, und der Schal, den ich mir...

...​um den Hals ge­wi­ckelt habe, sieht blöd aus und ver­rutscht stän­dig.
Zum Glück sind Teile mei­ner Ar­beit rein ad­mi­nis­tra­ti­ver Natur, und ich kann sie mit einem Lap­top an mei­nem Kü­chen­tisch er­le­di­gen. Ich werfe einen Blick auf mei­nen Com­pu­ter­bild­schirm, der eine schö­ne Da­ten­bank zeigt, die ich er­stellt habe. Sie ent­hält die wö­chent­li­chen Spei­se­plä­ne, die ich zu­sam­men­ge­stellt habe, um Men­schen mit Er­näh­rungs­pro­ble­men an ge­sun­de Le­bens­mit­tel her­an­zu­füh­ren. Das vom Staat Ka­li­for­ni­en fi­nan­zier­te Pro­gramm, für das ich ar­bei­te, bie­tet drü­ben in mei­ner Hei­mat Ju­gend­för­der­pro­gram­me, psy­cho­so­zia­le Diens­te, Er­näh­rungs­be­ra­tung, Sport- und Er­zie­hungs­pro­gram­me, Al­pha­be­ti­sie­rungs­kur­se, Ar­beits­kräf­teent­wick­lung, Un­ter­stüt­zung bei der Woh­nungs­su­che und Ver­tei­lung von Le­bens­mit­teln an ein­kom­mens­schwa­che Fa­mi­li­en.
Ich komme aus Kings Beach, das nur acht Ki­lo­me­ter west­lich an der ka­li­for­ni­schen Nord­sei­te des Lake Tahoe liegt. Die Leute dort sind nicht an­nä­hernd so wohl­ha­bend wie hier in Ne­va­da, wo alle öf­fent­li­chen Strän­de für die Tou­ris­ten sind. Es ist meine Hei­mat­stadt, und das ist der Grund, warum ich mich ent­schie­den habe, für ein Pro­gramm zu ar­bei­ten, das dort tätig ist und nicht hier, wo mein Mann und mein Stief­va­ter her­kom­men.
Zu mei­nen Auf­ga­ben ge­hört vor allem Er­näh­rungs­be­ra­tung in Schu­len und Pfle­ge­hei­men sowie für ge­fähr­de­te Fa­mi­li­en. Au­ßer­dem ent­wick­le ich über die ört­li­chen Park- und Er­ho­lungs­äm­ter Be­we­gungs­pro­gram­me für ein­kom­mens­schwa­che Fa­mi­li­en.
Ich liebe mei­nen Job. Um ehr­lich zu sein ret­tet er mei­nen Ver­stand, und ich bin am Boden zer­stört, weil ich hier in die­sem Ge­fäng­nis fest­sit­ze, bis die blau­en Fle­cken ver­schwun­den sind. Als ich es heute Mor­gen ge­wagt habe, mich dar­über zu be­schwe­ren, hat Jos­hua mich nur aus­ge­lacht. Es ist ihm egal, ob ich zur Ar­beit gehen kann. Wenn es nach ihm ginge, würde ich hier­blei­ben, um ihm und sei­nem Vater als bes­se­re Haus­häl­te­rin zu die­nen, zumal Lila mit ihrer Ar­thri­tis nicht mehr viel tun kann. Ich habe noch nie zuvor zwei so mi­so­gy­ne Män­ner ken­nen­ge­lernt. Hinzu kommt, dass sie ab­scheu­li­che Men­schen ohne jeden mo­ra­li­schen Kom­pass sind, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass mein Leben in­zwi­schen ziem­lich be­schis­sen ist.
Aber ich darf mich nicht be­kla­gen. Es ist meine ei­ge­ne gott­ver­damm­te Schuld, dass ich auf Jos­huas Lügen her­ein­ge­fal­len bin, und jetzt sitze ich hier fest, weil ich einen Pakt mit dem Teu­fel ge­schlos­sen habe.
Mein Blick schweift wie­der aus dem Fens­ter an der West­sei­te. Das An­we­sen der Wil­lards liegt di­rekt am See, und Lila hat über acht­tau­send Qua­drat­me­ter roden las­sen und ihre Zeit damit ver­bracht, Gär­ten an­zu­le­gen. Es ist so schön, dass ich mich darin ver­lie­ren könn­te, ewig dort hin­aus­zu­star­ren. Ich finde den An­blick viel fried­li­cher als das Was­ser selbst.
Das Klin­geln der Alarm­an­la­ge reißt mich aus mei­nem Glücks­ge­fühl, und mein Puls schießt in die Höhe, weil ich an­neh­me, dass Pres­ton aus ir­gend­ei­nem Grund nach Hause kommt. Er ist keine Ge­fahr für mich, aber er ist ein Arsch­loch und ge­mein wie eine Hor­nis­se. Ich weiß, dass es nicht Jos­hua ist, denn er ist heute Mor­gen nach Las Vegas ge­flo­gen, und ich werde drei ge­seg­ne­te Tage ohne ihn haben.
Lang­sam er­he­be ich mich von mei­nem Stuhl und gehe zu dem Bild­schirm an der Wand an der Tür zum Ab­stell­raum. Das Si­cher­heits­tor schwingt auf, und ein wei­ßes vier­tü­ri­ges Auto, das ich nicht kenne, fährt hin­durch. Es sind weder Pres­ton noch Jos­hua, und es ist auch nicht das Rei­ni­gungs­per­so­nal, das drei­mal pro Woche kommt, was Sinn er­gibt, denn heute ist kein Rei­ni­gungs­tag. Ganz si­cher sind es nicht die Land­schafts­gärt­ner – die waren ges­tern mit ihren drei gro­ßen Lkw hier, um Lilas Gär­ten zu pfle­gen.
Es gibt nur eine wei­te­re Per­son auf der Welt, die den Code für das Tor hat, und ich bin ver­blüfft, dass sie ihn be­nutzt. Cal­lum war seit sei­nem Col­le­ge-Ab­schluss nicht mehr in die­sem Haus, was nicht heißt, dass er Lila nicht ge­se­hen hat. Er über­nach­tet aber immer im Hotel.
Meine Hand wan­dert un­be­wusst zu mei­ner Schlä­fe und fährt über den Blut­er­guss, wäh­rend ich be­ob­ach­te, wie sein Auto die Ein­fahrt her­auf­kommt. Zö­gernd be­rüh­re ich den Schal um mei­nen Hals und merke, dass ich einen Blick in den Spie­gel wer­fen muss. Ich eile ins Bad, dra­pie­re meine Haare mehr über meine Schlä­fe und fä­che­re sie mit den Fin­gern auf. Dann drehe ich den Schal so, dass der Kno­ten auf der Seite mei­nes Hal­ses liegt, wo keine Hä­ma­to­me sind, und ziehe den Stoff über die Vor­der­sei­te, um die blau­en und lila Fle­cken zu ver­de­cken. So­lan­ge ich den Kopf ruhig und den Hals ge­ra­de halte, soll­te der Schal nicht ver­rut­schen.
Es klin­gelt, und ich igno­rie­re das wahn­sin­ni­ge Po­chen mei­nes Her­zens. Es wird zu glei­chen Tei­len von der Angst ver­ur­sacht, dass Cal­lum die Wahr­heit über mein Leben er­fah­ren könn­te, und von einer selt­sa­men Er­re­gung, weil ich den Mann sehen werde, den ich so sehr liebe.
Aber er hat dir das Herz ge­bro­chen. Ver­giss das nie.
Ich atme tief durch und gehe ruhig durch den gro­ßen Raum zu den mas­si­ven Flü­gel­tü­ren aus Kie­fern­holz. Als ich den lin­ken Flü­gel öffne, sehe ich Cal­lum, der mit dem Rü­cken zu mir steht und auf den Vor­gar­ten hin­aus­schaut.
Er dreht sich um, und ich schwö­re, er wirkt ein wenig ent­täuscht, mich dort ste­hen zu sehen. Aber mich durch­fährt ein Krib­beln, weil er trotz des Stirn­run­zelns so gut aus­sieht.
„Pres­ton und Jos­hua sind nicht hier“, sage ich, da er of­fen­sicht­lich nicht hier ist, um mich zu be­su­chen.
„Ich habe nicht nach ihnen ge­sucht. Ei­gent­lich hatte ich ge­hofft, dass nie­mand zu Hause ist.“
Ich runz­le die Stirn über diese kryp­ti­sche Aus­sa­ge. „Was machst du dann hier?“
„Schnüf­feln“, sagt er so sach­lich, dass ich fast nicht glau­be, dass ich ihn rich­tig ver­stan­den habe. Doch bevor ich fra­gen kann, fügt er hinzu: „Ich möch­te mir die hin­te­re Ter­ras­se an­se­hen und her­aus­fin­den, wo meine Mut­ter hin­ge­fal­len ist. Das er­gibt für mich kei­nen Sinn.“
„Und du hast an der Tür ge­klin­gelt, um zu sehen, ob je­mand zu Hause ist, damit du nicht er­wischt wirst“, ver­mu­te ich.
„Es ist mir scheiß­egal, ob ich er­wischt werde“, sagt Cal­lum mit säu­er­li­cher Miene. „Ich habe das glei­che Recht, hier zu sein, wie jeder an­de­re auch. Ich woll­te nur nie­man­den er­schre­cken und er­schos­sen wer­den.“
Ich kann mir ein Lä­cheln nicht ver­knei­fen. „Ich hätte nicht auf dich ge­schos­sen.“ Ich trete von der Tür zu­rück und mache eine stum­me Geste der Be­grü­ßung mit mei­nem Arm. „Nur zu, sieh dich um.“
Cal­lum tritt über die Schwel­le, geht selbst­be­wusst durch den gro­ßen Raum und nimmt die ex­tra­brei­te, aber sanft ge­schwun­ge­ne Wen­del­trep­pe hin­un­ter in den Kel­ler. Das Wil­lard-Haus liegt auf einem er­höh­ten Grund­stück, und die hin­te­re Ter­ras­se er­streckt sich vom un­te­ren Stock­werk bis in den Gar­ten.
Auf dem Weg nach unten fragt er: „Warst du hier, als es pas­siert ist?“
„Ich war auf der Ar­beit, aber Pres­ton hat mich an­ge­ru­fen, nach­dem der Kran­ken­wa­gen weg war. Ich bin so­fort ins Kran­ken­haus ge­fah­ren.“
„War Jos­hua hier?“, fragt Cal­lum.
„Das war er“, ant­wor­te ich, ohne zu zö­gern. Ich habe nichts zu ver­ber­gen, und wenn Cal­lum einen Ver­dacht wegen der Ver­let­zung sei­ner Mut­ter hat, liegt er wahr­schein­lich nicht falsch. Jos­hua hat sein miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten von sei­nem Vater ge­lernt.
Frü­her ver­trau­te er mir immer seine Sor­gen dar­über an, was in die­sem Haus hin­ter ver­schlos­se­nen Türen vor sich ging. Ich wuss­te, dass Lila die­sel­ben blau­en Fle­cken hatte wie die, die ich jetzt ver­de­cke, und es brach mir das Herz, zu sehen, wie hilf­los sich Cal­lum fühl­te, weil seine Mut­ter nie etwas zu­ge­ben würde.
Ich weiß aber, was er ge­se­hen hat. Als ich Jos­hua ge­hei­ra­tet habe und in die­ses Haus ein­zog, hörte ich die glei­chen Strei­te­rei­en zwi­schen Pres­ton und Lila hin­ter ver­schlos­se­nen Türen. Ich sah die blau­en Fle­cken und die lu­xu­riö­sen Ge­schen­ke zur Ent­schul­di­gung, und am be­un­ru­hi­gends­ten war, wie sie strahl­te, nach­dem sie diese Ge­schen­ke er­hal­ten hatte – zu­sam­men mit einem für ein paar Wo­chen ver­narr­ten Ehe­mann.
Ich hätte nie ge­dacht, dass mir das auch ir­gend­wann pas­sie­ren würde.
Nun, es ist nicht ganz das­sel­be. Ich nehme Jos­huas Ge­schen­ke nicht an, und es gibt kein Nach­glü­hen nach sei­nen Ent­schul­di­gun­gen. Zum Teu­fel, heut­zu­ta­ge … ent­schul­digt er sich nicht mal mehr. Er ist nur noch scha­den­froh.
Cal­lum ent­rie­gelt und öff­net die Flü­gel­tür, die auf die schwar­zen Schie­fer­stei­ne führt, mit denen der In­nen­hof ge­fliest ist. Die Ter­ras­se des Haupt­ge­schos­ses liegt über ihm und be­schat­tet den Be­reich. Er über­quert zwei klei­ne Stu­fen und starrt dann auf die Stel­le, an der Lila ge­stürzt ist. Ich meine, er kann nicht wis­sen, dass es die ge­naue Stel­le ist – nicht ein­mal ich weiß das – aber Pres­ton sagte, dass es so aus­sieht, als sei sie die Stu­fen hin­un­ter­ge­fal­len. Die gan­zen Ter­ras­sen­mö­bel ste­hen wei­ter weg, an denen hat sie sich nicht ge­sto­ßen.
Ich be­ob­ach­te von der Tür aus, wie er sich um­schaut. Er legt den Kopf in den Na­cken und rich­tet den Blick auf eine der vie­len Si­cher­heits­ka­me­ras, die auf dem Grund­stück in­stal­liert sind. Pres­ton ist fast pa­ra­no­id, wenn es darum geht, das zu schüt­zen, was ihm ge­hört, und es gibt nicht nur drau­ßen, son­dern auch in den Haupt­wohn­be­rei­chen Ka­me­ras.
„Mir scheint“, mur­melt Cal­lum, des­sen Augen auf die Ka­me­ra ge­rich­tet sind, „dass ich end­lich her­aus­fin­den kann, was pas­siert ist.“ Dann rich­tet er seine Auf­merk­sam­keit auf mich. „Weißt du, wie man auf die Über­tra­gung zu­greift?“
Ich schlu­cke schwer und nicke. Ich denke nicht daran, zu lügen, weil das nicht in mei­ner Natur liegt, doch ich will mich nicht ein­mi­schen. Jos­hua wird schon wü­tend sein zu er­fah­ren, dass ich Cal­lum ins Haus ge­las­sen habe, aber wenn ich ihn zu mög­li­cher­wei­se be­las­ten­den Be­wei­sen füh­ren würde …
Ein Schau­er über­läuft mei­nen gan­zen Kör­per, und Cal­lum be­merkt es. „Was ist los?“
„Nichts“, murm­le ich. „Ich bin mir nicht si­cher, ob Pres­ton mich …“
Cal­lum be­wegt sich schnell, legt mir die Hand auf den Arm. „Ju­ni­per … du wohnst in die­sem Haus, also weißt du, dass meine Mut­ter höchst­wahr­schein­lich durch Pres­tons Hand schwer ver­letzt wurde. Wie kannst du mir nicht hel­fen?“
Mein Magen dreht sich um, weil er recht hat … wie könn­te ich nicht? Ich würde viel­leicht nicht aktiv nach der Wahr­heit su­chen, weil mir klar ist, dass Lila so­wie­so nie etwas un­ter­neh­men würde, aber ihr Sohn ist eine an­de­re Sache. Cal­lum wird die Dinge selbst in die Hand neh­men und für Ge­rech­tig­keit sor­gen, und aus ir­gend­ei­nem Grund stört mich das nicht.
Ich drehe mich um und gehe die Trep­pe wie­der hin­auf. Ich höre, wie Cal­lum die Tür schließt und ver­rie­gelt, dann folgt er mir.
Neben Pres­tons Büro be­fin­det sich ein klei­ner Raum, in dem die ge­sam­te IT-Au­to­ma­ti­sie­rungs­aus­rüs­tung für das Haus un­ter­ge­bracht ist. Dort steht ein klei­ner Schreib­tisch mit einem Ser­ver und einem Com­pu­ter, der das Si­cher­heits­sys­tem steu­ert.
„Hast du die Zu­gangs­da­ten?“, fragt Cal­lum und folgt mir hin­ein, nach­dem ich das Ne­on­licht ein­ge­schal­tet habe.
„Ja. Ich ar­bei­te manch­mal von zu Hause aus und muss­te das Sys­tem schon das eine oder an­de­re Mal neu star­ten.“
Cal­lum zieht den Stuhl für mich her­vor, und ich lasse mich dar­auf nie­der. Er kommt mir viel zu nah, als er eine Hand auf die Rü­cken­leh­ne und die an­de­re auf die Ecke des Schreib­tischs legt und sich über mich beugt, wäh­rend ich mich in das Si­cher­heits­pro­gramm ein­log­ge.
Ich habe noch nie ver­sucht, auf die ge­spei­cher­ten di­gi­ta­len Da­tei­en zu­zu­grei­fen, aber das Pro­gramm ist ziem­lich in­tui­tiv be­dien­bar, und mit ein paar Klicks bin ich in den rich­ti­gen Ord­nern. Ich wähle den Ord­ner von ges­tern, da ich weiß, dass die di­gi­ta­len Da­tei­en in Schrit­ten von einer Stun­de ge­spei­chert wer­den.
Als sich der Ord­ner öff­net, er­schre­cke ich. „Er ist leer.“
„Schei­ße“, knurrt Cal­lum. „Geh zum Tag davor.“
Ich schlie­ße die­sen Ord­ner und öffne den von ihm er­wähn­ten Ord­ner. Und da sind sie, die Da­tei­en. Er bit­tet mich nicht ein­mal darum, aber ich öffne ein paar wei­te­re Ord­ner, und die Vi­de­os sind alle da.
Der ein­zi­ge leere ist der von dem Tag, an dem Lila ver­letzt wurde.
„Was denkst du?“, fragt Cal­lum, und ich drehe mei­nen Kopf, um ihn an­zu­se­hen. Wir sind uns so nah, dass er mich küs­sen könn­te, wenn er sich ein paar Zen­ti­me­ter nach vorne leh­nen würde.
Nicht, dass ich das je­mals zu­las­sen würde, und nicht, dass er es woll­te.
Seine Augen sind be­un­ru­higt und fle­hen um eine Ant­wort. Er möch­te, dass ich be­stä­ti­ge, was er denkt. Die Tat­sa­che, dass die Da­tei­en ge­löscht wur­den, ist der Be­weis, dass etwas Schänd­li­ches pas­siert ist.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich habe Angst, es laut aus­zu­spre­chen, aber das spielt keine Rolle, denn seine Auf­merk­sam­keit ist von etwas an­de­rem ge­fes­selt.
Sein Blick wan­dert über meine Schlä­fe, und ich merke, dass ich mein Haar un­wis­sent­lich zu­rück­ge­stri­chen habe, als ich die Maus herum­ma­nö­vriert habe. Mit zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Augen beugt er sich näher heran, um den blau­en Fleck unter dem Ma­ke-up zu un­ter­su­chen.
Ich strei­che mein Haar mit den Fin­ger­spit­zen nach vorn und ver­su­che, mich von ihm ab­zu­wen­den. Seine Hand um­klam­mert mein Hand­ge­lenk und zieht es nach unten. Mit der an­de­ren Hand schiebt er mein Haar zu­rück und mus­tert ein­ge­hend mein Ge­sicht.
„Steh auf“, sagt er mit einem dunk­len Knur­ren.
„Was? Nein.“
Er nutzt seine He­bel­wir­kung und zieht mich aus dem Stuhl. Nicht grob; sein Griff um mein Hand­ge­lenk wird nicht fes­ter. Es ist ein sanf­tes Zie­hen, dem ich nach­ge­be.
„Wir hat­ten zwar in den letz­ten Jah­ren kei­nen engen Kon­takt“, mur­melt er nach­denk­lich, und sein Blick wan­dert zu dem Schal um mei­nen Hals, „aber du bist nicht der Typ, der so etwas trägt.“
Bevor ich auch nur daran den­ken kann zu­rück­zu­zu­cken, zieht er den Stoff her­un­ter und legt die blau­en Fle­cken an mei­nem Hals frei.
„Was zum Teu­fel ist das?“, fragt er so laut, dass man es ge­ra­de noch nicht als Schrei­en be­zeich­nen kann.
Dies­mal reiße ich mich los und schie­be mich hin­ter den Stuhl, um Ab­stand zwi­schen uns zu brin­gen. „Das geht dich nichts an“, stot­te­re ich.
„Oh doch, ver­dammt“, knurrt er und greift nach mei­nem Hand­ge­lenk, ver­mut­lich, um mich für einen wei­te­ren Blick näher her­an­zu­zie­hen.
Ich er­schre­cke, denn bei Jos­hua folgt auf eine sol­che Be­we­gung nor­ma­ler­wei­se ein Schlag. In mei­nem Her­zen weiß ich, dass Cal­lum das nie tun würde. Er neigt über­haupt nicht zur Ge­walt­tä­tig­keit, aber ich reiße die Arme hoch, um mein Ge­sicht zu schüt­zen.
Cal­lum flucht vor sich hin, als er meine Re­ak­ti­on sieht, und bleibt ste­hen. Doch er lässt mich nicht los. Statt­des­sen streckt er die an­de­re Hand aus und schließt sie sanft um meine. „Komm mit.“
Er zieht mich mit sich, und meine Beine be­we­gen sich. Ich folge ihm aus purem Ver­trau­en in den Mann, den ich einst ge­liebt habe. „Wohin?“
„Reden“, sagt er. „Of­fen­bar muss ich mich dar­über in­for­mie­ren, was in der Fa­mi­lie Wil­lard so läuft.“

Cal­lum

„Wohin gehen wir?“, fragt Ju­ni­per, als ich sie aus dem IT-Raum führe.
„In mein Hotel.“
„Ich gehe nicht mit in dein Hotel“, sagt sie und zieht die Hand weg.
Mit einem stra­fen­den Blick drehe ich mich zu ihr um. „Ich werde nichts Un­an­ge­mes­se­nes tun, falls du dir dar­über Sor­gen machst. Es geht nur darum, dass wir uns in Ruhe un­ter­hal­ten kön­nen, und ich habe eine große Suite.“
Sie ver­dreht die Augen, wie sie es in un­se­rer Ju­gend oft getan hat. Ju­ni­per si­gna­li­sier­te damit frü­her, dass ich wie­der mal Quatsch ge­re­det habe, und ich habe es ge­liebt, diese Re­ak­ti­on her­vor­zu­ru­fen. „Ich weiß, dass du nichts Un­an­ge­mes­se­nes tun wür­dest“, wie­der­holt sie meine For­mu­lie­rung ge­dehnt. „Schließ­lich will kei­ner von uns bei­den was vom an­de­ren. Aber dies ist eine klei­ne Stadt, und die Wil­lards sind ein­fluss­rei­che Leute. Wenn ich mit dir in die­ses Hotel gehe, weiß Jos­hua in­ner­halb einer Stun­de Be­scheid.“
„Warum soll­te dich das in­ter­es­sie­ren?“, kon­te­re ich bis­sig und hebe eine Au­gen­braue.
„Weil ich keine Lust habe, sein Box­sack zu sein. Er ist wahn­sin­nig ei­fer­süch­tig auf dich.“
Das ist ein har­ter Schlag, und ich zucke hef­tig zu­sam­men. Rohe Wut durch­strömt mich, das­sel­be Bren­nen, das ich noch vor einer Mi­nu­te ver­spür­te, als ich er­kann­te, woher diese blau­en Fle­cken stam­men, die ich ge­se­hen habe. Im Ge­gen­satz zu mei­ner Mut­ter ver­sucht Ju­ni­per nicht, ihre Her­kunft zu leug­nen, und ich muss mit aller Macht den Wunsch un­ter­drü­cken, Jos­hua zu töten.
Doch das muss war­ten. „Du glaubst ja wohl nicht, dass ich dich in die­sem Haus blei­ben lasse, Juni. Das kommt nicht in­fra­ge. Du wirst so­fort deine Sa­chen pa­cken und gehen.“
Ich bin fas­sungs­los, als sie zu­rück­weicht und ab­weh­rend beide Hand­flä­chen aus­streckt. „Das geht nicht.“
„Oh, und wie das geht“, blaf­fe ich. „Jos­hua wird dich nie mehr an­rüh­ren. Du ziehst jetzt auf der Stel­le hier aus.“
„Das geht nicht“, be­harrt sie.
„Doch, das geht“, knur­re ich. „Ich brin­ge dich an einem si­che­ren Ort unter, bis wir eine bes­se­re Lö­sung ge­fun­den haben.“
„Du hörst mir nicht zu“, schreit Ju­ni­per frus­triert und fährt sich mit den Fin­gern durch die Haare, ehe sie die Hände aus­brei­tet. „Ich sitze hier fest. Nicht frei­wil­lig, son­dern wegen der Um­stän­de.“
„Was meinst du damit?“, frage ich zö­gernd.
„Mein Vater“, flüs­tert sie. „Er ist in einer tol­len Ein­rich­tung hier in In­cli­ne Vil­la­ge. Man pflegt ihn dort rund um die Uhr lie­be­voll. Er ist sehr gut ver­sorgt, aber ich kann sie mir nicht leis­ten. Wenn ich Jos­hua ver­las­se, kommt mein Vater in die nächst­ge­le­ge­ne staat­li­che Ein­rich­tung, die über hun­dert­acht­zig Ki­lo­me­ter ent­fernt ist, und die ist eine Müll­hal­de, Cal­lum. Ich habe sie mir an­ge­se­hen, weil ich meine Al­ter­na­ti­ven ab­ge­wo­gen habe. Aber ich kann ihn nicht mit gutem Ge­wis­sen dort un­ter­brin­gen. Also sitze ich mit Jos­hua in die­sem Höl­len­loch fest, bis ent­we­der mein Vater stirbt oder …“
„Oder du. Denn du wirst enden wie meine Mut­ter, wenn du nicht einen Schluss­strich ziehst.“
„Du hast ja recht“, seufzt sie ver­zwei­felt. „Bitte … du bist immer noch die Per­son, die mich am bes­ten kennt … du musst wis­sen, dass ich gehen würde, wenn ich könn­te.“
„Warum zum Teu­fel hast du ihn über­haupt ge­hei­ra­tet?“, schreie ich vol­ler Wut und Frus­tra­ti­on, nicht nur wegen der Schei­ße, die hier ge­ra­de läuft, son­dern auch wegen des Schmer­zes, Ju­ni­per vor fünf­zehn Jah­ren ver­lo­ren zu haben.
Sie zuckt zu­sam­men, ihr Ge­sicht ist scham­ver­zerrt. „Du hast ja keine Ah­nung.“
Ich reibe mir auf­ge­regt mit der Hand das Kinn, denn jetzt ist nicht der rich­ti­ge Zeit­punkt, um un­se­re ka­put­te Ver­gan­gen­heit auf­zu­ar­bei­ten. Ich muss Ju­ni­per in Si­cher­heit brin­gen.
„Geh ein paar Sa­chen pa­cken“, sage ich, wäh­rend ich mein Handy zücke.
„Ich sagte doch, ich kann nicht …“
„Juni, ich küm­me­re mich jetzt so­fort um dei­nen Vater.“ Ju­ni­per bleibt un­gläu­big der Mund offen ste­hen. „Er wird die glei­che, wenn nicht sogar eine bes­se­re Pfle­ge be­kom­men, was be­deu­tet, es gibt für dich kei­nen Grund, hier­zu­blei­ben. Ich brin­ge dich in einem Hotel unter, und du setzt kei­nen Fuß mehr in die­ses Haus, ver­stan­den?“
Ju­ni­per ist vor Schreck wie er­starrt.
„Juni“, sage ich etwas lei­ser und nicke Rich­tung Trep­pe. „Bitte … geh deine Sa­chen pa­cken. Ver­trau mir ein­fach, ja?“
Ich dach­te, mein Herz wäre immun gegen diese Frau, aber ich muss zu­ge­ben, es schmerzt, wenn ich sehe, wie ver­lo­ren sie ist. Sie sieht sich in dem gro­ßen Raum um, in dem wir uns ge­strit­ten haben, und ist kom­plett ver­un­si­chert. Ich kann sie nicht noch mehr be­ru­hi­gen, als ich es schon getan habe. Sie muss dar­auf ver­trau­en, dass ich mich um sie und ihren Vater küm­mern werde.
Schließ­lich nickt sie leicht, und ich freue mich, dass sie die Schul­tern strafft. „Okay, gib mir fünf­zehn Mi­nu­ten.“
„Nimm dir Zeit. Ich werde ein paar Te­le­fo­na­te füh­ren, um die Dinge ins Rol­len zu brin­gen.“ Als sie die Trep­pe hin­auf­geht, folge ich ihr, und sie sieht mich fra­gend über die Schul­ter an. „Ich brau­che dich in der Nähe, damit du mir sagen kannst, wo dein Vater ist. Und du musst der Ein­rich­tung die Er­laub­nis geben, dass ich mich um die Vor­be­rei­tun­gen küm­mern darf.“
„Okay“, flüs­tert sie.
Ich kenne das Haus gut. Ju­ni­per biegt gleich am Trep­pen­ab­satz in den Ost­flü­gel ab, wo Jos­hua und ich un­se­re Zim­mer hat­ten. Es waren rie­sen­gro­ße Sui­ten mit ei­ge­nen Bä­dern. Ich bin be­stürzt, dass sie nicht in Jos­huas Zim­mer geht, son­dern in mein altes.
Als wir ein­tre­ten, sehe ich, dass es kom­plett um­ge­stal­tet ist. Es schreit nicht ge­ra­de nach Weib­lich­keit, aber die creme­far­be­nen und sal­bei­grü­nen Ak­zen­te ver­ra­ten mir, dass dies Ju­ni­pers Zim­mer ist, und zwar ihres al­lein.
In­ter­es­sant … sie und Jos­hua haben ge­trenn­te Schlaf­zim­mer.
Ich kom­men­tie­re das nicht, son­dern frage sie nach der Ein­rich­tung, in der ihr Vater ist. Dann suche ich die Num­mer her­aus und rufe an. Ich brau­che keine fünf Mi­nu­ten, um den Di­rek­tor ans Te­le­fon zu be­kom­men, und nach einem kur­zen Ge­spräch, in dem Ju­ni­per mir die Er­laub­nis gibt, in Ver­tre­tung ihres Va­ters zu han­deln, lasse ich die ge­sam­te Rech­nung auf mei­nen Namen aus­stel­len. Au­ßer­dem gebe ich die strik­te An­wei­sung, dass Jos­hua und Pres­ton Wil­lard Coy Ryan nicht be­su­chen dür­fen.
Meine Bli­cke fol­gen Ju­ni­per durchs Zim­mer, wäh­rend sie me­tho­disch ihre Schub­la­den und Schrän­ke durch­wühlt, um zwei große Kof­fer zu pa­cken. Sie kann nicht alles mit­neh­men, aber ich werde ihr alles neu kau­fen, was sie braucht.
Ich bin am Te­le­fon, um ihr ein Zim­mer in mei­nem Hotel zu re­ser­vie­ren, als ich sehe, wie sie ins an­gren­zen­de Ba­de­zim­mer geht. Fas­sungs­los be­ob­ach­te ich, wie sie sich das Ge­sicht wäscht und das star­ke Ma­ke-up ent­fernt, das sie ge­tra­gen hat, um die blau­en Fle­cken zu ver­de­cken. Sie zieht den Schal ab und wirft ihn in den Müll­ei­mer, und ich habe das Ge­fühl, ge­ra­de die Ge­burt einer neuen Ju­ni­per Ryan mit­er­lebt zu haben.
Bis sie ihre Sa­chen ge­packt hat, habe ich ihr ein Ho­tel­zim­mer ge­bucht und die Schwes­tern­sta­ti­on an­ge­ru­fen, um mich nach mei­ner Mut­ter zu er­kun­di­gen. Nach­dem ich Ju­ni­per ins Hotel ge­bracht und Pres­ton aus­rei­chend Zeit für einen Be­such ge­las­sen habe, werde ich wie­der hin­fah­ren.
Ich muss zwei­mal gehen, um ihre Ta­schen zum Auto zu brin­gen, dann las­sen wir das Wil­lard-An­we­sen hin­ter uns. Ju­ni­per wirft einen Blick über die Schul­ter, ehe wir um eine Kurve in der Ein­fahrt bie­gen … hof­fent­lich ein letz­ter Blick auf ihr Ge­fäng­nis.
Als wir ge­mein­sam das Bou­tique-Ho­tel be­tre­ten, in dem ich wohne, sagt Ju­ni­per kein Wort. Ich gebe dem Pagen einen Fünf­zi­ger, damit er mein Auto parkt, und nehme ihr Ge­päck. Es dau­ert nicht lange, bis sie ein­ge­checkt und ihr Zim­mer be­zo­gen hat. Ich hatte aus Si­cher­heits­grün­den um ein Zim­mer di­rekt neben mei­nem ge­be­ten, aber das Beste, was ich be­kom­men konn­te, war eines im sel­ben Stock­werk, drei Türen wei­ter. Zu­nächst brin­ge ich sie in meine Suite, wo ich uns einen Kaf­fee ko­chen kann, wäh­rend wir Dinge klä­ren.
So­bald sie mit einer damp­fen­den Tasse in der Hand auf der Couch sitzt, nehme ich in einem der Oh­ren­ses­sel Platz. Ich igno­rie­re mei­nen Kaf­fee – es ist an der Zeit, her­aus­zu­fin­den, wie Ju­ni­per in diese Si­tua­ti­on ge­ra­ten ist. Nach­dem wir uns ge­trennt hat­ten, habe ich ver­sucht, nicht zu­rück­zu­bli­cken. Es war schmerz­haft, sie gehen zu las­sen, doch ich konn­te ihr Ul­ti­ma­tum nicht ak­zep­tie­ren, und ob­wohl ich es spä­ter sehr be­dau­er­te, konn­te ich nichts mehr än­dern, da sie in­zwi­schen Jos­huas Frau war.
Das ist etwas, was ich nie ver­ste­hen werde, al­ler­dings scheint es, als hät­ten wir eine Menge zu be­spre­chen, also fange ich damit an. „Ich be­grei­fe nicht, wie du je­man­den wie Jos­hua hei­ra­ten konn­test“, sage ich ganz offen. „Du bist nicht der Typ, der sich her­um­schub­sen lässt, Ju­ni­per.“
Sie er­rö­tet, und ich fühle mich schlecht, weil ich ihr Un­be­ha­gen be­rei­te, aber ich muss sie ver­ste­hen. Ihr Blick fällt auf die Tasse in ihren Hän­den. „Am An­fang war er nicht ge­walt­tä­tig. Eher das ge­naue Ge­gen­teil.“ Ju­ni­per hebt den Blick und sieht mich an. „Er war da, als du nicht da warst, nett, trös­tend und lieb. Nach­dem meine El­tern ver­un­glückt waren, war Jos­hua für mich da, so wie ich es brauch­te.“
Schei­ße … das war ein Schlag ins Ge­sicht. Es war furcht­bar für mich, nach Hause zu kom­men, um zu Oli­vi­as Be­er­di­gung zu gehen. Aber Ju­ni­per gleich nach un­se­rer Tren­nung mit mei­nem Bru­der zu sehen, war wahr­schein­lich das Schlimms­te, was ich je durch­ge­macht habe.
„Er ist über­haupt nicht aus­fäl­lig ge­wor­den?“, drin­ge ich in sie. Denn sol­che Ver­hal­tens­mus­ter kann man nicht ver­ber­gen.
„Jos­hua hatte nie ein böses Wort für mich, bis wir ge­hei­ra­tet haben“, sagt sie mit un­er­schro­cke­ner Of­fen­heit. „Aber nach der Hoch­zeit … hat sich alles ge­än­dert.“
„Warum hast du mir nichts ge­sagt?“, frage ich.
Ju­ni­per lacht. „Es ging dich nichts an, Cal­lum. Du hast mir den Lauf­pass ge­ge­ben, er­in­nerst du dich? Du warst nicht be­reit, dich zu bin­den, also warum soll­te ich aus­ge­rech­net zu dir kom­men und um Hilfe bit­ten?“
„So ein­fach war das nicht, Juni“, mahne ich. „Ich habe dich ge­liebt, woll­te etwas Fes­tes. Aber ich woll­te war­ten, bis ich einen Job im Fron­tof­fice hatte, bevor ich es of­fi­zi­ell mache.“
„Blöd­sinn“, ant­wor­tet sie ohne Groll. Es klingt trau­rig und leise. „Du hät­test mich gleich mit­neh­men kön­nen, als du dei­nen ers­ten Job nach dem Col­le­ge an­ge­tre­ten hast.“
„Es wäre zu hart für dich ge­we­sen“, er­in­ne­re ich sie an den alten Streit, den wir immer wie­der auf­wärm­ten. „Ich war dau­ernd auf Rei­sen. Du wärst stän­dig ein­sam ge­we­sen.“
„Ich war ein­sam“, schnauzt sie, und ihre Augen lo­dern wie Feuer. „Weil du mich zu­rück­ge­las­sen hast. Aber die ganze Zeit hatte ich Jos­hua zum Freund. Er hat mir bei­ge­stan­den. Mir Mut ge­macht. Nach dem Un­fall meine Hand ge­hal­ten.“
„Zwei­fel­los hat er dir auch ein­ge­flüs­tert, mir ein Ul­ti­ma­tum zu stel­len“, brum­me ich.
Sie er­rö­tet wie­der, und ich weiß, dass ich den Nagel auf den Kopf ge­trof­fen habe. Ich ver­mu­te schon lange, dass er Juni gegen mich auf­ge­hetzt hat, und ihre Re­ak­ti­on be­stä­tigt es.
„Nichts davon spielt eine Rolle.“ Sie sieht über alle Maßen er­schöpft aus. „All das liegt in der Ver­gan­gen­heit, und jetzt muss ich mir über­le­gen, was meine Zu­kunft bringt. Jos­hua wird mich nicht ein­fach so gehen las­sen.“
„Was meinst du damit?“ Ich beuge mich zu ihr, die Ell­bo­gen auf den Knien. „Dein Vater ist ver­sorgt. Ich werde die Pfle­ge­heim-Rech­nun­gen be­zah­len …“
„Das geht nicht …“
Ich hebe die Hand. „Das geht, und das werde ich. Ich habe aus­rei­chend Geld. Du musst dich nur von die­sem Bas­tard schei­den las­sen.“
Ju­ni­per stellt ihren Kaf­fee auf den Bei­stell­tisch und presst die Fin­ger­spit­zen gegen den Na­sen­rü­cken, als woll­te sie Kopf­schmer­zen be­kämp­fen. „Du ver­stehst das nicht. Jos­hua ist … be­sitz­er­grei­fend, was mich an­geht. Ich bin mir ziem­lich si­cher, dass er mich hasst, aber er wird mich nicht kampf­los gehen las­sen.“
„Er hat nichts zu sagen. Wenn du dich schei­den las­sen willst, dann lass dich schei­den. Da gibt es keine Dis­kus­si­on.“
„Das sagst du“, ant­wor­tet sie ab­wei­send und lässt die Hände in den Schoß fal­len.
Es är­gert mich, dass sie nicht be­reit ist, zu kämp­fen. Ich habe sie aus dem Haus ge­holt und das Pro­blem der Pfle­ge­kos­ten für ihren Vater be­sei­tigt. Warum ist sie nicht glück­lich?
Dann däm­mert es mir, und ich kann nicht ver­mei­den, dass meine nächs­ten Worte ab­schät­zig klin­gen. „Es sei denn … du willst bei ihm blei­ben. Ge­fällt es dir, in so einer Be­zie­hung zu sein?“
Ju­ni­pers un­gläu­bi­ger, ab­leh­nen­der Blick trifft mei­nen. „Sagst du so dumme Dinge, weil du däm­lich oder weil du ge­fühl­los bist?“
„Wie bitte?“
„Du kennst mich. Sehe ich aus wie eine Frau, die es mag, wenn man sie her­um­schubst, wie eine Die­ne­rin im ei­ge­nen Haus be­han­delt oder stän­dig her­ab­setzt? Glaubst du, ich würde mich je­mals dafür ent­schei­den, wenn nicht das Leben mei­nes Va­ters auf dem Spiel stün­de?“
„Nein“, sage ich, ohne zu zö­gern. Ju­ni­per hätte das sonst nie­mals to­le­riert.
Sie hätte mich ver­dammt noch mal an­ru­fen sol­len, aber ich habe ihr kei­nen Grund ge­ge­ben, diese Mög­lich­keit in Be­tracht zu zie­hen. Ich habe da­mals sehr schnell einen Schluss­strich ge­zo­gen. So­bald sie an­fing, sich mit Jos­hua zu tref­fen, gab es keine Chan­ce mehr, Freun­de zu blei­ben.
Ju­ni­per atmet tief durch. „Danke, dass du dich um mei­nen Vater ge­küm­mert hast. Das war das Ein­zi­ge, was mich davon ab­ge­hal­ten hat, zu gehen. Ich werde einen Weg fin­den, mich zu re­van­chie­ren.“
„Du musst dich nicht …“
„Ich werde mich re­van­chie­ren“, wie­der­holt sie in einem Ton, der kei­nen Wi­der­spruch dul­det.
Aber ich habe auch gar nicht die Ab­sicht, mit ihr zu dis­ku­tie­ren. Ich werde kei­nen Cent als Rück­zah­lung an­neh­men, denn ich habe mehr Geld, als ich brau­che. Statt­des­sen komme ich auf unser vo­ri­ges Thema zu­rück, um meine Neu­gier­de zu be­frie­di­gen.
„Ich möch­te etwas ver­ste­hen“, be­gin­ne ich leise und hoffe, dass mein sanf­ter Ton­fall ihr deut­lich macht, dass ich nicht auf Streit aus bin. „Wie bist du mit Jos­hua zu­sam­men­ge­kom­men? Das habe ich nie ka­piert.“
„Spielt das eine Rolle?“, fragt sie.
Das soll­te es nicht, doch die Ant­wort lau­tet Ja. Es ist wich­tig, weil Ju­ni­per meine große Liebe war und ich sie ver­lo­ren habe. Ein Mann, den ich ver­ach­te und der sie nicht ver­dient, ist an meine Stel­le ge­tre­ten. Ich brau­che Klar­heit.
„Ja … es spielt eine rie­si­ge Rolle. Schon immer, aber ich war bis­her nie in der Lage, zu fra­gen. Also frage ich jetzt.“