Pittsburgh Titans: Boone

Ori­gi­nal­ti­tel: Boone: A Pitts­burgh Ti­tans Novel
Über­set­zer: Oli­ver Hoff­mann

Er­schie­nen: 12/2024
Serie: Pitts­burgh Ti­tans
Teil der Serie: 11

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Sport Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Pitts­burgh


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-730-7
ebook: 978-3-86495-731-4

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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Pittsburgh Titans: Boone


In­halts­an­ga­be

Boone Ri­vers nutzt sei­nen Ruhm und sein Ver­mö­gen als Eis­ho­ckey­spie­ler zu sei­nem Vor­teil, aber nicht so, wie es die meis­ten Leute er­war­ten wür­den. So oft es sein vol­ler Ter­min­ka­len­der zu­lässt, en­ga­giert sich Boone eh­ren­amt­lich und trifft dabei auf einen tap­fe­ren Jun­gen, der Boo­nes Welt auf den Kopf stellt.

Als Spie­ler der Pitts­burgh Ti­tans bin ich be­geis­tert vom Ner­ven­kit­zel des Spiels. Ich lebe für den Ge­ruch des Eises, den Jubel der Menge und das Herz­klop­fen, wenn ich die Arena be­tre­te. Aber so­bald ich meine Schlitt­schu­he aus­ge­zo­gen habe, kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, der Stadt Pitts­burgh etwas zu­rück­zu­ge­ben.

Ich tref­fe Aiden bei einem Be­such im Kin­der­kran­ken­haus und bin be­ein­druckt von der in­ne­ren Stär­ke die­ses zwölf­jäh­ri­gen Jun­gen, der um sein Leben kämpft. Bei mei­nen wei­te­ren Be­su­chen un­ter­hal­ten wir uns über Vi­deo­spie­le und Eis­ho­ckey, bis eines Tages Ai­dens äl­te­re Schwes­ter in sein Zim­mer kommt und mir klar wird, dass hin­ter die­ser Be­kannt­schaft eine tie­fe­re Be­deu­tung steckt.

Auf den schma­len Schul­tern von Lilly Hoff­man ruht das Ge­wicht der Welt. Ai­dens Krank­heit wird nicht bes­ser, sie ist in Ge­fahr, ihren Job zu ver­lie­ren, und ihr Vater er­tränkt seine Sor­gen in Al­ko­hol. Ich er­tap­pe mich dabei, wie ich Lilly die Last ab­neh­men möch­te, und was als ein­fa­cher Akt der Freund­schaft be­ginnt, wird zu so viel mehr. Als wir uns näher kom­men, kann ich nicht an­ders, als mich in diese für­sorg­li­che und un­ab­hän­gi­ge Frau mit dem zar­ten Her­zen und dem ver­letz­ten, aber noch nicht ge­bro­che­nen Geist zu ver­lie­ben.

Wäh­rend wir einer Zu­kunft vol­ler Un­ge­wiss­heit ent­ge­gen­se­hen, ge­lo­be ich, Lil­lys Quel­le der Stär­ke und des Tros­tes zu sein. Lilly und Aiden haben mir er­neut ge­zeigt, wie wich­tig es ist, selbst in den dun­kels­ten Zei­ten be­din­gungs­los Liebe zu geben und zu emp­fan­gen. Und egal, was als Nächs­tes pas­siert, nie­mand kann uns das neh­men.

Der über­aus emo­tio­na­le elfte Teil rund um das Team der Pitts­burgh Ti­tans von New York Times-Best­sel­ler­au­to­rin Sa­wy­er Ben­nett.

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Pitts­burgh Ti­tans Serie

Le­se­pro­be

Lilly

Wäh­rend Ge­or­gie die Vi­tri­nen mit Fleisch, Käse, Nu­del­sa­lat und Obst auf­füllt, putze ich den Spei­se­be­reich gründ­lich. Ich ver­sprü­he Rei­ni­gungs­mit­tel, wi­sche Ti­sche und Stüh­le mit einem Tuch ab und trock­ne sie mit einem an­de­ren. Alle Krü­mel, die auf den Boden ge­fal­len sind, fege ich weg. Charles ist hin­ten und schrubbt die Küche, so schlie­ßen wir immer den Mit­tags­an­sturm ab. Wir haben noch etwa zwei Stun­den Zeit, bis das Ge­schäft wie­der an­zieht, wobei un­se­re Abend­kund­schaft in der Regel eher Spei­sen zum Mit­neh­men als zum im Deli essen kauft.
Ich räume alles auf mit Aus­nah­me eines ein­sa­men Be­reichs am Tre­sen, wo Stu an...

...​einem Kreuz­wort­rät­sel ar­bei­tet, wäh­rend er zu Mit­tag isst: Ge­flü­gel­sa­lat auf Rog­gen­brot mit haus­ge­mach­ten Pom­mes. Er wohnt gleich um die Ecke und kommt re­gel­mä­ßig diens­tags und don­ners­tags her, al­ler­dings meist erst nach dem gro­ßen An­sturm.
„Alles klar?“, frage ich Stu, als ich mir hin­ter dem Tre­sen die Gum­mi­hand­schu­he aus­zie­he. Ge­or­gie geht zwi­schen Kühl­schrank und Vi­tri­nen hin und her und tauscht teil­wei­se auf­ge­schnit­te­ne Fleisch­stü­cke und Kä­se­l­ai­be gegen fri­sche aus. Der Auf­schnitt wan­dert für Sand­wi­ches in die Küche, und die fri­sche Ware ist für Kun­den, die am Stück kau­fen wol­len.
Stu hebt nicht ein­mal den Kopf von sei­nem Kreuz­wort­rät­sel. „Alles gut.“
Ich gehe nach hin­ten und werfe die Gum­mi­hand­schu­he in einen Plas­tik­be­häl­ter, um sie spä­ter zu wa­schen und zu des­in­fi­zie­ren. Charles be­fin­det sich bis zu den Ell­bo­gen in Sei­fen­was­ser, und ein ge­üb­ter Blick ver­rät mir, dass er hier alles unter Kon­trol­le hat. Ich fülle den Put­zei­mer mit All­zweck­rei­ni­ger und war­mem Was­ser, lege den Putz­lap­pen hin­ein und schie­be den Eimer mit einer Hand nach vorn, in der an­de­ren habe ich einen Schrub­ber. Es dau­ert drei­ßig Mi­nu­ten, die Böden auf Hoch­glanz zu brin­gen, und als ich fer­tig bin, ist Stu weg, und wir sind für einen Mo­ment ohne Kun­den.
Ich wi­der­ste­he dem Drang, mich in eine der Sitz­grup­pen fal­len zu las­sen, um eine fünf­mi­nü­ti­ge Ver­schnauf­pau­se ein­zu­le­gen. Ich habe Angst, dass ich nicht mehr auf­ste­hen will, wenn ich mich erst ein­mal hin­set­ze, und ich muss die Lohn­ab­rech­nung ma­chen. Mir krampft sich beim Ge­dan­ken daran der Magen zu­sam­men, denn ich bin si­cher, dass ich genug in der Kasse habe, um die Mit­ar­bei­ter zu be­zah­len, weiß je­doch nicht, ob da­nach noch etwas übrig sein wird. Ich habe zwar ein klei­nes Pols­ter an per­sön­li­chen Er­spar­nis­sen, aber nächs­te Woche ist die Miete für die Woh­nung fäl­lig, und das wird knapp.
Es wird schon klap­pen, sage ich mir.
Wie immer.
Seuf­zend schie­be ich den Put­zei­mer nach hin­ten. Ich spüle ihn aus und stel­le ihn in die Ab­stell­kam­mer, ehe ich mir im Wasch­be­cken für die An­ge­stell­ten die Hände wa­sche.
„Soll ich dir etwas zu­be­rei­ten?“, fragt Charles, wäh­rend er einen Sta­pel von Edel­stahl­schüs­seln ab­trock­net.
„Danke, ich habe kei­nen Hun­ger“, ant­wor­te ich, doch in Wahr­heit hängt mir der Magen in den Knie­keh­len. Ich habe nicht ge­früh­stückt, aber ich muss die Lohn­ab­rech­nung er­le­di­gen, bevor der Abend­an­sturm los­geht. Heute Abend will ich um sechs gehen, damit ich Aiden be­su­chen kann.
„Lilly“, ruft Ge­or­gie durch die Schwing­tü­ren, die die Küche vom Laden tren­nen. Er streckt den Kopf her­ein. „Du hast Be­such.“
Stirn­run­zelnd grei­fe ich nach Pa­pier­tü­chern und trock­ne mir die Hände ab. „Wer ist es denn?“
„Ir­gend so ein gro­ßer Kerl. Hat nach Lilly ge­fragt.“
Ich ver­dre­he die Augen. Ge­or­gie fa­ckelt zwar nicht alles ab, aber er ist auch nicht ge­ra­de der Hells­te. „Ich bin gleich da.“ Über die Schul­ter werfe ich Charles einen Blick zu. „Kommst du mit der Es­sens­vor­be­rei­tung klar oder brauchst du meine Hilfe?“
„Ich habe alles unter Kon­trol­le“, ver­si­chert er.
Charles ist ein Ge­schenk des Him­mels. Er sorgt dafür, dass die Küche ta­del­los läuft, was eine große Ent­las­tung für mich ist, und ich bete jeden Abend für ihn. Ich bete auch dafür, dass Ge­or­gie ein wenig Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein ent­wi­ckelt, damit ich ihn nicht zu sehr kon­trol­lie­ren muss.
Als ich durch die Schwing­tü­ren gehe, fällt mein Blick auf Boone, der auf der an­de­ren Seite des Tre­sens steht. Leicht vor­ge­beugt be­trach­tet er die Vi­tri­ne mit Pastra­mi, ge­koch­tem und rohem Schin­ken, Roast­beef, Pu­ten­brust, Fleisch­wurst und Sa­la­mi.
Er mus­tert mich und rich­tet sich lä­chelnd auf. „Hey.“
„Hey“, ant­wor­te ich und neige grü­ßend den Kopf. „Was tun Sie denn hier?“
„Ich war auf dem Weg zu Aiden und dach­te, ich schaue mal bei Ihnen vor­bei.“
Stirn­run­zelnd zupfe ich ner­vös am Kra­gen mei­nes T-Shirts – wald­grün, mit un­se­rem De­li-Lo­go auf der Brust­ta­sche. Plötz­lich ver­spü­re ich den Drang, mir die Moni’s-De­li-Base­ball­müt­ze vom Kopf zu rei­ßen, weil ich mich darin un­at­trak­tiv fühle.
„Bei mir?“, kräch­ze ich.
Boone lä­chelt, als er läs­sig an den Tre­sen tritt und seine Hand­flä­chen dar­auf­legt. „Ja, bei Ihnen. Wie geht’s Ihnen?“
Ich sehe mich im Deli um. Es ist leer, keine Kun­den, und Ge­or­gie ist auf mys­te­riö­se Weise ver­schwun­den. Mein Blick kehrt zu Boone zu­rück. „Ähm … be­schäf­tigt, schät­ze ich.“
Boone sieht sich über­trie­ben lang­sam um, um den lee­ren Laden zu be­gut­ach­ten. Seine Lip­pen kräu­seln sich, als er scherzt: „Ja … hier ist ganz schön was los.“
Ich kann mir ein La­chen nicht ver­knei­fen. „Um diese Zeit haben wir eine ge­seg­ne­te Ru­he­zeit, bevor der An­sturm auf das Abend­es­sen be­ginnt. Wol­len Sie etwas essen?“
„Ähm … ja, ich könn­te was essen.“ Sein Blick fällt auf die Spei­se­kar­te hin­ter mir an der Wand. Das An­ge­bot ist ein­fach, aber le­cker. „Ein Reu­ben-Sand­wich.“
Ich gebe die Be­stel­lung ein, wäh­rend er seine Brief­ta­sche zückt. Ich winke ab. „Sie zah­len nicht.“
Boone igno­riert mich, zückt eine Kre­dit­kar­te und hält sie mir hin. „Sie füh­ren ein Ge­schäft. Klar zahle ich.“
Wir sehen ein­an­der einen Mo­ment lang in die Augen, und mir wird klar, dass er stu­rer ist als ich. Ich grei­fe nach der Kre­dit­kar­te, aber er zieht sie zu­rück. „Haben Sie schon ge­ges­sen?“
Einen Au­gen­blick lang bin ich ver­wirrt, dann schütt­le ich lang­sam den Kopf.
„Essen Sie doch mit mir zu Mit­tag.“
„Oh, ich kann nicht“, sage ich und deute mit dem Dau­men nach hin­ten. „Ich muss ar­bei­ten.“
„Fünf­zehn Mi­nu­ten, Lilly. Die kön­nen Sie er­üb­ri­gen – ich habe etwas mit Ihnen zu be­spre­chen wegen ihres Va­ters.“
Wie auf ein Stich­wort knurrt mein Magen. „In Ord­nung … ich esse mit Ihnen.“
Ich ver­su­che, die Kre­dit­kar­te zu neh­men, aber er zieht sie er­neut zu­rück. „Neh­men Sie erst Ihre Be­stel­lung auf.“
„Meine brau­che ich nicht zu be­zah­len. Das ist einer der Vor­tei­le, wenn man einen Fein­kost­la­den hat.“
Boone nickt in Rich­tung des iPads, das wir als Re­gis­trier­kas­se ver­wen­den. „Ma­chen Sie Ihre Be­stel­lung und las­sen Sie mich für uns beide be­zah­len.“
Es folgt ein wei­te­rer Kampf der Bli­cke, doch schließ­lich gebe ich nach und tippe ein­mal Trut­hahn auf Wei­zen­brot ein.
„Fügen Sie noch zwei Fla­schen Was­ser und Chips für uns beide dazu“, for­dert er mit einem Au­gen­zwin­kern.
Ich ver­dre­he die Augen, kann mir je­doch ein Lä­cheln nicht ver­knei­fen und tue, was er be­fiehlt. „Wie kom­men Sie dar­auf, dass ich Was­ser in Fla­schen mag?“
„Ich weiß nicht“, sagt er, als ich das Pad um­dre­he, damit er seine Karte dran­hal­ten kann. „Es ist ge­sün­der als Limo.“
„Sie haben Glück, ich trin­ke tat­säch­lich nur Was­ser“, schnau­be ich.
Der Bild­schirm ak­tua­li­siert sich und zeigt die Be­stel­lung und einen Platz für seine Un­ter­schrift an. Er gibt ein Trink­geld von drei­ßig Dol­lar ein und hält eine Hand hoch, wäh­rend er mit der an­de­ren un­ter­schreibt. „Den­ken Sie nicht mal daran, zu wi­der­spre­chen.“
Es ver­schlägt mir die Spra­che, denn ich woll­te ihn ge­ra­de für diese ex­tra­va­gan­te Geld­ver­schwen­dung zur Rede stel­len. Zu­min­dest für mich sind drei­ßig Dol­lar das, aber viel­leicht nicht für ihn. Ich bin si­cher, er ver­dient als Eis­ho­ckey­spie­ler ein Ver­mö­gen.
Wäh­rend Boone Was­ser und Chips aus dem Selbst­be­die­nungs­re­gal und dem Kühl­schrank holt, ste­cke ich den Kopf in die Küche. „Diese Be­stel­lung ist für mich und einen Freund“, rufe ich Charles zu. „Ich mache kurz Pause.“
„Nimm dir Zeit für mehr als eine kurze Pause, Boss“, ant­wor­tet Ge­or­gie. „Wir haben alles im Griff.“
Ich schen­ke den bei­den ein Lä­cheln und nicke dank­bar. „Nur etwa fünf­zehn Mi­nu­ten.“
Charles und Ge­or­gie tau­schen einen spöt­ti­schen Blick aus, aber Charles mur­melt: „Oooh … eine volle Vier­tel­stun­de. Wow.“
„Klug­schei­ßer“, brum­me ich, wäh­rend ich die Tür zu­fal­len lasse und mich wie­der Boone zu­wen­de. Er hat sich den Tisch aus­ge­sucht, der am wei­tes­ten von der Theke ent­fernt ist, ich nehme an, um un­ge­stört zu sein, da wir über mei­nen Vater spre­chen wer­den. Eines habe ich über den zu­dring­li­chen Eis­ho­ckey­spie­ler ge­lernt: Er ist sehr rück­sichts­voll.
Ich setze mich ihm ge­gen­über, und Boone reicht mir eine Was­ser­fla­sche und eine Chip­stü­te. Er hat sich für Bar­be­cue-Ge­schmack ent­schie­den, was mir recht ist. Ich mag alle Sor­ten, wie die Pöls­ter­chen an mei­nen Hüf­ten be­wei­sen, aber ich lasse die Tüte ge­schlos­sen, bis mein Sand­wich da ist.
Boone öff­net seine Tüte, schiebt sich einen Chip in den Mund und starrt mich an.
„Was?“, frage ich, wäh­rend ich meine Was­ser­fla­sche auf­dre­he.
„Sie sehen aus, als hät­ten Sie Schmer­zen, weil Sie eine Pause ma­chen“, be­merkt er, nach­dem er ge­schluckt hat.
„Ich habe viel zu tun. Pau­sen kann ich mir nicht leis­ten.“
Seine Miene wird wei­cher. „Tut mir leid. Ich woll­te nicht an­zwei­feln, wie be­schäf­tigt Sie sind. Ver­mut­lich habe ich noch nie einen Men­schen ge­trof­fen, der so viel Ver­ant­wor­tung trägt wie Sie.“
„Nein“, rufe ich kopf­schüt­telnd und mit einem ent­schul­di­gen­den Lä­cheln. „Mir tut es leid. Ich woll­te nicht schnip­pisch sein – und ja, es fällt mir schwer, still zu sit­zen und dabei stän­dig das Ge­fühl zu haben, dass ich etwas ver­pas­se. Aber ich weiß, dass es ab und zu sein muss.“
„Dann bin ich froh, dass ich Sie dazu ge­zwun­gen habe“, sagt er.
Ich neige den Kopf und ziehe eine Braue hoch. „Sie sind auf­dring­lich.“
Boone lacht, und mir stockt ir­gend­wie der Atem. Er ist ein un­glaub­lich gut­aus­se­hen­der Mann, doch die­ser leich­te, fröh­li­che Aus­bruch von Humor macht ihn fast schön. Ich schütt­le den Kopf, um diese Ge­dan­ken zu ver­drän­gen. „Ehe ich es ver­ges­se: Herz­li­chen Glück­wunsch zum Si­chern des ers­ten Plat­zes in der Di­vi­si­on ges­tern Abend.“
Boone blin­zelt über­rascht. „Sie schau­en Eis­ho­ckey?“
„Nein“, gebe ich mit einem ver­le­ge­nen Lä­cheln zu. „Aber Aiden, und das haben wir ges­tern Abend in sei­nem Zim­mer getan. Er hat es sich zur Auf­ga­be ge­macht, mir das Spiel zu er­klä­ren, seit er mit Boone Ri­vers be­freun­det ist. Wir haben gute Neu­ig­kei­ten ge­fei­ert, des­halb war es be­son­ders schön, dass Sie ges­tern Abend ge­won­nen haben.“
„Was haben Sie denn ge­fei­ert?“, fragt Boone und greift zu sei­ner Was­ser­fla­sche.
„Ich bin mir nicht mal si­cher, was Sie über Ai­dens Zu­stand wis­sen.“
„Aiden hat mir er­zählt, dass er mit fünf Jah­ren an Leuk­ämie er­krankt ist und dass die Krank­heit eine Zeit lang in Re­mis­si­on war, aber vor Kur­zem wie­der auf­ge­tre­ten ist. Eine wei­te­re Che­mo­the­ra­pie hat nicht ge­hol­fen, also haben sie eine Kno­chen­mark­trans­plan­ta­ti­on ge­macht.“
Ich nicke zu die­ser sehr ein­fa­chen Ver­si­on der Ge­schich­te. „Das war die beste Op­ti­on.“
„Lei­der bin ich mir nicht ganz si­cher, was das be­deu­tet“, gibt Boone zu. „Ich ver­su­che immer, Aiden die Ge­sprächs­füh­rung zu über­las­sen, also stel­le ich nicht viele spe­zi­fi­sche Fra­gen. Er hat mir er­zählt, dass sie sein Kno­chen­mark so­zu­sa­gen ge­sprengt haben, um die Leuk­ämie los­zu­wer­den, dass das aber gleich­zei­tig alle ge­sun­den Zel­len ab­tö­tet, wes­halb er so an­fäl­lig für In­fek­tio­nen ist.“
Es ist sehr rück­sichts­voll, dass Boone Aiden Ge­le­gen­heit zum Reden gibt. Mein Bru­der will so nor­mal wie mög­lich sein, auch wenn er krank in einem Kli­nik­bett liegt. „Wir hof­fen, dass das ge­sun­de Kno­chen­mark des Spen­ders sei­nen Weg in sein Kno­chen­mark fin­det und dort neue ge­sun­de Blut­zel­len bil­det.“
„Wie haben Sie einen Spen­der ge­fun­den?“, fragt Boone.
„Ich konn­te spen­den. Das ist nur bei einem von vier Fa­mi­li­en­mit­glie­dern der Fall, wir hat­ten also Glück.“
Boone ver­zieht das Ge­sicht. „Möch­te ich über­haupt wis­sen, wie die an Ihr Kno­chen­mark ge­kom­men sind?“
„Wahr­schein­lich nicht, aber die Ent­nah­me fin­det unter Nar­ko­se statt, das war nicht so schlimm. Je­den­falls hat die Chemo Ai­dens Kno­chen­mark stark ge­schä­digt und ihn an­fäl­lig für In­fek­tio­nen ge­macht.“
„Des­halb durf­te er an­fangs keine Be­su­cher emp­fan­gen.“
„Das stimmt. Er be­kommt eine ziem­lich hef­ti­ge Kur mit An­ti­in­fek­ti­va.“
„Was be­deu­tet das?“
„An­ti­bio­ti­ka, Vi­ro­sta­ti­ka und An­ti­my­ko­ti­ka, weil er nach der hoch do­sier­ten Che­mo­the­ra­pie vor der Trans­plan­ta­ti­on keine wei­ßen Blut­kör­per­chen mehr hat. Er er­hält fast jeden zwei­ten Tag Blut­trans­fu­sio­nen und muss sich wö­chent­lich einer Punk­ti­on un­ter­zie­hen, um zu sehen, ob sich sein Kno­chen­mark er­holt. Es kann Wo­chen dau­ern, bis man weiß, ob die Trans­plan­ta­ti­on an­schlägt. Ges­tern Abend haben wir uns ge­freut, denn die letz­ten Tests haben ge­zeigt, dass sein Blut­zel­len­wert zwar immer noch nied­rig ist, es aber keine An­zei­chen von Leuk­ämie zu geben scheint.“
„Hei­li­ge Schei­ße“, ruft Boone, und seine Hand schießt vor, um meine zu er­grei­fen. Ich bin so er­schro­cken über sei­nen Aus­bruch, dass ich zu­sam­men­zu­cke, doch es ist die Tat­sa­che, dass er meine Hand hält, die mein Herz so schnell klop­fen lässt. „Das sind ja tolle Neu­ig­kei­ten, Lilly. Warum haben Sie mir das nicht gleich er­zählt, als ich rein­kam?“
Ich grin­se und ver­su­che, die Hand weg­zu­zie­hen, er je­doch hält sie fest, wäh­rend er fragt: „Heißt das, er darf aus dem Kran­ken­haus raus?“
Ich schütt­le den Kopf, ohne mein Lä­cheln ein­zu­stel­len. „Noch nicht. Es ist am si­chers­ten, wenn er dort­bleibt, bis sich sein Kno­chen­mark er­holt hat. Das ist die best­mög­li­che Nach­richt, auf die wir sehn­süch­tig ge­war­tet haben. Die Hei­lungs­ra­te bei einer Trans­plan­ta­ti­on liegt bei unter fünf­zig Pro­zent, des­halb ist er sehr wich­tig, dass es keine An­zei­chen von Leuk­ämie gibt. Jetzt müs­sen sich le­dig­lich noch seine roten und wei­ßen Blut­kör­per­chen ein wenig er­ho­len.“
Boo­nes Hand zuckt über­rascht, doch dann greift er fes­ter zu. „Nur fünf­zig Pro­zent?“, mur­melt er nach­denk­lich. Als sein Dau­men sanft über mei­nen Hand­rü­cken streicht, hy­per­ven­ti­lie­re ich fast. „Ich weiß nicht, ich dach­te, die Chan­ce wäre höher und so­bald er die Trans­plan­ta­ti­on hat, wäre die Sache ge­ritzt.“
„Eure Be­stel­lung“, sagt Ge­or­gie, der uns das Essen bringt. Es ist in wei­ßes Pa­pier ein­ge­wi­ckelt, auf dem mit schwar­zer Wachs­krei­de die Namen der Sand­wi­ches ste­hen.
Ich bin si­cher, dass Boone mich nur trös­ten woll­te, aber mein Herz klopft wie ein Press­luft­ham­mer. Mit einem Lä­cheln Rich­tung Ge­or­gie ziehe ich die Hand weg. „Ich danke dir.“
„Guten Ap­pe­tit“, ant­wor­tet er fröh­lich, bevor er sich hin­ter den Tre­sen und in die Küche zu­rück­zieht.
Boone und ich wi­ckeln un­se­re Sand­wi­ches aus. Ich nehme Ser­vi­et­ten aus dem Hal­ter auf dem Tisch und rei­che ihm ein paar.
„Das wäre wahr­schein­lich ein pas­sen­der Zeit­punkt, um mit mei­nem Vater über einen Ent­zug zu spre­chen, mei­nen Sie nicht? In An­be­tracht der guten Nach­rich­ten?“
„Bes­ser frü­her als spä­ter“, sagt er und nimmt eine Hälf­te sei­nes Sand­wichs auf. „Ich habe von Har­low eine Liste mög­li­cher An­lauf­stel­len be­kom­men.“
„Kann er ein am­bu­lan­tes Pro­gramm ma­chen? Ich bin nicht si­cher, ob er einer sta­tio­nä­ren Be­hand­lung zu­stimmt, da er dann von Aiden ge­trennt wäre.“
„Genau dar­über habe ich mit Har­low ge­spro­chen. Sie hat ein her­vor­ra­gen­des am­bu­lan­tes Pro­gramm ge­fun­den und sogar an­ge­ru­fen, um si­cher­zu­ge­hen, dass die ihn auf­neh­men kön­nen. Har­low hat Sto­nes Namen fal­len las­sen, um ein biss­chen nach­zu­hel­fen. Aber er braucht wahr­schein­lich vor­her eine me­di­zi­ni­sche Ent­gif­tung.“
„Ich nehme an, das heißt, er be­kommt Me­di­ka­men­te, um zu ent­gif­ten? Wie lange dau­ert das?“
Boone nickt. „Har­low sagte, fünf bis zehn Tage, je nach­dem, wie stark die Sym­pto­me sind, und das würde sta­tio­när ge­sche­hen. An­schlie­ßend kann er ins am­bu­lan­te Pro­gramm wech­seln.“
Ich spie­ße ein Stück Trut­hahn auf, das aus mei­nem Sand­wich hängt, und ste­cke es in den Mund, wäh­rend ich nach­den­ke. Wenn es für mei­nen Vater einen guten Zeit­punkt gibt, um einen Ver­such zu star­ten, tro­cken zu wer­den, dann, wenn es Aiden gut geht. Der Stress einer un­ge­wis­sen Zu­kunft hat ihn zum Trin­ken ge­bracht. Die Hoff­nung, die uns Ai­dens neu­es­te Test­ergeb­nis­se schen­ken, macht dies zum bes­ten Zeit­punkt, um mit mei­nem Vater dar­über zu spre­chen.
„Ehr­lich ge­sagt weiß ich nicht, wie ich das Thema bei ihm an­spre­chen soll“, ge­ste­he ich, bevor ich einen Bis­sen nehme. Mein aus­ge­hun­ger­ter Magen knurrt vor Ge­nug­tu­ung. „Es ist kein Pro­blem, wenn ich wü­tend auf ihn bin, weil die Worte dann ein­fach so her­aus­kom­men, aber Wut ist nicht der rich­ti­ge Weg.“
„In­wie­weit ist Aiden im Bilde, was vor sich geht?“, will Boone wis­sen.
„Er weiß Be­scheid. Ich ver­su­che, ihn nicht mit die­sen Din­gen zu über­for­dern, doch wenn er fragt, ant­wor­te ich offen. Ihn an­zulü­gen hat kei­nen Sinn, und mit sei­nen fast zwölf Jah­ren kennt er Dads Pro­ble­me ziem­lich gut. Ich habe ges­tern Abend ein wenig mit ihm dar­über ge­spro­chen, dass Dad einen Ent­zug ma­chen muss. Nach­dem er be­trun­ken im Kran­ken­haus auf­ge­taucht ist, ist es wohl noch drin­gen­der ge­wor­den.“
„Viel­leicht soll­ten wir das dann in der Fa­mi­lie be­spre­chen.“
„Wir?“, ver­ge­wis­se­re ich mich zö­gernd, denn er hat das schon ein­mal an­ge­bo­ten. Zum ers­ten Mal möch­te ich auf je­man­des Hilfs­an­ge­bot ein­ge­hen.
„Ich werde dabei sein, wenn Sie das wol­len.“ Boo­nes in­ten­si­ver Blick, der zeigt, dass er sich uns ver­bun­den fühlt, bleibt an mei­nem hän­gen. „Ich habe Ihren Vater dar­auf an­ge­spro­chen, und es macht mir nichts aus, meine Mei­nung dazu zu sagen.“
„Er re­spek­tiert Sie. Wir haben dar­über ge­spro­chen, wie er be­trun­ken im Kran­ken­haus auf­ge­taucht ist, und er er­in­ner­te sich an das Ge­spräch, das Sie in sei­nem Schlaf­zim­mer mit ihm ge­führt haben. Es hat ihn zum Nach­den­ken an­ge­regt.“
„Dann bin ich dabei“, sagt Boone leicht­hin. „Ich habe mor­gen Vor­mit­tag Trai­ning, aber da­nach kann ich je­der­zeit kom­men.“
„Abends? Ich ar­bei­te bis sechs.“
„Passt“, ant­wor­tet er, und wir er­ör­tern die Ein­zel­hei­ten. Wäh­rend wir un­se­re Sand­wi­ches und Chips essen, be­ra­ten wir, wie wir das Thema am bes­ten an­spre­chen, damit Dad nicht das Ge­fühl hat, wir hät­ten uns gegen ihn ver­bün­det. Wir ver­ein­ba­ren, uns um halb sie­ben im Kran­ken­haus zu tref­fen.
Als wir mit dem Essen fer­tig sind, will ich wie­der an die Ar­beit gehen. Die Ge­halts­ab­rech­nung ruft, aber ich kann mir die Frage nicht ver­knei­fen: „Warum tun Sie das?“
Boone hebt eine Au­gen­braue. „Sie mei­nen, Ihnen und Ihrem Vater hel­fen?“
„Na­tür­lich bin ich auch neu­gie­rig dar­auf, mehr dar­über zu er­fah­ren, aber ich mein­te ei­gent­lich, Kin­der im Kran­ken­haus be­su­chen. Vor allem auf der Krebs­sta­ti­on. Das ist eine ziem­lich be­las­ten­de Art, der Ge­mein­schaft etwas zu­rück­zu­ge­ben.“
Ein Lä­cheln um­spielt Boo­nes Lip­pen, die, wie ich un­schwer fest­stel­len kann, voll und weich aus­se­hen. „Meine Mut­ter Patty ist Er­go­the­ra­peu­tin, und als ich in der Ju­ni­or High und in der High­school war, hat sie im Kran­ken­haus mit Kin­dern ge­ar­bei­tet. Nicht nur mit krebs­kran­ken, son­dern auch mit sol­chen, die aus ir­gend­ei­nem Grund auf sta­tio­nä­re Be­hand­lung an­ge­wie­sen waren. Sie war vie­len von ihnen nahe und er­zähl­te da­heim von ihnen. Meine Mut­ter freu­te sich, wenn eines von ihnen nach Hause durf­te, und war am Boden zer­stört, wenn eines starb. Ich sah, wie wich­tig ihr das war, und woll­te in ihre Fuß­stap­fen tre­ten. Sie hat so viel für un­se­re Fa­mi­lie getan, als mein Vater gegen seine Sucht kämpf­te, dass ich Kin­dern die glei­che Freund­lich­keit ent­ge­gen­brin­gen woll­te, die sie an den Tag ge­legt hat, denn das hat ihr immer sehr viel be­deu­tet. Sie ist die stärks­te Frau, die ich kenne, auch wenn Sie ihr den Rang strei­tig ma­chen.“
Ich er­rö­te bei die­sem un­er­war­te­ten Kom­pli­ment. Die schö­ne Art und Weise, wie er seine Mut­ter mit sei­ner Frei­zeit ehrt, hat mich so fas­zi­niert, dass ich nicht damit ge­rech­net habe, dass er in die­sem Zu­sam­men­hang die Opfer an­spre­chen würde, die ich brin­ge.
Es liegt in mei­ner Natur, mich aus dem Schein­wer­fer­licht zu du­cken und den Kopf ein­zu­zie­hen.
„Lilly, ich woll­te Sie nicht in Ver­le­gen­heit brin­gen“, flüs­tert er, und ich reiße den Kopf hoch und sehe ihn an. „Ich be­wun­de­re nur, was Sie alles für Ihre Fa­mi­lie tun, und das in einem so jun­gen Alter. Ich weiß, das ist nicht leicht.“
„Ehr­lich ge­sagt kenne ich es nicht an­ders“, gebe ich mit einem freud­lo­sen Lä­cheln zu. „Nach­dem un­se­re Mom ge­stor­ben war, als ich zwölf war, habe ich Aiden die Mut­ter er­setzt. Bei sei­ner Krebs­dia­gno­se war ich fünf­zehn, und mein Vater brach zu­sam­men, also war ich Vater, Mut­ter und Er­näh­re­rin. Jetzt bin ich zwei­und­zwan­zig und bin Vater, Mut­ter, Er­näh­re­rin und Ge­schäfts­in­ha­be­rin, da mein Vater nicht mehr stän­dig im Laden hel­fen kann.“
„Sie sind er­staun­lich“, sagt Boone. Ich will den Blick ab­wen­den, aber sei­ner lässt mich nicht los. „Ich werde Sie auf Platz eins der stärks­ten Frau, die ich kenne, set­zen. Doch Sie kön­nen nicht Ihr gan­zes Leben an­de­ren wid­men, ohne auch etwas für sich selbst zu haben. Was tun Sie zum Spaß oder zur Ent­span­nung?“
Ich runz­le die Stirn, wäh­rend ich ver­su­che, mir eine Ant­wort ein­fal­len zu las­sen, damit ich nicht total lahm wirke. Mir fällt nichts ein. „Ich habe für der­lei Dinge keine Zeit.“
In Boo­nes Augen blitzt es. Eine Mi­schung aus Zorn und An­teil­nah­me, die sich in Ent­schlos­sen­heit ver­wan­delt. „Dann müs­sen wir das än­dern.“