Alpha Unit: Hot Summer Ride

Erschienen: 01/2015
Serie: Alpha Unit
Teil der Serie: 2

Genre: Motorcycle Club Romance, Romantic Thrill
Zusätzlich: Krimi, Thriller

Location: USA

Seitenanzahl: 352


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-135-0
ebook: 978-3-86495-136-7

Preis:
Print: 12,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

Erhältlich bei u.a.:

und allen gängigen Onlinehändlern und im Buchhandel

Alpha Unit: Hot Summer Ride


Inhaltsangabe

Plötzlich steht er wieder vor ihr: Ray McKay, Kristins einstiger Verführer.

Niemals hätte die Rechtsmedizinerin erwartet, ihn wiederzusehen - am allerwenigsten an ihrem Arbeitsplatz, wo er sich Zutritt zu der Leiche verschafft hat, aus der sie gerade einen rätselhaften Mikrochip geborgen hat.

Kristins unerwartetes Auftauchen bringt Ray in eine ziemliche Notlage - und nicht nur, weil er gerade dabei war, als Undercover-Agent seiner Spezialeinheit "Alpha Unit" einen Mikrochip mit einer hochgefährlichen Biowaffe zu stehlen.

Ray muss zusehen, dass er Kristin so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone bringt, ohne dabei seinen eigentlichen Auftrag zu gefährden.

Zu einer Entscheidung gezwungen, lässt Ray Kristin auf den Sozius seiner Harley aufspringen. Während ihrer überstürzten Flucht erwachen längst vergessen geglaubte Emotionen zwischen Ray und Kristin. Sie heizen in hitzigem Tempo über den heißen Asphalt und erleben dabei einen wilden Trip der Lust.

Doch die drohende Gefahr rückt unaufhaltsam näher und holt sie Meter für Meter ein …

Über die Autorin

Savanna Fox, Jahrgang 1982, lebt mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern sehr glücklich irgendwo im Spessart. 

...

Weitere Teile der Alpha Unit Serie

Leseprobe

Atlanta, Georgia, rechtsmedizinisches Institut, 1.24 Uhr

 

Der Anruf der Mordkommission auf Kristins Handy vor gut zwei Stunden erfolgte nicht unverhofft. Um sie herum herrschte Totenstille. Es war kalt, und in dem sterilen Raum roch es nach den typischen Chemikalien, wie Chlor, Formaldehyd, verschiedenen Desinfektionsmitteln, und letzten Endes nach dem Hauch des Todes. Allein diese Gerüche und die Vorstellung, sich mit einem Leichnam gemeinsam in einem Raum zu befinden, riefen in manchem Neuling nicht selten heftige Übelkeit hervor. Diese Örtlichkeit war nichts für Leute mit schwachen Nerven und einem sensiblen Magen. In der Umgebung von Toten zu arbeiten, war kein einfacher Job....

...Man musste dafür geboren sein und durfte diesen teilweise grauenvoll zugerichteten Mordopfern sowie deren Todesumständen gegenüber nicht zimperlich auftreten. Kristin war es gewohnt, ihre Arbeit an diesem Ort zu verrichten. Sie liebte ihren Job, auch wenn sie sich während ihrer Rufbereitschaft häufig zu den unmöglichsten Zeiten in der Rechtsmedizin befand. In diesem Augenblick war es nicht anders. Seitdem sie zu dem Mordfall gerufen worden war, waren zwei Stunden vergangen. Nun lag die Leiche aufgebahrt vor ihr auf dem kalten Stahltisch.

Ein Mord in einer Großstadt wie Atlanta war nichts Ungewöhnliches. Allein die Bandenkriege und Drogenkartelle forderten jedes Jahr unzählige Opfer. Es war nichts Neues für Kristin, ihr waren die schrecklichen Anblicke dieser Todesopfer mittlerweile vertraut. Gewöhnungsbedürftig blieben für sie nur die Uhrzeiten dieser Einsätze, die meist mitten in der Nacht erfolgten. Und so stand sie nun in ihrem dunkelblauen Kontaminationskittel, mit sterilen Untersuchungshandschuhen, einer Schutzbrille, Haar- und Mundschutz ausgestattet, in dem kühlen Obduktionssaal. Ihre Aufgabe war es, DNS-Spuren von der Leiche zu sichern, diese zu dokumentieren sowie den toten Körper genauestens zu untersuchen und gegebenenfalls Fremdkörper für weitere erforderliche Analysen sicherzustellen. Die so gewonnenen Ergebnisse flossen in die laufenden Ermittlungen der Detectives ein und wurden, ebenso wie die anderen Beweismittel, vor Gericht geltend gemacht. Wenn die Untersuchungsergebnisse zu einem Erfolg führten und ein weiterer Mörder gefasst werden konnte, war das für Kristin ein äußerst erfreulicher Lohn ihrer harten Arbeit. 

Janeen Evans, eine Assistentin des rechtsmedizinischen Instituts, hängte die zuvor erstellten Röntgenaufnahmen an die Lichtwand und wischte ein letztes Mal über die Metallwaage, die zum Wiegen einzelner Organe diente.

»Lass gut sein, Janeen, die Waage wird gleich wieder schmutzig. Geh und ruh dich lieber etwas im Aufenthaltsraum aus. Spätestens, wenn Professor McMullan und ich mit der Autopsie fertig sind, brauchen wir dich wieder hier.« 

Janeen lächelte. »Ich bin gleich fertig.«

Kristin nickte.

»Wenn du mich vorher brauchen solltest, melde dich einfach«, meinte Janeen und legte den Lappen in eines der Waschbecken.

»Das werde ich. Danke.«

Janeen verschwand und ließ Kristin allein zurück. Sie musste warten, bis ihr Chef, Professor Leroy McMullan, ein erfahrener Rechtsmediziner und Pathologe, sich zur Autopsie einfand. Vorher sollte sie mit der Untersuchung der Leiche nicht beginnen, so lauteten seine Anweisungen in diesem Mordfall. Eigentlich war Kristin erfahren genug, um eine Leiche allein zu untersuchen. Sie hatte in den letzten zwei Jahren in Deutschland bereits ausreichend Erfahrungen gesammelt und wusste genau, auf was dabei zu achten war. Seit fünf Monaten arbeitete sie nun im Team der Rechtsmedizin in Atlanta und war bei den Cops inzwischen ebenso angesehen wie ihre Kollegen. Mit viel Engagement und einem freundlichen Auftreten hatte sie sich den Respekt ihrer Kollegen verdient und ihre Position im Team etabliert. Man vertraute auf ihr medizinisches Urteilsvermögen, genauso wie auf ihr Können, eine Leiche zu untersuchen.

Warum Professor McMullan zu der jetzigen Autopsie dazukam und die Leitung übernehmen wollte, war ihr schleierhaft, zumal sie es war, die in dieser Nacht Rufbereitschaft hatte. Höchstwahrscheinlich hatten ihn die Cops über den Mord informiert, was manchmal doch bislang der Fall war, da sie noch recht neu war. Und wenn der Chef der Rechtsmedizin bei dieser Obduktion gerne persönlich dabei sein wollte, bitte, an ihr sollte es nicht liegen. Im Gegenteil, denn vier Augen sahen mehr als zwei. 

Ein Blick auf die Röntgenaufnahmen zeigte, dass sich die Anzahl der Kugeln, die in dem Körper des Verstorbenen steckten, auf fünfundzwanzig belief. Sämtliche Projektile mussten herausgeholt und dokumentiert werden, ehe sie auf Einkerbungen untersucht und für weitere Analysen verwendet wurden. 

Kristin warf einen kurzen Blick nach rechts. Auf dem kalten Stahltisch neben ihr lag das Objekt. Sie trat näher und beugte sich über den Torso des toten jungen Mannes. Er war ein Latino, mexikanischer Abstammung, was seine Ausweispapiere auch belegten. Mehrere Millionen Einwanderer lebten in den Vereinigten Staaten. Für die meisten war es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und viele von ihnen kamen auf der Suche nach einem Neuanfang her. Kristin hatte es als Deutsche ebenfalls in die Staaten verschlagen und sie konnte nur zu gut verstehen, wenn man in diesem Land sein Glück suchen wollte. Sie selbst hatte es geschafft. Der junge Mann vor ihr hatte weniger Glück gehabt.

Sie schluckte.

Langsam ließ sie ihren Blick über den vollkommen entstellten und blutüberströmten Leichnam wandern. Er war gerade einmal neunzehn Jahre alt geworden. Auf seine Stirn war ein blutiges Symbol geschmiert worden, ein eindeutiges Anzeichen für einen Bandenmord und die rivalisierenden Revierkriege, die in dieser Stadt tobten. Jede Gang besaß ein eigenes Erkennungszeichen, wodurch sie sich voneinander unterschieden. Der Tote wurde von seinen Mördern hingerichtet und markiert, als wäre sein Leben vollkommen wertlos gewesen. Bei der Vorstellung, was alles in der direkten Nachbarschaft passierte, zog ein Schauer über Kristins Rücken. Erschreckend. Sie hoffte, mit ihrer Arbeit dabei zu helfen, den Mörder zu schnappen und dieses Verbrechen aufzuklären. 

Die Stahltüren des Raumes öffneten sich und Professor McMullan trat ein.

»Ist wohl noch etwas früh, um ›guten Morgen‹ zu sagen, nicht wahr?«, meinte er und zog sich ein paar Untersuchungshandschuhe an. McMullan war ein Mann mittleren Alters, dessen britischer Akzent nach all den Jahren in den USA nicht verloren gegangen war. Kristin mochte ihren Vorgesetzten, dessen ruhige und besonnene Art das gesamte Team der Rechtsmedizin erfüllte.

»Die Umstände könnten besser sein«, antwortete sie und zählte noch einmal kurz die Bestecke durch.

Seit Monaten regierte in den Vororten von Atlanta und in den anderen amerikanischen Großstädten ein außer Kontrolle geratener Konflikt zwischen Banden und Drogenkartellen. Eine Verbindung zu diesen vorherrschenden Konflikten war in diesem Mordfall mehr als offensichtlich. Armut und Elend belasteten viele Familien, die meist aus Lateinamerika stammten, und diese Tatsache nutzten die Drogenbosse für ihre kriminellen Machenschaften aus. Es war ein stetiger Kampf um die Vorherrschaft der Bezirke, in denen der Kokain-Schnee massenhaft fiel. Keiner wollte sein Territorium freiwillig aufgeben, und es kam zu den blutigen Morden, für die viele Großstadtvororte berüchtigt waren und bei denen die Cops fast immer machtlos zusehen mussten.

»So, was haben wir denn hier?« McMullan sah sich kurz die Röntgenaufnahmen an, dann nahm er die Akte des Toten und las den ersten, vorläufigen Bericht, den der ermittelnde Detective verfasst hatte. Er warf einen kurzen Blick auf die Aufnahmen des Tatortes, an dem man die Leiche aufgefunden hatte. Was man auf den Fotos jedoch nicht sah, waren all die kleinen Details und das schreckliche Bild des Grauens, welches bei diesem blutigen Mord eine Rolle gespielt hatte. Kristin konnte noch immer fühlen, was sie in dem Augenblick verspürte, als sie den Tatort betreten hatte: Angst und blankes Entsetzen über diese grausame Tat. Doch für aufkommende Gefühle hatte sie jetzt keine Zeit, denn sie musste ihren Job erledigen. Und zwar einen verdammt guten, um so viele Beweise wie möglich in diesem Mordfall sicherzustellen.

»Bandenkriege.« McMullan schüttelte den Kopf. 

»Er trägt eine eindeutige Markierung auf der Stirn«, bemerkte Kristin.

»Diese Gangs und Kartelle sind derart skrupellos, dass sie noch nicht einmal mehr vor Kindern haltmachen.«

»Stimmt.« Kristin bezweifelte allerdings, dass der Tote vor ihnen ein unschuldiges Opfer war. 

»Wir werden sehen, was wir tun können, um deine Mörder zu schnappen«, murmelte McMullan dem toten Körper zu.

Kristin zog indessen den Beistelltisch samt Untersuchungsbesteck näher und checkte noch einmal die Funktion des Diktiergerätes, mit dem sie die laufende Untersuchung des Leichnams aufzeichnen würde.

»Bereit?«, fragte McMullan. 

Sie nickte.

In stummer Zweisamkeit begannen sie, das getrocknete Blut vom Körper des Toten zu waschen. Konzentriert arbeitete sich Kristin mit ihrem Vorgesetzten den Körper des jungen Mannes entlang, dessen Zustand sie genauestens dokumentierte. Die Extremitäten wurden auf Abwehrspuren untersucht und Abstriche entnommen. Immer wieder sprach Kristin die Auffälligkeiten an der Leiche in das Diktiergerät, um sie zu einem späteren Zeitpunkt in die Computerakte eintragen zu können. Dann hob sie den linken Arm des Toten und zog mit der Pinzette eine Kugel aus dessen Seite. »Es sind allein fünfzehn Kugeln, die in seinem Oberkörper verteilt stecken.«

»Unfassbar.« McMullan schüttelte den Kopf, und selbst Kristin konnte es kaum fassen, mit was für einer skrupellosen Tat sie es hier zu tun hatten. Teilweise steckten die Geschosse so tief, dass sie das Skalpell benutzen musste, um sie sicherzustellen.

Mitten in ihrer Arbeit riss ein Anruf auf McMullans Handy die beiden aus der Totenstille. Jeder, der im rechtsmedizinischen Institut arbeitete, wusste, wie sehr der Professor es hasste, bei der Arbeit gestört zu werden. Selbst die ermittelnden Detectives des Morddezernats vermieden es, den Professor während einer Autopsie unnötig zu belästigen und riefen deswegen nur im äußersten Notfall an. Möglicherweise war es etwas Wichtiges.

Kristin sah auf. »Soll ich den Anruf für Sie entgegennehmen?«

»Nein.« McMullan biss die Zähne zusammen. 

Das Klingeln des Telefons stoppte nicht und so gab McMullan seine Position am Seziertisch auf.

»Einfach unfassbar.« Genervt zog er die Handschuhe aus und nahm den Anruf mit einem stöhnenden »Gott, ja!« entgegen.

Kristin konnte hören, wie McMullan fluchte. »Herrje, muss das ausgerechnet jetzt sein? … Nein, ich befinde mich gerade mitten in der Autopsie … Ja, meine Liebe, ich werde mich selbstverständlich gleich darum kümmern und nachsehen.« Hastig steckte er das Handy in seine Hosentasche und holte tief Luft. »Das war meine Frau. Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment. Ich bin sofort wieder zurück.«

Kristin sah kurz auf, als McMullan den Kittel auszog und stumm den Raum verließ. Verwundert zuckte sie die Schultern und fuhr schweigend mit ihrer Arbeit fort, die Kugeln sicherzustellen. Wieder zog sie mit der Pinzette eine Kugel aus dem Körper des Toten. Ihrem Blick entging nichts. Mit Argusaugen scannte sie die mittlerweile fahle Haut, die im lebendigen Zustand gebräunt gewesen war. Er hatte unzählige Blutergüsse an den Rippen, die ihm noch vor dem Tod zugefügt worden waren. Vorsichtig drehte sie den Körper auf den Bauch, sodass sie die Rückseite genauer betrachten konnte. Auf dem linken Arm trug er eine Tätowierung, die offenbar seine Bandenzugehörigkeit besiegelte. Direkt daneben weckte eine ziemlich entzündete Narbe ihre Aufmerksamkeit.

Sie beugte sich über die Wunde, die offensichtlich nur laienhaft versorgt worden war und aus der eitriges Wundsekret floss. Sie nahm ihr Diktiergerät und sprach: »Entzündete Wunde mit eitrigem Sekret.« 

Möglicherweise war es eine ältere Schussverletzung, in der noch eine Kugel steckte. Wundern würde es Kristin nicht.

Sie legte das Diktiergerät zur Seite, nahm die Pinzette und kratzte das angetrocknete Sekret von der Infektionsquelle. 

Wie sie es erwartet hatte, ging die Wunde tiefer. Mit leichtem Druck untersuchte sie das narbige Gewebe weiter und stieß dabei auf eine metallische Konsistenz.

Mit Pinzette und Skalpell versuchte sie, den Fremdkörper aus der Wunde zu befreien, was sich jedoch als keine leichte Aufgabe entpuppte.

Konzentriert und vorsichtig trennte sie die einzelnen Hautschichten ab, bis sie den Fremdkörper sehen konnte. Allerdings war es keine Kugel, sondern etwas vollkommen anderes.

Mit der Pinzette zog sie ein Stück Metall hervor, das mehr einem Computerchip als einer Pistolenkugel glich.

Neugierig betrachtete Kristin das kleine Metallstück, das ungefähr 1,5 cm auf 2 cm maß, und griff erneut nach dem Diktiergerät. »Fremdkörper entfernt. Frage: Mikrochip?«

Es war ein Mikrochip, da war sie sich vollkommen sicher. Zwar hatte sie so etwas noch nie in einem Leichnam vorgefunden, der Anblick ließ jedoch keinen Zweifel daran, um was es sich handelte. Natürlich wurde ihre Neugierde damit noch mehr geweckt. Doch es war nicht ihre Aufgabe herauszufinden, weshalb sich dieser Chip in dem Körper des Toten befand. Diese Aufgabe war den Cops vorbehalten, aber Kristin war sich sicher, dass sie früher oder später Informationen darüber erhalten würde.

Sie nahm einen sterilen Plastikbecher, legte den Mikrochip vorübergehend hinein, als sie ein dumpfes Geräusch hörte. Sofort sah sie auf und blickte zur Tür, durch die Professor McMullan zuvor verschwunden war. Sie lauschte angestrengt, doch sie konnte kein weiteres Geräusch vernehmen. 

Möglicherweise hatte sich der Professor irgendwo gestoßen.

Sie zuckte die Schultern und entledigte sich ihres blutigen Kontaminationskittels, um im Nebenraum eine Spezialvakuumbox für den Chip zu holen, da dieser nicht in Formaldehyd eingelegt werden durfte. Die Box verhinderte, dass Daten oder mögliche DNA-Spuren auf dem Chip verloren gingen. 

Als sie wieder zurückkam, bemerkte sie, dass die große Stahltür offen stand und sie nicht mehr allein war. Doch es war nicht McMullan, der sich über die Leiche beugte und auf den Körper des Toten blickte. Es war ein dunkelhaariger Mann, den sie noch nie zuvor in diesen Räumen gesehen hatte. Er trug dunkle Lederkleidung und sah nicht wirklich wie ein Ermittler aus. Offenbar hatte er sie noch nicht bemerkt, denn sein Blick glitt suchend über den Leichnam.

War er doch ein Cop? 

Nein, sein gesamtes Verhalten und sein Aussehen sprachen dagegen. Kristin kannte Cops. Sie kannte deren Auftreten und Benehmen, wenn sie sich in der Rechtsmedizin eine Leiche ansahen. Das Interesse war nur von kurzer Dauer, da der Geruch einer Leiche, die bereits einige Stunden hier lag, sie normalerweise naserümpfend Abstand nehmen ließ. Dieser Kerl wich jedoch nicht zurück. Nein, ihm schien der Verwesungsgeruch überhaupt nichts auszumachen, stattdessen hob er den linken Arm des Toten an, begutachtete kurz die eitrige Wunde, ließ den Arm wieder fallen und blickte sich suchend um. 

Nein, der Typ war kein Cop. Doch was um Himmels willen hatte er dann hier zu suchen? Und warum beäugte er derart neugierig den Leichnam?

Sie sollte ihre Antwort augenblicklich bekommen, denn nachdem er den Chip aus der Leiche in dem Becher entdeckt hatte, steckte er ihn in seine Jacke und laute Alarmglocken schrillten in ihr auf. 

»Hey, was machen Sie da?«, rief sie fassungslos. 

»Oh shit!«, fluchte er laut, und ehe Kristin überhaupt bis zwei zählen konnte, hatte sich der Kerl zu ihr gedreht, seine Pistole gezogen und sie direkt auf sie gerichtet, sodass sie sich dem Lauf gegenübersah.

»W… was?« Kristin krampfte sich vor Schock innerlich zusammen, und noch während ihre Lippen sich öffneten, um nach Hilfe zu rufen, drohte er: 

»Keine Bewegung! Und kein falscher Laut! Verstanden?«

Kristins Schrei blieb in ihrer Kehle stecken, während ihr Hals unwillkürlich zu brennen begann. Keuchend versuchte sie nach Luft zu schnappen und nickte beinahe bewegungsunfähig. Sie konnte fühlen, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Ihre Beine fingen an zu zittern, ebenso wie ihre Hände. Panische Angst überfiel sie, und sie fasste sich ängstlich an den Hals.

»Bitte schießen Sie nicht.« Ihre Stimme klang wimmernd, ihr Flehen darin war unüberhörbar. Sie wollte losrennen, raus, weg von hier. Er ließ sie nicht aus den Augen, während er mit seiner Waffe weiterhin auf ihr Gesicht zielte.

Dann änderte sich sein äußerst ernster, undurchsichtiger Gesichtsausdruck schlagartig, und er blinzelte mehrmals. Seine Stirn legte sich in Falten, als er sie mit absoluter Ungläubigkeit anstarrte und ihm in einem völlig schockierten und unerklärlichen Ton »Kristin?« über die Lippen kam. 

 

Ray war verwirrt und vollkommen vor den Kopf gestoßen.

Was zum Teufel geht hier vor sich? 

Das konnte nicht sein. Nein. Konfus sah er sie an, doch sie sah aus wie … »Kristin? Bist du das?«

Er konnte sehen, wie sie stumm nickte und ihn ebenso entgeistert anstarrte, wie er sie ansehen musste. Er schluckte schwer, als er realisierte, dass sie es tatsächlich war. Aber was hatte sie hier zu suchen? 

Fassungslos und völlig baff starrte er sie an, während sich sein Herzschlag rasend schnell beschleunigte und ihm mit einem Mal tausend Dinge durch den Kopf gingen, die ganz und gar nichts mit dieser Situation zu tun hatten.

Wie in Trance wurde er mit einem Schlag zehn Jahre zurückversetzt, und er erinnerte sich an jene heiße leidenschaftliche Nacht, die er mit ihr gemeinsam in Heidelberg verbracht hatte …

Für einen Moment tanzte vor seinen Augen das Bild der aufgeschlossenen Medizinstudentin, die ihn in ihrem gelb geblümten Sommerkleid auf der Geburtstagsfeier von General Pfitzner, dem seinerzeit ranghöchsten General der US Army Europe und zur damaligen Zeit mit ihrem Vater eng befreundet, interessiert angelächelt hatte. Es war ein Lächeln, das er nie hatte vergessen können. Ebenso wenig hatte er vergessen können, wie dieselbe heiße Medizinstudentin mit ihm gemeinsam auf sein Motorrad gesprungen und in die lusterfülltesten Stunden seines Lebens abgetaucht war.

Kristin …

Er schloss für einen Moment die Augen und sah ihre nackte, pfirsichfarbene Haut im Licht der aufgehenden Sonne vor sich schimmern. Ihr dunkelblondes Haar lag wie seidige Engelslocken über ihrem Rücken, nachdem er das Bett dieser schlafenden Schönheit verlassen hatte. 

Sie war ein Traum von einer Frau gewesen, deren Leidenschaft keine Grenzen kannte, sodass er nicht anders gekonnt hatte, als sich in ihr zu verlieren. Selbst nach all den Jahren rief die Erinnerung an diese gemeinsame Nacht mit ihr eine Lust in ihm hervor, die er sich nicht erklären konnte, die seinen Schwanz bis heute erregt pulsieren ließ. Wie er sich später danach verzehrt hatte, ihre zarte Haut noch einmal berühren zu dürfen, um das Gefühl dieser unersättlichen Gier endlich stillen zu können. Es war ein Wunsch, den er, seit er sie in den warmen Laken ihres Bettes zurückgelassen hatte, hegte. Damals hatte er keine Wahl gehabt, als sie zu verlassen … 

Es war sowieso schon ein Wunder gewesen, dass er nicht mit ihr zusammen erwischt worden war, während er mit ihr gemeinsam seinen Hunger nach Sex stillte. 

Allein bei der Erinnerung daran, wie sich die engen Muskeln ihrer Vagina um seinen steifen Schaft zusammengezogen hatten, wurde er hart. 

Im Nachhinein hatte er sich nicht nur einmal gefragt, ob es ein Fehler gewesen war, mit ihr ins Bett zu gehen, denn er fühlte sich nach dieser einen Nacht mit ihr wie verhext. Mit keiner anderen Frau war es für ihn jemals so erfüllend gewesen wie mit Kristin, und er fragte sich, warum.

Er konnte sich bis heute nicht erklären, was an Kristin so besonders war und was den anderen Frauen, mit denen er sich im Laufe der Jahre mehr oder weniger eingelassen hatte, fehlte. Irgendwann war er zu dem Entschluss gekommen, dass es einfach so war …

Sie nun vor sich stehen zu sehen, brachte seine Gedanken und sein geplantes Vorhaben völlig durcheinander, und er spürte, wie ihn ihre Anwesenheit in lustvoller Weise ergriff.

Gänsehaut überzog seinen Rücken und kribbelte auf seiner Haut. Unter schweren Atemzügen musste er sich eindringlich dazu zwingen, die Erinnerungen der Vergangenheit zu verdrängen, um sich auf das Hier und Jetzt und sein geplantes Vorhaben zu konzentrieren, das keine Zwischenfälle duldete. 

Er fühlte sich durch ihr unerwartetes Auftauchen wie vor den Kopf gestoßen und sah sie noch immer blinzelnd und perplex an, während er ungläubig den Kopf schüttelte, als würde sie dadurch verschwinden. Doch sie stand auch weiterhin vor ihm, und er musste zugeben, dass er die Welt nicht verstand. Wie war es möglich, dass Kristin, seine Kristin, hier in Atlanta war? Die Zeit schien für ihn stillzustehen, und ja, er konnte es sich nicht nehmen lassen, einen neugierigen Blick über sie gleiten zu lassen. 

Natürlich hatte sie sich mit der Zeit verändert, doch das, was er sah, gefiel ihm nicht weniger, als es damals bereits der Fall gewesen war. Heute trug Kristin ihr dunkelblondes Haar etwas kürzer. Sie hatte es zu einem Zopf gebunden, aus dem einzelne Strähnen herausfielen. Ihr Gesicht war fraulicher, um die Augen besaß sie einen feinen Hauch von Härte, die er vor zehn Jahren noch nicht ausmachen konnte, die sie jedoch ausgesprochen attraktiv machte. Und als sein Blick über ihre Figur glitt, erkannte er, dass sich die Zeit ebenso positiv auf ihren bereits femininen Körper ausgewirkt hatte. Sie war schon damals schlank gewesen, doch heute verliehen ihr ihre Hüften ein ungemein weibliches Aussehen, das Kristin für ihn zu einer äußerst faszinierenden Frau machte. Eine Frau, die er vor zehn Jahren berührt und verführt hatte, die ihn bisweilen bis an seine Grenzen brachte, während er sich unersättlich in ihr verloren hatte. Kristin … sie war die letzte Frau, mit der er sich … Nein! Denk bloß nicht daran!

Doch es war zu spät, und er kniff fest die Augen zusammen, als er sich vorstellte, wie sie nackt und willig unter ihm lag und sich an ihm räkelte. 

Er spürte, wie die Vorstellung heißes Blut in seinen bereits hart werdenden Schaft trieb und sich die Lederhose äußerst eng um seinen Penis presste. Schwer atmend musste er ein Aufstöhnen unterdrücken, als heiße Lust durch seinen Schwaz peitschte.

Ja, Kristin hatte schon immer eine solch verheerende Wirkung auf ihn gehabt, und nach all den Jahren hatte sich ganz offensichtlich nichts daran geändert. Doch in diesem Moment war Ray über diese Reaktionen überhaupt nicht erfreut.

Verflucht, er wusste, er steckte in ziemlichen Schwierigkeiten.

 

Was zum Teufel war hier plötzlich los? 

Benommen und schockiert starrte Kristin ihr Gegenüber an. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie versuchte, die richtigen Worte zu finden. Sie fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen und spürte noch immer die Bedrohung durch ihren Körper jagen, die er mit seiner Waffe in ihr ausgelöst hatte, als sie mit zittriger Stimme flüsterte: »Ray?« Die Angst und der Schock waren selbst für sie deutlich hörbar. 

Sie blinzelte und schüttelte ungläubig den Kopf. War es tatsächlich Ray, der hier vor ihr stand? Nein, das konnte nicht sein. Es war unmöglich … Doch warum sah dieser Kerl aus wie Ray McKay?

Kristin war vollkommen verwirrt. Als sie erneut den Kopf schüttelte, nickte er wortlos, woraufhin Kristins Herz noch heftiger schlug, während sie seinem neugierigen Blick mit klammem Gefühl in ihrer Brust standhielt.

»Ray«, hauchte sie seinen Namen, als wollte sie sich selbst nochmals bestätigen. »Du … hier?« Wieso stand er plötzlich vor ihr? Was hatte er hier zu suchen?

Wieder nickte er nur, anstatt ihr eine richtige Antwort zu geben. Sie leckte sich über ihre trockenen Lippen und sah ihn fragend an. Ihre Verwirrung über sein plötzliches Auftauchen musste ihr wahrlich ins Gesicht geschrieben sein. Sein Blick drang ebenso fragend in sie ein. Ihr Puls beschleunigte sich so sehr, bis sie diesen beinahe onyxfarbenen Augen nicht mehr standhalten konnte und den Blickkontakt zu ihm abbrach. 

Sie spürte, wie ein Prickeln über ihre Haut zog, als er sie von Kopf bis Fuß taxierte.

Augenblicklich wurde sie von ihrer eigenen Neugierde ergriffen und musterte stumm seine Gesichtszüge. Feine Falten, die er seinerzeit noch nicht besessen hatte, zierten seine Augen und seine Stirn und verliehen ihm ein äußerst attraktives Aussehen. 

Sie empfand ihn bereits vor zehn Jahren als äußerst gutaussehend und wurde von seinem maskulinen und geheimnisvollen Auftreten unaufhaltsam angezogen. Viel hatte sie nicht über ihn gewusst, nur, dass er EOD »Explosive Ordnance Disposal« Chief Officer im Bombenentschärfungskommando der Army der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen war. 

Für sie jedoch war er einfach nur Ray, ein netter junger Soldat, der ihr zum ersten Mal im Army Medical Center in Heidelberg aufgefallen war, wo sie während ihres Medizinstudiums ein Praktikum ableistete. Was sie ebenfalls über ihn wusste, war, dass er ein verflucht sexy Motorradfahrer sowie ein äußerst talentierter, aufmerksamer und auf ihre Lust und Bedürfnisse eingehender Liebhaber war. Er war ihr Ray – zumindest war er es für diese eine Nacht vor zehn Jahren gewesen. 

Noch immer konnte sie sich daran erinnern, wie seine heiße feuchte Haut sich an ihre gedrängt hatte, als sie sich mit ihm in sexueller Ekstase in den kühlen Laken ihres Bettes gewunden hatte. Bis heute hatte sie nicht vergessen können, wie hart sich seine tanzenden Rückenmuskeln angefühlt hatten, als sie mit ihren Fingerspitzen darüber geglitten war, während sie die Beine um seine Lenden geschlungen hatte und er sie so hingebungsvoll fickte. In diesem Augenblick wurde sie von einer unstillbaren Lust durchströmt, die sie in dieser einen Nacht mit ihm verspürt hatte. Allein der Gedanke an Rays lustvolle Berührungen löste ein Prickeln in ihr aus, und sie spürte, wie das hungrige Verlangen in ihr erwachte. Hitze stieg in ihr auf und sammelte sich in erregenden Wellen zwischen ihren Schenkeln.

Rays Anwesenheit und die Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht waren mit einem Schlag so intensiv, dass das Verlangen brodelnd heiß in ihr aufstieg. Es war, als erwachten mit einem Mal tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch, die ein wildes unkontrollierbares Flattern begannen, das sich zwischen ihren Schenkel ausbreitete und ihre Schamlippen zum Anschwellen brachte. 

Scharf zog sie die Luft ein. Das kribbelnde Verlangen, dieser pulsierende Schmerz, der sich von ihrer erregten Perle in das feuchte Zentrum ihrer Spalte schlich, intensivierte sich beinahe schmerzhaft.

Kristin keuchte auf, als sie die verräterischen Reaktionen ihres Körpers realisierte. Sie schluckte schwer. Hitze stieg in ihr auf und prickelnde Schauer rollten ihre Wirbelsäule hinunter, als sie Rays hungrigen Blick auf sich ruhen fühlte. Sie spürte, wie all die Gefühle und das Verlangen, das sie bereits damals für Ray empfunden hatte, von Neuem in ihr aufflammten und sie ebenso schnell überfielen, wie er hier aufgetaucht war. 

»Verdammt, Kristin, ich kann es einfach nicht glauben.« 

Und ich erst … Unbewusst biss sie sich auf die Unterlippe. Sie konnte es wirklich nicht lassen, ihn anzusehen. Mist …

Schon damals sah er unglaublich sexy aus. Doch heute, in dieser dunklen Lederbekleidung, wirkte er noch maskuliner, irgendwie härter, verwegener. Seine Stimme klang tiefer als vor zehn Jahren. Seine Schultern waren breiter, definierter. Seine Erscheinung war insgesamt muskulöser, was sie unter dem eng anliegenden Stoff seines schwarzen Shirts, das er unter seiner Lederjacke trug, gut erkennen konnte. Sein Haar schimmerte noch immer schwarz wie die Nacht und hatte von seinem Glanz nichts verloren, nur trug er es heute etwas länger. 

Sie hatte es genossen, ihre Finger durch diese samtenen Strähnen gleiten zu lassen, während er zwischen ihren Schenkeln kniete und seine Lippen von ihrer Pussy nicht genug bekommen konnten.

Sie musste die Augen schließen und ein Stöhnen unterdrücken, als sie sich an diesen Moment zurückerinnerte. Leider kam diese Erinnerung zum absolut schlechtesten Zeitpunkt überhaupt, auch wenn ihr Körper das anders sah. Denn was sie in diesem ganzen Schmetterlingstrubel zwischen ihren Schenkeln vergaß, war, wie diese Nacht mit Ray damals zu Ende ging, und das war ihr nicht gerade positiv in Erinnerung geblieben. Es war für sie zu einem wahren Desaster ihrer Gefühle geworden, als sie am nächsten Morgen allein in ihrem Bett erwachte. Noch immer fühlte sie die Scham und Schmach, fühlte sich benutzt wie ein billiges Flittchen, das nur für Sex gut war. Die Tatsache, dass Ray es damals nicht einmal für nötig befunden hatte, ihr ein paar Zeilen zu hinterlassen, als er sich aus dem Bett geschlichen und sich danach nie wieder bei ihr gemeldet hatte, machte die ganze Sache für sie bis heute zur reinsten Enttäuschung, selbst wenn der Sex mit ihm noch so fantastisch gewesen war …

Dass er bereits nach einer Minute schon wieder diese verborgenen Sehnsüchte und Reaktionen in ihr hervorrief, ärgerte sie maßlos. Erst recht, weil er sie so sitzen gelassen hatte. Sie machten sie wütend auf ihn, vor allem aber auf sich selbst. 

Zornig biss sie die Zähne zusammen. Nein, sie musste diese Gefühle dringend unterdrücken, besser gesagt durfte sie erst gar nicht mehr daran denken. Außerdem sollte sie sich ins Gewissen rufen, dass seine Anwesenheit und ihre Reaktion darauf nichts an der Tatsache änderte, dass er gerade dabei war, den Chip aus der Leiche zu stehlen.

»Was hast du hier zu suchen? Was tust du überhaupt in Atlanta?«, riss sie seine erstaunte Frage endgültig aus ihren gefühlstrunkenen Gedanken.

Mit Bedacht sah sie ihn an. »Ich arbeite hier und bin gerade dabei, diese Leiche zu untersuchen und Beweise zu sichern.«

Irritiert zog er eine Augenbraue hoch. »Du sicherst Beweise? Is’ ja ’n Ding.«

Ein Ding war, dass Ray McKay nach einer halben Ewigkeit wie aus dem Nichts auftauchte, sich unerlaubt Zutritt zu diesem Gebäude verschafft hatte und sich auch noch diesen Chip unter den Nagel reißen wollte. Mit dem gedachte er höchstwahrscheinlich auch noch abzuhauen, was sie allerdings nicht zulassen würde. 

»Ganz genau, das tue ich. Und im Gegensatz zu mir hast du hier rein gar nichts verloren, was bedeutet, du wirst mir jetzt ganz schnell wieder das geben, was du gerade an dich genommen hast, und dann verschwindest du von hier!«

Ray sah sie amüsiert an. »So, du möchtest also, dass ich verschwinde.« 

»Stimmt genau.« Kristin hielt ihre Hand auf und sah Ray ungeduldig an.

Doch Ray schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Baby, ich muss dich leider enttäuschen, du wirst weder etwas von mir zurückbekommen, noch mich auf die Schnelle wieder los werden«, sagte er und grinste sie dabei provozierend an. 

Fassungslos sah sie ihn an. 

Dieser verfluchte Mistkerl! Anmaßend und unverschämt, genauso wie damals, als er sich einfach wortlos aus dem Staub gemacht hatte. »Und ob du das wirst, Ray!«

»Komm schon, Kristin, das meinst du doch nicht ernst.« Sein Grinsen wurde noch breiter. 

Was erlaubte sich dieser Kerl eigentlich und wen dachte er, hier vor sich stehen zu haben? »Sehe ich etwa aus, als würde ich Witze machen? Es geht um Beweise in einem Mordfall!« Kristin schnaubte verächtlich. Seine Arroganz machte sie wütend. »Das ist ein Beweisstück, das du in deine Jacke gesteckt hast! Gib es sofort wieder her!« Sie würde ihn auf keinen Fall damit davonkommen lassen. Da half auch kein anschmachtender Blick von ihm, als er sich lässig vor sie stellte.

»Das ist mir schon klar«, bemerkte er und musterte sie mit offenkundiger Neugierde, als wäre der Chip für ihn in diesem Augenblick vollkommen nebensächlich.

»Dann gib ihn mir endlich!«, zischte sie erregt. »Oder was hast du damit vor?«

Ray schwieg und beäugte sie ungeniert weiter. Als würde er wissen, welche Gefühlsregungen er in ihr auslöste, wurde sein Grinsen immer breiter. Sie spürte, wie sie dabei war, vor Wut die Geduld zu verlieren. Unbeherrscht schrie sie: »Verdammt noch mal, Ray, jetzt gib ihn mir endlich!«

Wieder schüttelte er den Kopf und meinte grinsend: »Ich kann mich an eine Zeit vor zehn Jahren erinnern, da hast du mich ebenfalls so angeschrien, um etwas ganz anderes von mir zu bekommen. Da hattest du es genauso nötig wie jetzt.« 

Dieser Bastard! Erbost sah sie ihn an. Seine Sprüche hatten sich auch nicht geändert. Um genau zu sein, er hatte sich überhaupt nicht verändert. Na gut, er war zu einem sehr passablen, nein, zu einem unglaublich attraktiven Mann geworden, bei dem es sich für Frau lohnte, einen zweiten Blick zu riskieren, das musste sie sich wohl oder übel eingestehen. Doch ansonsten war er noch immer wie eh und je, und sein jetziges Auftreten bestätigte ihr, dass sich ein Ray McKay niemals ändern würde. Er kam, um sich zu nehmen, was er wollte, und dann verschwand er wieder, ohne zurückzublicken. Genauso wie damals. Verachtend sah sie ihn an. »Du hast dich rein gar nicht verändert.«

Doch bevor Ray etwas erwidern konnte, hallten Schüsse durch das Gebäude. 

»Runter!«, rief er und drückte sie so unvermittelt zu Boden, dass sie beim abrupten Luftschnappen einen stechenden Schmerz in der Seite verspürte.

»Was … Was war das?« Angst überfiel sie, ließ sie Hilfe suchend umherblicken. Alarmierend schlug ihr Herz gegen ihre Brust, während Rays Oberkörper auf ihrem Rücken lag.

»Oh shit!«, fluchte Ray, und bereits in der nächsten Sekunde spürte Kristin seine Finger auf ihrem Oberarm, die sie mit festem Griff packten, nach oben und gleichzeitig in Richtung Tür zogen. »Los! Komm schon!«

»Was … was soll das? Lass mich sofort los!«

»Schh! Sei still, verdammt!«, ermahnte er sie augenblicklich. 

Erschrocken sah sie zu Ray, der seine Waffe einsatzbereit in der Hand hielt und einen prüfenden Blick in den Gang warf. 

»Dann lass mich zuerst los!« Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch Ray ließ nicht locker und presste seine Finger noch fester in ihren Oberarm. »Autsch, verdammt!«

»Ich sagte, sei still, oder willst du, dass man uns findet?« 

Kristin schüttelte den Kopf, und Ray warf einen zweiten prüfenden Blick in den Flur. 

»Was ist hier eigentlich los? Was hat das alles zu bedeuten?« 

»Psst!« Ray hob den Zeigefinger an seine Lippe und wartete. 

Kristin spitzte ebenfalls die Ohren, doch sie vernahm nichts. Keine weiteren Schüsse, keine Personen, die über den Flur rannten. Keine Polizei. Als wäre überhaupt nichts geschehen. Es war einfach nur totenstill, und das war äußerst merkwürdig.

»Wo um Himmels willen bleibt das Wachpersonal? Warum kommen uns keine Cops zur Hilfe?«, flüsterte sie und sah Ray fragend an. Tagsüber wimmelte es in diesem Gebäude nur so vor uniformierten Sicherheitsbeamten, die die Ein- und Ausgänge kontrollierten und ungebetene Gäste fernhielten. Doch jetzt, wo sie deren Dienste wahrlich brauchen könnte, war noch nicht mal einer in der Nähe. 

»Wahrscheinlich hat der Schütze die Wachen getötet, ehe sie einen Hilferuf abgeben konnten.«

»Ich muss die Cops anrufen!«, rief Kristin aufgebracht und wollte zum Telefon rennen. Ray hielt sie jedoch zurück. 

»Sei lieber froh, dass sie nicht hier sind«, meinte er.

»Wieso?« Misstrauisch sah sie ihn an. 

Ray presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, doch sie ließ sich nicht in die Irre führen. »Verdammt, Ray, hier wurde geschossen! Es wird wahrscheinlich nicht lange dauern und man schießt auf uns!«

»Genau deshalb sollst du endlich deinen Mund halten und besser mit mir kommen!« 

Ja, natürlich! Das würde sie auch bestimmt tun. »Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich? Ich werde garantiert nicht mit dir kommen. Du bist ein Einbrecher! Du hast den Chip gestohlen! Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass du damit abhaust!«

»Tatsächlich? Was willst du denn dagegen tun?«

Das wusste sie selbst noch nicht, außer, dass sie ihn irgendwie hinhalten musste, bis die Cops eintrafen. 

»Hilfe!«, schrie sie lauthals los, und in der nächsten Sekunde spürte sie auch schon, wie Rays Hand ihre Lippen zusammenpresste.

»Verdammt, halt endlich deinen Mund! Oder willst du genauso enden wie der Tote auf deinem Seziertisch?«

Panik stieg in Kristin auf, und sie schüttelte angsterfüllt den Kopf. »Nein«, flüsterte sie, als Ray von ihren Lippen ließ, denn das hatte sie absolut nicht vor.

Ray fasste sie erneut am Arm. »Dann hör auf damit, verstanden?« Seine Stimme nahm einen kühlen, fast drohenden Klang an. Eingeschüchtert blickte sie zu ihm auf. Sie konnte sehen, wie sich seine Miene veränderte. Er wirkte bestimmend, emotionslos, fast unnahbar und jagte ihr ein unangenehmes Gefühl von Angst ein. Doch trotz dieses Angstgefühls konnte sie Ray nicht mit dem Chip aus der Leiche entkommen lassen. Fieberhaft versuchte Kristin, einen klaren Kopf zu bekommen, was ihr unter diesen Umständen leider nicht gelang. Unentwegt sah sie in den Gang. Die Schüsse waren verebbt. Im Augenblick war es, wie auch zuvor, totenstill. Sie konnte ihren eigenen Herzschlag hören, der bedrohlich in ihren Ohren hallte. Ray schien zu warten, und sie wagte es nicht, ihn anzusehen.

Die Situation war mehr als merkwürdig. Wo zum Teufel blieben nur die Cops?