Club Noir: Blutnächte

Er­schie­nen: 12/2007
Serie: Club Noir
Teil der Serie: 2

Genre: Fan­ta­sy Ro­mance

Lo­ca­ti­on: Bel­gi­en, Brüs­sel

Sei­ten­an­zahl: 180 (Über­grö­ße)

Hör­pro­be: Rein­hö­ren

Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-93828-139-0
ebook: 978-3-86495-005-6

Preis:
Print: 14,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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Club Noir: Blutnächte


In­halts­an­ga­be

An­d­rew Mc­Cloud, dem bis­lang die Füh­rung der Brüs­se­ler Vam­pir-Bar „Club Noir“ oblag, über­gibt die Lei­tung des Clubs dem mäch­ti­gen Vam­pir Pas­cal. Ins­ge­heim be­lä­chelt Pas­cal An­d­rews Liebe zu einer Frau, denn er selbst hält sich Frau­en ge­gen­über für ge­fühls­kalt. Das än­dert sich al­ler­dings, als die tem­pe­ra­ment­vol­le Psy­cho­lo­gie-Stu­den­tin Isa­bel­la auf den Spu­ren des Vam­pir-My­thos im „Club Noir“ auf­taucht. Sie gerät in die Fänge des ver­rä­te­ri­schen Vam­pirs Pier­re, der An­d­rews Ab­we­sen­heit für seine düs­te­ren Spie­le nutzt. Nicht genug, dass Isa­bel­la plötz­lich zum Aus­lö­ser eines Macht­kamp­fes wird, oben­drein muss sie sich ein­ge­ste­hen, wie sehr sie sich doch von der Nacht – vor allem aber von Pas­cal – an­ge­zo­gen fühlt ...

Die Fort­set­zung von "Club Noir" und "Mi­chel­les Ver­füh­rung".

 

Über die Au­to­rin

Emi­lia Jones ist das Pseud­onym der Au­to­rin Ul­ri­ke Rei­ne­ke. Die Au­to­rin, Jahr­gang 1978, ist bis heute wohn­haft in der nie­der­säch­si­schen Klein­stadt Gro­nau (Leine). Sie ist ge­lern­te Rechts­an­walts- und No­tar­fach­an­ge­stell­te und ar­bei­tet in der tech­ni­schen Ab­tei­lung einer Zei­tung. Seit März 2004...

Wei­te­re Teile der Club Noir Serie

Le­se­pro­be

Szene 1

Pas­cals Kör­per vi­brier­te. Er spür­te, wie sich ein immer in­ten­si­ver wer­den­des Häm­mern durch sei­nen Brust­korb zog. Es lähm­te ihn auf un­er­klär­li­che Weise. Und als er schon glaub­te, es könn­te gar nicht mehr schlim­mer kom­men, krümm­te er sich vor Schmerz zu­sam­men. Ein hef­ti­ger Krampf er­griff Be­sitz von ihm.
Der Mor­gen war an­ge­bro­chen. Ob­wohl Pas­cal in sei­nem düs­te­ren Ver­steck kei­nen Son­nen­strahl sehen konn­te, wuss­te er es. Er er­leb­te den An­bruch des Tages wie nie zuvor. Denn für ge­wöhn­lich be­fand er sich zu die­sem Zeit­punkt längst in einem tie­fen Schlaf. Nicht aber an die­sem Mor­gen.
Das Ver­las­sen Isa­bel­las quäl­te ihn. Er fühl­te...

...​ihre Angst und die auf­kom­men­de Panik, die sie ner­vös nach ihren Sa­chen grei­fen ließ. Sie konn­te den Club gar nicht schnell genug wie­der ver­las­sen. Als die Tür schließ­lich hin­ter ihr ins Schloss fiel, sank Pas­cal in sich zu­sam­men. Die An­span­nung ver­flog jäh. Zu­rück blieb der Ge­schmack einer un­er­klär­li­chen Macht.
Pas­cal blieb eine Weile still lie­gen und starr­te in die Dun­kel­heit. Er hatte auf sein Ver­steck in einer klei­nen Kam­mer, di­rekt neben dem Schlaf­zim­mer, zu­rück­grei­fen müs­sen. Ein un­be­que­mer Ort mit nicht viel mehr Mo­bi­li­ar als einem Bett und einem win­zi­gen Schrank.
Viel lie­ber wäre er al­ler­dings auf der an­de­ren Seite der Tür ge­we­sen, um Isa­bel­la am Gehen zu hin­dern. Wie hatte er nur so ver­rückt sein kön­nen und hof­fen, sie würde frei­wil­lig blei­ben und auf ihn war­ten? Er ver­stand sich selbst nicht. Seine Ge­füh­le. Vor allem aber diese merk­wür­di­gen Kör­per­re­ak­tio­nen seit dem Sex mit Isa­bel­la. Etwas Ähn­li­ches hatte er bei kei­ner Frau zuvor ver­spürt.
War es das, was An­d­rew so ver­än­dert hatte?
Er muss­te sich ganz ein­fach da­ge­gen weh­ren. Ver­flucht soll­te er für seine Schwä­che sein!
Er war ein mäch­ti­ger Vam­pir, der alles haben konn­te, was er nur woll­te. Diese Frau – Isa­bel­la – spiel­te keine Rolle. Sie war nur eine ganz ge­wöhn­li­che Frau. Nichts Be­son­de­res. Das sagte Pas­cal sich immer und immer wie­der, bis er schließ­lich doch noch sei­nen tie­fen, to­des­glei­chen Schlaf fand.

****

Ver­wirrt stol­per­te Isa­bel­la durch die Stra­ßen. Sie ver­such­te sich an das zu er­in­nern, was vor ihrem Auf­ent­halt in dem Vam­pir-Club ge­sche­hen war. Es schien in so wei­ter Ferne zu lie­gen, dass sie es kaum grei­fen konn­te.
Loui­sa. Hatte die Freun­din sie nicht davor ge­warnt, dort­hin zu gehen?
Isa­bel­la frag­te sich, wie spät es ei­gent­lich war. Sie hatte für die­sen Tag ge­wiss schon eine oder meh­re­re Vor­le­sun­gen ver­passt. Loui­sa würde sich ver­mut­lich Sor­gen ma­chen.
Vor der Tür einer Apo­the­ke ent­deck­te sie eine di­gi­ta­le Uhr­zeit­an­ga­be. Erst in die­sem Mo­ment wurde ihr be­wusst, wie schwer der Kopf auf ihren Schul­tern las­te­te. Alles dröhn­te und rausch­te. Sie fühl­te sich sogar ein wenig be­nom­men. Den­noch re­gis­trier­te sie die Uhr­zeit: 8.35 Uhr. Über­ra­schend früh, wie sie sich selbst ein­ge­stand. Dann ging sie wei­ter, ohne in der Apo­the­ke nach einem Me­di­ka­ment zu fra­gen. Was hätte sie auch ver­lan­gen sol­len? Ein An­ti-Vam­pir-Se­rum? Man hätte sie aus­ge­lacht. Ganz si­cher.
We­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter er­reich­te Isa­bel­la ihre Woh­nung. Au­to­ma­tisch fisch­te sie ein Wer­be­pro­spekt aus dem Brief­kas­ten­schlitz und klemm­te es sich unter den Arm. In ihrer Hand­ta­sche wühl­te sie nach dem Schlüs­sel. Ein kur­zer Schreck durch­fuhr ihre Glie­der, als sie ihn nicht auf An­hieb fand. Doch schließ­lich stie­ßen ihre Fin­ger gegen das er­lö­sen­de Me­tall. Sie schloss auf, stieg die we­ni­gen Trep­pen­stu­fen empor und öff­ne­te die Tür zu ihrer Woh­nung. Im Flur wäre sie bei­na­he zu­sam­men­ge­bro­chen. Tau­melnd, mit der Wand als Stüt­ze, er­reich­te sie ihr Wohn­zim­mer und ließ sich der Länge nach auf das Sofa fal­len.
Ihr Herz klopf­te zum Zer­sprin­gen. Die Bil­der in ihrem Kopf wür­den sie noch in den Wahn­sinn trei­ben. Immer wie­der schob sich die­ser blon­de Ver­füh­rer in ihre Ge­dan­ken. Sie wuss­te nicht, wie sie ei­gent­lich in seine Arme ge­ra­ten war. Doch sie spür­te, wie sehr sie seine Be­rüh­run­gen ge­nos­sen hatte. So sehr, dass sie am liebs­ten an gar nichts an­de­res mehr den­ken woll­te.
Wie pri­mi­tiv du bist, schimpf­te sie sich selbst!
Und doch seufz­te sie und schlang die Arme en­er­gisch um eines der So­fa­kis­sen, als sie nun so da lag und vor sich hin schlum­mer­te.

***

Gegen Mit­tag wurde sie von einem per­ma­nen­ten Klin­geln, be­glei­tet mit stür­mi­schen Klop­fen an ihrer Tür, in die Rea­li­tät zu­rück­ge­schleu­dert.
„Isa­bel­la! Mach doch end­lich auf! Ich weiß, dass du da drin bist! Man hat dich rein­ge­hen sehen!“
Loui­sa?
Isa­bel­la kämpf­te sich vom Sofa hoch. Für einen grau­en­haf­ten Mo­ment glaub­te sie, ihr Kopf würde nun end­gül­tig zer­sprin­gen. Dann stand sie auf den Füßen. Blin­zelnd be­trach­te­te sie ihr Um­feld.
„Isa­bel­la!“
Das Klin­geln stach wie ein Mes­ser auf ihren Schä­del ein.
„Ver­dammt noch mal“, fluch­te sie. „Ich komme ja schon!“
Sie stol­per­te zur Tür. Dabei knick­te sie um und schimpf­te nur noch mehr vor sich hin. Ihre Füße steck­ten nach wie vor in den hoch­ha­cki­gen Schu­hen, die sie nun wü­tend in die Ecke schleu­der­te. End­lich er­reich­te sie die Klin­ke und drück­te sie hin­un­ter. So­gleich wurde die Tür von außen mit einem der­ar­ti­gen Ruck auf­ge­ris­sen, dass es Isa­bel­la bei­na­he er­neut um­hau­te. Sie sprang zu­rück und starr­te Loui­sa mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen an.
„Bist du ver­rückt ge­wor­den?!“
Loui­sa legte den Kopf schief und be­trach­te­te ihre Freun­din ab­schät­zend. „Das fragst du mich? Was ist ei­gent­lich los mit dir?“
„Was soll schon mit mir los sein? Gar nichts.“ Isa­bel­la wand­te sich ab. Sie ver­spür­te auf ein­mal den Drang, sich ab­len­ken zu müs­sen. Sich mit ir­gend­et­was zu be­schäf­ti­gen. Nur reden woll­te sie nicht. Daher mar­schier­te sie schnur­stracks in die Küche. Sie räum­te ei­ni­ge Ge­schirr­stü­cke aus voll­kom­men un­durch­sich­ti­gen Grün­den von einem Fleck zum an­de­ren.
Loui­sa war ihr wäh­rend­des­sen ge­folgt, lehn­te nun im Tür­rah­men und be­ob­ach­te­te Isa­bel­la. Diese griff nun nach der Kaf­fee­kan­ne und füll­te sie mit Was­ser.
„Möch­test du auch?“, frag­te sie, ohne auf­zu­se­hen. „Ich könn­te jetzt einen ver­tra­gen.“
„Isa“, ihre Freun­din seufz­te, „ich sag’s dir nicht gerne, aber du siehst schreck­lich aus. Was ist pas­siert?“
An­statt end­lich von dem Club und den Vam­pi­ren zu er­zäh­len, wich Isa­bel­la je­doch er­neut aus. „Ich weiß nicht, was du meinst. Ich war auf einer Feier. Ist spät ge­wor­den. Und ich hab bis eben ge­schla­fen.“ Sie nahm einen Kaf­fee­fil­ter aus einer Hal­te­rung an der Wand. „Auf dem Sofa.“
„Auf dem Sofa? In den Kla­mot­ten?“
„Ja.“
„Und die Nacht davor?“
Isa­bel­la nahm eine Me­tall­do­se von ihrem Kü­chen­re­gal und schau­fel­te dar­aus das Kaf­fee­pul­ver in die Ma­schi­ne.
„Da haben wir doch ge­lernt“, gab sie ton­los zur Ant­wort.
„Nein.“ Loui­sa schüt­tel­te den Kopf. „Das war vor zwei Näch­ten.“
Mit einem Mal wurde es Isa­bel­la schwin­de­lig. Die Me­tall­do­se wäre ihr bei­na­he aus den Hän­den ge­glit­ten und zu Boden ge­fal­len. Ihr Magen krampf­te sich zu­sam­men. Sie such­te an der Kante der Ar­beits­flä­che nach einem Halt, da sie fürch­te­te, ohn­mäch­tig zu wer­den.
„Vor zwei Näch­ten?“
Im nächs­ten Mo­ment war Loui­sa an ihrer Seite. Vor­sich­tig streck­te sie eine Hand nach der Freun­din aus.
„Alice hat mir ziem­lich wir­res Zeug er­zählt. – Von dem Club, in dem sie dich an­geb­lich ge­se­hen hat. Sie mein­te, die Leute da wür­den dich um­brin­gen. Aber sie sagte auch, dass wir nicht zur Po­li­zei gehen dürf­ten, weil diese Leute uns dann eben­falls um­brin­gen wür­den.“ Loui­sa wirk­te ver­zwei­felt. „Ich habe mir wirk­lich Sor­gen ge­macht. Ich wäre heute Nacht selbst in den Club ge­gan­gen, wenn ich dich nicht ge­fun­den hätte.“
Viel län­ger konn­te Isa­bel­la nicht an sich hal­ten. Sie fiel ihrer Freun­din ein­fach in die Arme.
„Tut mir leid“, nu­schel­te sie.

***

Isa­bel­la konn­te sich ihr ge­stör­tes Zeit­ver­hält­nis nur durch Dro­gen­ein­fluss er­klä­ren. Der erste Vam­pir muss­te ihr schon an der Bar etwas in ihr Ge­tränk ge­mischt haben. An die dar­auf­fol­gen­den Ge­scheh­nis­se er­in­ner­te sie sich le­dig­lich vage. Er hatte ver­sucht, ihren Wil­len zu bre­chen, und er hatte von ihrem Blut ge­trun­ken. Wie auch der Blon­de. Al­ler­dings auf eine ganz an­de­re Weise. Sie ge­stand sich ein, dass sie sich gegen Letz­te­ren ver­mut­lich nicht ein­mal unter vol­lem Be­wusst­sein ihrer Hand­lun­gen ge­wehrt hätte.
Sie wünsch­te sich nichts mehr, als ein bes­se­res Bild von ihm in ihrem Kopf. In Wahr­heit war es un­heim­lich ver­schwom­men.
Seuf­zend stütz­te sie ihr Kinn in der Hand­flä­che ab. Mitt­ler­wei­le saßen Loui­sa und sie am Kü­chen­tisch und tran­ken Kaf­fee. Vor­her hatte sich ihre Freun­din auf den Weg ge­macht, um Bröt­chen und Crois­sants zu holen. Sie be­fand, dass Isa­bel­la end­lich etwas essen muss­te. Doch diese nagte nur spar­sam wie eine Maus an einem der Crois­sants.
„Dro­gen also?“ Loui­sa zog die Nase kraus. „Das ist ja furcht­bar. Du soll­test sie an­zei­gen.“
„Nein.“ Isa­bel­la wink­te ab. „Ich habe sie ja auch ge­nom­men. Ich bin ge­nau­so Schuld.“
Sie hatte keine Ah­nung, aus wel­chem Grund sie Loui­sa anlog. Aber sie wuss­te, dass es bes­ser war, die Wahr­heit für sich zu be­hal­ten.
Vam­pi­re!
Ein irr­sin­ni­ges Lä­cheln schlich sich in Isa­bel­las Züge. Sie hatte sie also tat­säch­lich ge­fun­den. Diese Wesen der Nacht. Düs­te­re Ge­stal­ten, denen sie nur um ein Haar ent­kom­men war. Oder hatte der Blon­de sie ab­sicht­lich wie­der lau­fen las­sen?

Szene 2

Alice saß hilf­los in der Falle. Ihr Pei­ni­ger war ein Vam­pir. Ein mäch­ti­ger sei­ner Art. Unter an­de­ren Um­stän­den hätte sie sich ganz si­cher zu ihm hin­ge­zo­gen ge­fühlt. Selbst in ihrer mo­men­ta­nen Lage muss­te sie sich ein­ge­ste­hen, dass sie ein woh­li­ges Krib­beln nicht voll­kom­men un­ter­drü­cken konn­te. Eine kühle Ele­ganz umgab ihn. Er durch­brach die Fins­ter­nis auf eine Weise, die ihr einen Schau­der über den Rü­cken jagte. Sein scharf ge­schnit­te­nes Ge­sicht zeig­te oft­mals einen stren­gen Aus­druck. Sie hatte ihn nie aus­ge­las­sen oder scher­zend er­lebt. Nie hatte er sich kopf­los in all die Ver­gnü­gen des Club Noir ge­stürzt. Stets blieb er ernst­haft und be­herrscht. Er war einer von den Vam­pi­ren, die selbst sei­nes­glei­chen Furcht ein­flöß­ten. Wozu war die­ses Wesen wohl alles fähig?
Alice moch­te gar nicht daran den­ken, warum er Isa­bel­la so drin­gend fin­den woll­te. Sie such­te hän­de­rin­gend nach einem Aus­weg. Aber sie fand kei­nen. Aus­ge­nom­men den, sich selbst zu op­fern und ins Ver­der­ben zu stür­zen. Die­sen Schritt war sie je­doch nicht be­reit zu tun. Da gab es ein ge­wis­ses Maß an Ego­is­mus, das ihr sagte, sie soll­te lie­ber ihre ei­ge­ne Haut ret­ten.
Isa­bel­la war den Klau­en der Vam­pi­re schon ein­mal ent­kom­men. Sie würde es si­cher wie­der schaf­fen. Zu­min­dest be­ru­hig­te Alice mit die­sem Ge­dan­ken ihr Ge­wis­sen, wäh­rend sie an der Seite von Pas­cal die Stra­ßen von Brüs­sel durch­quer­te.
Pas­san­ten kreuz­ten ihren Weg, und mehr als ein­mal war Alice ver­sucht, sie um Hilfe an­zu­fle­hen. Aber ver­mut­lich hät­ten die Men­schen sie nur aus­ge­lacht. So ging sie schwei­gend wei­ter. Sie führ­te den Vam­pir zu der ah­nungs­lo­sen Isa­bel­la.
Alice seufz­te.
Arme Isa­bel­la!
Pas­cal blick­te sie von der Seite an, als hätte er ihre Ge­dan­ken ge­le­sen. Wie­der durch­ström­te es sie heiß und kalt. Sie wuss­te nicht, ob er wo­mög­lich über diese Fä­hig­keit ver­füg­te.
Er schmun­zel­te wie zur Be­stä­ti­gung.
„Wie weit ist es noch?“, durch­brach Pas­cal das Schwei­gen. Er hatte alle Mühe, seine Ab­scheu für diese tö­rich­te Blon­di­ne zu ver­ber­gen. Sie ver­riet ihre Freun­din, um ihre ei­ge­ne Haut zu ret­ten. Und ganz ne­ben­bei be­gaff­te sie ihn per­ma­nent wie eine fleisch­ge­wor­de­ne Frau­en­fan­ta­sie. Bevor er sich je­doch fra­gen konn­te, warum er sich daran mit einem Mal stör­te, blieb Alice ab­rupt ste­hen.
„Ei­gent­lich ...“, sie stock­te und hüll­te sich er­neut in stum­mes Ver­har­ren.
Pas­cal war­te­te see­len­ru­hig ab. Sein fros­ti­ger Blick würde das Üb­ri­ge tun, um sie zit­ternd vor Angst zum Reden zu brin­gen.
Doch es ge­schah gar nichts. Sie starr­te ein­fach nur auf eine Häu­ser­front auf der ge­gen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te.
Schließ­lich konn­te Pas­cal nicht mehr an sich hal­ten. Am liebs­ten hätte er sie ge­packt und ge­schüt­telt, be­gnüg­te sich je­doch mit einer schlich­ten Nach­fra­ge.
„Ei­gent­lich was?“
Alice schluck­te.
„Ei­gent­lich sind wir fast da.“ Sie hob eine Hand und deu­te­te mit dem Zei­ge­fin­ger vor­aus. „In dem Haus. Eine Par­terre-Woh­nung mit Ter­ras­se und einem klei­nen Gar­ten­stück auf der an­de­ren Seite.“ Alice konn­te nicht sagen, aus wel­chem Grund diese In­for­ma­tio­nen wil­len­los aus ihr her­aus­spru­del­ten. Na­tür­lich wies sie Pas­cal damit eine Mög­lich­keit, die er so­gleich auf­griff.
„Das er­leich­tert die Sache er­heb­lich.“ Er war wild ent­schlos­sen, über die Ter­ras­se in Isa­bel­las Woh­nung ein­zu­stei­gen.
„Du wirst ihr doch nichts tun?“, platz­te es aus Alice her­aus, als wäre ihr der Ge­dan­ke ge­ra­de erst ge­kom­men.
„Nein.“ Mit die­sem schlich­ten Wort ließ er sie ein­fach ste­hen. Wenn er woll­te, konn­te er sich so schnell be­we­gen, dass mensch­li­che Augen ihn nicht wahr­nah­men. Auf eben diese Art ent­fern­te er sich von ihr.
Im nächs­ten Mo­ment hatte er ihre Exis­tenz auch schon ver­ges­sen. Alles, was er spür­te, war die Ge­gen­wart von Isa­bel­la. Sie hielt sich in ihrer Woh­nung auf. Sie war ihm so un­glaub­lich nahe, dass die Er­in­ne­rung an ihren Kör­per auf sei­ner Haut brann­te.
Kurz ver­wünsch­te er sich für die Schwä­che, die sie in ihm aus­lös­te. Dann schlüpf­te er mit einem sei­ner vam­pi­ri­schen Tricks durch die Ter­ras­sen­tür in die Woh­nung.

***

Isa­bel­la muss­te nicht lange war­ten. Loui­sa mel­de­te sich gleich nach dem zwei­ten Klin­gel­ton am an­de­ren Ende der Te­le­fon­lei­tung. Sie tat, als hätte sie be­reits mit dem Anruf der Freun­din ge­rech­net. Ihre Be­sorg­nis war über­prä­sent, so dass Isa­bel­la am liebs­ten gleich wie­der auf­ge­legt hätte. Sie woll­te ein un­be­fan­ge­nes Ge­spräch füh­ren. Doch Loui­sa er­drück­te sie mit ihrer Für­sorg­lich­keit.
„Ich hätte gleich bei dir blei­ben sol­len“, er­ei­fer­te sie sich. „Wie konn­te ich dich nur al­lei­ne las­sen? In dei­nem Zu­stand.“
„Du tust ja ge­ra­de so, als wäre ich ster­bens­krank.“ Isa­bel­la sank ver­zwei­felt in ihr Sofa zu­rück. Sie hielt den Hörer zwi­schen ihrem Ohr und der Schul­ter ein­ge­klemmt. „Es ist alles in Ord­nung. Wirk­lich.“
Loui­sa schwieg für einen kur­zen Mo­ment.
„Du rufst an, um mir das zu sagen? Dass alles in Ord­nung ist?“ Sie schnapp­te nach Luft.
Isa­bel­la seufz­te. „Bitte, mach dir keine Sor­gen. Ich woll­te nur mit ir­gend­je­man­dem spre­chen.“
„Ir­gend­je­mand“, wie­der­hol­te Loui­sa. Sie klang be­lei­digt.
Noch wäh­rend Isa­bel­la sich frag­te, was ihre Freun­din ei­gent­lich von ihr er­war­te­te, ver­lang­te etwas ganz an­de­res nach ihrer Auf­merk­sam­keit. Plötz­lich er­starr­te sie vor Schreck. Ihr Herz­schlag schien kurz aus­zu­set­zen. Sämt­li­che Farbe wich aus ihrem Ge­sicht, bis sie bei­na­he wie eine kalk­wei­ße Sta­tue wirk­te. Be­we­gungs­un­fä­hig starr­te sie den Ein­dring­ling an.
Da war er. Der Blon­de.
„Isa­bel­la?“
Sie hatte gar nicht be­merkt, wie ihr der Hörer aus der Hand ge­fal­len war. Ner­vös griff sie ihn wie­der auf.
„Ich muss jetzt Schluss ma­chen. Ich melde mich spä­ter wie­der.“
Ent­ge­gen Loui­sas laut­star­ken Pro­tes­tes legte sie auf. Sie starr­te den Ein­dring­ling an.
Er kam aus sei­nem düs­te­ren Ver­steck ge­kro­chen und rich­te­te sich di­rekt vor ihr zu sei­ner vol­len, atem­be­rau­ben­den Größe auf. Seine eis­blau­en Augen blitz­ten. Sie durch­bohr­ten Isa­bel­la bis auf den Grund ihrer Seele. Es nö­tig­te ihr ein Schau­dern ab.
Um­schmei­chelt wur­den seine mar­kan­ten Ge­sichts­zü­ge von den Sträh­nen sei­nes lan­gen blon­den Haars. Sie weh­ten leicht in dem Wind, der durch ein of­fe­nes Fens­ters in das Zim­mer ström­te.
Ge­nau­so hatte Isa­bel­la ihn sich vor­ge­stellt. Es war wie ein Traum, aus dem sie nie­mals er­wa­chen woll­te. Sie wünsch­te sich so sehr, dass er sie au­gen­blick­lich an sich riss, ihren Ober­kör­per zu­rück­bog, um sanft ihre Kehle ent­lang­zu­strei­chen und sie zu küs­sen. Viel­leicht würde er sie bei­ßen. Das war ihr al­ler­dings voll­kom­men gleich­gül­tig. Al­lein der Ge­dan­ke, die Hitze der Lust mit ihm ge­mein­sam zu spü­ren, be­flü­gel­te sie, und ließ sie alles an­de­re ver­ges­sen.
„Nimm mich!“, woll­te sie ihm ent­ge­gen­schrei­en, wurde sich aber im glei­chen Mo­ment ihres lä­cher­li­chen Ver­hal­tens be­wusst. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, als hätte sie tat­säch­lich etwas der­glei­chen ge­sagt.
„Ich woll­te dich nicht er­schre­cken.“ Seine Stim­me klang sanft. Sie schmei­chel­te ihrem Gehör. Dazu be­weg­te er sich vor­sich­tig auf sie zu. Wie eine Raub­kat­ze. War sie etwa seine Beute?
Er­schro­cken keuch­te Isa­bel­la auf. Mit einem Satz sprang sie vom Sofa und brach­te eine an­ge­mes­se­ne Ent­fer­nung zwi­schen sich und ihn. So leicht würde sie es ihm nicht ma­chen! In der Op­fer­rol­le ge­fiel sie sich ganz und gar nicht.
Er blieb ste­hen. Ruhig war­te­te er ab, was sie als nächs­tes tun würde. Doch auch sie hielt inne – und so stan­den sie sich eine Weile lau­ernd ge­gen­über. Beide ver­such­ten den an­de­ren ein­zu­schät­zen.
„Warum folgst du mir?“, platz­te es schließ­lich aus ihr her­aus. Sie hatte die Stil­le nicht län­ger er­tra­gen kön­nen. Rück­wärts stol­per­te sie in eine Ecke des Rau­mes. Ge­fan­gen in ihrem ei­ge­nen Un­ter­schlupf fühl­te sie sich wie ein Tier in der Falle. Hilf­los. Ein lei­ses Schluch­zen ent­rang sich ihrer Kehle. Ihre Beine knick­ten ein, und sie sank ganz plötz­lich zu Boden. Wie ein Häuf­chen Elend blieb sie dort sit­zen und ver­schränk­te die Hände vor dem Ge­sicht, um ihren Kum­mer zu ver­ber­gen.
Pas­cal blieb stumm. Er rang mit sich selbst. Warum emp­fand er nur so viel Mit­leid und Zu­nei­gung für diese Frau? Er woll­te sich neben sie set­zen. Sie in die Arme neh­men und be­ru­hi­gend über ihr wun­der­schö­nes schim­mern­des, schwar­zes Haar strei­chen. Ein schmerz­haf­ter Stich bohr­te sich in sei­nen Brust­korb.
„Du quälst mich. Merkst du das denn nicht?“, press­te sie her­vor. Sie ver­ach­te­te sich selbst für diese Of­fen­ba­rung ihrer Ge­füh­le. Aber sie konn­te nicht an­ders. Die Worte kamen von ganz al­lein über ihre Lip­pen. Sie wagte es nicht, sich nun vom Fleck zu rüh­ren oder gar zu ihm auf­zu­se­hen. Er muss­te sie für er­bärm­lich hal­ten. Nicht ein­mal fünf Mi­nu­ten hatte sie sei­ner über­mäch­ti­gen Prä­senz stand­hal­ten kön­nen.
„Es tut mir leid.“
Der Satz bohr­te sich in ihren Kopf, ohne dass sie ihn tat­säch­lich ver­stand. Es tat ihm leid! Was mein­te er damit? Die ver­gan­ge­ne Nacht? Dass er sie nun ver­folg­te?
„Ich woll­te dich nicht ver­fol­gen“, sagte er, als könn­te er in ihr lesen wie in einem of­fe­nen Buch.
Isa­bel­la regte sich mit einem Mal doch. Ir­ri­tiert starr­te sie ihn an. Er wirk­te weder Furcht er­re­gend noch grau­sam. Er war alles an­de­re als das. An­zie­hend und ver­füh­re­risch. Eine Ver­su­chung. Aber ge­ra­de das mach­te ihn so un­heim­lich ge­fähr­lich.
Ab­rupt be­frei­te sie sich von sei­ner hyp­no­ti­schen Wir­kung. Reiß dich ver­dammt noch mal zu­sam­men, schalt sie sich selbst.
„Warum stehst du nur da und siehst mich an? Was willst du von mir? Mein Blut? Bitte!“ Sie streck­te ihm ihr Hand­ge­lenk ent­ge­gen. Aber­mals er­schrak sie über ihr ei­ge­nes Ver­lan­gen. Seine Nähe elek­tri­sier­te sie. Es kos­te­te sie so un­glaub­lich viel Kraft, ihre Ge­füh­le unter Kon­trol­le zu hal­ten. Ruhig zu atmen. Sich nichts an­mer­ken zu las­sen. Doch ihr Arm, den sie wei­ter aus­ge­streckt hielt, wurde schnell zur Last und woll­te sich einem Zit­tern er­ge­ben.
Pas­cal ver­harr­te nach wie vor. Wie eine Sta­tue stand er ihr ge­gen­über und sah auf sie hinab. Na­tür­lich sehn­te er sich nach ihrem Blut. Er gier­te da­nach.
Es gab Vam­pi­re, die sich von einem der­ar­ti­gen Hun­ger in den Wahn­sinn trei­ben lie­ßen. Aber Pas­cal ge­hör­te nicht zu die­ser Sorte. Er war schon immer ein Meis­ter der Selbst­be­herr­schung ge­we­sen – ab­ge­se­hen von der ver­gan­ge­nen Nacht.