Arizona Vengeance Eishockey-Team: Legend

Ori­gi­nal­ti­tel: Le­gend (Ari­zo­na Ven­ge­an­ce #3)
Über­set­zer: Joy Fra­ser

Er­schie­nen: 01/2022
Serie: Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team
Teil der Serie: 3

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Sport Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Ari­zo­na, Pho­enix


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-542-6
ebook: 978-3-86495-543-3

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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und allen gän­gi­gen On­line­händ­lern und im Buch­han­del

Arizona Vengeance Eishockey-Team: Legend


In­halts­an­ga­be

Ari­zo­na Ven­ge­an­ce ist das neu­es­te Eis­ho­ckey­team. Aber der hei­ßes­te Tor­wart der Eis­ho­ckey­welt muss ler­nen, dass auch der beste Spie­ler manch­mal Hilfe braucht.

Alles läuft rund für die Ari­zo­na Ven­ge­an­ce. Wir mögen ein neues Team sein, aber den­noch auf dem bes­ten Weg, die Cham­pi­ons­hip zu ge­win­nen. Ich ge­nie­ße es, in der Pres­se als der hei­ßes­te Goa­lie, der hei­ßes­te Spie­ler über­haupt, be­ju­belt zu wer­den. Mein Name ist Pro­gramm, denn ich bin Le­gend Bay.

Als ich vom Trai­ning nach Hause komme, er­blin­de ich fast beim An­blick des kit­schi­gen Weih­nachts­schmucks ne­ben­an. Wie immer hat meine Nach­ba­rin Pep­per Nan­tais heil­los über­trie­ben! Ich bin dabei, ihr die Mei­nung zu sagen, als mir etwas ins Auge fällt. An­schei­nend hat mir der Weih­nachts­mann ein Ge­schenk vor die Tür ge­legt, mit dem ich nie ge­rech­net hätte.

Wäh­rend mein Leben eine un­er­war­te­te Wende nimmt, stel­le ich fest, dass Pep­per mehr ist, als es scheint. Na­tür­lich ist sie eine Schön­heit. Wenn auch un­fass­bar nerv­tö­tend. Und ihr De­ko-Ge­schmack ist … ge­wöh­nungs­be­dürf­tig. Doch hin­ter der un­be­küm­mer­ten Fas­sa­de ste­cken viel Ent­schlos­sen­heit und ein Herz aus Gold. Ehe ich mich ver­se­he, ver­fal­le ich ihr. Voll­kom­men.

Pep­per ist genau die Frau, die ich brau­che, ohne es ge­wusst zu haben.

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team Serie

Le­se­pro­be

Le­gend

Als ich in die Stra­ße ein­bie­ge, kommt so­fort das Strah­len von Pep­pers Haus in Sicht. Es über­rascht mich nicht, dass sich ihr Haus einen Tag nach Thanks­gi­ving wie ma­gisch in ein psy­che­de­li­sches Weih­nachts­wun­der­land ver­wan­delt hat. Kom­plett mit far­bi­gen Lich­ter­ket­ten in jedem Win­kel, einem rie­si­gen Plas­tik-Weih­nachts­mann mit sei­nen Ren­tie­ren auf dem Dach, und Laut­spre­chern an den Bäu­men, aus denen Weih­nachts­lie­der schal­len. Es gibt sogar einen gro­ßen, sich dre­hen­den Schnee­mann, der alle paar Mi­nu­ten Kunst­schnee in die Ge­gend bläst.
Die Krö­nung ist je­doch eine le­bens­gro­ße bi­bli­sche Krip­pe im Vor­gar­ten, voll aus­ge­stat­tet mit Maria, Josef, Jesus, Esel, Kuh, zwei Scha­fen, drei Ka­me­len mit...

...​den drei Wei­sen aus dem Mor­gen­land auf den Rü­cken. Die Szene wird von Schein­wer­fern an­ge­strahlt.
Mit knir­schen­den Zäh­nen biege ich auf die Ein­fahrt. Ich kann nichts da­ge­gen sagen, weil mich Pep­per an Thanks­gi­ving im Pool-Bil­lard total fer­tig ge­macht hat. Was be­deu­tet, dass ich mich nicht mal bei den Ver­mie­tern über sie be­schwe­ren kann. Also muss ich die­ses Wo­chen­en­de bei ge­schlos­se­nen Rol­los ver­brin­gen, um nicht von ihrem Haus ge­blen­det zu wer­den.
Was nicht be­deu­tet, dass sie nicht noch etwas an­de­res auf Lager haben wird, um mich zu är­gern. Dafür scheint diese Frau zu leben. Ent­we­der, indem sie mir eine Schar rosa Plas­tik­fla­min­gos in den Gar­ten stellt, oder mich schlicht mit ihrem schö­nen Ge­sicht und dem um­wer­fen­den Kör­per in den Wahn­sinn treibt. Ich soll­te nicht so oft an sie den­ken, doch mich hat noch nie je­mand glei­cher­ma­ßen fas­zi­niert wie ge­nervt.
Mir fällt auf, dass drei Autos in ihrer Ein­fahrt ste­hen, was nicht un­ge­wöhn­lich ist. Pep­per scheint stän­dig eine Schar Leute zu Be­such zu haben. Sie ist ein ziem­lich ge­sel­li­ger Mensch. Sie hat mich sogar schon zu ihren klei­nen in­ti­men Soi­re­en ein­ge­la­den, aber ich habe jedes Mal ab­ge­lehnt.
Das Ein­zi­ge, was mir in letz­ter Zeit sonst noch auf­fiel, ist die Tat­sa­che, dass ich sie nicht mehr mit mei­nem Team­kol­le­gen Dax zu­sam­men ge­se­hen habe. Zu­min­dest kommt es mir so vor, und ich bin nicht si­cher, wie ich das fin­den soll. Auf kei­nen Fall bin ich be­reit, den klei­nen Ei­fer­suchts­stich zu­zu­ge­ben, wenn er mit ihr zu­sam­men war, denn das wäre ge­ra­de­zu lä­cher­lich. Ich kann die Frau nicht aus­ste­hen.
Mit einem letz­ten an­ge­wi­der­ten Blick auf das Gris­wold-Haus neben mei­nem, parke ich den Tahoe auf mei­ner Ein­fahrt und öffne mit der Fern­be­die­nung das Ga­ra­gen­tor. Wäh­rend es lang­sam hoch­fährt, fällt mein Blick nach links auf die vor­de­re Ve­ran­da. Sieht aus, als ob da ein Paket liegt, aber ich kann es nicht genau er­ken­nen, weil das Licht an der Haus­tür nicht brennt. Daran denke ich nie, wenn ich den gan­zen Tag weg bin und erst abends nach Hause komme. Ich no­tie­re mir in Ge­dan­ken, dass ich auf mei­ner end­lo­sen Liste von Pro­jek­ten die In­stal­la­ti­on einer au­to­ma­ti­schen Si­cher­heits­be­leuch­tung hin­zu­fü­gen werde.
Aber Mo­ment mal … das ist doch kein Paket. Ich ver­su­che bei dem Licht­schein von Pep­pers Haus, der nicht ganz bis zu mei­ner Haus­tür reicht, etwas zu er­ken­nen.
Es sieht eher nach einem Klei­der­hau­fen aus. Ver­wirrt run­ze­le ich die Stirn, stei­ge aus, gehe zö­ger­lich auf die vor­de­re Ve­ran­da zu, denn je näher ich komme, desto stär­ker wird mein un­gu­tes Ge­fühl.
Ich be­tre­te die erste der drei Stu­fen zur Ve­ran­da und alles in mir zieht sich zu­sam­men, als ich sehe, dass es sich um eine Decke han­delt, in die etwas Klei­nes ein­ge­wi­ckelt ist. Ich werfe einen Blick auf Pep­pers Haus. Viel­leicht ein übler Scherz von ihr. Dann gehe ich hoch und neben dem Bün­del in die Hocke. Vor­sich­tig ziehe ich den Fleece­stoff zur Seite.
Ein Baby fängt an zu wei­nen.
Ein win­zi­ges, rosa Baby, mit zu­ge­knif­fe­nen Augen und einem klei­nen Mund, der ver­zo­gen ist und wim­mern­de Laute von sich gibt. Vor lau­ter Schreck tau­me­le ich rück­wärts, blei­be mit dem Stie­fel an einer Stufe hän­gen und lande unten auf dem Hin­tern.
Was zum Geier soll das?
Mit ge­spreiz­ten Bei­nen, den Hän­den und dem Arsch auf dem Rasen, star­re ich auf meine Ve­ran­da, als hätte ich so­eben eine blu­ten­de Per­son ge­fun­den.
Das Baby weint wei­ter, was mich in Be­we­gung ver­setzt. Ich stehe auf, star­re das Bün­del kurz an und renne dann zu Pep­per hin­über. Ich sprin­ge über die nied­ri­gen Bü­sche zwi­schen un­se­ren Häu­sern und lande di­rekt auf ihrer Ve­ran­da. Ich schla­ge so fest mit der Faust gegen ihre Tür, dass der große bunte Gecko aus Blech klap­pert, der dort hängt, als würde er gleich ab­fal­len.
Die Haus­tür geht schnell auf und fast falle ich mit der Tür ins Haus. Pep­per lä­chelt breit, was ihr so­fort ver­geht, als sie mich sieht. Wenn ich so aus­se­he, wie ich mich fühle, ver­wirrt und pa­nisch, hat sie allen Grund, nicht zu lä­cheln.
Ich deute mit einem zitt­ri­gen Fin­ger auf mein Haus. „Baby. Vor der Haus­tür.“
Pep­pers Aus­druck wech­selt zu per­plex und je­mand hin­ter ihr sagt: „Hey, Pepp, ist das der heiße Eis­ho­ckey­spie­ler, der ne­ben­an wohnt? Bitte ihn rein, damit er mit uns Scrabb­le spielt.“
Genau wie ich igno­riert sie diese Per­son. Ich grei­fe nach ihrer Hand und zerre sie vor die Tür. Dann drehe ich mich um und renne los, und Pep­per folgt mir ohne zu fra­gen oder zu me­ckern.
Ich ziehe sie auf meine Ve­ran­da und meine Hand zit­tert noch hef­ti­ger, wäh­rend ich auf das Baby in der Decke deute. Es wim­mert immer noch leise.
„Oh mein Gott.“
Pep­per reißt sich von mir los und nimmt das Baby auf den Arm. Sie öff­net die Decke wei­ter und starrt den Winz­ling an. Sie reicht dem Baby einen Fin­ger und ich bin er­staunt, als das Kind ihn fest um­klam­mert.
Sie dreht den Kopf zu mir. „Du hast es eben hier ge­fun­den?“
Ich kann nicht spre­chen und nicke nur hef­tig.
„Wo kommt es her?“
Ich schüt­te­le den Kopf und zucke mit den Schul­tern.
Pep­per tritt einen Schritt zu­rück und schaut auf die Stel­le, wo das Kind ge­le­gen hat. Beide sehen wir einen Zet­tel, der unter dem Bün­del ge­le­gen haben muss. Ich hebe ihn auf. Meine Hände zit­tern noch, als ich ihn auf­fal­te, und so­fort merke, dass es zu dun­kel ist, um ihn zu lesen. Höl­zern stak­se ich die Stu­fen hin­un­ter und das Ge­fühl des Un­be­ha­gens in mei­nem Magen bringt mich fast zum kot­zen. Ich stel­le mich vor den Tahoe, des­sen Schein­wer­fer noch an sind und die Um­ge­bung er­leuch­ten, und falte das Pa­pier er­neut aus­ein­an­der. Am Rande nehme ich wahr, dass sich Pep­per neben mich stellt und mit­liest.

Le­gend,
es tut mir leid, dir das antun zu müs­sen, aber ich bin nicht in der Lage, unser Kind zu ver­sor­gen. Sie ist zwei Wo­chen alt und ich habe ihr noch kei­nen Namen ge­ge­ben. Mir ist klar, dass das eine Über­ra­schung für dich ist, aber du kannst viel bes­ser für sie sor­gen als ich.
Lida

„Du hast ein Baby?“, fragt Pep­per leise.
„Nein“, mur­me­le ich. „Ich meine, falls das die Wahr­heit ist, dann ja. Aber ich hatte keine Ah­nung davon. Ich habe diese Frau nur kurz ken­nen­ge­lernt, als wir mit den Spar­tans in Flo­ri­da waren. Ich hatte keine Ah­nung, dass sie schwan­ger war.“
„Wow“, sagt Pep­per, als ich sie an­se­he. Ihr Blick ist warm und er­staunt. „Das ist ja eine schö­ne Be­sche­rung, was?“
Mein Blick fällt auf das klei­ne Mäd­chen ohne Namen, das Pep­per so na­tür­lich wir­kend im Arm hat. „Oh ja. Eine Über­ra­schung auf jeden Fall.“ 

Le­gend

Das darf ein­fach alles nicht wahr sein.
Ich schaue zum Kran­ken­wa­gen, wo ein Sa­ni­tä­ter das Baby un­ter­sucht. Es weint und ich drehe gleich durch. Ich habe keine Ah­nung, ob das Kind wirk­lich von mir ist, aber das spielt mo­men­tan keine Rolle. Das klei­ne Ding lag völ­lig ein­sam und schutz­los auf mei­ner Ve­ran­da, friert wahr­schein­lich und hat Hun­ger, und weiß Gott was alles. Him­mel noch mal, hier drau­ßen gibt es ver­damm­te Ko­jo­ten. Die hät­ten sie weg­schlep­pen kön­nen …
Nein. Daran darf ich gar nicht erst den­ken.
Würde Lida jetzt plötz­lich meine Ein­fahrt ent­lang kom­men, würde ich sie er­wür­gen.
Mein Blick fällt auf Pep­per, die neben dem Kran­ken­wa­gen steht und die Szene be­ob­ach­tet. Ihre Scrabb­le-Par­ty hatte sich so­fort auf­ge­löst, als der Kran­ken­wa­gen ankam.
Sie kaut auf ihrer Un­ter­lip­pe und run­zelt die Stirn. Fuck sei Dank war sie zu Hause, denn ich weiß nicht mal, wie man ein Baby rich­tig hält. Mir war nicht mal in den Sinn ge­kom­men, es hoch­zu­he­ben. Ich bin ein­fach nur zu Pep­per ge­rannt.
„Mr. Bay“, sagt ein Po­li­zist, und ich drehe mich zu ihm um. „Um wel­che Uhr­zeit sind Sie nach Hause ge­kom­men?“
Der Cop, Of­fi­cer Bra­nis, ist einer von zwei­en, die ge­kom­men sind, nach­dem ich die 911 an­ge­ru­fen hatte. Er ist be­leibt und die Knöp­fe sei­ner Uni­form wer­den über dem Bauch ge­dehnt. Ich frage mich, zu wie viel sol­cher Fälle von auf­ge­fun­de­nen Babys er im Jahr ge­ru­fen wird. Wahr­schein­lich nicht so oft.
„Um etwa vier­tel vor neun.“ Ich schaue wie­der kurz zum Kran­ken­wa­gen. Das Baby weint immer noch und zer­fetzt mir die Ner­ven.
„Und wie lange waren Sie nicht zu Hause?“
Mein Ver­stand rast und ich brau­che einen Mo­ment, mich zu er­in­nern, dass es um die drei Stun­den her ist, dass ich mit Dax im Sta­di­on Sport ge­macht habe. Guter Gott, das Baby könn­te ganze drei Stun­den hier ge­le­gen haben.
„Und Sie wuss­ten nicht, dass das Ihr Kind ist?“ Er macht sich No­ti­zen auf einen Block.
„Nein“, ant­wor­te ich hof­fent­lich ruhig genug, denn am liebs­ten würde ich ihn an­brül­len, dass ich na­tür­lich nichts davon wuss­te.
„Haben Sie Kon­takt­da­ten von Miss Mar­tin?“
„Ich habe Te­le­fon­num­mer und Adres­se“, ant­wor­te ich brüsk, denn diese Daten habe ich ihm be­reits ge­ge­ben. „Wann kommt je­mand vom Ju­gend­amt?“
„Bald“, sagt er knapp und stellt mir wei­te­re Fra­gen.
Wann haben Sie Miss Mar­tin zum letz­ten Mal ge­se­hen?
Wuss­ten Sie, dass sie schwan­ger war?
Könn­te es ein übler Scherz sein?
„Ein Streich?“ Ich knur­re. „Wer legt ein Baby vor eine Tür als einen ver­fick­ten Streich?“
Of­fi­cer Bran­dis blin­zelt über­rascht und hat den An­stand, tat­säch­lich zu er­rö­ten. Er hüs­telt. „Ent­schul­di­gen Sie. Ich ver­su­che nur, an alle Mög­lich­kei­ten zu den­ken und nichts zu ver­ges­sen. So etwas ist mir bis­her noch nicht un­ter­ge­kom­men.“
Ich atme tief aus und fahre mir mit den Fin­gern durch die Haare. „Ent­schul­di­gen Sie bitte, dass ich un­ge­hal­ten war. Sie kön­nen sich si­cher vor­stel­len, dass ich unter Stress stehe.“
„Ab­so­lut“, sagt er mit einem dank­ba­ren Lä­cheln, dass ich kein blö­der Arsch sein will.
Ein Auto fährt hin­ter den Po­li­zei­wa­gen und eine Frau steigt aus. Sie kommt di­rekt auf mich und den Of­fi­cer zu, und wirft nur einen kur­zen Blick auf den Kran­ken­wa­gen.
„Mr. Bay?“ Sie streckt mir ihre Hand ent­ge­gen und hat ein No­tiz­buch unter dem an­de­ren Arm klem­men.
„Ja“, sage ich und wir schüt­teln uns die Hände.
„Ich bin Loui­se Mank­le.“ Sie drückt kurz zu und lässt meine Hand los. Sie ist schät­zungs­wei­se eine End­fünf­zi­ge­rin, und ihr sach­li­cher Ton ist be­ru­hi­gend. „Ich bin vom Ju­gend­amt.“
„Schön, Sie ken­nen­zu­ler­nen“, ant­wor­te ich lahm.
Loui­se sieht Of­fi­cer Bran­dis an. „Wenn Sie nichts da­ge­gen haben, hätte ich gern ein paar In­for­ma­tio­nen, und würde dann gern dem Kran­ken­wa­gen zur Kli­nik fol­gen. Ich bin jetzt für das Kind ver­ant­wort­lich und muss dabei sein, wenn er oder sie un­ter­sucht wird.“
„Es ist ein Mäd­chen“, sagt Of­fi­cer Bran­dis stolz, als ob er schon alles in­ves­ti­giert hätte. Er sieht auf seine No­ti­zen. „Mr. Bay hat das Kind un­ge­fähr um 20:45 Uhr vor sei­ner Tür ge­fun­den. Es lag ein Zet­tel an­geb­lich von einer Lida Mar­tin aus Miami, Flo­ri­da dabei. Mr. Bay hat be­stä­tigt, dass es sich um ihre Hand­schrift han­delt.“
Loui­se nickt kurz und sieht mich wie­der an. „Mr. Bay … gibt es einen Grund, daran zu zwei­feln, dass es sich um Ihr Kind han­delt?“
Ich zucke mit den Schul­tern. Nicht, weil es mir egal wäre, son­dern weil ich total über­for­dert bin. „Ich weiß es nicht. Ich hatte eine in­ti­me Be­zie­hung mit Lida. Wir hat­ten immer ge­schütz­ten Sex, aber …“
„Das ist ja nicht nar­ren­si­cher, nicht wahr?“, sagt sie freund­lich.
„Nein.“ Meine Wut kommt wie­der hoch. „Ich meine, was für eine Art Mensch lässt ein Baby ein­fach so lie­gen? Ver­steht sie nicht, dass das Kind hätte ster­ben kön­nen? Oder von Ko­jo­ten ge­fres­sen? Und woher hat sie über­haupt ge­wusst, dass ich heute nach Hause kom­men werde?“
Loui­se sieht mich mit­füh­lend an und tät­schelt mei­nen Arm. „Das ist wirk­lich schreck­lich. Aber jetzt wird die Klei­ne me­di­zi­nisch gut ver­sorgt und wir wer­den uns um sie küm­mern.“
Ich nicke und fahre mir er­neut durch die Haare. Ich schaue zum Kran­ken­wa­gen. Pep­per be­ob­ach­tet mich und in ihrem Blick liegt Sorge.
Ich seuf­ze und wende mich Loui­se zu. „Was pas­siert als Nächs­tes?“
„Ich fahre mit ins Kran­ken­haus. Sie wird ärzt­lich un­ter­sucht und wenn alles okay ist, gebe ich sie in eine Not­fall-Pfle­ge­fa­mi­lie, bis die Va­ter­schaft be­stä­tigt ist. Sie müs­sen sich einen Spei­chel­ab­strich ma­chen las­sen.“
Va­ter­schaft?
Jesus im Him­mel, fuck, ich könn­te Vater sein?
Ich schaue wie­der zu Pep­per. Ich weiß nicht, was sie in mei­nem Aus­druck liest, doch sie kommt zu mir her­über. Ich bin er­staunt, als sie meine Hand nimmt und kurz drückt. Ich habe nicht vor, mich von ihr zu­rück­zu­zie­hen und er­wi­de­re den Druck. „Sie neh­men das Kind mit in die Kli­nik und ich muss für einen Va­ter­schafts­test hin.“
Sie nickt und lässt meine Hand los. „Ich fahre dich, okay?“
„Okay“, mur­me­le ich, un­fass­bar dank­bar, diese Frau, die mir sonst ein Dorn im Auge ist, an mei­ner Seite zu haben.
Mir kommt ein Ge­dan­ke und ich wende mich wie­der an Loui­se. „Wenn sie meine Toch­ter ist, soll­te sie dann nicht bei mir sein, statt bei einer Pfle­ge­fa­mi­lie?“
Loui­se schenkt mir noch ein freund­li­ches Lä­cheln. „Mr. Bay, wir müs­sen uns an die Ge­set­ze hal­ten, und Sie sind keine zer­ti­fi­zier­te Pfle­ge­fa­mi­lie. Un­se­re Fa­mi­li­en haben alle ein in­ten­si­ves Trai­ning und durch­lau­fen Hin­ter­grund­re­cher­chen. Aber ich habe schon eine Pfle­ge­fa­mi­lie an­ge­ru­fen, die wun­der­voll ist. Ein Rent­ner­ehe­paar, das dies schon seit Jah­ren tut. Dort ist sie in guten Hän­den.“
Ich nicke stumm, denn ich kann auf kei­nen Fall heute ein Baby auf­neh­men. Ich habe weder ein Kin­der­bett noch Win­deln oder Milch. Und habe immer noch keine Ah­nung, wie man ein Baby über­haupt hält.
Ein Sa­ni­tä­ter kommt zu uns her­über. „Wir kön­nen jetzt fah­ren. Das Baby ist sta­bil und in guter Ver­fas­sung.“
„Wun­der­bar“, sagt Loui­se. „Wir kön­nen Sie in dem Ba­by­sitz hin­ten in mei­nem Wagen trans­por­tie­ren.“ Das über­rascht mich, doch bevor ich Fra­gen stel­len kann, er­klärt Loui­se es mir. „Da die Un­ter­su­chung er­ge­ben hat, dass sie ge­sund ist, ist es viel si­che­rer für sie, in einem Kin­der­sitz trans­por­tiert zu wer­den als im Arm eines Sa­ni­tä­ters.“
Ich nicke. Das er­gibt Sinn. Denke ich.
Loui­se öff­net ihr No­tiz­buch und holt eine Vi­si­ten­kar­te her­aus. „Wir sehen uns in der Kli­nik wie­der, wo ich den Va­ter­schafts­test be­stel­le, aber falls ich es spä­ter ver­ges­se, hier sind meine Kon­takt­da­ten. Ich weiß, dass es nicht ideal ist, aber vor dem Er­geb­nis des Va­ter­schafts­tests kön­nen wir lei­der nichts ma­chen, also schla­ge ich vor, dass Sie ein­fach ab­war­ten.“
Das kommt mir nicht wie ein an­ge­brach­ter Plan vor. Wenn es mein Kind ist, soll­te ich dann nicht bei ihr sein, wenn es un­ter­sucht wird? Soll­te ich sie bei der Pfle­ge­fa­mi­lie nicht be­su­chen dür­fen?
Als ob sie meine Ge­dan­ken lesen würde, fügt sie hinzu: „Mr. Bay, ich weiß, dass es schwer­fällt, aber nach dem Ge­setz ist das Baby jetzt unter dem Schutz des Staa­tes Ari­zo­na. Mo­men­tan haben Sie prak­tisch keine ge­setz­li­chen Rech­te. Aber möch­ten Sie sie noch mal sehen, bevor wir fah­ren?“
Ich bin gleich­zei­tig ent­setzt und er­leich­tert. Ich nicke schon wie­der lahm und dann nimmt Pep­per meine Hand und führt mich zum Kran­ken­wa­gen. Loui­se folgt uns. Eine junge Sa­ni­tä­te­rin legt das klei­ne Mäd­chen Loui­se in die Arme, die mir vor­her noch ihr No­tiz­buch in die Hand drückt.
Ohne zu zö­gern, nehme ich es ihr ab, trete näher und sehe mir das Baby ge­nau­er an. Ich hatte mir noch keine De­tails an­ge­se­hen, weil ich damit be­schäf­tigt war, durch­zu­dre­hen. Jetzt er­ken­ne ich dich­tes dunk­les Haar, das ent­we­der von mir oder Lida ver­erbt wor­den sein könn­te. Ihre Augen sind dun­kel­blau wie meine, aber ich weiß nicht, ob das etwas be­deu­tet. Sie weint jetzt nicht und starrt ir­gend­wie blick­los hoch zu Loui­se. Viel­leicht weil sie noch so klein ist und nicht ver­steht, was vor sich geht. Ich will doch schwer hof­fen, dass sie es nicht ver­steht. Dass ihre Mut­ter sie ver­las­sen und abends vor eine frem­de Tür ge­legt hat.
Nach­dem ich eine Weile das Kind, das meins sein könn­te, be­trach­tet habe, geht Loui­se zu ihrem Auto. Pep­per und ich fol­gen ihr. Wäh­rend Loui­se das Kind in dem Kin­der­sitz fest­schnallt, fah­ren Po­li­zei und Kran­ken­wa­gen ab.
Loui­se schließt die Tür und ich sehe das Baby durch die Schei­be an. Sie nimmt mir das No­tiz­buch ab, doch ich wende den Blick nicht von dem Kind. Im Hin­ter­grund höre ich, wie Loui­se zu Pep­per sagt, dass wir durch die Not­auf­nah­me rein­ge­hen sol­len, wo sie uns tref­fen wird.
Erst als Loui­ses Auto außer Sicht­wei­te ist, spricht Pep­per. „Alles in Ord­nung?“
Ich sehe sie an. „Nein.“
„Kann ich mir vor­stel­len“, sagt sie leise. Dann nickt sie zu mei­nem SUV hin­über, der immer noch mit Licht dort steht. „Geh dein Auto in die Ga­ra­ge fah­ren und ich hole schnell meine Hand­ta­sche. Auf dem Weg zur Kli­nik hal­ten wir ir­gend­wo auf einen Kaf­fee an, okay?“
Ich kann nichts ma­chen, außer zu­stim­mend ni­cken. Meine Welt wurde ge­ra­de auf den Kopf ge­stellt und ich weiß nicht, ob ich al­lein in der Lage wäre, zu fah­ren. Ich könn­te Bi­shop an­ru­fen, aber er könn­te nichts an­de­res tun, als das, was Pep­per be­reits frei­wil­lig tut.
Ich sehe ihr hin­ter­her, wie sie zu ihrem Haus geht, das vor al­ber­nen Weih­nachts­lich­tern strahlt, was mir gar nicht mehr so al­bern er­scheint.
Mir wird klar, dass es ge­ra­de Wich­ti­ge­res gibt, wor­über ich mir Ge­dan­ken ma­chen soll­te.


Pep­per

„Das war ent­täu­schend“, mur­melt Le­gend auf mei­nem Bei­fah­rer­sitz. Ich werfe ihm einen Blick zu und er lä­chelt iro­nisch.
Ich er­wi­de­re das Lä­cheln. Er spricht von der zwei­se­kün­di­gen Pro­ze­dur, in der ihm eine Kran­ken­schwes­ter mit einem Wat­te­stäb­chen durch den Mund ge­fah­ren war, um seine DNA zu ent­neh­men. Wir waren un­ge­fähr eine Stun­de in der Kli­nik, wo wir haupt­säch­lich in der Not­auf­nah­me auf Loui­se ge­war­tet haben. Sie führ­te uns in den klei­nen Raum, in dem die Schwes­ter den Va­ter­schafts­test durch­führ­te.
Keine Mi­nu­te spä­ter ver­ab­schie­de­te uns Loui­se an der Tür und ver­sprach ihm, an­zu­ru­fen, so­bald das Er­geb­nis da ist, was nor­ma­ler­wei­se zwei bis drei Tage dau­ert, aber dies­mal etwas län­ger, weil Frei­tag ist und das Labor am Wo­chen­en­de ge­schlos­sen ist.
„Vie­len Dank“, sagt Le­gend leise. Ich sehe nicht zu ihm hin­über und höre die Dank­bar­keit in sei­ner Stim­me. „Ich war so ein Arsch dir ge­gen­über, seit wir Nach­barn sind.“
Glück­li­cher­wei­se sieht er gut aus, so­dass es leich­ter ist, ihm seine mür­ri­sche Art zu ver­zei­hen. Sein dunk­les Haar, oben etwas län­ger und an den Sei­ten kür­zer, und seine hit­zi­gen blau­en Augen, die so aus­drucks­stark sein kön­nen, er­ge­ben mei­ner Mei­nung nach eine gute Kom­bi­na­ti­on.
„Nicht wirk­lich.“ Damit un­ter­bre­che ich eine si­cher­lich sa­gen­haf­te Ent­schul­di­gung. „Ehr­lich ge­sagt hat es mir einen Hei­den­spaß ge­macht, also muss es dir nicht leid­tun.“
Das ist sogar die Wahr­heit. Sowie ich neben Le­gend ein­ge­zo­gen war, hatte er einen Stock im Arsch und war ab­so­lut mies ge­launt wegen mir und wie ich mein Haus de­ko­rie­re. Mit mei­ner über­trie­be­nen Gar­ten­ge­stal­tung brin­ge ich sämt­li­che Ver­mie­ter auf die Palme, aber so bin ich eben. Es ge­fällt mir, mich künst­le­risch aus­zu­le­ben und in den letz­ten fünf Jah­ren, seit ich hier wohne, hat es die an­de­ren Nach­barn nicht ge­stört.
Als Le­gend be­gann, sich dar­über zu be­schwe­ren, und ver­lang­te, dass ich die Sa­chen ab­neh­me, re­agier­te ich bei­spiels­wei­se damit, auf un­se­re Grund­stücks­gren­ze Plas­tik­fla­min­gos auf­zu­stel­len, und brach­te ihn so noch mehr gegen mich auf.
Nicht, weil ich ge­mein bin. Oder eine Bitch. Son­dern, weil ich für die­sen hüb­schen Eis­ho­ckey­spie­ler schwär­me, der alles viel zu ernst nimmt. Da er nie­mals an je­man­dem wie mir in­ter­es­siert sein wird, habe ich extra ge­sti­chelt, nur um seine Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen. Das mag kin­disch und ein biss­chen be­kloppt sein, aber ich ver­su­che immer, das Leben nicht allzu ernst zu neh­men, und habe mich auf seine Kos­ten köst­lich amü­siert. Die Be­loh­nung war seine Auf­merk­sam­keit zu be­kom­men, wenn auch meis­tens nur in Form von Wut.
Als er an mei­ner Haus­tür er­schien, um sich nicht über meine zu laute Weih­nachts­mu­sik zu be­schwe­ren, son­dern weil er meine Hilfe brauch­te, merk­te ich, dass ich wohl etwas mehr für ihn emp­fin­de als nur Schwär­me­rei. Ich war mehr als be­geis­tert, dass er aus­ge­rech­net zu mir kam, was be­deu­tet, dass sein Ärger über mich nicht zu ech­tem Hass ge­führt hat.
Un­se­re Ein­fahr­ten, die di­rekt ne­ben­ein­an­der ver­lau­fen, kom­men in Sicht, und ich be­daue­re, dass der Abend jetzt fast vor­bei ist. Trotz der Tat­sa­che, dass dies für Le­gend ein le­bens­ver­än­dern­des Er­eig­nis ist, und er sich ge­ra­de nichts als Sor­gen macht, bin ich mehr als dank­bar, dass ich dabei sein durf­te. Denn heute, als wir in der Not­auf­nah­me saßen, hatte ich die Ge­le­gen­heit, Le­gend auf nor­ma­le, nicht streit­lus­ti­ge Art zu be­trach­ten. Seine Ge­dan­ken dreh­ten sich nicht um un­se­ren Klein­krieg, son­dern um das Baby, das wohl ab so­fort in sei­ner Ver­ant­wor­tung lie­gen wird. Ich nehme an, das hat die Dinge für ihn zu­recht­ge­rückt, und er hat mich be­han­delt, wie eine enge Freun­din.
Wäh­rend wir war­te­ten, half ich ihm, über eine Menge Was-wä­re-wenn-Fra­gen nach­zu­den­ken. Er ver­trau­te mir an, ent­setzt über die Aus­sicht zu sein, Vater zu wer­den, und dass er ge­dacht hatte, damit noch lange Zeit zu haben. Al­ler­dings nahm er die Ver­ant­wor­tung ernst und zwei­fel­te nicht an Lidas Ehr­lich­keit. Sei­ner Mei­nung nach ist es sein Kind, und er be­gann be­reits mit der Pla­nung für nach dem Er­geb­nis.
Ich selbst habe keine Kin­der, aber eine große Fa­mi­lie mit Nich­ten, Nef­fen, Cou­si­nen und Cou­sins mit Kin­dern. Jam­mern­de Babys und ängst­li­che Teen­ager sind mir nicht fremd. Also gab ich mein prak­ti­sches Wis­sen an ihn wei­ter, was er sich alles be­sor­gen müss­te. Ich bot sogar an, ihm dabei zu hel­fen, und er fand das furcht­bar lieb von mir, wo er doch immer so un­mög­lich zu mir war.
Ich be­daue­re, dass sein Leben so eine Wende ge­nom­men hat, aber ich bin auch froh, dass er mich nicht mehr nur als ner­vi­ge, ex­tra­va­gan­te Künst­ler­tus­si be­trach­tet, die nicht nor­mal genug ist, um zu sei­nem en­ge­ren Freun­des­kreis ge­hö­ren zu kön­nen.
Ich fahre lang­sa­mer, spare mir das Blin­ken, weil nie­mand hin­ter mir ist, und biege in meine Ein­fahrt. Ich öffne die Ga­ra­ge, schlei­che an den lee­ren Kar­tons der Weih­nachts­de­ko vor­bei und schal­te den Motor aus. Le­gend seufzt in die Dun­kel­heit. Ich drehe mich zu ihm um und er sieht mich an.
„Hast du einen Schnaps?“, fragt er. „Ich könn­te einen brau­chen. Ich habe wel­chen zu Hause, aber das ist wei­ter weg als dein Haus.“
Ich ver­su­che, meine Freu­de zu ver­ber­gen, dass er gern noch ein biss­chen mit mir ab­hän­gen möch­te. „Bour­bon, Te­qui­la und Wodka. Was ist dein Lieb­lings­drink?“
„Wie die wohl alle drei zu­sam­men schme­cken?“ Seine Stim­me klingt so er­schöpft wie er aus­sieht.
„Ekel­haft“, ver­si­che­re ich ihm. „Alle drei zu­sam­men schme­cken wie Kotze.“
„Dann nehme ich den Bour­bon.“ Er öff­net die Tür.
Ich führe ihn durch die Ga­ra­ge, an der Wasch­kü­che vor­bei und nach links in meine Küche. Le­gend sieht sich in­ter­es­siert um und sein Aus­druck ist neu­tral, wäh­rend er meine hell­blaue Küche be­trach­tet, die hand­be­mal­ten Flie­sen hin­ter dem Herd in leuch­ten­den Far­ben wie rot, blau und grün, und die nicht zu­sam­men­pas­sen­den Kü­chen­stüh­le, die ich bei einem Ga­ra­gen­floh­markt er­stan­den und selbst re­stau­riert habe. Die Küche führt ins Wohn­zim­mer, das eben­falls far­ben­froh ge­stal­tet ist. Ich wette, seine Ein­rich­tung be­steht aus brau­nen und bei­gen Tönen.
Zwar be­sit­ze ich eine Bar, doch ich trin­ke nicht oft genug, um sie mit Glä­sern und allem aus­ge­stat­tet zu haben. Statt­des­sen be­wah­re ich Bour­bon, Wodka und Te­qui­la im Kü­chen­schrank neben mei­nen Kaf­fee­tas­sen auf.
Mit dem Bour­bon in der Hand nehme ich zwei Ke­ra­mik­be­cher und frage ihn, ob er Eis möch­te. Er ver­neint. Ich gieße ihm or­dent­lich was ein und nur ein wenig für mich. Dann rei­che ich ihm sei­nen Drink. „Gehen wir ins Wohn­zim­mer.“
Le­gend folgt mir und sieht das Scrabb­le-Spiel auf dem Couch­tisch. „Es tut mir leid, dass ich deine Party ver­saut habe.“
Bei mei­nem La­chen sieht er mich an. „Hast du nicht. Wir spie­len oft und das eine Mal fällt nicht wei­ter auf.“
„Scrabb­le ist ein coo­les Spiel“, sagt er und setzt sich auf die Couch.
Sie ist mit einem wei­chen Denim-Stoff be­zo­gen und die Kis­sen sind be­quem und plü­schig. Er lässt sich da­zwi­schen nie­der und legt ein Bein über sein Knie.
Le­gend starrt in sei­nen Drink. „Was für ein Abend.“
Ich setze mich ans an­de­re Ende der Couch, ziehe die San­da­len aus und nehme die Beine unter mich. An­stän­dig zerre ich den Saum mei­nes Baum­woll­rocks tie­fer. Le­gend be­ob­ach­tet mich wie ein Adler, wobei Hitze über meine Haut kriecht.
Er hebt sein Glas. „Auf dich. Weil du an mei­nem wahr­schein­lich fol­gen­schwers­ten Tag für mich da bist.“
Ich über­le­ge kurz und hebe dann eben­falls mein Glas. „Auf dich. Dafür, dass du die Sache mit wahn­sin­nig viel An­stand und Kraft be­han­delst. Die meis­ten Leute wären schon längst zu­sam­men­ge­bro­chen.“
Le­gend schnaubt, setzt das Glas an, und an sei­nem Schlu­cken er­ken­ne ich, dass er alles auf ex ge­trun­ken hat. Er presst einen Zisch­laut zwi­schen den Zäh­nen hin­durch, steht auf, geht in die Küche und schwei­gend sehe ich zu, wie er mit der Fla­sche in der Hand wie­der­kommt. Im Ste­hen schenkt er sich nach, stellt die Fla­sche auf den Couch­tisch und trinkt sein Glas er­neut leer.
Er sieht mich an und in sei­nen Augen schwim­men die Emo­tio­nen re­gel­recht. „Ich kann kein Vater sein. Bin noch nicht so­weit.“
Ich weiß nicht, ob das stimmt, des­halb sage ich, was er jetzt hören muss. „Doch, das kannst du, und du bist auch dazu be­reit, denn höchst­wahr­schein­lich musst du es ein­fach.“
Le­gend schüt­telt den Kopf. „Ich bin die Hälf­te des Jah­res be­ruf­lich un­ter­wegs. Manch­mal sie­ben Tage hin­ter­ein­an­der. Wie soll ich mich da um ein Kind küm­mern?“
„Du be­sorgst dir eine Nanny“, schla­ge ich vor. „Bei dei­nem Ein­kom­men kannst du dir die beste Kin­der­be­treu­ung der Welt leis­ten.“
„Okay.“ Er be­ginnt, auf und ab zu lau­fen und deu­tet kurz mit dem Glas auf mich. „Guter Ein­wand. Aber was für ein Vater wäre ich, wenn ich fast nie bei mei­nem Kind wäre?“
„Dann nimm sie doch mit.“ Ich zucke mit den Schul­tern. „Ich bin si­cher, dass du dir auch das leis­ten kannst.“
Le­gend rollt mit den Augen. „Du hast aber auch auf alles eine Ant­wort.“
„Weil es für alles eine Ant­wort gibt.“ Ich lä­che­le ihn ver­ständ­nis­voll an und nippe an mei­nem Bour­bon. Er brennt auf dem gan­zen Weg nach unten, aber ich nehme dank­bar das be­ru­hi­gen­de Ge­fühl des Al­ko­hols mit, denn Le­gend Bay in mei­nem Wohn­zim­mer zu haben, ist leicht ver­stö­rend. „Du musst nur ein paar Dinge or­ga­ni­sie­ren, das ist alles.“
Er hält inne und sieht mich an. Mög­li­cher­wei­se klin­gen meine Rat­schlä­ge ab­ge­dro­schen und auch leicht über­heb­lich, als würde ich sein Pro­blem klein­re­den.
Über­ra­schen­der­wei­se kräu­selt er amü­siert die Lip­pen. „Wie kann es sein, dass ich dich vor ein paar Stun­den noch ver­flucht habe, als ich nach Hause kam und deine Gris­wold-De­ko ge­se­hen habe, und jetzt in dei­nem Wohn­zim­mer bin und kluge Rat­schlä­ge von dir be­kom­me?“
„Ei­gent­lich stehst du“, sage ich grin­send. „Und wahr­schein­lich bin ich mo­men­tan ein­fach prak­tisch.“
„Das stimmt nicht“, knurrt er.
„Warum rege ich dich so sehr auf?“, frage ich neu­gie­rig.
„Tust du gar nicht“, ver­si­chert er mir.
„Doch“, ant­wor­te ich la­chend.
Le­gend sieht mich an und scheint zu über­le­gen, was er sagen soll. Schließ­lich kann er nicht leug­nen, dass er sich über mich ge­är­gert hat. Ich bin etwas ent­täuscht, dass er mit den Ach­seln zuckt. „Ich weiß nicht. Du bist ein­fach so … ab­ge­fah­ren. Prot­zig. Das hat an mir ge­nagt, schät­ze ich.“
„Du bist wohl eher ein Lang­wei­ler“, ver­mu­te ich klug­schei­ßend.
Er schüt­telt den Kopf und sieht mich fins­ter an. „Ich mag ein­fach Ord­nung. Re­geln. So wurde ich er­zo­gen.“
„Mi­li­tä­ri­scher Hin­ter­grund?“, rate ich.
Er wirkt kurz über­rascht. „Navy. Mein Dad war Pilot und fliegt für kom­mer­zi­el­le Ge­sell­schaf­ten, seit er von der Navy pen­sio­niert wurde.“
„Ah, jetzt er­gibt alles einen Sinn. Eine Spaß lie­ben­de Künst­le­rin wie ich bringt dich durch­ein­an­der.“
„Ich habe schon Spaß lie­ben­de Frau­en ge­da­tet“, brummt er.
„Okay, aber wir daten ja nicht. Wir sind nur Nach­barn. Ich ver­ste­he schon. Ich störe dei­nen Sinn für Ord­nung, wenn ich so offen die Re­geln des Haus­ei­gen­tü­mer­ver­eins bre­che.“
Le­gend grinst. „Und jetzt ver­spot­test du mich.“
„Ein biss­chen“, sage ich mit einem La­chen und nippe an mei­nem Drink. „Aber mal im Ernst … du musst echt etwas lo­cke­rer wer­den.“
Sein Grin­sen ver­blasst. „Und wie soll ich das an­stel­len? Be­son­ders, wenn ich mich um ein Neu­ge­bo­re­nes küm­mern muss?“
Gute Frage. Die wich­tigs­te heute.
Ich habe kei­nen lang­fris­ti­gen Rat, aber ich glau­be, ich kann ihn für den Mo­ment etwas be­ru­hi­gen. Ich stel­le mein Glas auf den Tisch, gehe um ihn herum und auf Le­gend zu, der mich mit dunk­lem Blick be­ob­ach­tet. Ich stel­le mich vor ihn und lege die Hände auf seine Brust, spüre sei­nen Herz­schlag und gehe auf die Ze­hen­spit­zen.
„Un­ge­fähr so.“ Ich un­ter­rich­te ihn in der fei­nen Kunst des Lo­cker­wer­dens und drü­cke mei­nen Mund auf sei­nen.

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