Sons of Devil MC: Cole

Erschienen: 05/2025
Serie: Sons of Devil MC
Teil der Serie: 3

Genre: Motorcycle Club Romance

Location: USA, Chicago


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-742-0
ebook: 978-3-86495-743-7

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 7,99 €[D]

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Sons of Devil MC: Cole


Inhaltsangabe

Als Präsident der "Sons of Devils", eines berüchtigten Motorradclubs, hat Cole Graham keine Angst vor Konflikten und weiß, wie man Feinde in die Knie zwingt. Doch nichts – kein Kampf, keine Bedrohung – konnte ihn auf die brennende Qual vorbereiten, die ihn seit dem Verschwinden von Charleen, der Verlobten seines Bruders, quält. Die verbotenen, unwiderstehlichen Gefühle, die er für seine Schwägerin in spe hegt, zerren an ihm, während die unerbittlichen Fragen über ihren mysteriösen Verlust ihn an den Rand des Wahnsinns treiben.

Wurde sie entführt? Hat sie seinen Bruder verlassen? Oder hat die gefährliche Welt, in der sie leben, Charleen für immer verschlungen?

Charleen ist ein Schatten ihrer selbst, als sie aus einer Hölle, die sie fast das Leben gekostet hätte, entkommen kann. Der Albtraum lässt ihre Seele zerbrechen. Ihre Welt existiert nicht mehr, und die Person, die sie einmal war, scheint niemand mehr zu kennen. Doch als Cole sie aus ihrer Dunkelheit zieht, wird mehr als nur ihre Rettung ein neues Kapitel beginnen. Zwischen den beiden entfacht eine heiße Leidenschaft.

In einer Welt voller Gewalt und Verrat müssen sie sich entscheiden: Können sie ihre leidenschaftliche Verbindung über alle Grenzen hinweg leben? Oder wird das dunkle Geheimnis, das Charleens mysteriöses Verschwinden umgibt, ihre gemeinsame Zukunft zerstören?

Über die Autorin

Arizona Moore ist das Pseudonym einer deutschsprachigen Autorin und steht für Liebe, Herzschmerz, Drama und einen Hauch erotischem Prickeln.
Bücher sind und waren schon immer ihre größte Leidenschaft. Anfänglich hat sie ihre Geschichten nur für sich selbst zu Papier...

Weitere Teile der Sons of Devil MC Serie

Leseprobe

Charleen

Das Bett, in dem ich zu liegen scheine, fühlt sich wie ein Gefängnis an, als würde es mich fest umklammert halten. Ich wälze mich hin und her, doch die Bettdecke gleicht einer Fessel, die ich nicht loswerden kann. Mein Atem geht flach, mein Herz rast in meiner Brust. Der Traum – nein, der Albtraum – hat mich fest im Griff. Ich kann ihm nicht entkommen, so sehr ich es auch versuche.
Die Dunkelheit droht mich zu verschlingen. Ich bin zurück in diesem kleinen, dreckigen Raum, dessen Wände so dünn sind, dass ich die Männer auf dem Flur hören kann....

...Sie reden und lachen. Vermutlich verspotten sie uns. Die Tür zum Korridor ist abgeschlossen, es gibt kein Entkommen. Sie haben Waffen. Knarren, die sie mit Sicherheit einsetzen werden, wenn sie dazu gezwungen sind.
Die Geräuschkulisse ist das Schlimmste – das Einrasten des Türschlosses, die schweren Stiefel auf dem Fußboden, das Klimpern von Gürtelschnallen, mit denen sie zuschlagen. Mir dreht sich der Magen um, meine Kehle zieht sich zu. Ich kann kaum atmen.
Mein Körper fühlt sich schwer an, die Schmerzen ziehen sich durch meine Muskeln. Jede Wunde, jede Prellung, jeder blaue Fleck, jeder Schlag hallt in mir nach.
„Bitte, nicht schon wieder“, flehe ich, als ein Mann in die Zelle kommt und mich an den Armen auf die Beine reißt.
Sie kommen immer wieder. Tag für Tag. Woche für Woche. Immer dasselbe. Ihr Lachen, ihre Blicke, ihre Schläge – als wäre ich nichts, als wäre ich kein Mensch.
Mir kommt mein Salon in den Sinn, mein Zufluchtsort. Ich habe es geliebt, Menschen zu verwöhnen. Die Düfte meiner Pflegeprodukte, die Massageöle, der herzliche Dank meiner Kunden. Aber das hat man mir genommen, wie alles andere auch.
Ich bin gefangen.
Eingesperrt.
Misshandelt.
Vergewaltigt.
Wie lange bin ich wohl schon hier?
Sucht er nach mir?
Jede Nacht male ich mir aus, dass Tyson durch diese Tür gestürmt kommt und mich aus dieser Hölle befreit.
Aber er kommt nicht.
Genauso wenig wie der Club.
Niemand kommt.
„Setz dich in Bewegung, Schlampe“, befiehlt der Mann mir, dessen Hände wie Schraubstöcke um meine Arme liegen.
Nein, nicht schon wieder.
Ich kann nicht mehr.
„Nein!“, glaube ich zu schreien, in Wahrheit kommt mir aber kein Ton über die Lippen. Es ist, als hätte man mich meiner Stimme beraubt, wie sie es schon mit meinem Körper getan haben.
Jede Berührung, jeder Griff zieht mich tiefer in das dunkle Loch, in dem ich gefangen bin. Und dann … der Schmerz. Wieder und wieder.
Ich schrecke mit einem Ruck aus dem Schlaf hoch. Mein Körper bebt, mir rinnt der Scheiß über den Rücken. Panisch scanne ich mit meinem Blick den Raum, noch immer irgendwie gefangen zwischen Albtraum und Realität. Im Zimmer ist es zwar dunkel, aber dennoch sind mir die Umrisse, ist mir die Umgebung irgendwie vertraut. Und der Geruch.
Ich bin nicht mehr dort, ich bin im Clubhaus.
Bin ich nicht tot?
Ich versuche, meine Atmung zu kontrollieren, doch meine Lungen brennen, als hätte ich für mehrere Minuten die Luft angehalten. Mein Herz hämmert und Tränen laufen mir über die Wangen.
Es ist zu viel.
Es war zu viel.
Plötzlich bemerke ich eine Gestalt neben meinem Bett. Jemand sitzt auf einem Stuhl neben mir.
Langsam klärt sich meine Sicht.
Es ist … Cole.
Nicht Ty.
„Was … Cole?“ Meine Stimme klingt brüchig, wie ein fremdes Echo in der Dunkelheit.
Er hebt den Kopf und sieht mich an. Sein Blick ist zwar weich, aber dennoch voller Sorge. Normalerweise strahlt Cole eine unerschütterliche Stärke aus, für die ich ihn stets bewundert habe. Er ist wie ein Fels, an dem Wellen brechen. Doch jetzt? Nun blickt er drein, als würde er meinen Schmerz fühlen, was natürlich völliger Quatsch ist.
Wo ist Tyson?
Mein Verlobter?
Der Mann, den ich liebe?
„Wie … wo … ist Ty?“, krächze ich mit zitternder Stimme, als ich die Frage laut ausspreche, die mich seit Wochen quält. Oder gar Monaten?
Cole weicht meinem Blick aus. „Er … er ist verhindert“, entgegnet er leise.
Verhindert?
Will er mich auf den Arm nehmen?
„Was soll das heißen? Wo zur Hölle ist er, Cole? Warum ist er nicht bei mir?“
Cole antwortet nicht sofort. Er fährt sich mit einer Hand durch sein kurzes schwarzes Haar, als würde er nach den richtigen Worten suchen. Doch die richtigen Worte scheinen ihm nicht einfallen zu wollen. Die Stille zwischen uns ist erdrückend, weshalb erneut Tränen meine Augen fluten.
„Er sollte hier sein“, flüstere ich. „Er ist mein Verlobter. Er sollte hier bei mir sein, nicht du.“
Cole verzieht das Gesicht, als hätte ich ihm eine fette Ohrfeige verpasst. „Ty … Ty hat sich verändert, Charleen. Er ist nicht mehr …“ Er beendet den Satz nicht. Cole scheint zu überlegen, wie er es mir erklären soll.
„Nicht mehr was?“, hake ich nach. „Nicht mehr mein Verlobter?“
Cole schweigt.
Scheiße, was ist hier los?
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Hat er … hat Ty mich aufgegeben? In der Zeit, in der ich entführt, festgehalten, misshandelt und vergewaltigt wurde, in der ich durch die Hölle gehen musste, hat er … was getan? Sich eine andere gesucht? Einfach weitergemacht, als hätte es mich nie gegeben? Als wären wir nie ein Paar gewesen?
„Cole, sag mir die Wahrheit. Bitte“, flehe ich, die Verzweiflung in meiner Stimme unüberhörbar.
Er schließt die Augen und atmet tief ein. „Können wir das Thema vertagen? Du musst dich erholen und wieder auf die Beine kommen, Charleen. Deine Genesung steht an erster Stelle.“
„Verdammt, Cole. Was ist los?“ Ich werde lauter, obwohl jeder Millimeter meines Seins schmerzt. „Er ist mein Verlobter, verflucht. Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, wo er steckt, weshalb er angeblich verhindert ist.“
Abermals scheint Cole mit sich zu ringen. Er steht auf, geht zum Fenster und schaut nach draußen, als würde ihm der Blick in die Ferne dabei helfen, die richtigen Worte zu finden. Irgendwann dreht er sich wieder zu mir um. „Er … er ist nicht stark genug, Charly. Nicht für das, was du mutmaßlich durchgemacht hast. Er weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Tut mir leid.“
Wie er damit umgehen soll?
Ich verstehe nur noch Bahnhof.
„Und deshalb ignoriert er mich?“
Cole tritt ein paar Schritte auf mich zu, dann hält er inne, als wüsste er nicht, ob er sich mir nähern darf oder nicht. „Ganz ehrlich, er ist nicht der Mann, den du jetzt brauchst. Nicht mehr.“
Seine Worte kommen einem Schlag ins Gesicht gleich. Die Luft scheint aus meinen Lungen zu weichen, und ich ringe um Atem. All die Nächte, in denen ich mir vorgestellt habe, wie Ty mich retten kommt, wie er mich aus dieser Hölle befreit – sie scheinen nichts weiter als eine dumme Illusion gewesen zu sein.
Aber wieso?
Was ist passiert?
„Er hat … eine andere, oder?“
Cole schweigt.
Das sagt mehr als tausend Worte, beantwortet mir alles, was ich wissen muss. Ty hat mich aufgegeben. Er hat mich im Stich gelassen, während ich mich in den Fängen meines Entführers, meines Peinigers befunden habe. Mein Verlobter … der Mann, den ich geliebt habe und immer noch liebe, ist nicht mehr da. Zumindest nicht für mich. Er ist nicht mehr an meiner Seite.
Meine Tränen strömen wie heiße Sturzbäche über meine Wangen. Alles bricht aus mir heraus – die Angst, der Schmerz, die pure Verzweiflung. Es ist, als hätte die Kontrolle über meinen Körper verloren, denn ich kann weder aufhören zu schluchzen, noch zu schniefen.
Ich bin ein Nichts.
Eine Vase mit Rissen, die versucht, nicht gänzlich auseinanderzubrechen, doch nun … jetzt zerbricht alles. Endgültig.
Cole setzt sich nach kurzem Zögern zu mir aufs Bett. Er scheint keine Idee zu haben, wie er mich trösten soll. Allerdings gibt es auch nichts, das meine Tränen trocknen könnte. Sanft, überaus behutsam, legt er eine Hand auf meine Schulter. „Charleen“, sagt er, doch ich höre ihm nicht zu.
Ich bin so durcheinander.
Mit einem Mal erscheint alles sinnlos: das Kämpfen ums Überleben, das Auflehnen gegen meinen Vergewaltiger.
Ich habe meine Freiheit zwar wieder, aber im Gegenzug habe ich mein Leben, meinen Mann verloren.
Meine Gedanken überschlagen sich, unaufhaltsam und gnadenlos. Tyson hat mich verlassen. Der Mann, der mich angeblich geliebt hat, der mir seine ewige Treue geschworen hat, der mich heiraten wollte, hat mich einfach ausgetauscht?
Ich starre die Decke an. Mein Körper kommt mir mit einem Mal unendlich schwer vor. Es ist, als wären meine Glieder aus Blei. Doch davon mal abgesehen, ist es mein Geist, der mich quält. Jeder Gedankengang, jede Erinnerung saugt mich tiefer in das schwarze Loch, aus dem ich keinen Ausweg sehe.
Wie konnte er das tun?
Wie konnte er einfach weitermachen, während man mich geschlagen und vergewaltigt hat?
Hat er nie an mich gedacht?
Hat er sich nicht gefragt, wo ich bin? Ob ich noch lebe?
Ich bezweifle, dass er überhaupt nach mir gesucht hat.
Hat er mich überhaupt je geliebt?
Auch wenn es wehtut, versuche ich, die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit vor der Entführung heraufzubeschwören. Die Momente, in denen er mich voller Liebe angesehen und mir das Gefühl gegeben hat, ich sei seine Welt. Die Art, wie er meine Hand gehalten hat, fest und sicher, als könnte uns nichts und niemand trennen. All die Zukunftspläne, die wir geschmiedet haben – der kleine Bungalow am Stadtrand, der Traum von einer eigenen Familie und einem Hund. Wir wollten Kinder. Viele Kinder. War das alles bloß eine Lüge? Eine schöne Illusion, die im Angesicht der Realität zerbrochen ist?
„Charleen, es tut mir leid.“
Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, obwohl ich eigentlich gar nicht will, dass er sieht, wie fertig und wie zerrissen ich bin, weshalb ich den Blick kurzerhand wieder abwende. „Was tut dir leid?“
„Alles“, antwortet er und seufzt. „Ich weiß, dass im Moment alles einfach sehr viel für dich ist. Genauso wie ich mir sicher bin, dass Ty deine Tränen nicht wert ist.“
Ty.
Allein die Erwähnung seines Namens lässt meine Haut brennen. Es ist wie Salz in einer offenen Wunde.
Die Vorstellung, dass Cole denkt, er könnte mich verstehen, ist lächerlich. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es ist, entführt und immer wieder vergewaltigt zu werden. Brutal, bis du den Schmerz nicht mehr spürst, weil dein Körper aufgegeben hat. Angst davor zu haben, dass jeder Tag dein letzter sein könnte.
Cole schaut mich an, seine Augen sind voller Mitleid, doch das macht es nur noch schlimmer. Ich will nicht, dass er mich bedauert. Er kann nie begreifen, was ich durchgemacht habe. Niemand kann das. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, aber ich gehe dazwischen. Meine Stimme ist scharf und bitter.
„Einen Scheiß weißt du, Cole.“
Der Schmerz in seinen Augen, den ich für einen Augenblick aufblitzen sehe, schneidet tiefer in mein Herz, als ich erwartet habe. Ich wollte ihn nicht verletzen, nicht wirklich. Aber ich weiß nicht, wohin mit all der Wut, der Verzweiflung. Sie überrollt mich, lässt mich kaum atmen, und er ist der Einzige hier, auf den ich sie richten kann.
„Charleen“, sagt er, seine Stimme ist nun leiser, fast flehend. „Ich weiß nicht, was du durchgemacht hast, aber ich ahne es. Ich bin hier, ich bin für dich da.“
Hier. Was für ein lächerliches Wort, wenn man bedenkt, dass Ty nicht hier ist.
Ich rolle mich trotz der Schmerzen in meiner Rippengegend auf die Seite und presse ein Kissen fest gegen meine Brust, als könnte es die Leere in meinem Inneren füllen. Ich bin allein. Allein in einer Welt, die sich ohne mich weitergedreht hat.
Ty war meine Zukunft, er war meine Konstante, der Mann, dem ich vertraut habe. Meine Welt liegt in Scherben. Alles, was ich gekannt, was ich geliebt habe, ist weggebrochen. Ich bin ein Nichts. Nur noch ein Schatten meiner selbst. Verloren in einem Albtraum, der kein Ende nimmt.
Im Club kann ich nicht bleiben. Ich habe nicht den Old-Lady-Status inne. Somit gehöre ich nicht hierher. Ich habe keinen Platz im Club der Devils.
Zurück zu meinem Dad kann ich nicht. Keine Chance. Ich habe Jahre damit verbracht, von ihm wegzukommen. Ich habe mich von ihm losgelöst, habe seinen goldenen Käfig verlassen. Zurück zu ihm? Zurück zu jemandem, der mich wie eine Marionette instrumentalisieren wird? Nein. Nicht nach allem, was mir widerfahren ist. Ich würde lieber sterben, als mich je wieder von einem Mann kontrollieren und einsperren zu lassen.
Aber was bleibt mir dann? Wohin soll ich? Ich habe niemanden. Tyson war mein Anker, und ohne ihn werde ich ziellos umhertreiben.
Und dann wäre da noch die Angst. Die Angst, die mich ständig zusammenzucken lässt. Die Angst, dass die Männer, die mich entführt haben, zurückkommen könnten.
Die Fotze ist hinüber. Schafft sie von hier weg. Ihr wisst, wo ihr sie entsorgen könnt, kommt mir plötzlich wieder in den Sinn.
Sie müssen davon ausgegangen sein, dass sie mich zu Tode geprügelt haben, denn anders kann ich mir nicht erklären, wieso ich jetzt hier bin. Auch wenn ich es nicht sicher weiß, gehe ich davon aus, dass sie mich vor dem Clubhaus entsorgt haben. Wieso sonst sollte ich ausgerechnet hier aufgewacht sein?
Plötzlich sehe ich sie vor mir. Die Augen meines Peinigers. Ich höre die Stimmen der Männer, die unsere Zelle bewacht haben, als stünden sie direkt neben mir.
Ich habe keine Ahnung, wer sie waren oder warum sie ausgerechnet mich gekidnappt haben. Es gibt so viele Fragen, die unbeantwortet sind. Wieso ich? Warum haben sie mich ausgewählt? War es wegen meines Dads? Wegen des Clubs? Die Ungewissheit nagt an mir.
Das Pochen in meiner Brust wird lauter, mein Atem geht flach. Die Panik kriecht über meine Haut, sie droht mich zu ersticken. Ich setze mich auf, versuche, tief durchzuatmen, aber es kommt mir so vor, als würden meine Lungen nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt werden. Meine Hände zittern und in meinem Kopf dreht sich alles.
Ich schließe die Augen und probiere, mich zu beruhigen, doch die Erinnerungen kommen immer wieder hoch. Die Dunkelheit. Die Kälte. Die Schläge. Die anderen Frauen. Das Knarzen der Tür, wenn sie mich holen kamen. Ich spüre noch immer seine Hände auf meiner Haut, grob und gewaltsam. Ich kann das nicht ertragen.
Schnell reiße ich die Augen wieder auf und versuche, den Raum um mich herum zu fixieren, aber es nützt nichts. Nichts hilft.
„Kannst du mich bitte allein lassen?“, frage ich Cole.
„Nein.“ Er schüttelt den Kopf. „Ich werde nicht gehen. Du bist meine Freundin, Charleen. Freunde sind immer füreinander da, egal was passiert.“
„So wie mein vermeintlicher Verlobter“, murmle ich vor mich hin.
Einen Moment herrscht Stille zwischen uns, schwer und drückend. Cole sagt nichts. Muss er auch nicht. Er weiß, dass ich recht habe.
Seufzend lasse ich meine Stirn gegen mein Knie sinken. „Bring mich auf andere Gedanken, Cole. Erzähl mir irgendetwas. Egal was.“
Zunächst bleibt er still, wahrscheinlich weil er überrascht von meinem plötzlichen Umschwung ist. Ich bin es selbst. Aber das Schweigen zwischen uns war mir zu erdrückend. Ich brauche irgendetwas, worauf ich mich konzentrieren kann. Irgendetwas, das diesen Sturm in meinem Kopf für eine Weile zur Ruhe bringt. Und da er nicht gehen wollte, war das das Erste, das mir in den Sinn gekommen ist.
„Landon und Leah haben geheiratet“, erzählt Cole mir schließlich. „Hättest du gedacht, dass der bindungsängstliche Landon sich jemals festlegt? Dass er ausgerechnet unsere ehemalige Bardame heiratet? Ach, und Fallon … Fallon hat ein Kind bekommen. Ein Mädchen. Abigail.“
Landon hat geheiratet?
Fallon hat ihr Baby?
Scheiße, die Worte prallen in meinem Kopf umher. Es fühlt sich an, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.
Wie lange war ich weg?
Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Verdammt, ich habe das Gefühl, eine Fremde in meinem eigenen Leben zu sein.
Als ich nichts darauf erwidere, plappert Cole weiter drauflos. „Weißt du, als ich damals zu den Devils gekommen bin, war ich nichts weiter als ein verfluchter Straßenköter.“
Ich blicke zu ihm auf, trotz meiner inneren Zerrissenheit neugierig. „Ein Straßenköter?“
Er nickt. „Ganz genau. Ich hatte meine Familie verlassen, hatte keine Heimat. Nur die Straßen. Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, ums Überleben zu kämpfen, habe Drogen vertickt. Jeden Tag musste ich wachsam sein, jeder konnte ein Feind sein. Aber als ich die Devils getroffen habe, war das das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, zu jemandem zu gehören.“
Seine Stimme ist ruhig, aber ich höre die Emotionalität darin. Seine Geschichte ist mir nicht neu, denn er hat sie mir schon einmal erzählt, aber in diesem Moment fühle ich mich, als könnte ich ihn besser verstehen. Cole hat auch kämpfen müssen. Vielleicht auf andere Weise, aber er kennt Schmerz und Einsamkeit.
„Es war nicht immer einfach“, fährt er fort. „Aber der Club hat mir eine Familie gegeben. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Meine Brüder sind immer für mich da. Egal wie schlimm es wird.“
Ich höre ihm zu, wie er von seinen Kämpfen auf der Straße erzählt, von den Nächten, in denen er sich gefragt hat, ob er den nächsten Morgen sehen oder von irgendeinem Gangmitglied umgelegt werden würde. Es ist seltsam, wie vertraut das klingt, obwohl unsere Situationen so unterschiedlich sind. Vielleicht sind es nicht die Umstände, die zählen, sondern das Gefühl dahinter. Das Gefühl, allein zu sein, am Boden. Und den Willen zu besitzen, wieder aufzustehen.
„Weißt du, du bist verdammt stark, Charleen. Stärker als du vielleicht denkst“, sagt er.
„Ich weiß es nicht. Gerade kommt es mir so vor, als wäre ich längst tot.“
Cole erwidert nichts, rückt aber näher an mich heran und legt seine Hand auf meine Schulter. Es ist eine Geste, die mehr aussagt, als Worte es könnten. Und für einen Moment, einen winzigen Augenblick, fühlt es sich so an, als könnte ich in dieser Dunkelheit vielleicht doch ein wenig Licht sehen.
„Du lebst, Charleen.“
Ich schließe die Augen, lasse seine Worte in mir nachklingen. Vielleicht hat er recht. Vielleicht bin ich stärker, als ich es mir selbst zugestehen will. Aber es ist schwer, das zu glauben, da der Schmerz so frisch ist, so nah an der Oberfläche ist.
„Du musst nicht alles allein durchstehen“, fährt er fort. „Ich bin hier und ich werde nicht gehen. Egal, wie oft du mich wegzuschicken versuchst.“
Ein kleines Lächeln umspielt meine Lippen, wenn auch nur für einen Moment. „Sturkopf“, murmle ich.
„Das bin ich“, gibt er zurück, und seine Stimme klingt etwas leichter. „Aber genau das brauchst du gerade. Jemanden, der bleibt.“
Ich lehne meinen Kopf gegen seine Schulter. Für einen Moment ist es ruhig, der Sturm in meinem Kopf verstummt. Es ist nicht viel, aber genug, um mich daran zu erinnern, dass ich nicht allein bin.
Und manchmal … manchmal ist das alles, was zählt.


Cole

Es fühlt sich so an, als hätte jemand einen fetten, tonnenschweren Betonblock auf meiner Brust abgeladen. Einen, der mich mit jeder Stunde, die ins Land zieht, ein wenig tiefer zu Boden drückt. Ich sitze in meinem Büro und starre auf die halb volle Whiskeyflasche vor mir. Das Glas in meiner Hand ist genauso leer wie die Gedanken in meinem Kopf, die sich nur um eine Sache drehen: Charleen.
Wieso tut Ty ihr das an? Der Mann, von dem ich einst angenommen habe, dass er sie über alles liebt.
Aber seine Gefühle scheinen wohl der Vergangenheit anzugehören.
Jetzt … jetzt kann ich Tyson nicht mehr ansehen, ohne den Drang zu verspüren, ihm die Fresse polieren zu wollen. Ich will ihm klarmachen, was für ein gottverdammter Feigling er doch ist.
Ich mache das Glas wieder voll, nehme einen großen Schluck und genieße es, wie der Whiskey in meiner Kehle brennt. Das kurze Brennen ist nichts im Vergleich zu dem, was Charleen durchmachen musste. Ihre Qualen sind wie kleine Nadelstiche, die sich in mein Herz bohren.
Unser Doc, der Charly untersucht hat, obwohl sie bewusstlos war, hat bestätigt, dass sie mehrfach brutal vergewaltigt wurde. Die Verletzungen an ihrem Intimbereich lassen keine andere Schlussfolgerung zu. Zudem war sie dehydriert, hat geprellte Rippen, Brandwunden – vermutlich von Zigaretten verursacht –, Abschürfungen, Schnittwunden, Quetschungen und diverse Verstauchungen. Glücklicherweise wurde sie negativ auf Geschlechtskrankheiten getestet. Körperlich wird sie wieder heilen, aber seelisch?
Sie liegt oben in einem der Gästezimmer des Clubhauses, wo wir sie untergebracht haben, nachdem man sie vor dem Tor gefunden hat – verprügelt, blutend und bewusstlos. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Anson und Landon zu mir gestürmt waren, der Schock stand ihnen ins Gesicht geschrieben, und verkündet haben, dass sie wieder da ist. Ich bin sofort losgerannt, das Adrenalin hat meine Beine kontrolliert. Sie auf dem Kies liegen sehen zu müssen, verfolgt mich seither jede Nacht.
Nichts erinnert mehr an die Frau, die ich einst gekannt habe. Charleen, die sonst so voller Leben gewesen war, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Blau-, Grün- und Violetttöne haben ihre Haut überzogen wie ein krankes Kunstwerk. Und die Narben auf ihrer Seele? Scheiße, die sieht niemand.
Und Ty? Dieser verdammte Wichser hat sich bisher keine einzige Minute um sie geschert. Stattdessen vergnügt er sich munter mit Luana vor aller Augen, als wäre Charly nie Teil seines Lebens gewesen. Wie pervers ist das? Als wäre er nie mit ihr zusammen gewesen, hätte sie nie geliebt und verdammt noch mal um ihre Hand angehalten.
Ich knalle das mittlerweile leere Glas auf den Schreibtisch. Das Geräusch hallt durch den Raum. Das Glas hält stand, so wie ich mir das von meinem Bruder gewünscht hätte, aber Tyson tut das, was er immer tut: den Schwanz einziehen.
Nach außen hin wirkt mein Bruder wie ein großer, harter Macker, wie der geborene Rebell. Mit seiner Kutte, den Tattoos und seinem Bike sieht er aus, als würde er keiner Prügelei aus dem Weg gehen - aber das ist bloß Fassade. Nur wer Ty näher kennt, weiß, was für eine Pussy er in Wahrheit ist. Ich weiß es, weil ich mein ganzes gottverdammtes Leben damit zugebracht habe, ihm den Arsch zu retten. Schon damals, in der Schule, musste ich regelmäßig für ihn einstehen.
Jeden.
Verfickten.
Tag.
Ich war derjenige, der sich um die älteren Jungs gekümmert hat, die ihm aufs Maul hauen wollten, weil er mal wieder eine zu dicke Lippe riskiert hatte. Ty war meisterlich darin, mit seiner großen Klappe Ärger zu provozieren, aber wenn es darum ging, sich den Konsequenzen zu stellen? Dann hat er den Schwanz eingezogen und ist zu mir gerannt. Er wusste, dass ich meinen Bruder nie hängen lassen würde. Wie ein verdammter Idiot bin ich jedes Mal für ihn eingestanden. Ich habe seine Schlachten gekämpft, habe ihn verteidigt und beschützt, egal, wie oft er es auch verkackt hat.
Und zwar nicht nur in der Schule. Zu Hause war es dasselbe. Unser Vater war ein harter Hund, einer, der uns keine Schwäche durchgehen ließ. Wenn es Probleme gab – und die gab es reichlich –, war ich derjenige, der die Prügel einstecken musste, um Tyson aus der Schusslinie zu holen. Und was hat er gemacht? Die Klappe gehalten und dabei zugesehen. Er hat nie etwas unternommen, um mich zu unterstützen. Im Gegenteil, er hat so getan, als wäre es für mich als sein großer Bruder selbstverständlich, dass ich die Dinge für ihn regele.
Ty hatte noch nie Rückgrat. Er labert viel, ja, aber das ist auch schon alles. Er ist ein Vollprofi im Redenschwingen, im Leuteüberzeugen. Mit dem Mund ist er ein ganz Großer. Aber wenn es darum geht, seinen Worten Taten folgen zu lassen? Tja, da versagt er auf ganzer Linie. Tyson ist eben jemand, der sich hinter seinem großen Bruder, dem Präsidenten der Sons of Devil, versteckt, wenn die Dinge brenzlich werden.
Wie oft ist er im Club mit jemandem aneinandergeraten und ist dann zu mir gerannt gekommen, weil er zu feige war, den Scheiß selbst zu klären? Jedes verfickte Mal. Ich bin derjenige, der die Konflikte aus der Welt schaffen muss, der für ihn die Drecksarbeit erledigt und die Scherben zusammensammelt, die er hinterlassen hat, während er erst aus der Versenkung auftaucht, wenn die Luft wieder rein ist.
Wie Tyson die Zeit als Prospect überstehen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. Vielleicht, weil der damalige Prez wusste, dass es uns nur im Doppelpack gibt. Und in mir scheint er gesehen zu haben, was ich bin: ein abgebrühter Schweinehund.
Keine Ahnung, wann genau ich damit angefangen habe, Ty zu verachten. Vielleicht war es ein schleichender Prozess, vielleicht war das schon immer so, und ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Kein Plan.
Aber dieses Mal? Diesmal ist es anders. Dieses Mal hat er Charleen im Stich gelassen. Die Frau, die er angeblich liebt, die er heiraten wollte. Er hat sie einfach weggeworfen, als wäre sie wertlos, als hätte sie ihm nie etwas bedeutet. Und wozu das Ganze? Um sich mit Luana, einer Clubhure, zu amüsieren.
Plötzlich fliegt meine Bürotür auf, und er kommt in den Raum gepoltert – Ty, mein gottverdammter Bruder. Er grinst mich breit an, weshalb mir schlecht wird.
„Schon mal was von anklopfen gehört? Was willst du?“, knurre ich.
Er zuckt mit den Schultern und kommt auf meinen Schreibtisch zu stolziert, als würde ihm der Laden gehören. „Ich dachte, ich schau mal bei dir vorbei. Du verkriechst dich neuerdings immer öfter in deinem Büro, Bruderherz. Muss ich mir etwa Sorgen um dich machen?“
„Willst du mich verarschen?“ Ich stehe auf. Sämtliche Muskelstränge spannen sich an. „Sorgen? Um mich? Fuck, wie wäre es, wenn du dir zur Abwechslung mal Gedanken und Sorgen um Charleen machst?“
Tys Gesichtsausdruck bleibt zunächst neutral. „Charleen?“ Er schüttelt den Kopf, als würden wir von einer fremden Person sprechen. „Entspann dich, Cole, sie wird schon klarkommen. Wie immer.“
„Sie wird schon klarkommen?“ Meine Stimme wird lauter, und ich muss mich echt zusammenreißen, um mich nicht auszurasten und ihn zu Brennholz zu verarbeiten. Fuck, wer hat ihm ins Hirn geschissen? „Verdammt, Ty! Sie wurde entführt, vergewaltigt und halbtot geschlagen. Und du? Du vergnügst dich munter mit Luana, als wäre Charly nie Teil deines Lebens gewesen. Scheiße, sie war deine Verlobte. Was zum Teufel ist nur los mit dir?“
Er hebt die Hände abwehrend in die Höhe, als würde man ihn mit einer Knarre bedrohen, was mich nur noch mehr in Rage versetzt. „Immer locker durch die Hose atmen, großer Bruder.“ Ich starre meinen Bruder mit offenem Mund an, der mit den Schultern zuckt, als ginge es hier nur um eine belanglose Kleinigkeit. „Ich habe gedacht, dass ich Charleen liebe. Wirklich. Damals jedenfalls. Aber jetzt, jetzt sehe ich das anders. Mit Luana an meiner Seite habe ich verstanden, was echte Liebe bedeutet. Charleen und ich – das war mehr die Angst vor dem Alleinsein. Doch Luana? Sie ist es, Cole. Sie ist die Frau, die ich wirklich liebe.“
Ich schüttle den Kopf. „Du willst mir also erzählen, dass du Charleen nie wirklich geliebt hast? Die Frau, die dir jahrelang zur Seite stand, die dich zum Lachen gebracht hat, die für dich alles gegeben hat?“
„Fuck, du kapierst es nicht.“ Ty rauft sich die Haare. „Natürlich hat sie mir etwas bedeutet. Aber Liebe … richtige Liebe ist etwas anderes. Mit Luana fühle ich etwas, das ich nie für Charly empfunden habe.“
„Ach, das ist ja wunderbar, Ty. Herzlichen Glückwunsch.“ Die Ironie in meiner Stimme ist nicht zu überhören. „Das muss ja eine echte Erleuchtung gewesen sein. Scheiße, hörst du dir selbst beim Reden zu? Luana muss dir entweder das Hirn gewaschen oder dir etwas in die ganzen Drinks gemischt haben. Denn alles, was du von dir gibst, ist gequirlte Scheiße.“
Mein Bruder seufzt auf. „So hart das auch klingen mag, Cole, aber Charleen gehört der Vergangenheit an. So ist nun mal das Leben. Einige Beziehungen halten für immer, andere gehen in die Brüche. Wie meine mit Charleen. Akzeptiere es. Außerdem bin ich nicht bereit für das, was passiert ist. Es ist zu viel. Ich kann das nicht.“
„Es ist zu viel? Du kannst das nicht?“ Ich glaube, mein Schwein pfeift. „Zu viel für dich? Was ist mit ihr? Was ist mit dem, was sie durchgemacht haben muss? Sie ist in den letzten Monaten durch die Hölle gegangen, Tyson. Und du? Du ziehst mal wieder den Schwanz ein, wählst den leichtesten Weg und verkriechst dich in Luanas widerwärtiger Fotze, die mehr Schwänze gesehen hat als ein verdammter Urologe.“
Ty zuckt mit den Schultern. „Luana versteht mich. Sie ist bei mir, wenn ich sie brauche. Charleen ist … sie ist zerbrochen, Cole. Und das kann ich nicht ertragen. Glaub mir, es ist für alle das Beste, wenn Charly mich vergisst.“
Mir platzt der Arsch.
Die Fassung, die ich bisher so mühsam zu bewahren versucht habe, schmilzt dahin wie Schnee in der Sonne. In meinem Kopf geht es drunter und drüber, mein Atem kommt nur noch stoßweise.
Scheiße, ich bin kurz davor, etwas zu tun, das ich womöglich hinterher bereuen können: ihn zu töten.
„Du feiger, mieser Bastard.“ Die Worte verlassen zischend meinen Mund. Ich stehe auf und gehe auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stehe. „Du hattest das Beste in deinem Leben und hast es wie ein Stück Hundescheiße weggeworfen. Und wieso? Weil du zu schwach bist, um die Dinge gemeinsam mit ihr durchzustehen. Du bist ein verdammter Schlappschwanz, Tyson. Ein erbärmlicher Wichser, der sich das Hirn weggekokst hat und seine Frau um Stich lässt, als sie dich am meisten brauchst. Scheiße, wenn es nach mir ginge, würde ich dich hochkant aus dem Club schmeißen.“
Ty weicht keinen Millimeter zurück, was mich überrascht. „Pass auf, was du sagst, Cole.“
„Wieso? Weil dir plötzlich Eier gewachsen sind? Weil die Drogen dich wie einen Superhelden fühlen lassen?“ Ich trete noch näher an ihn heran, sodass sich fast unsere Köpfe berühren. „Weil du plötzlich ein großer, harter Macker bist? Fuck, Ty, sieh es ein, du bist ein Nichts, eine Pussy, eine Witzfigur, verdammt noch mal.“
Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, und für einen kurzen Moment rechne ich damit, dass er ausholen und mir eine Ohrfeige verpassen wird. Allerdings passiert nichts dergleichen. Stattdessen tritt mein Bruder einen Schritt zurück, seufzt und zuckt mit den Schultern.
„Du verstehst mich nicht, Cole, und wirst es vielleicht auch nie. Ich habe mir nicht ausgesucht, dass das passiert. Man kann nichts dafür, wen man liebt. Charly … ist nicht mehr die Frau, die sie einst war. Und wird es vermutlich auch nie wieder sein. Und ich … ich kann das nicht. Ich will das nicht.“
„Du willst das nicht?“ Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. „Sie ist kaputt, also tauschst du sie aus wie ein altes, ausrangiertes Spielzeug, das nicht mehr funktioniert? Du bist wirklich noch gestörter als ich dachte.“ Ich spüre, wie meine Fäuste sich von ganz allein ballen. Gedanklich habe ich Ty bereits mehrere Kinnhaken verpasst.
„Kann es sein, dass du sie liebst, Cole? Dass das das eigentliche Problem ist? Du hattest doch schon immer einen Narren an ihr gefressen, auch wenn sie sich damals für mich entschieden hat.“ Tys Blick ist scharf, fast herausfordernd.
Für einen Moment bin ich sprachlos. Ich verenge meine Augen zu Schlitzen, während ich versuche, die Ruhe zu bewahren. Ihm zu gestehen, was ich für sie empfinde, steht nicht zur Debatte. Hier geht es nicht um mich, verdammt. Er provoziert mich, mit dem erbärmlichen Versuch, sich aus der Verantwortung zu winden und sich als Opfer dazustellen. Wie immer.
„Mach dich nicht lächerlich, Ty“, knurre ich und verschränke die Arme vor der Brust. „Ich verteidige sie, weil sie Teil der Familie ist.“
Ty lacht. „War, Cole. Sie war ein Teil der Familie. Sie ist nicht mehr meine Verlobte und war nie eine Old Lady. Der Club hat ihr gegenüber keine Verpflichtungen.“
Mir rauscht das Blut in den Ohren. „Sag mal, hast du sie noch alle? Solange ich der Präsident der Devils bin, gehört Charleen dazu. Ich lasse nicht zu, dass du sie so herabstufst. Sie hat dir mehr gegeben, als du überhaupt wert bist, Ty, und das weißt du haargenau.“
„Ganz wie du meinst, Prez.“ Ty grinst und hebt die Hände in gespielter Unterwerfung. „Nichtsdestotrotz ändert das nichts an der Tatsache, dass Luana meine Zukunft ist. Ich werde sie zu meiner Old Lady machen, sie für mich beanspruchen und zur Frau nehmen. Und es ist mir scheißegal, was du oder irgendwer sonst darüber denkt.“
Ich blinzle geschockt. „Ist das dein Ernst? Du willst Luana heiraten? Eine verdammte Clubhure?“
„Spreche ich Chinesisch? Was ist daran nicht zu verstehen?“ Nun verschränkt auch Tyson seine Arme vor der Brust. „Sie ist da, wenn ich sie brauche. Luana kümmert sich um mich, sie umsorgt und liebt mich. Kompromisslos. Bei ihr kann ich der sein, der ich bin. Für sie muss ich mich nicht ändern. Charleen … sie war ein Traum, der nun ausgeträumt ist. Akzeptiere das endlich, Cole.“
Das ist der Moment, in dem ich die Kontrolle verliere.
Ich mache einen Satz nach vorne, packe Ty am Kragen und schleudere ihn gegen die Wand. Seine Augen weiten sich vor Schreck, doch ich werde den Teufel tun, ihn wieder loszulassen. Nicht jetzt, da ich vor Wut koche. „Du bist ein gottverdammtes Arschloch, weißt du das?“
„Alter, bist du übergeschnappt? Lass mich verfickt noch mal los“, knurrt er und versucht, meine Hände abzuschütteln. Natürlich gelingt ihm das nicht, da ich viel stärker bin als er.
„Weißt du, Ty“, zische ich und blicke auf ihn herab. „Ich habe die Schnauze voll davon, dir den Arsch zu retten, oder die Scherben aufzusammeln, die du hinterlassen hast. All die Jahre habe ich deine Schlachten geschlagen, dich verteidigt, dir den Rücken freigehalten. Aber das hier? Damit hast du das Fass zum Überlaufen gebracht. Ab sofort kannst du nicht mehr auf meine Unterstützung zählen.“
Ty schaut mich mit großen Augen an. „Was laberst du da?“
„Du bist ein Feigling, eine jämmerliche Pussy“, entgegne ich hart. „Ein gottverdammter Waschlappen, und das weißt du. Du tust immer so, als wärst du der knallharte Obermacker, den nichts erschüttern kann. Aber das bist du nicht. Du bist ein Niemand, ein Versager, ein Loser. Nichts weiter als eine Pussy, die sich hinter seinem großen Bruder versteckt, sobald es schwierig wird.“
„Wer von uns beiden ist irre, Cole? Du hast keine Ahnung, was ich durchmache.“
„Was du durchmachst?“ Ich lache auf, ohne jegliches bisschen Humor. „Was genau machst du denn durch, du armer Junge? Du hast eine Frau fallen lassen, die dich geliebt hat, die für dich durchs Feuer gegangen wäre. Und wofür? Für eine Hure, die bloß darauf scharf ist, den Titel Old Lady zu tragen. Du bist Luana doch scheißegal.“
Ich gebe ihn frei, woraufhin er sich von der Wand abdrückt, um mir wieder auf Augenhöhe begegnen zu können. „Du sagst das so, als wäre es so einfach. Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, sie so sehen zu müssen. So kaputt … so zerstört.“
O doch, das weiß ich genau. Es ist kaum auszuhalten.
„Natürlich ist sie zerbrochen“, schnauze ich. „Sie wurde entführt und vergewaltigt. Man hat sie halbtot wie Müll vor unserem Clubhaus abgeladen. Und was tust du? Du haust ab und ziehst den Schwanz ein, weil du es nicht erträgst? Weil du zu schwach bist, damit fertigzuwerden? Was für ein Mann tut so etwas?“
„Es ist zu viel, Cole“, schreit Ty. „Es ist einfach zu viel für mich.“
„War ja klar, du feiger Bastard. Ich habe nichts anderes erwartet. Zu viel für dein zartes Seelchen? Fuck, was glaubst du, wie es ihr geht? Ich sag's dir: Beschissen! Sie braucht dich, Ty. Sie braucht jemanden an ihrer Seite, der stark ist. Jemanden, der bei ihr bleibt, verdammt noch mal. Aber du … du lässt sie eiskalt im Stich.“
Kopfschüttelnd tritt er einen Schritt zurück. „Sie wird nie wieder dieselbe sein. Sie ist kaputt.“
„Nein“, entgegne ich zwar leise, aber dafür messerscharf. „Sie ist nicht kaputt. Du bist derjenige, der am Arsch ist. Du bist zu schwach, zu weich, um die Sache mit ihr gemeinsam durchzustehen. Charleen wird stärker zurückkommen denn je. Das schwöre ich dir.“
Ty erwidert nichts auf meine Worte. Er schaut stur geradeaus, aber ich kann den Zweifel in seinen Augen aufblitzen sehen.
„Du warst schon immer ein Versager, Ty. Ich habe dich dein verdammtes Leben lang verteidigt, dich aus jeder Scheiße geholt. Aber weißt du was? Ab sofort kannst du nicht mehr auf mich bauen. Erwarte nicht von mir, dass ich noch länger deine Drecksarbeit mache. Von nun an musst du deine Probleme selbst lösen. Ich bin raus.“
Mein Bruder lacht. „Drohst du mir etwa? Was willst du tun? Mich aus dem Club werfen? Aus welchem Grund? Weil ich nicht die Frau liebe, die ich deiner Meinung nach lieben sollte?“ Ty versucht, seine Stimme stark und fest klingen zu lassen, doch ich höre deutlich die Angst heraus.
„Vermutlich sollte ich genau das tun, aber das wäre mal wieder zu einfach für dich“, sage ich. „Nein, Ty, du wirst schön hier bleiben. Du wirst mitansehen, wie ich die Angelegenheit regele. Du wirst sehen, wie man ein richtiger Mann ist, wie man Verantwortung übernimmt, wenn es hart auf hart kommt. Und vielleicht lernst du ja sogar noch was dabei, was ich stark bezweifle.“
Ty steht regungslos da und starrt mich an. Ich kann sehen, dass er keinen blassen Schimmer hat, was er entgegnen soll. Es ist sozusagen das erste Mal, dass ich ihn wirklich sprachlos erlebe.
„Du willst Luana heiraten?“, frage ich. „Schön, dann mach doch. Aber sei dir einer Sache sicher: Sie wird dich eines Tages hängen lassen, so wie du Charleen im Stich gelassen hast. Karma wird das regeln, Ty. Und wenn der Tag gekommen ist, werde ich mich zurücklehnen, mir das Schauspiel anschauen und nicht für dich da sein. Diesmal nicht.“
„Fick dich, Cole, fick dich”, zischt er leise. Mir entgeht das Zittern in seiner Stimme nicht.
„Nein, Ty, fick du dich.“ Ich zeige ihm den Mittelfinger.
Anschließend wende ich mich von ihm ab, lasse ihn stehen und marschiere aus meinem Büro. Mein Kopf pocht vor Wut, aber gleichzeitig verspüre ich in meinem Inneren eine seltsame Erleichterung. Zum ersten Mal habe ich meinem Bruder deutlich gemacht, was ich von ihm halte, was in mir vorgeht, dass ich die Schnauze gestrichen voll habe. Voll von seinem Versagen, von seinen Ausreden, von seiner Schwäche.
Und zum ersten Mal fühle ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Nicht für ihn, sondern allein für mich. Und vor allem für Charleen.
Ich verlasse das Clubhaus und gehe zu meinem Bike. Dort angekommen zünde ich mir eine Zigarette an, starre in die Ferne und spüre den kalten Wind, der mir um die Ohren bläst. Gedankenverloren streiche ich mir mit einer Hand durch den Bart und lasse folgende Worte in meinem Kopf widerhallen: Ohne Tyson ist sie besser dran.
Das ist klar, so wie ich klar die Straße vor mir sehen kann.
Vielleicht begreift Charly es jetzt noch nicht – mit Sicherheit ist sie zu verletzt, zu durcheinander, um zu erkennen, dass ihr Leben ohne Ty irgendwann heller sein wird. Doch einer Sache bin ich mir absolut sicher: Früher oder später wird sie verstehen, dass sie einen Arsch wie Tyson nicht braucht, um glücklich zu sein.
Bis dieser Moment kommt, werde ich an ihrer Seite sein – als ihr Freund. Das schwöre ich. Ich werde sie durch den Sturm begleiten, der über sie hereingebrochen ist. Ich bin da, wenn sie jemanden braucht, eine Schulter zum Anlehnen, eine Stimme, die ihr sagt, dass alles gut werden wird. Charleen muss da nicht allein durch – nicht, solange ich atme.
Als Ty vorhin gemeint hat, dass sie nicht zur Familie gehört, bin ich ausgerastet. Sie mag vielleicht keine Old Lady sein, doch sie ist trotzdem durch und durch ein Devil. Sie hat sich ihren Platz im Club mehr verdient als andere, die nur unseren Patch tragen, ohne den wahren Geist der Bruderschaft zu verstehen.
Ich straffe meine Schultern, schnippe die Zigarette weg und setze meinen Helm auf. Ich werde Charleen den Rücken stärken, solange sie mich braucht – ganz gleich, was Ty oder irgendwer im Club darüber denken mag.

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