Jameson Force Security Group: Codename: Grace

Ori­gi­nal­ti­tel: Code Name: Grace (Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty)
Über­set­zer: Elena W. Gaiss

Er­schie­nen: 11/2023
Buch­typ: No­vel­le
Serie: Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty Group
Teil der Serie: 11

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance
Zu­sätz­lich: Weih­nach­ten

Lo­ca­ti­on: USA, Pitts­burgh, Al­leg­he­ny Moun­ta­ins


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-668-3
ebook: 978-3-86495-669-0

Preis:
Print: 10,90 €[D]
ebook: 3,99 €[D]

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und allen gän­gi­gen On­line­händ­lern und im Buch­han­del

Jameson Force Security Group: Codename: Grace


In­halts­an­ga­be

Meine Auf­ga­be als Psych­ia­te­rin bei Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty ist, alles über unser Team zu wis­sen - das Gute, das Schlech­te und alles, was da­zwi­schen liegt. Aber für jedes ihrer Ge­heim­nis­se, das ich für mich be­hal­te, be­hal­te auch ich meine Ge­heim­nis­se. Ich ver­su­che nicht, meine Ver­gan­gen­heit zu ver­heim­li­chen, aber ... sie ist kom­pli­ziert. Und das ist noch milde aus­ge­drückt. Es ist ein­fa­cher, meine Ver­gan­gen­heit in der Ver­gan­gen­heits­form zu be­las­sen. Bis ich eines Tages ein ver­trau­tes Ge­sicht in den Büros der Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty sehe.

Clay Brand­eis ist der Ein­zi­ge, der meine ganze Ge­schich­te kennt. In der dun­kels­ten Zeit mei­nes Le­bens war er an mei­ner Seite. Ein Freund und Ver­trau­ter. Ich dach­te eine Zeit lang, er sei mehr als das, aber er ver­ließ mich und ließ mich mit der Frage zu­rück, wie ich mich der­art irren konn­te. Nach all den Jah­ren weiß ich aber nun – trotz des ei­si­gen Bli­ckes, den er mir zu­wirft -, dass ich mich über­haupt nicht ge­irrt habe. Sein hüb­sches Ge­sicht, sein star­kes und selbst­si­che­res Auf­tre­ten - mein Herz hat sich nicht in Clay Brand­eis ge­täuscht.

Die­ses Weih­nach­ten bin ich fest ent­schlos­sen, dafür zu sor­gen, dass er es eben­falls er­fährt.

Der weih­nacht­li­che Ab­schluss­band rund um die Si­cher­heits­fir­ma Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty Group von New York Times Best­sel­ler­au­to­rin Sa­wy­er Ben­nett.

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Ja­me­son Force Se­cu­ri­ty Group Serie

Le­se­pro­be

Clay

Es macht mir Sor­gen, wie auf­ge­wühlt ich von mei­ner gest­ri­gen Be­geg­nung mit Co­rin­ne in Ja­me­sons Haupt­quar­tier war. Da­nach bin ich ins FBI-Ge­bäu­de zu­rück­ge­kehrt und habe ver­sucht, meine Ar­beit zu er­le­di­gen. Ich habe es ge­schafft, ei­ni­ge Be­rich­te aus­zu­fül­len und einen neuen Fall zu über­prü­fen. Ob­wohl wir ei­gent­lich Weih­nachts­fe­ri­en haben, habe ich den Fall mit nach Hause ge­nom­men, um ihn noch ein­mal durch­zu­ge­hen. Viel­leicht nehme ich sogar die Ein­la­dung von Griff und Bebe zum Weih­nachts­es­sen an. Dann kön­nen wir den Fall be­spre­chen.
Ich ab­sol­vie­re mei­nen Mor­gen­lauf, den ich jeden Tag mache, so­lan­ge es das Wet­ter zu­lässt. Es ist kalt und be­wölkt, aber...

...​die Bür­ger­stei­ge und Stra­ßen in South Side sind tro­cken und si­cher. Je nach Lust und Laune laufe ich fünf bis sie­ben Mei­len und ich gehe auch mehr­mals pro Woche ins Fit­ness­stu­dio. In mei­nem Beruf muss ich in guter kör­per­li­cher Ver­fas­sung sein, aber dar­über hin­aus dient mir die Be­we­gung als Stress­ab­bau.
Des­halb bin ich heute sie­ben Mei­len ge­lau­fen, weil ich nicht auf­hö­ren kann, an Co­rin­ne zu den­ken.
Ich kann nicht auf­hö­ren, daran zu den­ken, wie schön sie aus­sah. Zu­ver­sicht­lich, aus­ge­gli­chen, selbst­be­wusst, glück­lich und er­folg­reich.
Hatte ich nach all den Jah­ren etwa ge­dacht, sie würde sich im Elend suh­len? Das habe ich ihr nie ge­wünscht, aber viel­leicht habe ich es er­war­tet. Ich dach­te, ihre Er­fah­run­gen hät­ten sie zer­stört, aber ich habe ihr ein­deu­tig nicht genug zu­ge­traut.
Schei­ße. In den letz­ten neun Jah­ren habe ich es ge­schafft, wo­chen­lang – manch­mal sogar mo­na­te­lang – nicht an sie zu den­ken, aber jetzt geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf.
Na­tür­lich gab es Tage, an denen ich pau­sen­los an sie den­ken muss­te. Ich frag­te mich, wie ihr Leben aus­sah und ob sie es wirk­lich ge­schafft hatte, wei­ter­zu­ma­chen. Sie hatte so schreck­li­che Dinge ge­se­hen. Dinge, die nie­mand, der so gut und lie­bens­wür­dig ist wie Co­rin­ne El­le­ry, je hätte sehen dür­fen.
Und es ist meine ver­damm­te Schuld, dass das pas­siert ist.
Meine Schuld, dass ich nicht in der Lage war, die­sen ver­damm­ten Ri­chard Katz zu fan­gen, bevor er diese wun­der­ba­re Fa­mi­lie zer­stör­te. Das soll nicht hei­ßen, dass nicht jede be­trof­fe­ne Fa­mi­lie – an­ge­fan­gen mit der ers­ten – wich­tig und be­deut­sam war. Es han­del­te sich um lau­ter furcht­ba­re Tra­gö­di­en. Aber ich habe mich die­sen Fa­mi­li­en nicht so ver­bun­den ge­fühlt wie mit Co­rin­ne, nach­dem ihre El­tern ab­ge­schlach­tet wor­den waren. Wir stan­den uns in den nächs­ten Jah­ren sehr nahe, wäh­rend sich die Räd­chen der Jus­tiz immer lang­sa­mer dreh­ten. Co­rin­ne war das wich­tigs­te Ele­ment in un­se­rem Fall, denn sie war un­se­re ein­zi­ge Au­gen­zeu­gin.
Nach­dem er ge­fasst wurde und bis zu sei­ner Ver­ur­tei­lung, hiel­ten Co­rin­ne und ich wei­ter­hin Kon­takt und haben uns ge­trof­fen. Vor­der­grün­dig be­haup­te­ten wir stets, dass wir über den Fall spre­chen woll­ten. Ich hielt sie über die recht­li­chen As­pek­te auf dem Lau­fen­den, und sie ließ mich wis­sen, wie es ihr ging. In die­ser Zeit mach­te sie ihren Ab­schluss und be­gann da­nach ihr Me­di­zin­stu­di­um. Wir sahen uns, wenn wir konn­ten, im Som­mer. An­sons­ten te­le­fo­nier­ten wir und schrie­ben uns Nach­rich­ten. Bald hat­ten un­se­re Ge­sprä­che nichts mehr mit Katz zu tun.
Ich weiß nicht, wie es pas­siert ist, aber wir wur­den wirk­lich gute Freun­de.
Was zum Teu­fel macht sie nun in Pitts­burgh? Das letz­te Mal, als ich von ihr ge­hört habe – ich hatte mich im Laufe der Jahre manch­mal nach ihr er­kun­digt –, führ­te sie eine er­folg­rei­che psych­ia­tri­sche Pra­xis in Wa­shing­ton, D.C. Wie war sie von dort zu Kynan McGrath von der Ja­me­son Se­cu­ri­ty Group ge­kom­men?
Das letz­te Mal habe ich sie vor neun Jah­ren in einer Bar in Buckhead ge­se­hen. Es war nach der Ur­teils­ver­kün­dung, und wir gin­gen aus, um ein wenig zu fei­ern. Wir waren nicht die Ein­zi­gen. Der Staats­an­walt war da, meine da­ma­li­gen FBI-Part­ner und ei­ni­ge Mit­ar­bei­ter des Ge­richts – alles Leute, die sich sehr für den Aus­gang des Pro­zes­ses ein­ge­setzt hat­ten.
Aber mit der Zeit gin­gen die Leute nach Hause, bis nur noch Co­rin­ne und ich in der Bar saßen. Als wir end­lich al­lein waren, tat sie etwas, was ich mir schon eine Mil­li­on Mal vor­ge­stellt, aber nie für mög­lich ge­hal­ten hatte.
Sie lehn­te sich zu mir und küss­te mich.
Nicht auf die Wange und nicht aus Dank­bar­keit, son­dern vol­ler Sehn­sucht und Ver­lan­gen, auf den Mund.
Und ich war ein Arsch­loch, das die Si­tua­ti­on aus­nutz­te und ihren Kuss mit einer In­ten­si­tät er­wi­der­te, von der ich wünsch­te, ich hätte sie etwas mä­ßi­gen kön­nen, aber es war mir un­mög­lich. In den zwei Jah­ren, in denen ich sie kann­te – trotz der har­ten Ar­beit und der schreck­li­chen Um­stän­de – hatte ich in ihr ir­gend­wie mehr als nur eine Freun­din ge­se­hen.
Ich hatte mich ver­dammt noch mal in sie ver­liebt.
Unser Al­ters­un­ter­schied hatte keine Rolle ge­spielt – sie war ge­ra­de zwan­zig und ich acht­und­zwan­zig ge­we­sen, als ihre El­tern er­mor­det wur­den. Es hatte keine Rolle ge­spielt, dass ich der FBI-Agent war, der den Mör­der zur Stre­cke ge­bracht hatte, oder dass sie das Opfer ge­we­sen war. Es hatte keine Rolle ge­spielt, dass sie ver­letz­lich war und ich ihr Held sein woll­te.
Es war in jeder Hin­sicht ver­dammt un­an­ge­mes­sen. Trotz­dem hatte ich sie aus tiefs­tem Her­zen ge­küsst. Ich re­de­te mir wäh­rend­des­sen ein, dass ich mir die­ses eine Mal red­lich ver­dient hätte, denn jetzt war alles vor­bei, Katz saß hin­ter Git­tern und würde seine ge­rech­te Stra­fe er­hal­ten, so­bald er durch die Gift­sprit­ze ster­ben würde.
In mei­nem Her­zen wuss­te ich, dass es falsch war. So sehr ich sie auch be­gehr­te, das Ein­zi­ge, was mich zu­rück­hielt, war, dass ich Ri­chard Katz nicht er­wischt hatte, bevor er ihre El­tern er­mor­de­te, und das war etwas, was ich mir nicht ver­zei­hen konn­te. Au­ßer­dem war ich davon über­zeugt, dass Co­rin­ne auf lange Sicht nicht dar­über hin­weg­kom­men würde. Am Ende des Pro­zes­ses war sie wie in einem Rausch. Sie fühl­te sich be­stä­tigt und stark, als er die To­des­stra­fe bekam.
Und so küss­ten wir uns, und es war un­glaub­lich, wun­der­schön und sehr, sehr schnell vor­über.
Denn ich wuss­te, dass sie ir­gend­wann von die­sem Hoch her­un­ter­kom­men würde, nur um fest­zu­stel­len, dass ich sie im Stich ge­las­sen hatte. Bei der Er­in­ne­rung an die­sen Mo­ment durch­zuckt es mich.

Als Co­rin­ne in mei­nen Mund stöhn­te, schrak ich schließ­lich zu­sam­men und zog mich so schnell von ihr zu­rück, dass ich fast von mei­nem Bar­ho­cker kipp­te. Ihr Kopf war ge­neigt, die dunk­len Haare hin­gen über eine Schul­ter. Ihre ge­schwol­le­nen Lip­pen bet­tel­ten darum, wie­der ge­küsst zu wer­den.
Ich schüt­tel­te den Kopf. „Das hätte ich nicht tun sol­len.“
„Ich habe dich zu­erst ge­küsst“, be­ton­te sie.
„Das ver­ste­he ich. Aber wir kön­nen nicht … Das ist un­an­ge­mes­sen.“
Sie lä­chel­te … und streck­te eine Hand aus. Ich stand von mei­nem Ho­cker auf und lehn­te mich von ihr weg. Sie run­zel­te die Stirn, weil sie nicht ver­stand, wie ich so schnell von einem be­deu­tungs­vol­len Kuss zu Ab­leh­nung über­ge­hen konn­te. „Der Fall ist vor­bei. Jetzt steht uns nichts mehr im Weg“, sagte sie.
„Doch, das tut es“, er­wi­der­te ich ver­bit­tert. „Ich habe dich ent­täuscht. Ich habe ihn nicht schnell genug er­wischt, um den Tod dei­ner El­tern zu ver­hin­dern. Und egal, wie du dar­über denkst, ich kann das nie ver­ges­sen. Ehr­lich ge­sagt, soll­test du das auch nicht.“
Sie sagte nichts. Sie starr­te mich ein­fach nur scho­ckiert an, ohne auch nur im Ent­fern­tes­ten zu ver­ste­hen, wel­che Schuld auf mei­nen Schul­tern las­te­te. An ihrem Ge­sichts­aus­druck konn­te ich er­ken­nen, dass ihr die­ser Ge­dan­ke nie in den Sinn ge­kom­men war.
Aber er würde ihr in den Sinn kom­men.
Ich wuss­te, es würde frü­her oder spä­ter pas­sie­ren und es würde un­se­re Be­zie­hung rui­nie­ren, wenn wir zu­sam­men wären.
„Auf Wie­der­se­hen, Co­rin­ne.“ Meine Stim­me war leise, und es waren die schwers­ten Worte, die ich je in mei­nem Leben sagen muss­te.
Ich sah, wie sich ihre Augen mit Trä­nen füll­ten, aber ich dreh­te ihr trotz­dem den Rü­cken zu und ging.

Ich habe nie zu­rück­ge­schaut.
Ges­tern war das erste Mal, seit ich sie zu­letzt ge­se­hen habe – seit ich sie ge­küsst, zum Wei­nen ge­bracht und ver­las­sen habe. Im Laufe der Jahre hatte ich ge­hört, dass Co­rin­ne an allen Be­ru­fungs­ver­hand­lun­gen teil­ge­nom­men hatte, aber ich ging nie hin. Ich woll­te ihr nicht über den Weg lau­fen, und meine An­we­sen­heit war nicht er­for­der­lich.
Ehr­lich ge­sagt, dach­te ich, ich würde sie nie wie­der­se­hen, und ich hatte mich damit ab­ge­fun­den.
Und jetzt ist alles im Arsch.
Ich be­fin­de mich auf dem letz­ten Block mei­nes Laufs, der mich bis zur Trep­pe mei­nes Dop­pel-Rei­hen­hau­ses in der South Side füh­ren wird. Mein Haus ist kaum zehn Mi­nu­ten vom FBI-Ge­bäu­de ent­fernt, was prak­tisch für den Ar­beits­weg ist.
Als ich mich mei­nem Haus nä­he­re, nimmt mein Ge­hirn wahr, dass je­mand auf mei­ner Trep­pe sitzt. Es dau­ert mehr als einen Mo­ment – viel­leicht aus Selbst­ver­leug­nung – um zu er­ken­nen, dass es Co­rin­ne ist.
Sie ist dem kal­ten Wet­ter ent­spre­chend ge­klei­det, trägt Jeans und einen di­cken Parka mit Hand­schu­hen und einer Strick­müt­ze. Da es be­wölkt ist, er­scheint mir die Luft käl­ter, ob­wohl ich von mei­nem Lauf ganz schön schwit­ze. Ein Schau­er läuft mir über den Rü­cken, wenn ich daran denke, wie schön Co­rin­ne ist.
Einen hal­ben Block von ihr ent­fernt ver­lang­sa­me ich mein Lauf­tem­po und über­le­ge, was ich zu ihr sagen soll. Sie wen­det sich in meine Rich­tung und winkt mir freund­lich zu. Sie er­hebt sich von der Trep­pe und wischt sich den nicht vor­han­de­nen Schmutz von ihrem Hin­tern. Ich habe keine an­de­re Wahl, als wei­ter auf sie zu­zu­ge­hen, denn es wäre un­höf­lich und feige, um­zu­dre­hen und in die an­de­re Rich­tung zu lau­fen.
Sie lä­chelt, als ich sie er­rei­che. Ich läch­le nicht zu­rück, weil ihr An­blick alle mög­li­chen Ge­füh­le auf­wir­belt.
„Was tust du hier?“, frage ich. Dann durch­schießt mich ein an­de­rer Ge­dan­ke: „Und woher zum Teu­fel hast du meine Adres­se?“
Sie igno­riert meine Fra­gen. „Du kannst mir nicht aus dem Weg gehen.“
„Das kann ich, wenn du mich lässt“, ant­wor­te ich ein wenig ab­fäl­lig.
„Clay, das ist lä­cher­lich. Wir waren doch mal Freun­de.“
„Nein, waren wir nicht.“ Das ist eine Lüge. Ehr­lich ge­sagt, wir hät­ten sogar mehr als Freun­de sein kön­nen.
„Doch, ver­dammt, das waren wir“, schnauzt sie, und ich bin scho­ckiert über ihre Hef­tig­keit. „Wir waren gute Freun­de. Du kamst zu mei­nem Col­le­ge-Ab­schluss. Wir haben mehr­mals in der Woche ge­re­det.“
„Das hatte mit dem Fall zu tun“, murm­le ich.
„Zu mei­ner Ab­schluss­fei­er zu kom­men, hatte gar nichts damit zu tun“, blafft sie.
Und damit hat sie recht. Ich bin zu ihrer Ab­schluss­fei­er an der Duke ge­gan­gen, weil ich so stolz auf sie war. Ver­dammt, zu dem Zeit­punkt war ich schon halb in sie ver­liebt.
Sie seufzt, ein­deu­tig frus­triert. „Wir waren gute Freun­de. Wir hat­ten eine Bin­dung, die die meis­ten Men­schen nie haben wer­den, weil wir die Er­fah­rung mit Katz ge­teilt haben. Du hast kei­nen guten Grund, mir all die Jahre aus dem Weg ge­gan­gen zu sein. Ver­such es gar nicht erst, denn du wirst mich nie vom Ge­gen­teil über­zeu­gen kön­nen. Aber das Schick­sal hat uns wie­der zu­sam­men­ge­führt.“
Das Schick­sal? Will sie mich ver­ar­schen? Nicht ein­mal das Schick­sal kann so grau­sam sein, die ein­zi­ge Frau, die ich je­mals wirk­lich ge­liebt habe, wie­der in mein Blick­feld zu rü­cken, um mich er­neut zu quä­len.
„Glaubst du das wirk­lich?“, frage ich wü­tend. „Denn das Schick­sal hat dich ganz schön ver­arscht, nicht wahr?“
„Clay, bitte sei nicht so.“
„Bist du hier, um mich zu psy­cho­ana­ly­sie­ren?“
Zu mei­ner Über­ra­schung lacht sie, ihre Augen fun­keln hu­mor­voll. Das lo­ckert die Stim­mung einen Mo­ment lang auf, und viel­leicht lä­chelt sie des­halb wei­ter, weil sie weiß, dass ich ihr Lä­cheln immer ge­liebt habe. „Das habe ich schon. Wenn du mich her­ein­bit­test, nehme ich mir ein paar Mi­nu­ten Zeit, um dir meine Dia­gno­se mit­zu­tei­len.“
„Ich will deine Dia­gno­se nicht wis­sen“, brum­me­le ich. Denn diese würde wahr­schein­lich so in etwa wie „Lie­bes­kran­ker Idiot, der sich selbst nicht ver­ge­ben kann“ lau­ten.
„Du bist un­höf­lich“, sagt sie.
Mit einem Hauch von Re­si­gna­ti­on gehe ich an ihr vor­bei die Trep­pe hin­auf und ziehe mei­nen Schlüs­sel aus der Ta­sche. Ich be­deu­te ihr mit einer Kopf­be­we­gung, mir zu fol­gen. Wenn wir ein biss­chen mit­ein­an­der plau­dern, kön­nen wir viel­leicht mehr über das Leben des an­de­ren in den letz­ten neun Jah­ren er­fah­ren und da­nach wie­der ge­trenn­te Wege gehen.
Ich stoße die Tür auf, dann pres­se ich mich da­ge­gen, um ihr Platz zu ma­chen, damit sie mir ins Wohn­zim­mer fol­gen kann. Sie geht an mir vor­bei, und ich nehme die leich­te Blu­men­no­te ihres Sham­poos wahr. Es ist der­sel­be Duft, an den ich mich von frü­her er­in­ne­re.
„Ein­deu­tig un­ver­hei­ra­tet“, mur­melt Co­rin­ne, wäh­rend sie mei­nen Wohn­be­reich in­spi­ziert. Diese Schluss­fol­ge­rung ist nicht schwer zu zie­hen. Mein Haus ist die reins­te Jung­ge­sel­len­bu­de. „Ge­schie­den?“
„Nie ver­hei­ra­tet“, stel­le ich klar, als ich die Tür schlie­ße.
„Ich auch nicht“, sagt sie, als sie mit ihrer In­spek­ti­on fer­tig ist. „Ich hatte nie wirk­lich die Zeit, mich auf eine erns­te Be­zie­hung ein­zu­las­sen, falls du ver­stehst, was ich meine.“
Ich fahre mir mit einer Hand durch die schweiß­nas­sen Haare und zucke mit den Schul­tern. „Ich denke schon.“
Co­rin­ne mus­tert mich auf­merk­sam und tippt mit einem Fin­ger auf ihr Kinn. „Ich weiß, was wir brau­chen.“
„Und das wäre?“, frage ich, und der fast lis­ti­ge Blick in ihren Augen lässt meine Ner­ven zit­tern.
„Wir brau­chen etwas Zeit für ein ernst­haf­tes Ge­spräch“, sagt sie mit einem Ni­cken.
Das ist das Letz­te, was ich auf der Welt will.
„Also pack deine Sa­chen“, for­dert sie und deu­tet auf die schma­le Trep­pe, die in den zwei­ten Stock führt. Dort be­fin­det sich mein Schlaf­zim­mer, aber das ist nur eine Ver­mu­tung von ihr. „Du brauchst genug für ein paar Tage.“
Ich ziehe die Au­gen­brau­en hoch. „Wie bitte?“
„Du kommst mit zu mir. Du wirst Weih­nach­ten mit mir ver­brin­gen, denn nie­mand soll­te al­lein sein. Du hast of­fen­sicht­lich nie­man­den, also kön­nen wir dort reden“, sagt sie selbst­be­wusst.
„Auf kei­nen Fall“, ant­wor­te ich, denn mit Co­rin­ne al­lein in ihrem Haus zu sein, ist etwas, womit ich nicht um­ge­hen könn­te.
„Dann nur für heute Abend“, drängt sie. „Es ist Hei­lig­abend, Clay. Ich füt­te­re dich mit einem guten Essen. Wenn du über nichts Tief­grün­di­ges reden willst, gehen wir es lo­cker an. Ich brin­ge dich mor­gen früh nach Hause, wenn du willst.“
„Ich glau­be nicht, dass das eine gute Idee ist“, grum­me­le ich und ver­su­che, die bren­nen­de Neu­gier zu igno­rie­ren, da ich gerne er­fah­ren würde, wie Co­rin­ne die letz­ten neun Jahre ver­kraf­tet hat.
Sie macht einen Schritt auf mich zu, streckt die Hand aus und be­rührt mei­nen Arm. Ihre Augen, ein schö­ner Braun­ton, der zu ihrem Haar passt, ver­en­gen sich. In ihrem Blick schim­mert ein Hauch von Schär­fe.
„Du bist mir etwas schul­dig, Clay“, mur­melt sie. Eine An­schul­di­gung. Eine Wahr­heit, ganz si­cher. Ich habe sie erst ent­täuscht und dann igno­riert, also bin ich ihr etwas schul­dig. Ich kann nicht glau­ben, dass sie das gegen mich ver­wen­det. Ihre ver­damm­ten psy­cho­lo­gi­schen Fä­hig­kei­ten. „Ich muss mit dir über … nun, alles, was in den letz­ten neun Jah­ren pas­siert ist, spre­chen.“
„Co­rin­ne“, sage ich zö­gernd und bin mir nicht si­cher, ob ich ihrer Bitte zu­stim­men oder sie bit­ten soll, zu gehen. Mein Zö­gern passt ihr nicht in den Kram. Ich sehe, wie ihr Blick wut­er­füllt wird.
„Ich weiß, du denkst, du hast mich ent­täuscht“, knurrt sie, stößt sich von mir ab und stemmt die Hände in die Hüf­ten. „Okay … gut, das hast du. Du hast mich ent­täuscht, Clay. Du hät­test mehr tun müs­sen. Ist es das, was du hören willst? Brauchst du die Ab­so­lu­ti­on? Weißt du was? Ich will einen Schluss­strich zie­hen, also schul­dest du mir jetzt ver­dammt viel mehr, als mich zwi­schen Tür und Angel ab­zu­fer­ti­gen.“
Ihre Worte tref­fen mich ins Mark. Ich habe es schon immer ver­mu­tet, aber dar­auf ge­war­tet, es von ihr per­sön­lich zu hören. Ich habe Co­rin­ne ent­täuscht. Ich bin einer der Grün­de, warum ihre El­tern tot sind. Ich war nicht gut genug in mei­nem Job, um Katz zu schnap­pen, bevor er ihre Welt rui­nier­te.
Und jetzt, da sie es mir ge­gen­über zu­ge­ge­ben hat, soll­ten wir wohl dar­über reden. Mög­li­cher­wei­se brau­che ich das Ge­spräch als Ab­so­lu­ti­on, und ich be­zwei­fe­le zudem nicht, dass Co­rin­ne einen Ab­schluss nötig hat.
Ich nicke. „Gib mir fünf­zehn Mi­nu­ten, um zu du­schen und eine Ta­sche zu pa­cken. Aber ich blei­be nur für eine Nacht.“