Küss mich, Mörder!

Erschienen: 02/2015

Genre: Contemporary Romance, Romantic Comedy, Romantic Thrill
Zusätzlich: Krimi

Location: USA

Seitenanzahl: 191 (Übergröße)


Erhältlich als:
ebook

ISBN:
ebook: 978-3-86495-176-3

Preis:
ebook: 6,99 €[D]

Erhältlich bei u.a.:

und allen gängigen Onlinehändlern und im Buchhandel

Küss mich, Mörder!


Inhaltsangabe

Der Plaisir d'Amour-Klassiker aus dem Jahr 2005 - inhaltlich überarbeitet und modernisiert!
Als Josy ihm das erste Mal im Motel "Happy Dove" begegnet, ist er splitterfasernackt. Peinlich genug. Doch noch peinlicher: Er hält sie für das von ihm bestellte Callgirl. Oberpeinlich: Er ist Daniel Warmboth, der überaus gutaussehende Bürgermeister von Snowvalley-Pikes, Josys Heimatort. Ein vehementer Verfechter von Anstand, Moral und Sitte. Und es heißt, dass er nicht zimperlich sein soll in der Wahl seiner Methoden, wenn er etwas durchsetzen will.
Josy spürt, dass es gefährlich ist, sich zu verlieben. Doch was hat der Verstand zu sagen, wenn die Gefühle verrückt spielen? Josy fühlt sich magisch angezogen von dem attraktiven zwielichtigen Daniel. Zwischen den beiden funkt es heftig, sie können gar nicht mehr die Finger voneinander lassen!
Doch Josys böser Verdacht, dass Daniel ein hinterhältiges Spiel mit ihr treibt, scheint sich zu bestätigen, als auf sie nacheinander drei Mordanschläge verübt werden ...

Über die Autorin

Ednor Mier, geboren 1951 in Berlin, wollte eigentlich Sängerin werden. Das Studium finanzierte sie z.T. mit Kurzgeschichten, einer regelmäßigen Kinderserie im Berliner Telegraph und gelegentlichen Auftritten mit einer Band. Doch das Schreiben nahm immer mehr Raum ein. Nach zahlreichen veröffentlichten...

Weitere Bücher der Autorin

Leseprobe

Der erste Gedanke, der Josy beim Anblick des Hotels befiel, war: Nichts wie weg!
Der zweite war: Gott, bin ich müde!
Und der dritte: Hoffentlich haben die in dieser Kaschemme wenigstens was halbwegs Verdauliches zu essen!
Sie war jetzt seit vierzehn Stunden unterwegs. Die einzige Pause, die sie sich gegönnt hatte, war die an der Tankstelle gewesen und das auch nur, weil die Tankanzeige am Armaturenbrett heftig geblinkt hatte. Da sie keine Lust hatte, irgendwo in der Wildnis mit leerem Tank liegen zu bleiben und bei Nacht mit einem Kanister über die Landstraße zu wandern, hatte sie an der Tanke...

...in einem Gott verlassenen Nest bei Mariposa eine kurze Rast eingelegt. Dabei war ihr das Poster von diesem Hotel ins Auge gefallen.
Das stark vergilbte Bild hatte idyllische Urlaubsromantik versprochen: Ein schnuckliges, leuchtend gelb gestrichenes Haus mit bunten Markisen vor den blank geputzten Fenstern, ein blühender Garten drumherum und ein Pool mit herrlich blauem Wasser.
Die Gegenwart sah anders aus.
Vollkommen anders!
Der Garten bestand aus einem gepflasterten Vorplatz, der zugleich als Parkplatz diente. Außer Josys Mercedes standen hier noch eine dunkle Limousine, ein altersschwacher Pick-up und ein total abgewrackter Rover, der nach Josys Ansicht schon vor Jahren auf den Schrottplatz hätte gebracht werden sollen.
Von blühenden Pflanzen, grünem Rasen und blauem Pool war weit und breit nichts zu sehen, es sei denn, man wollte das Unkraut, das zwischen den vermoosten Platten wucherte, als Ziergewächse und die morsche Holztonne unter dem Regenabfluss als Pool bezeichnen.
Ach, egal! Josy stieg aus und warf die Fahrertür zu. Sie brauchte dringend ein Bett!
Einen Moment ließ sie ihre Blicke über die verkommene Fassade des Hotels „Happy Dove“ wandern. Jalousien hingen schief vor dunklen Fensterhöhlen. Es sah aus, als hätte das Haus eine Gesichtslähmung. Die buntgestreiften Markisen, mit dem das Poster geprahlt hatte, waren wahrscheinlich schon vor Jahrzehnten abgefault. Jedenfalls hing nicht mehr eine vor den Fenstern. Sie waren ebenso verschwunden, wie der Garten und die ganze schöne Idylle, auf die Josy sich gefreut hatte.
An etlichen Stellen bröckelte der Putz und entblößte auf geradezu obszöne Weise die blanken Backsteine. Ein geschundener Bau, der eher Mitleid als Abscheu erregte.
Wie mochte das arme Haus erst bei Tageslicht aussehen, wenn die Sonne alle Hässlichkeit gnadenlos freilegte, die die Dunkelheit jetzt noch gnädig verbarg?
Vielleicht war es besser, doch wieder ins Auto zu steigen und nach San Francisco weiterzufahren. So weit war es gar nicht mehr bis dorthin. Ungefähr vier, fünf Fahrstunden, wenn sie zügig durchkam. Aber erstens hatte es seit Lone Pine ununterbrochen geregnet und zweitens war sie einfach zu müde, um auch nur noch eine Stunde lang die Augen offen halten zu können.
Sie schob den Riemen ihrer Umhängetasche über die Schulter, warf noch einen letzten zweifelnden Blick auf die bröckelnde Fassade, dann marschierte sie auf den Eingang zu. Eine trübe Funzel beleuchtete die Treppenstufen gerade ausreichend, sodass man die einzelnen Stufen nicht verfehlen konnte. Die altmodische Haustür aus den sechziger Jahren mit dem schrägen Griff und dem abgerundeten Glaseinsatz quietschte unangenehm laut, als Josy sie aufstieß.
Mit steifen Knien betrat sie das schäbige Foyer. Der Portier hinter dem Rezeptionstresen hob widerwillig den Kopf von einem Paperback und blinzelte sie aus wässrigen kurzsichtigen Augen an.
„‘N Abend, Ma’m“, nuschelte er heiser. Der arme Kerl sah aus, als hätte er die vergangenen drei Nächte in der Gesellschaft von zehn Flaschen Malt-Whisky, unzähligen Zigaretten und zwei Nymphomaninnen mit Einschlafproblemen verbracht.
Josy zwang sich ein halbwegs gewinnendes Lächeln ins Gesicht.
„Joanna Campbell … ich bin angemeldet.“
Das Lächeln und der freundliche Ton prallten an dem Portier ab. Er musterte Josy kurz und ohne Interesse, streifte das aufgeschlagene Gästebuch mit einem halben Blick, zuckte die Schultern und holte einen altmodischen Schlüssel hinter sich aus dem Regal.
„Zimmer hundertfünfzehn.“ Er reichte ihr den Schlüssel und vertiefte sich umgehend wieder in die Lektüre seines Romans. Ein Krimi, wie der schreiend bunte Einband mit blutigem Fleischermesser und kreischender Frau mit aufgelöstem Haar und flatterndem Negligee vermuten ließ.
Ratlos sah Josy auf den Schlüssel in ihrer Hand. Das war wirklich das mieseste Hotel, das sie bisher betreten hatte! Was hatte sie bloß dazu veranlasst, noch an der Tanke ihr Smartphone zu zücken und sich ein Zimmer für die Nacht reservieren zu lassen? Das Plakat neben dem Getränkekühlschrank? Ja, klar, das war der Anlass gewesen.
Hier gab es kein nettes Wort zur Begrüßung, keine Spur von Service, ja, es wurde noch nicht einmal nach den Personalien gefragt. Aber gut, sie wollte hier ja sowieso nur übernachten. Wenn sich das Zimmer als halbwegs sauber erwies, und im Bett keine Flöhe oder Wanzen wilde Partys feierten, wollte sie bleiben und morgen früh ausgeruht weiterfahren.
Sie war unterwegs, um zu vergessen, sich abzulenken und ein wenig verwöhnen zu lassen. Genug Ärger und Stress lagen hinter ihr, da hatte sie sich für ein paar Tage Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe wahrlich verdient.
Entschlossen ging sie zur Treppe. Die Türen zum Speisesaal standen offen. Nur wenige Leute saßen an den gedeckten Tischen. Sie wirkten wie Schaufensterpuppen, die man zur Dekoration dorthin gesetzt hatte.
„Welcome to the Hotel California…“ Der alte Eagles-Song fiel ihr ein. Die Melodie schlängelte sich durch ihre Gehirnwindungen und wollte nicht mehr verstummen. „Such a lovely place, such a lovely face…” Na ja, schön oder gar bezaubernd war anders!
Ein übermüdet aussehender Kellner mit grauem Gesicht lehnte am Tresen und sehnte ganz offensichtlich den Feierabend herbei, während seine Kollegin hinter der Bar gelangweilt ihre Fingernägel betrachtete.
But you can never leave…
Oh je! Alles, was Josy bisher gesehen hatte, machte einen ungepflegten, muffigen Eindruck. Der Entschluss, auf das Frühstück zu verzichten und in aller Frühe weiterzufahren, festigte sich mit jedem Schritt, den sie in diesem merkwürdigen Haus tat.
Das Treppengeländer hätte wie das gesamte Hotel dringend einer Reparatur und eines frischen Anstrichs bedurft. Die Stufen knarrten bei jedem Schritt gequält, und die Dielen schienen unter Josys 52 Kilo nachzugeben, während sie über den Flur zum Zimmer 115 ging.
Es lag am Ende des Ganges.
Erleichtert schloss sie auf und betrat den Raum. Nach all der Schäbigkeit draußen hatte sie ein spärlich möbliertes Zimmer mit rostigem Eisenbett, windschiefem Kleiderschrank und wackligen Stühlen erwartet. Aber was sich ihren Augen bot, war schon beinahe luxuriös zu nennen.
War auch der Empfang äußerst unpersönlich, ja schon unhöflich gewesen, so schien man hier doch Wert auf einen ordentlichen Zimmerservice zu legen, denn irgendein freundliches Wesen hatte das breite Bett aufgedeckt und die schweren Vorhänge vor den Fenstern zugezogen.
Die kleine Nachttischlampe verbreitete angenehmes Licht, dessen Schein die alten, erstaunlich gepflegten Möbel beleuchtete.
Josy stellte ihre Tasche neben dem hohen, altmodischen Kleiderschrank ab und ließ sich in den schweren Ohrensessel fallen, der wie eine gemütliche Insel mitten im Zimmer stand.
Ein kleiner, sechseckiger Tisch leistete ihm Gesellschaft. Zeitungen lagen ordentlich gestapelt darauf, daneben stand eine Flasche Cognac, ein bauchiges Glas und ein Schälchen gesalzener Erdnüsse, die nur darauf zu warten schienen gegessen zu werden.
Das ganze Idyll wurde von einer Stehlampe beleuchtet, deren gelblich gefältelter Schirm sicherlich so alt war wie das Hotel. Wahrscheinlich hatte die Leuchte einstmals in den zwanziger Jahren das Wohnzimmer irgendeines Urahnen geziert.
Josy lächelte beim Anblick des alten Interieurs. Sie liebte alte Möbel und dies hier waren gut erhaltene und vor allem gepflegte Stücke. Ob der Besitzer des Hotels wohl ihren wahren Wert kannte?
Ihr Blick fiel auf die Flasche. Echt französischer Cognac. Eine luxuriöse Überraschung, die Josy nun wirklich nicht erwartet hatte, aber gerne annahm. Nach der langen, anstrengenden Fahrt würde ihr ein Schluck des edlen Tropfens sicherlich gut tun.
Hatte sie nicht außerdem beschlossen, diese Kurzreise zu genießen? Kein Frank da, der ihr gute Ratschläge und Ermahnungen gab, der sie gängeln und bevormunden wollte. Nur sie und die Freiheit – herrlich!
Ohne Zögern griff sie sich die Flasche und schenkte sich großzügig daraus ein.
Siehst du, Frankie, was ich hier mache?, dachte sie voll aufmüpfigem Spott, während sie sich mit dem Glas in der Hand zufrieden in den Sessel kuschelte.
Frank hasste es, wenn sie trank. Er hasste es, wenn sie rauchte, und er hasste es, wenn sie ihm widersprach. Frank hasste eigentlich alles, was Spaß machte und versuchte ständig, ihr seine eigene langweilige Lebensweise aufzudrängen.
Aber das war jetzt vorbei.
Endgültig vorbei!
Entschlossen hob sie das Glas an die Lippen und trank genussvoll den ersten Schluck. Das Nass rann wohl temperiert durch ihre Kehle und das typische Aroma breitete sich wohltuend in ihrem Mund aus. Sie spürte, wie sich ihre Sinne beruhigten und ihre von der langen Fahrt verkrampfte Muskulatur entspannte.
„Ah, Sie haben sich schon bedient.“
Das Glas entglitt ihren Händen. Mit einem Satz war Josy auf den Beinen und starrte den Mann an, der wie aus dem Boden gewachsen vor ihr stand. Sein dunkles Haar glänzte vor Nässe. Wassertropfen perlten über seine muskulöse Brust. Auf dem markanten Gesicht mit dem eigenwilligen Kinn lag ein Lächeln, das man durchaus als freundlich bezeichnen konnte, aber in den fast schwarzen Augen glomm ein gefährliches Feuer.
Josy brachte keinen Ton heraus.
Wie angewurzelt stand sie da und stierte den Mann an, der es anscheinend völlig normal fand, splitternackt vor einer ihm fremden Frau zu posieren.
Er war gut gebaut. Ach was, gut gebaut! Dieser Mann war eine reine Augenweide! Athletisch, mit ausgewogenen Proportionen, straffer, schön gebräunter Haut, die sicher nicht von der Sonnenbank stammte und langen, schlanken Beinen. Und das, was da zwischen diesen Beinen wuchs und anschwoll…oho - das rief unter der Herren-Gemeinschaftsdusche im Fitnesscenter bestimmt heftigen Neid hervor!
Josy war vor lauter Staunen gar nicht bewusst, dass sie das Prachtstück anstarrte. Erst, als sich der Fremde vernehmlich räusperte, erwachte sie aus ihrer bewundernden Trance und riss den Kopf hoch. Dunkle Röte überzog ihre Wangen, als sie das spöttisch-wissende Lächeln auf dem Gesicht des Mannes bemerkte. In diesem Moment wäre sie am liebsten für immer im Boden versunken.
Langsam kam er ein paar Schritte näher. Die geschmeidigen Bewegungen, ansehnlichen Muskelpakete und strammen Sehnenstränge, die sich unter der Haut abzeichneten, verrieten, dass er viel und regelmäßig Sport trieb.
Erst jetzt wurde Josy bewusst, dass ihr Herz wie wild gegen die Rippen hämmerte. Und sie musste die Luft angehalten haben. Jedenfalls fühlte sich ihr Brustkorb wie vakuumiert an, und vor ihren Augen tanzten bunte Sternchen. Mit einem kräftigen Atemzug sog sie frische Luft in ihre ausgedörrten Bronchien, und die Sternchen verschwanden. Dafür tauchte etwas anderes aus ihrem Innersten an die Oberfläche: Ein Gefühl, zunächst noch vage, aber bereits unangenehm nagend und Unruhe verbreitend. Und dann wurde aus der Ahnung Gewissheit. Ja, Josy war sich plötzlich sicher, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben.
Nur wo? Gottverdammt, woher kannte sie dieses Gesicht?
Im nächsten Moment zuckte die Erkenntnis hellleuchtend wie ein Blitz durch ihr Hirn, während ihr Verstand sich schon mit lauten Nein-das-ist-nicht-wahr-Rufen gegen dieses Erkennen wehrte.
Es konnte nicht sein! Das war einfach unmöglich! Nein, nein und nochmals nein! Der Typ vor ihr sah Daniel Warmboth nur unwahrscheinlich ähnlich, aber er war es nicht.
Und dann der nächste, glasklare Gedanke: Es IST Daniel Warmboth! Bürgermeister von Snowvalley-Pikes, Spießer, Moralapostel, Langweiler und Blödmann hoch drei!
Diese Geschichte glaubt mir zu Hause kein Mensch, schoss es Josy durch den Kopf, während ihre Blicke den Mann verfolgten, der auf seinen langen, muskulösen Beinen zum Bett ging, sich darauf niederließ und Josy erwartungsvoll ansah.
„Lass uns keine Zeit vergeuden.“ Seine Stimme klang unpersönlich, befehlsgewohnt.
Josy zuckte unter diesem Klang zusammen. O Gott, was für eine verrückte Situation! Wenn sie doch nur eine Silbe herausbringen könnte! Oder einfach weglaufen! Aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihr Körper wie gelähmt. Sie konnte nur dastehen und diesen nackten Mann anstarren, der sich ungeniert auf dem Bett räkelte. Sein erigierter Penis zeigte ihr genau, was er von ihr erwartete und das möglichst bald!
Ungeduld zeichnete sich auf den markanten Gesichtszügen ab, das begehrliche Funkeln in seinen Augen vertiefte sich.
„Nun komm schon her!“ Diesmal klang es eindeutig nach einem Befehl.
Josy schluckte trocken. Im nächsten Moment fuhr sie herum, griff sich die Flasche, setzte sie an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck.. Das Brennen des Alkohols in ihrer Kehle riss sie endgültig aus der Schockstarre.
Sie musste allerdings erst noch ein paar Mal tief Luft holen, bevor sie sich endlich besser fühlte. Jetzt konnte sie sich auch wieder mühelos bewegen. Um ihre Stimme zu testen, räusperte sie sich, dann ging sie langsam auf das Bett zu.
„Zieh dich endlich aus“, klang es ihr entgegen. Daniel Warmboth starrte aus brennenden Augen zu ihr hinauf. Unter seinen Blicken fühlte sie sich bereits nackt, was zugleich Empörung und ein erregtes Prickeln in ihr wachrief.
Warum sage ich nicht einfach: Tut mir leid, Mister Warmboth, aber hier liegt ein gewaltiger Irrtum vor, fragte Josy sich, zwischen Verzweiflung, Verwunderung und aufkeimendem Verlangen schwankend.
„Weil du Schiss hast“, antwortete ihre innere Stimme.
Ja, sie hatte Angst, zugleich war sie jedoch auch ungeheuer wütend. Von allen Ärgernissen der letzten Zeit war dieses das größte, unwahrscheinlichste und wohl auch das gefährlichste. Lauter Superlative, die auf sie einstürmten und denen sie sich gegenübersah, ohne zu wissen, wie sie darauf reagieren sollte.
„Pass mal auf, Chantal, Desirée oder wie immer du dich nennen magst, wenn wir beide uns nicht endlich einig werden, kannst du von hier verschwinden.“
Oh, das war eine gute Idee, befand Josy. Nix wie weg hier! Weg aus diesem Zimmer und fort von diesem gefährlichen Mann, in dessen Augen das Verlangen erloschen war. Stattdessen war Daniel Warmboth jetzt wütend. Gott sei Dank schien er tatsächlich nicht die geringste Ahnung zu haben, wen er vor sich hatte.
Wenn sie sich doch bloß rühren könnte. Es kam ihr vor, als hätten winzige Erdgeister ihre Füße am Boden festzementiert.
Andererseits entbehrte die Situation nicht einer gewissen Pikanterie! Vielleicht sollte sie statt zu flüchten, ihr Smartphone zücken und den einflussreichen Herrn filmen? Ha, da würden die spießigen Einwohner von Snowvalley-Pikes aber staunen, wenn sie im Gemeindesaal mitansehen konnten wie sich ihr moralinsaurer Bürgermeister splitterfasernackt und mit einsatzbereitem Schwanz auf einem Hotelbett räkelte!
„Herrgott nochmal, du bist doch extra deswegen gekommen!“, brüllte Daniel Warmboth in Josys wirren Gedankenhaufen hinein.
Dermaßen aufgeschreckt, starrte sie ihn an. Voller Entsetzen sah sie, wie er aus dem Bett sprang und sich vor ihr aufbaute. Seine Rechte schoss vor, und ehe Josy ausweichen konnte, umklammerten seine Finger ihren Oberarm wie ein Schraubstock. Harte Fingerkuppen pressten sich schmerzhaft in ihr zartes Fleisch. Verdammte Unentschlossenheit, sie hätte doch besser weglaufen sollen, als noch Gelegenheit dazu gewesen war!
Im nächsten Moment hatte Daniel sie an sich gerissen. Sie fühlte stahlharte Muskeln an ihrem Körper, spürte, wie seine Erregung wuchs, während er ausgiebig ihr Gesicht betrachtete. Der Geruch nach Duschgel und Aftershave stieg Josy in die Nase. Kein übler Geruch…
„Du bist verdammt hübsch.“ Er sprach leise, flüsterte nur rau, mit einer Spur Spott in der Stimme.
Seine Blicke folgten dabei jeder Linie ihres Gesichts. Erstaunen und Bewunderung mischten sich dabei nach und nach in seine begehrliche Musterung.
„Ja, wirklich, du bist eine sehr schöne Frau.“ Daniels Ton wurde noch eine Nuance dunkler. Josy spürte ihre Knie weich werden. Sie fühlte, wie sich die Umklammerung lockerte, sich Daniels Finger lösten und sofort unter das Sweatshirt stahlen, um ihre nackte Haut darunter zu streicheln.
Ihr Verstand schrie: Wehr dich endlich! Trete, beiße, ramm ihm dein Knie zwischen die Beine! Aber Josy schloss lediglich die Augen und genoss die zarten Berührungen seiner Finger auf ihrer heißen Haut.
Ich bin komplett verrückt, dachte sie dabei, vollkommen ausgerastet, gaga, bekloppt!
Nein, in Wirklichkeit bin ich gar nicht hier. Ich bin zu Hause in meiner Wohnung. Und ich bin immer noch wütend auf Frank, so wütend wie nie zuvor. Genau deshalb betrüge ich ihn in meinen Gedanken. Ich male mir diese wilde Sexszene aus, träume mir den Ärger von der Seele, und morgen früh gehe ich wie gewöhnlich ins Büro, tue all die Dinge, die ich immer tue und ärgere mich über mich selbst. Dass ich nicht den Mut habe, einmal aus diesem stupiden Einerlei auszubrechen.
Das schrille Klingeln des altmodischen Telefons stieß Josy jäh in die Wirklichkeit zurück. Erschrocken öffnete sie die Augen und war schlagartig ernüchtert.
Das hier, das war pure Realität!
Sie lag tatsächlich in den Armen eines Mannes – nein, nicht irgendeines Mannes, sie lag in den Armen ihres BÜRGERMEISTERS!, den sie bisher nur von seinen Auftritten bei irgendwelchen Festveranstaltungen, aus den Bürgerversammlungen und von den Fotos des Snowvalley-Pikes-Mirror kannte. Wenn das nicht ein Grund war durchzudrehen, was dann?
Daniel entließ sie nur widerwillig aus seiner Umarmung. Er ging zum Telefon, das auf dem Nachttisch neben dem Bett stand und hob ab. Seine Miene verfinsterte sich, während er in den Hörer lauschte.
Das war der geeignete Zeitpunkt, die Szene zu verlassen! Diesmal hielten keine bösartigen Erdgnome ihre Füße fest. Josy machte auf dem Absatz kehrt. Mit einem gewagten Sprung war sie bei ihrer Tasche, riss sie an sich und hechtete zur Tür. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Daniel Warmboth den Hörer fallen ließ und ihr nachsetzte. Aber sie war schneller. Sie riss die Tür auf, rannte den Flur entlang zur Treppe und dann, immer zwei Stufen überspringend, in die Halle hinunter.
Der verpennte Portier, der gerade telefonierte, ließ erstaunt den Hörer sinken, als Josy an ihm vorbeifegte.
„Das Zimmer gefällt mir nicht!“, rief sie ihm im Vorbeirennen zu. Die Augen des Portiers weiteten sich in ungläubigem Staunen. Er sah den Hörer in seiner Faust an, dann Josy hinterher, die gerade durch die Tür sprintete, dann zuckte er die Schultern und nahm den Hörer wieder ans Ohr.
Josy atmete erst auf, als ihr Wagen mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt preschte. Im Rückspiegel verschwanden die Lichter des merkwürdigen Hotels. Mit ihnen blieb ein Teil des Schocks zurück, der ihr den Hals zuzuschnüren schien.
Sie riss sich zusammen, denn sie brauchte alle Konzentration, die sie aufbringen konnte, um nicht am nächsten Baum zu landen. In diesem gottverlassenen Winkel der Welt konnte hinter jedem Busch eine neue Überraschung lauern. Josys Bedarf an Überraschungen war jedoch für diese Nacht reichlich gedeckt. Sie hatte nur noch einen Wunsch: Diese Gegend schnellstmöglich zu verlassen und vielleicht doch noch an einen Ort zu gelangen, der ihr die ersehnte Ruhe bot. Bis dahin musste sie alle Gedanken an dieses Abenteuer beiseite schieben und sich allein aufs Fahren konzentrieren.

Die Nacht umgab Josy wie ein schwarzer Mantel. Angestrengt starrte sie durch die Windschutzscheibe auf die Landstraße, um die Auffahrt zum Highway ja nicht zu verpassen.
Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es ihr erschien, leuchtete in der Dunkelheit das Hinweisschild zum Highway am Straßenrand und nach ein paar weiteren Meilen tauchte endlich die hell erleuchtete Zahlstelle vor ihr auf.
Gott sei Dank, die Wildnis lag hinter ihr! Die Zivilisation hatte sie wieder!
Sie warf die geforderte Gebühr in das Körbchen, das die Münzen in den Automaten leitete, trat aufs Gaspedal und fuhr los.
Als das Mercedes-Cabrio auf den Parkplatz des Motels Grand Moto-Inn rollte, schimmerte das erste zarte Grau am Horizont. Sie war zum Umfallen müde, nur der Gedanke an ein heißes Bad und ein weiches Bett trieben Josy aus dem Auto.

Zuerst sah Josy im Bad nach, ob sich nicht ein anderer Snowvalley-Pikes-Lokalpolitiker unter ihrer Dusche tummelte. Sie blickte auch unter das Bett, hinter die bodenlangen Vorhänge und in den großen Eichenschrank, ehe sie sich in die Kissen fallen ließ. Diesmal war sie wirklich allein, und nun konnte sie in aller Ruhe über die vergangenen Stunden nachdenken.
Nach wie vor war ihr unklar, wieso sie den Zimmerschlüssel von Daniel Warmboth ausgehändigt bekommen hatte.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.