Sons of Devil MC: Cole

Er­schie­nen: 05/2025
Serie: Sons of Devil MC
Teil der Serie: 3

Genre: Motor­cy­cle Club Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Chi­ca­go


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-742-0
ebook: 978-3-86495-743-7

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 7,99 €[D]

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Sons of Devil MC: Cole


In­halts­an­ga­be

Als Prä­si­dent der "Sons of De­vils", eines be­rüch­tig­ten Mo­tor­rad­clubs, hat Cole Gra­ham keine Angst vor Kon­flik­ten und weiß, wie man Fein­de in die Knie zwingt. Doch nichts – kein Kampf, keine Be­dro­hung – konn­te ihn auf die bren­nen­de Qual vor­be­rei­ten, die ihn seit dem Ver­schwin­den von Char­leen, der Ver­lob­ten sei­nes Bru­ders, quält. Die ver­bo­te­nen, un­wi­der­steh­li­chen Ge­füh­le, die er für seine Schwä­ge­rin in spe hegt, zer­ren an ihm, wäh­rend die un­er­bitt­li­chen Fra­gen über ihren mys­te­riö­sen Ver­lust ihn an den Rand des Wahn­sinns trei­ben.

Wurde sie ent­führt? Hat sie sei­nen Bru­der ver­las­sen? Oder hat die ge­fähr­li­che Welt, in der sie leben, Char­leen für immer ver­schlun­gen?

Char­leen ist ein Schat­ten ihrer selbst, als sie aus einer Hölle, die sie fast das Leben ge­kos­tet hätte, ent­kom­men kann. Der Alb­traum lässt ihre Seele zer­bre­chen. Ihre Welt exis­tiert nicht mehr, und die Per­son, die sie ein­mal war, scheint nie­mand mehr zu ken­nen. Doch als Cole sie aus ihrer Dun­kel­heit zieht, wird mehr als nur ihre Ret­tung ein neues Ka­pi­tel be­gin­nen. Zwi­schen den bei­den ent­facht eine heiße Lei­den­schaft.

In einer Welt vol­ler Ge­walt und Ver­rat müs­sen sie sich ent­schei­den: Kön­nen sie ihre lei­den­schaft­li­che Ver­bin­dung über alle Gren­zen hin­weg leben? Oder wird das dunk­le Ge­heim­nis, das Char­leens mys­te­riö­ses Ver­schwin­den um­gibt, ihre ge­mein­sa­me Zu­kunft zer­stö­ren?

Über die Au­to­rin

Ari­zo­na Moore ist das Pseud­onym einer deutsch­spra­chi­gen Au­to­rin und steht für Liebe, Herz­schmerz, Drama und einen Hauch ero­ti­schem Pri­ckeln.
Bü­cher sind und waren schon immer ihre größ­te Lei­den­schaft. An­fäng­lich hat sie ihre Ge­schich­ten nur für sich selbst zu Pa­pier...

Wei­te­re Teile der Sons of Devil MC Serie

Le­se­pro­be

Char­leen

Das Bett, in dem ich zu lie­gen schei­ne, fühlt sich wie ein Ge­fäng­nis an, als würde es mich fest um­klam­mert hal­ten. Ich wälze mich hin und her, doch die Bett­de­cke gleicht einer Fes­sel, die ich nicht los­wer­den kann. Mein Atem geht flach, mein Herz rast in mei­ner Brust. Der Traum – nein, der Alb­traum – hat mich fest im Griff. Ich kann ihm nicht ent­kom­men, so sehr ich es auch ver­su­che.
Die Dun­kel­heit droht mich zu ver­schlin­gen. Ich bin zu­rück in die­sem klei­nen, dre­cki­gen Raum, des­sen Wände so dünn sind, dass ich die Män­ner auf dem Flur hören kann....

...​Sie reden und la­chen. Ver­mut­lich ver­spot­ten sie uns. Die Tür zum Kor­ri­dor ist ab­ge­schlos­sen, es gibt kein Ent­kom­men. Sie haben Waf­fen. Knar­ren, die sie mit Si­cher­heit ein­set­zen wer­den, wenn sie dazu ge­zwun­gen sind.
Die Ge­räusch­ku­lis­se ist das Schlimms­te – das Ein­ras­ten des Tür­schlos­ses, die schwe­ren Stie­fel auf dem Fuß­bo­den, das Klim­pern von Gür­tel­schnal­len, mit denen sie zu­schla­gen. Mir dreht sich der Magen um, meine Kehle zieht sich zu. Ich kann kaum atmen.
Mein Kör­per fühlt sich schwer an, die Schmer­zen zie­hen sich durch meine Mus­keln. Jede Wunde, jede Prel­lung, jeder blaue Fleck, jeder Schlag hallt in mir nach.
„Bitte, nicht schon wie­der“, flehe ich, als ein Mann in die Zelle kommt und mich an den Armen auf die Beine reißt.
Sie kom­men immer wie­der. Tag für Tag. Woche für Woche. Immer das­sel­be. Ihr La­chen, ihre Bli­cke, ihre Schlä­ge – als wäre ich nichts, als wäre ich kein Mensch.
Mir kommt mein Salon in den Sinn, mein Zu­fluchts­ort. Ich habe es ge­liebt, Men­schen zu ver­wöh­nen. Die Düfte mei­ner Pfle­ge­pro­duk­te, die Mas­sa­ge­ö­le, der herz­li­che Dank mei­ner Kun­den. Aber das hat man mir ge­nom­men, wie alles an­de­re auch.
Ich bin ge­fan­gen.
Ein­ge­sperrt.
Miss­han­delt.
Ver­ge­wal­tigt.
Wie lange bin ich wohl schon hier?
Sucht er nach mir?
Jede Nacht male ich mir aus, dass Tyson durch diese Tür ge­stürmt kommt und mich aus die­ser Hölle be­freit.
Aber er kommt nicht.
Ge­nau­so wenig wie der Club.
Nie­mand kommt.
„Setz dich in Be­we­gung, Schlam­pe“, be­fiehlt der Mann mir, des­sen Hände wie Schraub­stö­cke um meine Arme lie­gen.
Nein, nicht schon wie­der.
Ich kann nicht mehr.
„Nein!“, glau­be ich zu schrei­en, in Wahr­heit kommt mir aber kein Ton über die Lip­pen. Es ist, als hätte man mich mei­ner Stim­me be­raubt, wie sie es schon mit mei­nem Kör­per getan haben.
Jede Be­rüh­rung, jeder Griff zieht mich tie­fer in das dunk­le Loch, in dem ich ge­fan­gen bin. Und dann … der Schmerz. Wie­der und wie­der.
Ich schre­cke mit einem Ruck aus dem Schlaf hoch. Mein Kör­per bebt, mir rinnt der Scheiß über den Rü­cken. Pa­nisch scan­ne ich mit mei­nem Blick den Raum, noch immer ir­gend­wie ge­fan­gen zwi­schen Alb­traum und Rea­li­tät. Im Zim­mer ist es zwar dun­kel, aber den­noch sind mir die Um­ris­se, ist mir die Um­ge­bung ir­gend­wie ver­traut. Und der Ge­ruch.
Ich bin nicht mehr dort, ich bin im Club­haus.
Bin ich nicht tot?
Ich ver­su­che, meine At­mung zu kon­trol­lie­ren, doch meine Lun­gen bren­nen, als hätte ich für meh­re­re Mi­nu­ten die Luft an­ge­hal­ten. Mein Herz häm­mert und Trä­nen lau­fen mir über die Wan­gen.
Es ist zu viel.
Es war zu viel.
Plötz­lich be­mer­ke ich eine Ge­stalt neben mei­nem Bett. Je­mand sitzt auf einem Stuhl neben mir.
Lang­sam klärt sich meine Sicht.
Es ist … Cole.
Nicht Ty.
„Was … Cole?“ Meine Stim­me klingt brü­chig, wie ein frem­des Echo in der Dun­kel­heit.
Er hebt den Kopf und sieht mich an. Sein Blick ist zwar weich, aber den­noch vol­ler Sorge. Nor­ma­ler­wei­se strahlt Cole eine un­er­schüt­ter­li­che Stär­ke aus, für die ich ihn stets be­wun­dert habe. Er ist wie ein Fels, an dem Wel­len bre­chen. Doch jetzt? Nun blickt er drein, als würde er mei­nen Schmerz füh­len, was na­tür­lich völ­li­ger Quatsch ist.
Wo ist Tyson?
Mein Ver­lob­ter?
Der Mann, den ich liebe?
„Wie … wo … ist Ty?“, kräch­ze ich mit zit­tern­der Stim­me, als ich die Frage laut aus­spre­che, die mich seit Wo­chen quält. Oder gar Mo­na­ten?
Cole weicht mei­nem Blick aus. „Er … er ist ver­hin­dert“, ent­geg­net er leise.
Ver­hin­dert?
Will er mich auf den Arm neh­men?
„Was soll das hei­ßen? Wo zur Hölle ist er, Cole? Warum ist er nicht bei mir?“
Cole ant­wor­tet nicht so­fort. Er fährt sich mit einer Hand durch sein kur­zes schwar­zes Haar, als würde er nach den rich­ti­gen Wor­ten su­chen. Doch die rich­ti­gen Worte schei­nen ihm nicht ein­fal­len zu wol­len. Die Stil­le zwi­schen uns ist er­drü­ckend, wes­halb er­neut Trä­nen meine Augen flu­ten.
„Er soll­te hier sein“, flüs­te­re ich. „Er ist mein Ver­lob­ter. Er soll­te hier bei mir sein, nicht du.“
Cole ver­zieht das Ge­sicht, als hätte ich ihm eine fette Ohr­fei­ge ver­passt. „Ty … Ty hat sich ver­än­dert, Char­leen. Er ist nicht mehr …“ Er be­en­det den Satz nicht. Cole scheint zu über­le­gen, wie er es mir er­klä­ren soll.
„Nicht mehr was?“, hake ich nach. „Nicht mehr mein Ver­lob­ter?“
Cole schweigt.
Schei­ße, was ist hier los?
Ein kal­ter Schau­er läuft mir über den Rü­cken. Hat er … hat Ty mich auf­ge­ge­ben? In der Zeit, in der ich ent­führt, fest­ge­hal­ten, miss­han­delt und ver­ge­wal­tigt wurde, in der ich durch die Hölle gehen muss­te, hat er … was getan? Sich eine an­de­re ge­sucht? Ein­fach wei­ter­ge­macht, als hätte es mich nie ge­ge­ben? Als wären wir nie ein Paar ge­we­sen?
„Cole, sag mir die Wahr­heit. Bitte“, flehe ich, die Ver­zweif­lung in mei­ner Stim­me un­über­hör­bar.
Er schließt die Augen und atmet tief ein. „Kön­nen wir das Thema ver­ta­gen? Du musst dich er­ho­len und wie­der auf die Beine kom­men, Char­leen. Deine Ge­ne­sung steht an ers­ter Stel­le.“
„Ver­dammt, Cole. Was ist los?“ Ich werde lau­ter, ob­wohl jeder Mil­li­me­ter mei­nes Seins schmerzt. „Er ist mein Ver­lob­ter, ver­flucht. Ich habe ein Recht dar­auf, zu er­fah­ren, wo er steckt, wes­halb er an­geb­lich ver­hin­dert ist.“
Aber­mals scheint Cole mit sich zu rin­gen. Er steht auf, geht zum Fens­ter und schaut nach drau­ßen, als würde ihm der Blick in die Ferne dabei hel­fen, die rich­ti­gen Worte zu fin­den. Ir­gend­wann dreht er sich wie­der zu mir um. „Er … er ist nicht stark genug, Char­ly. Nicht für das, was du mut­maß­lich durch­ge­macht hast. Er weiß nicht, wie er damit um­ge­hen soll. Tut mir leid.“
Wie er damit um­ge­hen soll?
Ich ver­ste­he nur noch Bahn­hof.
„Und des­halb igno­riert er mich?“
Cole tritt ein paar Schrit­te auf mich zu, dann hält er inne, als wüss­te er nicht, ob er sich mir nä­hern darf oder nicht. „Ganz ehr­lich, er ist nicht der Mann, den du jetzt brauchst. Nicht mehr.“
Seine Worte kom­men einem Schlag ins Ge­sicht gleich. Die Luft scheint aus mei­nen Lun­gen zu wei­chen, und ich ringe um Atem. All die Näch­te, in denen ich mir vor­ge­stellt habe, wie Ty mich ret­ten kommt, wie er mich aus die­ser Hölle be­freit – sie schei­nen nichts wei­ter als eine dumme Il­lu­si­on ge­we­sen zu sein.
Aber wieso?
Was ist pas­siert?
„Er hat … eine an­de­re, oder?“
Cole schweigt.
Das sagt mehr als tau­send Worte, be­ant­wor­tet mir alles, was ich wis­sen muss. Ty hat mich auf­ge­ge­ben. Er hat mich im Stich ge­las­sen, wäh­rend ich mich in den Fän­gen mei­nes Ent­füh­rers, mei­nes Pei­ni­gers be­fun­den habe. Mein Ver­lob­ter … der Mann, den ich ge­liebt habe und immer noch liebe, ist nicht mehr da. Zu­min­dest nicht für mich. Er ist nicht mehr an mei­ner Seite.
Meine Trä­nen strö­men wie heiße Sturz­bä­che über meine Wan­gen. Alles bricht aus mir her­aus – die Angst, der Schmerz, die pure Ver­zweif­lung. Es ist, als hätte die Kon­trol­le über mei­nen Kör­per ver­lo­ren, denn ich kann weder auf­hö­ren zu schluch­zen, noch zu schnie­fen.
Ich bin ein Nichts.
Eine Vase mit Ris­sen, die ver­sucht, nicht gänz­lich aus­ein­an­der­zu­bre­chen, doch nun … jetzt zer­bricht alles. End­gül­tig.
Cole setzt sich nach kur­zem Zö­gern zu mir aufs Bett. Er scheint keine Idee zu haben, wie er mich trös­ten soll. Al­ler­dings gibt es auch nichts, das meine Trä­nen trock­nen könn­te. Sanft, über­aus be­hut­sam, legt er eine Hand auf meine Schul­ter. „Char­leen“, sagt er, doch ich höre ihm nicht zu.
Ich bin so durch­ein­an­der.
Mit einem Mal er­scheint alles sinn­los: das Kämp­fen ums Über­le­ben, das Auf­leh­nen gegen mei­nen Ver­ge­wal­ti­ger.
Ich habe meine Frei­heit zwar wie­der, aber im Ge­gen­zug habe ich mein Leben, mei­nen Mann ver­lo­ren.
Meine Ge­dan­ken über­schla­gen sich, un­auf­halt­sam und gna­den­los. Tyson hat mich ver­las­sen. Der Mann, der mich an­geb­lich ge­liebt hat, der mir seine ewige Treue ge­schwo­ren hat, der mich hei­ra­ten woll­te, hat mich ein­fach aus­ge­tauscht?
Ich star­re die Decke an. Mein Kör­per kommt mir mit einem Mal un­end­lich schwer vor. Es ist, als wären meine Glie­der aus Blei. Doch davon mal ab­ge­se­hen, ist es mein Geist, der mich quält. Jeder Ge­dan­ken­gang, jede Er­in­ne­rung saugt mich tie­fer in das schwar­ze Loch, aus dem ich kei­nen Aus­weg sehe.
Wie konn­te er das tun?
Wie konn­te er ein­fach wei­ter­ma­chen, wäh­rend man mich ge­schla­gen und ver­ge­wal­tigt hat?
Hat er nie an mich ge­dacht?
Hat er sich nicht ge­fragt, wo ich bin? Ob ich noch lebe?
Ich be­zweif­le, dass er über­haupt nach mir ge­sucht hat.
Hat er mich über­haupt je ge­liebt?
Auch wenn es weh­tut, ver­su­che ich, die Er­in­ne­run­gen an un­se­re ge­mein­sa­me Zeit vor der Ent­füh­rung her­auf­zu­be­schwö­ren. Die Mo­men­te, in denen er mich vol­ler Liebe an­ge­se­hen und mir das Ge­fühl ge­ge­ben hat, ich sei seine Welt. Die Art, wie er meine Hand ge­hal­ten hat, fest und si­cher, als könn­te uns nichts und nie­mand tren­nen. All die Zu­kunfts­plä­ne, die wir ge­schmie­det haben – der klei­ne Bun­ga­low am Stadt­rand, der Traum von einer ei­ge­nen Fa­mi­lie und einem Hund. Wir woll­ten Kin­der. Viele Kin­der. War das alles bloß eine Lüge? Eine schö­ne Il­lu­si­on, die im An­ge­sicht der Rea­li­tät zer­bro­chen ist?
„Char­leen, es tut mir leid.“
Ich werfe ihm einen kur­zen Blick zu, ob­wohl ich ei­gent­lich gar nicht will, dass er sieht, wie fer­tig und wie zer­ris­sen ich bin, wes­halb ich den Blick kur­zer­hand wie­der ab­wen­de. „Was tut dir leid?“
„Alles“, ant­wor­tet er und seufzt. „Ich weiß, dass im Mo­ment alles ein­fach sehr viel für dich ist. Ge­nau­so wie ich mir si­cher bin, dass Ty deine Trä­nen nicht wert ist.“
Ty.
Al­lein die Er­wäh­nung sei­nes Na­mens lässt meine Haut bren­nen. Es ist wie Salz in einer of­fe­nen Wunde.
Die Vor­stel­lung, dass Cole denkt, er könn­te mich ver­ste­hen, ist lä­cher­lich. Er kann sich beim bes­ten Wil­len nicht vor­stel­len, wie es ist, ent­führt und immer wie­der ver­ge­wal­tigt zu wer­den. Bru­tal, bis du den Schmerz nicht mehr spürst, weil dein Kör­per auf­ge­ge­ben hat. Angst davor zu haben, dass jeder Tag dein letz­ter sein könn­te.
Cole schaut mich an, seine Augen sind vol­ler Mit­leid, doch das macht es nur noch schlim­mer. Ich will nicht, dass er mich be­dau­ert. Er kann nie be­grei­fen, was ich durch­ge­macht habe. Nie­mand kann das. Er öff­net den Mund, um etwas zu sagen, aber ich gehe da­zwi­schen. Meine Stim­me ist scharf und bit­ter.
„Einen Scheiß weißt du, Cole.“
Der Schmerz in sei­nen Augen, den ich für einen Au­gen­blick auf­blit­zen sehe, schnei­det tie­fer in mein Herz, als ich er­war­tet habe. Ich woll­te ihn nicht ver­let­zen, nicht wirk­lich. Aber ich weiß nicht, wohin mit all der Wut, der Ver­zweif­lung. Sie über­rollt mich, lässt mich kaum atmen, und er ist der Ein­zi­ge hier, auf den ich sie rich­ten kann.
„Char­leen“, sagt er, seine Stim­me ist nun lei­ser, fast fle­hend. „Ich weiß nicht, was du durch­ge­macht hast, aber ich ahne es. Ich bin hier, ich bin für dich da.“
Hier. Was für ein lä­cher­li­ches Wort, wenn man be­denkt, dass Ty nicht hier ist.
Ich rolle mich trotz der Schmer­zen in mei­ner Rip­pen­ge­gend auf die Seite und pres­se ein Kis­sen fest gegen meine Brust, als könn­te es die Leere in mei­nem In­ne­ren fül­len. Ich bin al­lein. Al­lein in einer Welt, die sich ohne mich wei­ter­ge­dreht hat.
Ty war meine Zu­kunft, er war meine Kon­stan­te, der Mann, dem ich ver­traut habe. Meine Welt liegt in Scher­ben. Alles, was ich ge­kannt, was ich ge­liebt habe, ist weg­ge­bro­chen. Ich bin ein Nichts. Nur noch ein Schat­ten mei­ner selbst. Ver­lo­ren in einem Alb­traum, der kein Ende nimmt.
Im Club kann ich nicht blei­ben. Ich habe nicht den Old-La­dy-Sta­tus inne. Somit ge­hö­re ich nicht hier­her. Ich habe kei­nen Platz im Club der De­vils.
Zu­rück zu mei­nem Dad kann ich nicht. Keine Chan­ce. Ich habe Jahre damit ver­bracht, von ihm weg­zu­kom­men. Ich habe mich von ihm los­ge­löst, habe sei­nen gol­de­nen Käfig ver­las­sen. Zu­rück zu ihm? Zu­rück zu je­man­dem, der mich wie eine Ma­rio­net­te in­stru­men­ta­li­sie­ren wird? Nein. Nicht nach allem, was mir wi­der­fah­ren ist. Ich würde lie­ber ster­ben, als mich je wie­der von einem Mann kon­trol­lie­ren und ein­sper­ren zu las­sen.
Aber was bleibt mir dann? Wohin soll ich? Ich habe nie­man­den. Tyson war mein Anker, und ohne ihn werde ich ziel­los um­her­trei­ben.
Und dann wäre da noch die Angst. Die Angst, die mich stän­dig zu­sam­men­zu­cken lässt. Die Angst, dass die Män­ner, die mich ent­führt haben, zu­rück­kom­men könn­ten.
Die Fotze ist hin­über. Schafft sie von hier weg. Ihr wisst, wo ihr sie ent­sor­gen könnt, kommt mir plötz­lich wie­der in den Sinn.
Sie müs­sen davon aus­ge­gan­gen sein, dass sie mich zu Tode ge­prü­gelt haben, denn an­ders kann ich mir nicht er­klä­ren, wieso ich jetzt hier bin. Auch wenn ich es nicht si­cher weiß, gehe ich davon aus, dass sie mich vor dem Club­haus ent­sorgt haben. Wieso sonst soll­te ich aus­ge­rech­net hier auf­ge­wacht sein?
Plötz­lich sehe ich sie vor mir. Die Augen mei­nes Pei­ni­gers. Ich höre die Stim­men der Män­ner, die un­se­re Zelle be­wacht haben, als stün­den sie di­rekt neben mir.
Ich habe keine Ah­nung, wer sie waren oder warum sie aus­ge­rech­net mich ge­kid­nappt haben. Es gibt so viele Fra­gen, die un­be­ant­wor­tet sind. Wieso ich? Warum haben sie mich aus­ge­wählt? War es wegen mei­nes Dads? Wegen des Clubs? Die Un­ge­wiss­heit nagt an mir.
Das Po­chen in mei­ner Brust wird lau­ter, mein Atem geht flach. Die Panik kriecht über meine Haut, sie droht mich zu er­sti­cken. Ich setze mich auf, ver­su­che, tief durch­zu­at­men, aber es kommt mir so vor, als wür­den meine Lun­gen nicht mit aus­rei­chend Sau­er­stoff ver­sorgt wer­den. Meine Hände zit­tern und in mei­nem Kopf dreht sich alles.
Ich schlie­ße die Augen und pro­bie­re, mich zu be­ru­hi­gen, doch die Er­in­ne­run­gen kom­men immer wie­der hoch. Die Dun­kel­heit. Die Kälte. Die Schlä­ge. Die an­de­ren Frau­en. Das Knar­zen der Tür, wenn sie mich holen kamen. Ich spüre noch immer seine Hände auf mei­ner Haut, grob und ge­walt­sam. Ich kann das nicht er­tra­gen.
Schnell reiße ich die Augen wie­der auf und ver­su­che, den Raum um mich herum zu fi­xie­ren, aber es nützt nichts. Nichts hilft.
„Kannst du mich bitte al­lein las­sen?“, frage ich Cole.
„Nein.“ Er schüt­telt den Kopf. „Ich werde nicht gehen. Du bist meine Freun­din, Char­leen. Freun­de sind immer für­ein­an­der da, egal was pas­siert.“
„So wie mein ver­meint­li­cher Ver­lob­ter“, murm­le ich vor mich hin.
Einen Mo­ment herrscht Stil­le zwi­schen uns, schwer und drü­ckend. Cole sagt nichts. Muss er auch nicht. Er weiß, dass ich recht habe.
Seuf­zend lasse ich meine Stirn gegen mein Knie sin­ken. „Bring mich auf an­de­re Ge­dan­ken, Cole. Er­zähl mir ir­gend­et­was. Egal was.“
Zu­nächst bleibt er still, wahr­schein­lich weil er über­rascht von mei­nem plötz­li­chen Um­schwung ist. Ich bin es selbst. Aber das Schwei­gen zwi­schen uns war mir zu er­drü­ckend. Ich brau­che ir­gend­et­was, wor­auf ich mich kon­zen­trie­ren kann. Ir­gend­et­was, das die­sen Sturm in mei­nem Kopf für eine Weile zur Ruhe bringt. Und da er nicht gehen woll­te, war das das Erste, das mir in den Sinn ge­kom­men ist.
„Lan­don und Leah haben ge­hei­ra­tet“, er­zählt Cole mir schließ­lich. „Hät­test du ge­dacht, dass der bin­dungs­ängst­li­che Lan­don sich je­mals fest­legt? Dass er aus­ge­rech­net un­se­re ehe­ma­li­ge Bar­da­me hei­ra­tet? Ach, und Fal­lon … Fal­lon hat ein Kind be­kom­men. Ein Mäd­chen. Abi­ga­il.“
Lan­don hat ge­hei­ra­tet?
Fal­lon hat ihr Baby?
Schei­ße, die Worte pral­len in mei­nem Kopf umher. Es fühlt sich an, als hätte mir je­mand den Boden unter den Füßen weg­ge­zo­gen.
Wie lange war ich weg?
Es kommt mir wie eine Ewig­keit vor. Ver­dammt, ich habe das Ge­fühl, eine Frem­de in mei­nem ei­ge­nen Leben zu sein.
Als ich nichts dar­auf er­wi­de­re, plap­pert Cole wei­ter drauf­los. „Weißt du, als ich da­mals zu den De­vils ge­kom­men bin, war ich nichts wei­ter als ein ver­fluch­ter Stra­ßen­kö­ter.“
Ich bli­cke zu ihm auf, trotz mei­ner in­ne­ren Zer­ris­sen­heit neu­gie­rig. „Ein Stra­ßen­kö­ter?“
Er nickt. „Ganz genau. Ich hatte meine Fa­mi­lie ver­las­sen, hatte keine Hei­mat. Nur die Stra­ßen. Die meis­te Zeit habe ich damit ver­bracht, ums Über­le­ben zu kämp­fen, habe Dro­gen ver­tickt. Jeden Tag muss­te ich wach­sam sein, jeder konn­te ein Feind sein. Aber als ich die De­vils ge­trof­fen habe, war das das erste Mal, dass ich das Ge­fühl hatte, zu je­man­dem zu ge­hö­ren.“
Seine Stim­me ist ruhig, aber ich höre die Emo­tio­na­li­tät darin. Seine Ge­schich­te ist mir nicht neu, denn er hat sie mir schon ein­mal er­zählt, aber in die­sem Mo­ment fühle ich mich, als könn­te ich ihn bes­ser ver­ste­hen. Cole hat auch kämp­fen müs­sen. Viel­leicht auf an­de­re Weise, aber er kennt Schmerz und Ein­sam­keit.
„Es war nicht immer ein­fach“, fährt er fort. „Aber der Club hat mir eine Fa­mi­lie ge­ge­ben. Etwas, wofür es sich zu kämp­fen lohnt. Meine Brü­der sind immer für mich da. Egal wie schlimm es wird.“
Ich höre ihm zu, wie er von sei­nen Kämp­fen auf der Stra­ße er­zählt, von den Näch­ten, in denen er sich ge­fragt hat, ob er den nächs­ten Mor­gen sehen oder von ir­gend­ei­nem Gang­mit­glied um­ge­legt wer­den würde. Es ist selt­sam, wie ver­traut das klingt, ob­wohl un­se­re Si­tua­tio­nen so un­ter­schied­lich sind. Viel­leicht sind es nicht die Um­stän­de, die zäh­len, son­dern das Ge­fühl da­hin­ter. Das Ge­fühl, al­lein zu sein, am Boden. Und den Wil­len zu be­sit­zen, wie­der auf­zu­ste­hen.
„Weißt du, du bist ver­dammt stark, Char­leen. Stär­ker als du viel­leicht denkst“, sagt er.
„Ich weiß es nicht. Ge­ra­de kommt es mir so vor, als wäre ich längst tot.“
Cole er­wi­dert nichts, rückt aber näher an mich heran und legt seine Hand auf meine Schul­ter. Es ist eine Geste, die mehr aus­sagt, als Worte es könn­ten. Und für einen Mo­ment, einen win­zi­gen Au­gen­blick, fühlt es sich so an, als könn­te ich in die­ser Dun­kel­heit viel­leicht doch ein wenig Licht sehen.
„Du lebst, Char­leen.“
Ich schlie­ße die Augen, lasse seine Worte in mir nach­klin­gen. Viel­leicht hat er recht. Viel­leicht bin ich stär­ker, als ich es mir selbst zu­ge­ste­hen will. Aber es ist schwer, das zu glau­ben, da der Schmerz so frisch ist, so nah an der Ober­flä­che ist.
„Du musst nicht alles al­lein durch­ste­hen“, fährt er fort. „Ich bin hier und ich werde nicht gehen. Egal, wie oft du mich weg­zu­schi­cken ver­suchst.“
Ein klei­nes Lä­cheln um­spielt meine Lip­pen, wenn auch nur für einen Mo­ment. „Stur­kopf“, murm­le ich.
„Das bin ich“, gibt er zu­rück, und seine Stim­me klingt etwas leich­ter. „Aber genau das brauchst du ge­ra­de. Je­man­den, der bleibt.“
Ich lehne mei­nen Kopf gegen seine Schul­ter. Für einen Mo­ment ist es ruhig, der Sturm in mei­nem Kopf ver­stummt. Es ist nicht viel, aber genug, um mich daran zu er­in­nern, dass ich nicht al­lein bin.
Und manch­mal … manch­mal ist das alles, was zählt.


Cole

Es fühlt sich so an, als hätte je­mand einen fet­ten, ton­nen­schwe­ren Be­ton­block auf mei­ner Brust ab­ge­la­den. Einen, der mich mit jeder Stun­de, die ins Land zieht, ein wenig tie­fer zu Boden drückt. Ich sitze in mei­nem Büro und star­re auf die halb volle Whis­key­fla­sche vor mir. Das Glas in mei­ner Hand ist ge­nau­so leer wie die Ge­dan­ken in mei­nem Kopf, die sich nur um eine Sache dre­hen: Char­leen.
Wieso tut Ty ihr das an? Der Mann, von dem ich einst an­ge­nom­men habe, dass er sie über alles liebt.
Aber seine Ge­füh­le schei­nen wohl der Ver­gan­gen­heit an­zu­ge­hö­ren.
Jetzt … jetzt kann ich Tyson nicht mehr an­se­hen, ohne den Drang zu ver­spü­ren, ihm die Fres­se po­lie­ren zu wol­len. Ich will ihm klar­ma­chen, was für ein gott­ver­damm­ter Feig­ling er doch ist.
Ich mache das Glas wie­der voll, nehme einen gro­ßen Schluck und ge­nie­ße es, wie der Whis­key in mei­ner Kehle brennt. Das kurze Bren­nen ist nichts im Ver­gleich zu dem, was Char­leen durch­ma­chen muss­te. Ihre Qua­len sind wie klei­ne Na­del­sti­che, die sich in mein Herz boh­ren.
Unser Doc, der Char­ly un­ter­sucht hat, ob­wohl sie be­wusst­los war, hat be­stä­tigt, dass sie mehr­fach bru­tal ver­ge­wal­tigt wurde. Die Ver­let­zun­gen an ihrem In­tim­be­reich las­sen keine an­de­re Schluss­fol­ge­rung zu. Zudem war sie de­hy­driert, hat ge­prell­te Rip­pen, Brand­wun­den – ver­mut­lich von Zi­ga­ret­ten ver­ur­sacht –, Ab­schür­fun­gen, Schnitt­wun­den, Quet­schun­gen und di­ver­se Ver­stau­chun­gen. Glück­li­cher­wei­se wurde sie ne­ga­tiv auf Ge­schlechts­krank­hei­ten ge­tes­tet. Kör­per­lich wird sie wie­der hei­len, aber see­lisch?
Sie liegt oben in einem der Gäs­te­zim­mer des Club­hau­ses, wo wir sie un­ter­ge­bracht haben, nach­dem man sie vor dem Tor ge­fun­den hat – ver­prü­gelt, blu­tend und be­wusst­los. Ich er­in­ne­re mich noch genau daran, wie Anson und Lan­don zu mir ge­stürmt waren, der Schock stand ihnen ins Ge­sicht ge­schrie­ben, und ver­kün­det haben, dass sie wie­der da ist. Ich bin so­fort los­ge­rannt, das Ad­re­na­lin hat meine Beine kon­trol­liert. Sie auf dem Kies lie­gen sehen zu müs­sen, ver­folgt mich seit­her jede Nacht.
Nichts er­in­nert mehr an die Frau, die ich einst ge­kannt habe. Char­leen, die sonst so vol­ler Leben ge­we­sen war, ist nur noch ein Schat­ten ihrer selbst. Blau-, Grün- und Vio­lett­tö­ne haben ihre Haut über­zo­gen wie ein kran­kes Kunst­werk. Und die Nar­ben auf ihrer Seele? Schei­ße, die sieht nie­mand.
Und Ty? Die­ser ver­damm­te Wich­ser hat sich bis­her keine ein­zi­ge Mi­nu­te um sie ge­schert. Statt­des­sen ver­gnügt er sich mun­ter mit Luana vor aller Augen, als wäre Char­ly nie Teil sei­nes Le­bens ge­we­sen. Wie per­vers ist das? Als wäre er nie mit ihr zu­sam­men ge­we­sen, hätte sie nie ge­liebt und ver­dammt noch mal um ihre Hand an­ge­hal­ten.
Ich knal­le das mitt­ler­wei­le leere Glas auf den Schreib­tisch. Das Ge­räusch hallt durch den Raum. Das Glas hält stand, so wie ich mir das von mei­nem Bru­der ge­wünscht hätte, aber Tyson tut das, was er immer tut: den Schwanz ein­zie­hen.
Nach außen hin wirkt mein Bru­der wie ein gro­ßer, har­ter Ma­cker, wie der ge­bo­re­ne Re­bell. Mit sei­ner Kutte, den Tat­toos und sei­nem Bike sieht er aus, als würde er kei­ner Prü­ge­lei aus dem Weg gehen - aber das ist bloß Fas­sa­de. Nur wer Ty näher kennt, weiß, was für eine Pussy er in Wahr­heit ist. Ich weiß es, weil ich mein gan­zes gott­ver­damm­tes Leben damit zu­ge­bracht habe, ihm den Arsch zu ret­ten. Schon da­mals, in der Schu­le, muss­te ich re­gel­mä­ßig für ihn ein­ste­hen.
Jeden.
Ver­fick­ten.
Tag.
Ich war der­je­ni­ge, der sich um die äl­te­ren Jungs ge­küm­mert hat, die ihm aufs Maul hauen woll­ten, weil er mal wie­der eine zu dicke Lippe ris­kiert hatte. Ty war meis­ter­lich darin, mit sei­ner gro­ßen Klap­pe Ärger zu pro­vo­zie­ren, aber wenn es darum ging, sich den Kon­se­quen­zen zu stel­len? Dann hat er den Schwanz ein­ge­zo­gen und ist zu mir ge­rannt. Er wuss­te, dass ich mei­nen Bru­der nie hän­gen las­sen würde. Wie ein ver­damm­ter Idiot bin ich jedes Mal für ihn ein­ge­stan­den. Ich habe seine Schlach­ten ge­kämpft, habe ihn ver­tei­digt und be­schützt, egal, wie oft er es auch ver­kackt hat.
Und zwar nicht nur in der Schu­le. Zu Hause war es das­sel­be. Unser Vater war ein har­ter Hund, einer, der uns keine Schwä­che durch­ge­hen ließ. Wenn es Pro­ble­me gab – und die gab es reich­lich –, war ich der­je­ni­ge, der die Prü­gel ein­ste­cken muss­te, um Tyson aus der Schuss­li­nie zu holen. Und was hat er ge­macht? Die Klap­pe ge­hal­ten und dabei zu­ge­se­hen. Er hat nie etwas un­ter­nom­men, um mich zu un­ter­stüt­zen. Im Ge­gen­teil, er hat so getan, als wäre es für mich als sein gro­ßer Bru­der selbst­ver­ständ­lich, dass ich die Dinge für ihn re­ge­le.
Ty hatte noch nie Rück­grat. Er la­bert viel, ja, aber das ist auch schon alles. Er ist ein Voll­pro­fi im Re­den­schwin­gen, im Leu­te­über­zeu­gen. Mit dem Mund ist er ein ganz Gro­ßer. Aber wenn es darum geht, sei­nen Wor­ten Taten fol­gen zu las­sen? Tja, da ver­sagt er auf gan­zer Linie. Tyson ist eben je­mand, der sich hin­ter sei­nem gro­ßen Bru­der, dem Prä­si­den­ten der Sons of Devil, ver­steckt, wenn die Dinge brenz­lich wer­den.
Wie oft ist er im Club mit je­man­dem an­ein­an­der­ge­ra­ten und ist dann zu mir ge­rannt ge­kom­men, weil er zu feige war, den Scheiß selbst zu klä­ren? Jedes ver­fick­te Mal. Ich bin der­je­ni­ge, der die Kon­flik­te aus der Welt schaf­fen muss, der für ihn die Drecks­ar­beit er­le­digt und die Scher­ben zu­sam­men­sam­melt, die er hin­ter­las­sen hat, wäh­rend er erst aus der Ver­sen­kung auf­taucht, wenn die Luft wie­der rein ist.
Wie Tyson die Zeit als Pro­s­pect über­ste­hen konn­te, ist mir bis heute ein Rät­sel. Viel­leicht, weil der da­ma­li­ge Prez wuss­te, dass es uns nur im Dop­pel­pack gibt. Und in mir scheint er ge­se­hen zu haben, was ich bin: ein ab­ge­brüh­ter Schwei­ne­hund.
Keine Ah­nung, wann genau ich damit an­ge­fan­gen habe, Ty zu ver­ach­ten. Viel­leicht war es ein schlei­chen­der Pro­zess, viel­leicht war das schon immer so, und ich woll­te es ein­fach nicht wahr­ha­ben. Kein Plan.
Aber die­ses Mal? Dies­mal ist es an­ders. Die­ses Mal hat er Char­leen im Stich ge­las­sen. Die Frau, die er an­geb­lich liebt, die er hei­ra­ten woll­te. Er hat sie ein­fach weg­ge­wor­fen, als wäre sie wert­los, als hätte sie ihm nie etwas be­deu­tet. Und wozu das Ganze? Um sich mit Luana, einer Club­hu­re, zu amü­sie­ren.
Plötz­lich fliegt meine Bü­ro­tür auf, und er kommt in den Raum ge­pol­tert – Ty, mein gott­ver­damm­ter Bru­der. Er grinst mich breit an, wes­halb mir schlecht wird.
„Schon mal was von an­klop­fen ge­hört? Was willst du?“, knur­re ich.
Er zuckt mit den Schul­tern und kommt auf mei­nen Schreib­tisch zu stol­ziert, als würde ihm der Laden ge­hö­ren. „Ich dach­te, ich schau mal bei dir vor­bei. Du ver­kriechst dich neu­er­dings immer öfter in dei­nem Büro, Bru­der­herz. Muss ich mir etwa Sor­gen um dich ma­chen?“
„Willst du mich ver­ar­schen?“ Ich stehe auf. Sämt­li­che Mus­kel­strän­ge span­nen sich an. „Sor­gen? Um mich? Fuck, wie wäre es, wenn du dir zur Ab­wechs­lung mal Ge­dan­ken und Sor­gen um Char­leen machst?“
Tys Ge­sichts­aus­druck bleibt zu­nächst neu­tral. „Char­leen?“ Er schüt­telt den Kopf, als wür­den wir von einer frem­den Per­son spre­chen. „Ent­spann dich, Cole, sie wird schon klar­kom­men. Wie immer.“
„Sie wird schon klar­kom­men?“ Meine Stim­me wird lau­ter, und ich muss mich echt zu­sam­men­rei­ßen, um mich nicht aus­zu­ras­ten und ihn zu Brenn­holz zu ver­ar­bei­ten. Fuck, wer hat ihm ins Hirn ge­schis­sen? „Ver­dammt, Ty! Sie wurde ent­führt, ver­ge­wal­tigt und halb­tot ge­schla­gen. Und du? Du ver­gnügst dich mun­ter mit Luana, als wäre Char­ly nie Teil dei­nes Le­bens ge­we­sen. Schei­ße, sie war deine Ver­lob­te. Was zum Teu­fel ist nur los mit dir?“
Er hebt die Hände ab­weh­rend in die Höhe, als würde man ihn mit einer Knar­re be­dro­hen, was mich nur noch mehr in Rage ver­setzt. „Immer lo­cker durch die Hose atmen, gro­ßer Bru­der.“ Ich star­re mei­nen Bru­der mit of­fe­nem Mund an, der mit den Schul­tern zuckt, als ginge es hier nur um eine be­lang­lo­se Klei­nig­keit. „Ich habe ge­dacht, dass ich Char­leen liebe. Wirk­lich. Da­mals je­den­falls. Aber jetzt, jetzt sehe ich das an­ders. Mit Luana an mei­ner Seite habe ich ver­stan­den, was echte Liebe be­deu­tet. Char­leen und ich – das war mehr die Angst vor dem Al­lein­sein. Doch Luana? Sie ist es, Cole. Sie ist die Frau, die ich wirk­lich liebe.“
Ich schütt­le den Kopf. „Du willst mir also er­zäh­len, dass du Char­leen nie wirk­lich ge­liebt hast? Die Frau, die dir jah­re­lang zur Seite stand, die dich zum La­chen ge­bracht hat, die für dich alles ge­ge­ben hat?“
„Fuck, du ka­pierst es nicht.“ Ty rauft sich die Haare. „Na­tür­lich hat sie mir etwas be­deu­tet. Aber Liebe … rich­ti­ge Liebe ist etwas an­de­res. Mit Luana fühle ich etwas, das ich nie für Char­ly emp­fun­den habe.“
„Ach, das ist ja wun­der­bar, Ty. Herz­li­chen Glück­wunsch.“ Die Iro­nie in mei­ner Stim­me ist nicht zu über­hö­ren. „Das muss ja eine echte Er­leuch­tung ge­we­sen sein. Schei­ße, hörst du dir selbst beim Reden zu? Luana muss dir ent­we­der das Hirn ge­wa­schen oder dir etwas in die gan­zen Drinks ge­mischt haben. Denn alles, was du von dir gibst, ist ge­quirl­te Schei­ße.“
Mein Bru­der seufzt auf. „So hart das auch klin­gen mag, Cole, aber Char­leen ge­hört der Ver­gan­gen­heit an. So ist nun mal das Leben. Ei­ni­ge Be­zie­hun­gen hal­ten für immer, an­de­re gehen in die Brü­che. Wie meine mit Char­leen. Ak­zep­tie­re es. Au­ßer­dem bin ich nicht be­reit für das, was pas­siert ist. Es ist zu viel. Ich kann das nicht.“
„Es ist zu viel? Du kannst das nicht?“ Ich glau­be, mein Schwein pfeift. „Zu viel für dich? Was ist mit ihr? Was ist mit dem, was sie durch­ge­macht haben muss? Sie ist in den letz­ten Mo­na­ten durch die Hölle ge­gan­gen, Tyson. Und du? Du ziehst mal wie­der den Schwanz ein, wählst den leich­tes­ten Weg und ver­kriechst dich in Lua­nas wi­der­wär­ti­ger Fotze, die mehr Schwän­ze ge­se­hen hat als ein ver­damm­ter Uro­lo­ge.“
Ty zuckt mit den Schul­tern. „Luana ver­steht mich. Sie ist bei mir, wenn ich sie brau­che. Char­leen ist … sie ist zer­bro­chen, Cole. Und das kann ich nicht er­tra­gen. Glaub mir, es ist für alle das Beste, wenn Char­ly mich ver­gisst.“
Mir platzt der Arsch.
Die Fas­sung, die ich bis­her so müh­sam zu be­wah­ren ver­sucht habe, schmilzt dahin wie Schnee in der Sonne. In mei­nem Kopf geht es drun­ter und drü­ber, mein Atem kommt nur noch stoß­wei­se.
Schei­ße, ich bin kurz davor, etwas zu tun, das ich wo­mög­lich hin­ter­her be­reu­en kön­nen: ihn zu töten.
„Du fei­ger, mie­ser Bas­tard.“ Die Worte ver­las­sen zi­schend mei­nen Mund. Ich stehe auf und gehe auf ihn zu, bis ich di­rekt vor ihm stehe. „Du hat­test das Beste in dei­nem Leben und hast es wie ein Stück Hun­de­schei­ße weg­ge­wor­fen. Und wieso? Weil du zu schwach bist, um die Dinge ge­mein­sam mit ihr durch­zu­ste­hen. Du bist ein ver­damm­ter Schlapp­schwanz, Tyson. Ein er­bärm­li­cher Wich­ser, der sich das Hirn weg­ge­kokst hat und seine Frau um Stich lässt, als sie dich am meis­ten brauchst. Schei­ße, wenn es nach mir ginge, würde ich dich hoch­kant aus dem Club schmei­ßen.“
Ty weicht kei­nen Mil­li­me­ter zu­rück, was mich über­rascht. „Pass auf, was du sagst, Cole.“
„Wieso? Weil dir plötz­lich Eier ge­wach­sen sind? Weil die Dro­gen dich wie einen Su­per­hel­den füh­len las­sen?“ Ich trete noch näher an ihn heran, so­dass sich fast un­se­re Köpfe be­rüh­ren. „Weil du plötz­lich ein gro­ßer, har­ter Ma­cker bist? Fuck, Ty, sieh es ein, du bist ein Nichts, eine Pussy, eine Witz­fi­gur, ver­dammt noch mal.“
Seine Augen ver­en­gen sich zu Schlit­zen, und für einen kur­zen Mo­ment rech­ne ich damit, dass er aus­ho­len und mir eine Ohr­fei­ge ver­pas­sen wird. Al­ler­dings pas­siert nichts der­glei­chen. Statt­des­sen tritt mein Bru­der einen Schritt zu­rück, seufzt und zuckt mit den Schul­tern.
„Du ver­stehst mich nicht, Cole, und wirst es viel­leicht auch nie. Ich habe mir nicht aus­ge­sucht, dass das pas­siert. Man kann nichts dafür, wen man liebt. Char­ly … ist nicht mehr die Frau, die sie einst war. Und wird es ver­mut­lich auch nie wie­der sein. Und ich … ich kann das nicht. Ich will das nicht.“
„Du willst das nicht?“ Die Worte spru­deln nur so aus mir her­aus. „Sie ist ka­putt, also tauschst du sie aus wie ein altes, aus­ran­gier­tes Spiel­zeug, das nicht mehr funk­tio­niert? Du bist wirk­lich noch ge­stör­ter als ich dach­te.“ Ich spüre, wie meine Fäus­te sich von ganz al­lein bal­len. Ge­dank­lich habe ich Ty be­reits meh­re­re Kinn­ha­ken ver­passt.
„Kann es sein, dass du sie liebst, Cole? Dass das das ei­gent­li­che Pro­blem ist? Du hat­test doch schon immer einen Nar­ren an ihr ge­fres­sen, auch wenn sie sich da­mals für mich ent­schie­den hat.“ Tys Blick ist scharf, fast her­aus­for­dernd.
Für einen Mo­ment bin ich sprach­los. Ich ver­en­ge meine Augen zu Schlit­zen, wäh­rend ich ver­su­che, die Ruhe zu be­wah­ren. Ihm zu ge­ste­hen, was ich für sie emp­fin­de, steht nicht zur De­bat­te. Hier geht es nicht um mich, ver­dammt. Er pro­vo­ziert mich, mit dem er­bärm­li­chen Ver­such, sich aus der Ver­ant­wor­tung zu win­den und sich als Opfer da­zu­stel­len. Wie immer.
„Mach dich nicht lä­cher­lich, Ty“, knur­re ich und ver­schrän­ke die Arme vor der Brust. „Ich ver­tei­di­ge sie, weil sie Teil der Fa­mi­lie ist.“
Ty lacht. „War, Cole. Sie war ein Teil der Fa­mi­lie. Sie ist nicht mehr meine Ver­lob­te und war nie eine Old Lady. Der Club hat ihr ge­gen­über keine Ver­pflich­tun­gen.“
Mir rauscht das Blut in den Ohren. „Sag mal, hast du sie noch alle? So­lan­ge ich der Prä­si­dent der De­vils bin, ge­hört Char­leen dazu. Ich lasse nicht zu, dass du sie so her­ab­stufst. Sie hat dir mehr ge­ge­ben, als du über­haupt wert bist, Ty, und das weißt du haar­ge­nau.“
„Ganz wie du meinst, Prez.“ Ty grinst und hebt die Hände in ge­spiel­ter Un­ter­wer­fung. „Nichts­des­to­trotz än­dert das nichts an der Tat­sa­che, dass Luana meine Zu­kunft ist. Ich werde sie zu mei­ner Old Lady ma­chen, sie für mich be­an­spru­chen und zur Frau neh­men. Und es ist mir scheiß­egal, was du oder ir­gend­wer sonst dar­über denkt.“
Ich blinz­le ge­schockt. „Ist das dein Ernst? Du willst Luana hei­ra­ten? Eine ver­damm­te Club­hu­re?“
„Spre­che ich Chi­ne­sisch? Was ist daran nicht zu ver­ste­hen?“ Nun ver­schränkt auch Tyson seine Arme vor der Brust. „Sie ist da, wenn ich sie brau­che. Luana küm­mert sich um mich, sie um­sorgt und liebt mich. Kom­pro­miss­los. Bei ihr kann ich der sein, der ich bin. Für sie muss ich mich nicht än­dern. Char­leen … sie war ein Traum, der nun aus­ge­träumt ist. Ak­zep­tie­re das end­lich, Cole.“
Das ist der Mo­ment, in dem ich die Kon­trol­le ver­lie­re.
Ich mache einen Satz nach vorne, packe Ty am Kra­gen und schleu­de­re ihn gegen die Wand. Seine Augen wei­ten sich vor Schreck, doch ich werde den Teu­fel tun, ihn wie­der los­zu­las­sen. Nicht jetzt, da ich vor Wut koche. „Du bist ein gott­ver­damm­tes Arsch­loch, weißt du das?“
„Alter, bist du über­ge­schnappt? Lass mich ver­fickt noch mal los“, knurrt er und ver­sucht, meine Hände ab­zu­schüt­teln. Na­tür­lich ge­lingt ihm das nicht, da ich viel stär­ker bin als er.
„Weißt du, Ty“, zi­sche ich und bli­cke auf ihn herab. „Ich habe die Schnau­ze voll davon, dir den Arsch zu ret­ten, oder die Scher­ben auf­zu­sam­meln, die du hin­ter­las­sen hast. All die Jahre habe ich deine Schlach­ten ge­schla­gen, dich ver­tei­digt, dir den Rü­cken frei­ge­hal­ten. Aber das hier? Damit hast du das Fass zum Über­lau­fen ge­bracht. Ab so­fort kannst du nicht mehr auf meine Un­ter­stüt­zung zäh­len.“
Ty schaut mich mit gro­ßen Augen an. „Was la­berst du da?“
„Du bist ein Feig­ling, eine jäm­mer­li­che Pussy“, ent­geg­ne ich hart. „Ein gott­ver­damm­ter Wasch­lap­pen, und das weißt du. Du tust immer so, als wärst du der knall­har­te Ober­ma­cker, den nichts er­schüt­tern kann. Aber das bist du nicht. Du bist ein Nie­mand, ein Ver­sa­ger, ein Loser. Nichts wei­ter als eine Pussy, die sich hin­ter sei­nem gro­ßen Bru­der ver­steckt, so­bald es schwie­rig wird.“
„Wer von uns bei­den ist irre, Cole? Du hast keine Ah­nung, was ich durch­ma­che.“
„Was du durch­machst?“ Ich lache auf, ohne jeg­li­ches biss­chen Humor. „Was genau machst du denn durch, du armer Junge? Du hast eine Frau fal­len las­sen, die dich ge­liebt hat, die für dich durchs Feuer ge­gan­gen wäre. Und wofür? Für eine Hure, die bloß dar­auf scharf ist, den Titel Old Lady zu tra­gen. Du bist Luana doch scheiß­egal.“
Ich gebe ihn frei, wor­auf­hin er sich von der Wand ab­drückt, um mir wie­der auf Au­gen­hö­he be­geg­nen zu kön­nen. „Du sagst das so, als wäre es so ein­fach. Du weißt nicht, wie es sich an­fühlt, sie so sehen zu müs­sen. So ka­putt … so zer­stört.“
O doch, das weiß ich genau. Es ist kaum aus­zu­hal­ten.
„Na­tür­lich ist sie zer­bro­chen“, schnau­ze ich. „Sie wurde ent­führt und ver­ge­wal­tigt. Man hat sie halb­tot wie Müll vor un­se­rem Club­haus ab­ge­la­den. Und was tust du? Du haust ab und ziehst den Schwanz ein, weil du es nicht er­trägst? Weil du zu schwach bist, damit fer­tig­zu­wer­den? Was für ein Mann tut so etwas?“
„Es ist zu viel, Cole“, schreit Ty. „Es ist ein­fach zu viel für mich.“
„War ja klar, du fei­ger Bas­tard. Ich habe nichts an­de­res er­war­tet. Zu viel für dein zar­tes Seel­chen? Fuck, was glaubst du, wie es ihr geht? Ich sag's dir: Be­schis­sen! Sie braucht dich, Ty. Sie braucht je­man­den an ihrer Seite, der stark ist. Je­man­den, der bei ihr bleibt, ver­dammt noch mal. Aber du … du lässt sie eis­kalt im Stich.“
Kopf­schüt­telnd tritt er einen Schritt zu­rück. „Sie wird nie wie­der die­sel­be sein. Sie ist ka­putt.“
„Nein“, ent­geg­ne ich zwar leise, aber dafür mes­ser­scharf. „Sie ist nicht ka­putt. Du bist der­je­ni­ge, der am Arsch ist. Du bist zu schwach, zu weich, um die Sache mit ihr ge­mein­sam durch­zu­ste­hen. Char­leen wird stär­ker zu­rück­kom­men denn je. Das schwö­re ich dir.“
Ty er­wi­dert nichts auf meine Worte. Er schaut stur ge­ra­de­aus, aber ich kann den Zwei­fel in sei­nen Augen auf­blit­zen sehen.
„Du warst schon immer ein Ver­sa­ger, Ty. Ich habe dich dein ver­damm­tes Leben lang ver­tei­digt, dich aus jeder Schei­ße ge­holt. Aber weißt du was? Ab so­fort kannst du nicht mehr auf mich bauen. Er­war­te nicht von mir, dass ich noch län­ger deine Drecks­ar­beit mache. Von nun an musst du deine Pro­ble­me selbst lösen. Ich bin raus.“
Mein Bru­der lacht. „Drohst du mir etwa? Was willst du tun? Mich aus dem Club wer­fen? Aus wel­chem Grund? Weil ich nicht die Frau liebe, die ich dei­ner Mei­nung nach lie­ben soll­te?“ Ty ver­sucht, seine Stim­me stark und fest klin­gen zu las­sen, doch ich höre deut­lich die Angst her­aus.
„Ver­mut­lich soll­te ich genau das tun, aber das wäre mal wie­der zu ein­fach für dich“, sage ich. „Nein, Ty, du wirst schön hier blei­ben. Du wirst mit­an­se­hen, wie ich die An­ge­le­gen­heit re­ge­le. Du wirst sehen, wie man ein rich­ti­ger Mann ist, wie man Ver­ant­wor­tung über­nimmt, wenn es hart auf hart kommt. Und viel­leicht lernst du ja sogar noch was dabei, was ich stark be­zweif­le.“
Ty steht re­gungs­los da und starrt mich an. Ich kann sehen, dass er kei­nen blas­sen Schim­mer hat, was er ent­geg­nen soll. Es ist so­zu­sa­gen das erste Mal, dass ich ihn wirk­lich sprach­los er­le­be.
„Du willst Luana hei­ra­ten?“, frage ich. „Schön, dann mach doch. Aber sei dir einer Sache si­cher: Sie wird dich eines Tages hän­gen las­sen, so wie du Char­leen im Stich ge­las­sen hast. Karma wird das re­geln, Ty. Und wenn der Tag ge­kom­men ist, werde ich mich zu­rück­leh­nen, mir das Schau­spiel an­schau­en und nicht für dich da sein. Dies­mal nicht.“
„Fick dich, Cole, fick dich”, zischt er leise. Mir ent­geht das Zit­tern in sei­ner Stim­me nicht.
„Nein, Ty, fick du dich.“ Ich zeige ihm den Mit­tel­fin­ger.
An­schlie­ßend wende ich mich von ihm ab, lasse ihn ste­hen und mar­schie­re aus mei­nem Büro. Mein Kopf pocht vor Wut, aber gleich­zei­tig ver­spü­re ich in mei­nem In­ne­ren eine selt­sa­me Er­leich­te­rung. Zum ers­ten Mal habe ich mei­nem Bru­der deut­lich ge­macht, was ich von ihm halte, was in mir vor­geht, dass ich die Schnau­ze ge­stri­chen voll habe. Voll von sei­nem Ver­sa­gen, von sei­nen Aus­re­den, von sei­ner Schwä­che.
Und zum ers­ten Mal fühle ich, dass ich die rich­ti­ge Ent­schei­dung ge­trof­fen habe. Nicht für ihn, son­dern al­lein für mich. Und vor allem für Char­leen.
Ich ver­las­se das Club­haus und gehe zu mei­nem Bike. Dort an­ge­kom­men zünde ich mir eine Zi­ga­ret­te an, star­re in die Ferne und spüre den kal­ten Wind, der mir um die Ohren bläst. Ge­dan­ken­ver­lo­ren strei­che ich mir mit einer Hand durch den Bart und lasse fol­gen­de Worte in mei­nem Kopf wi­der­hal­len: Ohne Tyson ist sie bes­ser dran.
Das ist klar, so wie ich klar die Stra­ße vor mir sehen kann.
Viel­leicht be­greift Char­ly es jetzt noch nicht – mit Si­cher­heit ist sie zu ver­letzt, zu durch­ein­an­der, um zu er­ken­nen, dass ihr Leben ohne Ty ir­gend­wann hel­ler sein wird. Doch einer Sache bin ich mir ab­so­lut si­cher: Frü­her oder spä­ter wird sie ver­ste­hen, dass sie einen Arsch wie Tyson nicht braucht, um glück­lich zu sein.
Bis die­ser Mo­ment kommt, werde ich an ihrer Seite sein – als ihr Freund. Das schwö­re ich. Ich werde sie durch den Sturm be­glei­ten, der über sie her­ein­ge­bro­chen ist. Ich bin da, wenn sie je­man­den braucht, eine Schul­ter zum An­leh­nen, eine Stim­me, die ihr sagt, dass alles gut wer­den wird. Char­leen muss da nicht al­lein durch – nicht, so­lan­ge ich atme.
Als Ty vor­hin ge­meint hat, dass sie nicht zur Fa­mi­lie ge­hört, bin ich aus­ge­ras­tet. Sie mag viel­leicht keine Old Lady sein, doch sie ist trotz­dem durch und durch ein Devil. Sie hat sich ihren Platz im Club mehr ver­dient als an­de­re, die nur un­se­ren Patch tra­gen, ohne den wah­ren Geist der Bru­der­schaft zu ver­ste­hen.
Ich straf­fe meine Schul­tern, schnip­pe die Zi­ga­ret­te weg und setze mei­nen Helm auf. Ich werde Char­leen den Rü­cken stär­ken, so­lan­ge sie mich braucht – ganz gleich, was Ty oder ir­gend­wer im Club dar­über den­ken mag.

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