Arizona Vengeance Eishockey-Team: Wylde

Ori­gi­nal­ti­tel: Wylde: An Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Novel)
Über­set­zer: Joy Fra­ser

Er­schie­nen: 09/2022
Serie: Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team
Teil der Serie: 7

Genre: Sport Ro­mance
Zu­sätz­lich: Con­tem­pora­ry

Lo­ca­ti­on: USA, Ari­zo­na, Pho­enix


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-572-3
ebook: 978-3-86495-573-0

Preis:
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Arizona Vengeance Eishockey-Team: Wylde


In­halts­an­ga­be

Man nennt mich nicht nur Wylde, weil es mein Nach­na­me ist, son­dern auf­grund mei­ner Wild­heit.

Ich mag einer der neu­es­ten Spie­ler des Ari­zo­na Ven­ge­an­ce-Teams sein, doch die Be­rühmt­heit, die damit ein­her­geht ein Eis­ho­ckey­pro­fi zu sein, ist mir nicht fremd. Ob es um einen Fan geht, der ein Au­to­gramm haben möch­te, oder um ein Puck-Häs­chen, das auf mehr aus ist, ich habe mich an die Auf­merk­sam­keit ge­wöhnt. Ich ge­nie­ße sie nicht nur, ich nutze sie auch aus. Sagen wir es so: mein Bett ist sel­ten leer.

Als mich eine hüb­sche Rot­haa­ri­ge in einem Buch­la­den ab­rupt in­ne­hal­ten lässt, gehe ich hin­ein und lasse mei­nen Charme spie­len. Clar­ke Web­ber ist je­doch kein biss­chen von mei­ner geist­rei­chen Art und mei­nem guten Aus­se­hen be­ein­druckt. Und als sie von mei­nem Ruhm er­fährt, mag sie mich noch we­ni­ger. Glück­li­cher­wei­se bin ich immer für Her­aus­for­de­run­gen zu haben. Je näher ich Clar­ke ken­nen­ler­ne, desto kla­rer wird mir, dass meine Tage als Play­boy ge­zählt sind.

Ich werde Clar­kes Herz er­obern. Es ist an der Zeit, we­ni­ger wild zu wer­den.

Teil 7 der Reihe rund um das Ari­zo­na Ven­ge­an­ce-Eis­ho­ckey­team von New York Times-Best­sel­ler­au­to­rin Sa­wy­er Ben­nett.

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team Serie

Le­se­pro­be

Wylde

Ich liebe es, in der In­nen­stadt von Pho­enix zu leben. Meine Ei­gen­tums­woh­nung liegt am Rand des Sze­ne­vier­tels mit allen Trend-Cafés, Fi­ne-Di­ning-Lo­ka­len und Lu­xus­lä­den. Abends brau­che ich nur einen Block zu Fuß Rich­tung Wes­ten zu gehen und schon bin ich mit­ten im Nacht­le­ben. Fünf Blocks süd­lich be­fin­det sich das Sta­di­on, in dem die Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey spie­len. Daher steht mein Ge­län­de­wa­gen meis­tens in der Tief­ga­ra­ge, es sei denn, ich fahre damit zum Flug­ha­fen wegen eines Aus­wärts­spiels, aber dann rufe ich oft ein Uber.
Schon immer habe ich das Stadt­le­ben vor­ge­zo­gen. Bevor ich zu den Ari­zo­na Ven­ge­an­ce ge­kom­men bin, spiel­te ich in Dal­las...

...für die Mus­tangs. Das Stadt­le­ben ist für einen le­di­gen Mann ein tol­ler Spiel­platz, das ich nicht gegen ein Haus in den Vor­or­ten tau­schen würde. Ei­ni­ge mei­ner Team­ka­me­ra­den haben sich dort­hin zu­rück­ge­zo­gen, um in schi­cken Vil­len zu woh­nen.
Ich lasse den Auf­zug in den vier­ten Stock links lie­gen und nehme lie­ber die Trep­pen hoch zu mei­ner Woh­nung. Schließ­lich bin ich ein Pro­fi­sport­ler und soll­te vier Stock­wer­ke rauf und run­ter be­wäl­ti­gen kön­nen.
Als ich in die Luft des Ju­ni­mor­gens trete, muss ich mich erst kurz von dem Schock der tro­cke­nen Hitze er­ho­len. Man soll­te mei­nen, dass ich mich nach vie­len Jah­ren im Süd­wes­ten zwi­schen Dal­las und Pho­enix daran ge­wöhnt haben soll­te, aber als je­mand aus New Eng­land tue mich immer noch schwer, ohne jeg­li­che Luft­feuch­tig­keit zu exis­tie­ren.
Den­noch will ich heute wie­der mein Trai­ning auf­neh­men und lasse mich von bren­nen­den Lun­gen nicht ab­hal­ten.
Erst vor zehn Tagen hat mein Team den Stan­ley Cup gegen den Ti­tel­ver­tei­di­ger, die Ca­ro­li­na Cold Fury, ge­won­nen. Zehn Tage vol­ler Faul­heit, un­ge­sun­dem Essen und zu viel Bier. Fast jeden Abend war ich mit mei­nen Kum­pels auf der Rolle, be­trank mich und nahm immer ein an­de­res Puck-Häs­chen mit nach Hause. Aber Mann, ich er­tra­ge so viel Ver­gnü­gungs­sucht nur bis zu einem be­stimm­ten Grad. Denn als Pro­fi­sport­ler muss man sich einen be­son­de­ren Le­bens­stil an­ge­wöh­nen.
Ich habe das Trai­ning schon immer ernst ge­nom­men. Meine Trai­ner haben mir schon früh ein Ta­lent be­schei­nigt, doch mei­nen Kör­per zu fit zu hal­ten, ge­hör­te auf jeden Fall dazu. Das be­deu­te­te ge­sun­de Er­näh­rung, Trai­ning und die geis­ti­ge Ein­stel­lung, ge­win­nen zu wol­len, sogar au­ßer­halb der Sai­son.
Dort be­fin­den wir uns jetzt, in der herr­li­chen Som­mer­pau­se, was al­ler­dings nicht be­deu­tet, dass ich nichts zu tun habe.
Ab heute trai­nie­re ich wie­der voll. Das Trai­nings­camp be­ginnt er­neut in drei kur­zen Mo­na­ten, und der Druck, der auf uns las­tet, min­des­tens ge­nau­so gut zu spie­len wie in der letz­ten Sai­son, und mög­lichst noch bes­ser, ist enorm. Dazu kommt, dass mein Ver­trag am Ende der nächs­ten Sai­son aus­läuft. Auf kei­nen Fall werde ich we­ni­ger als hun­dert Pro­zent geben.
Heute star­te ich also wie­der. Ich laufe üb­li­cher­wei­se min­des­tens drei­ßig Ki­lo­me­ter die Woche, auf­ge­teilt in vier oder fünf Mor­gen­run­den.
Viele mei­ner De­fen­se-Kol­le­gen lau­fen nicht, son­dern kon­zen­trie­ren sich lie­ber auf Kraft­trai­ning und Mus­kel­aus­dau­er. Das ist auch wich­tig, aber aus ir­gend­ei­nem Grund habe ich das Lau­fen schon immer ge­liebt. Dabei kann ich völ­lig ab­schal­ten, und das ist sehr me­di­ta­tiv. Au­ßer­dem ver­brennt es jede Menge Ka­lo­ri­en. Da­durch kann ich mehr essen, was super ist, denn ich liebe Essen.
Ich halte auf dem Geh­weg an und mache ein paar Dehn­übun­gen für die Beine. Es fol­gen zwei Wie­der­ho­lun­gen den gan­zen Block zu mei­ner Woh­nung ent­lang. Leute, die mich an­star­ren, weil sie mich er­ken­nen, be­ach­te ich nicht wei­ter. Das pas­siert nicht oft. Zwar bin ich ein be­kann­ter Spie­ler der Ari­zo­na Ven­ge­an­ce, ein First Line De­f­en­se­man, aber nicht die ganze Stadt be­steht nur aus Eis­ho­ckey­fans. Meis­tens kann ich über­all hin­ge­hen, ohne er­kannt zu wer­den, was na­tür­lich auch davon ab­hängt, wo ich mich auf­hal­te. In Sport­bars werde ich um Au­to­gram­me ge­be­ten. Im Su­per­markt ist es da­ge­gen eher un­wahr­schein­lich. Be­son­ders, weil ich gern Sonn­tag­früh ein­kau­fe, und da sind die Märk­te wie aus­ge­stor­ben.
Nach den Dehn­übun­gen be­gin­ne ich mit lang­sa­mem Jog­gen Rich­tung Osten. Nach dem ers­ten Vier­tel der Stre­cke er­hö­he ich das Tempo. Die Kopf­hö­rer sind auf­ge­dreht und DJ Kha­lil treibt mich an.
Meine Ge­dan­ken wan­dern und be­schäf­ti­gen sich damit, wie ich den Som­mer ver­brin­gen möch­te. Bis­her habe ich noch nicht viel dar­über nach­ge­dacht. Ich bin ge­ne­rell eher der spon­ta­ne Typ. Ich soll­te nach Hause nach New Hamp­shire flie­gen und meine Mom be­su­chen, doch der Ge­dan­ke ist de­pri­mie­rend und de­mo­ti­vie­rend. Ich ver­wer­fe die Idee. Wir haben nicht die beste Be­zie­hung zu­ein­an­der, und ich be­su­che sie nur ab und zu auf­grund eines Pflicht­ge­fühls, und nicht etwa, weil ich mich freue, sie wie­der­zu­se­hen. Das mag krass klin­gen, aber sie würde das­sel­be sagen.
Nor­ma­ler­wei­se würde ich den Som­mer an einem Strand ver­brin­gen, aber in zwei Wo­chen flie­ge ich auf die ame­ri­ka­ni­schen Jung­fern­in­seln zu Broo­ke und Bi­shops Hoch­zeit. Das ganze Team wird eine Woche den Stan­ley Cup und die Hoch­zeit fei­ern. Das wird eine ein­zi­ge lange Party und ich freue mich dar­auf.
Viel­leicht kann ich mich für ein paar Tage nach Wyo­ming ab­set­zen und an­geln gehen. Das habe ich mir in den ver­gan­ge­nen Jah­ren an­ge­wöhnt und es macht mir viel Spaß. Oder ich könn­te ein biss­chen durch Eu­ro­pa tou­ren. Ein paar mei­ner Team­ka­me­ra­den wären zu einem sol­chen Aben­teu­er je­der­zeit be­reit. Doch alle Pläne müs­sen bis nach der Hoch­zeit An­fang Juli war­ten, und die Wo­chen­en­den bis dahin sind schon ver­plant.
Wei­ter vorn sehe ich, dass sich auf dem Geh­weg eine Bau­stel­le be­fin­det. An der nächs­ten Ampel will ich links ab­bie­gen und warte auf der Stel­le jog­gend auf Grün. An­de­re Fuß­gän­ger gehen los und ich laufe wei­ter. Der mor­gend­li­che Be­rufs­ver­kehr ist schon vor­bei, die meis­ten Leute sind bei der Ar­beit, und den­noch muss ich Fuß­gän­gern aus­wei­chen.
In die­ser Stra­ße war ich noch nie. Ich komme an einem Café, an einer klei­nen Dro­ge­rie und einem Buch­la­den vor­bei. Ich schaue durch das Fens­ter der Buch­hand­lung und sehe eine un­glaub­lich schö­ne Frau an der Kasse sit­zen. Im Vor­bei­lau­fen sehe ich sie nur kurz, aber das rot­brau­ne Haar, zu einem lo­cke­ren Kno­ten hoch­ge­steckt, und die auf­fal­lend schö­nen Augen hin­ter einer vier­ecki­gen, schwarz ge­rahm­ten Bril­le er­re­gen meine Auf­merk­sam­keit.
Ich mag Bril­len nicht be­son­ders, doch ihr steht sie. Ich konn­te nicht sehen, ob sie grüne oder blaue Augen hat. Je­den­falls haben sie eine helle Farbe, die in star­kem Kon­trast zu ihrer feu­ri­gen Haar­far­be steht. Ein­zel­ne Strähn­chen um­rah­men ihr schö­nes Ge­sicht.
Und ge­nau­so schnell, wie ich sie ge­se­hen habe, bin ich auch schon an dem Buch­la­den vor­bei und am Ende des Blocks. Um auf meine Runde zu­rück­zu­kom­men, soll­te ich rechts ab­bie­gen und mich stadt­aus­wärts wen­den, aber ich werde den Ge­dan­ken an die Schön­heit nicht los und be­schlie­ße, noch einen Blick auf die Frau zu wer­fen. An­statt um­zu­dre­hen, er­hö­he ich meine Ge­schwin­dig­keit und um­run­de den Block, um meine Ki­lo­me­ter zu ab­sol­vie­ren.
Als ich vor dem Laden an­kom­me und lang­sa­mer werde, um sie ge­nau­er zu be­trach­ten, muss ich ent­täuscht fest­stel­len, dass sie nicht mehr an der Kasse sitzt. Sie ist nir­gends zu sehen. Zu­ge­ge­ben, in dem Laden ist viel los. Er ist mehr als nur ein Buch­la­den. Ich sehe Ti­sche und frei ste­hen­de Re­ga­le mit allem mög­li­chen Schnick­schnack. Er wirkt ge­müt­lich, ein­la­dend und voll­ge­stellt, aber ich sehe keine schö­ne Rot­haa­ri­ge.
Und wie­der lasse ich den Laden hin­ter mir, und die Ge­le­gen­heit, die diese Frau dar­ge­stellt hat, exis­tiert nicht mehr.
Am Ende des Blocks bin ich fest ent­schlos­sen, rechts ab­zu­bie­gen und meine Runde wie­der auf­zu­neh­men. Aus ir­gend­ei­nem Grund über­que­re ich je­doch nicht die Stra­ße, als es Grün wird. Ich jogge auf der Stel­le, bli­cke zum Buch­la­den zu­rück und über­le­ge.
„Ach, scheiß drauf“, mur­me­le ich und laufe in diese Rich­tung.
Kurz vor dem Laden werde ich er­neut lang­sa­mer, atme tief ein, bis sich mein Herz­schlag nor­ma­li­siert hat. Ich schal­te die Musik am Handy, das an mei­nem Bi­zeps be­fes­tigt ist, aus. Meine At­mung be­ru­higt sich schnell, denn trotz der fau­len zehn Tage bin ich immer noch gut in Form. Ich wi­sche mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und atme tief durch. Ich lese das Schild über der La­den­tür. Clar­ke’s Cor­ner, steht dort in Gold­schrift ge­malt. Ein Tür­g­löck­chen kün­digt mich an, als ich die Tür öffne.
Eine raue Stim­me ruft von ir­gend­wo hin­ter den Re­ga­len: „Bin gleich bei Ihnen!“
„Keine Eile“, ant­wor­te ich und sehe mich um. Der Laden ist wirk­lich hübsch. Das ge­sam­te Mo­bi­li­ar, in­klu­si­ve der vier lan­gen Rei­hen Bü­cher­re­ga­le, ist hoch­glanzweiß la­ckiert. Die Re­ga­le sind über­voll, Pa­per­backs rei­hen sich an Hard­co­ver-Aus­ga­ben. An den hell­blau­en Wän­den hän­gen Ge­mäl­de, die von lo­ka­len Künst­lern stam­men könn­ten. Sie sind mit Preis­schil­dern aus­ge­zeich­net, also ste­hen sie wohl zum Ver­kauf. Es gibt Ti­sche mit Le­se­zei­chen, Ker­zen, klei­nen Lämp­chen, Bil­der­rah­men und an­de­ren De­ko­ar­ti­keln.
„Hallo“, sagt die Stim­me von vor­hin, doch dies­mal aus der Nähe.
Ich drehe mich um und sehe die schö­ne Frau. Mög­lichst un­auf­fäl­lig be­trach­te ich sie ge­nau­er. Sie trägt ver­wa­sche­ne Jeans, rosa San­da­len und ein wei­ßes Tanktop mit einem durch­sich­ti­gen, wei­ten, mint­grü­nen Ober­teil dar­über, das ihr von einer Schul­ter ge­rutscht ist.
Ihre Augen sind ha­sel­nuss­braun-grün und die Bril­le ist aus Schild­patt mit einem dün­nen Gold­rand. Ver­stoh­len schaue ich hin und sehe, dass sie kei­nen Ehe­ring trägt. Über­haupt kei­nen Fin­ger­schmuck. In den Ohr­läpp­chen hat sie gol­de­ne Ste­cker, sie blit­zen unter den losen Haar­sträh­nen her­vor, die ihr Ge­sicht um­rah­men, das klas­sisch schön ist, ohne ge­schminkt zu sein. Ich kann nicht ein­mal Au­gen-Ma­ke-up wie Mas­ca­ra oder Lid­schat­ten ent­de­cken. Nur fri­sche, klare Haut und wache Augen, die mich an­schau­en.
„Will­kom­men bei Clar­ke’s Cor­ner“, sagt sie freund­lich. „Kann ich Ihnen hel­fen?“
„Äh …“ Ich bin sprach­los. Schließ­lich kann ich schlecht sagen: Nein, danke. Ich habe Sie beim Jog­gen durchs Fens­ter ge­se­hen und will Sie an­bag­gern, weil Sie so schön sind.
Doch, ei­gent­lich könn­te ich genau das sagen. Das habe ich schon getan, wenn mir eine Frau sehr ge­fiel. Ich sehe nicht schlecht aus und habe Um-den-hei­ßen-Brei-Schlei­chen nie als be­rei­chernd emp­fun­den. Ich bin eher der di­rek­te Typ.
Mit dem Dau­men deute ich hin­ter mich. „Ei­gent­lich bin ich ge­ra­de vor­bei­ge­joggt …“
„Es ist ganz schön heiß heute, um ein­fach so her­um­zu­ren­nen. Geht es Ihnen wirk­lich gut? Wol­len Sie sich kurz hin­set­zen oder so?“
Cle­ve­res Mäd­chen. Und sie steht an­schei­nend auf Of­fen­heit.
Grin­send hebe ich die Arme, als ob ich bei etwas er­wischt wor­den wäre, und be­ein­dru­cke sie mit mei­nen Grüb­chen beim Lä­cheln. „Okay, er­tappt. Ich war jog­gen und noch nie in die­ser Stra­ße. Als ich den Laden ge­se­hen habe, ist mir ein­ge­fal­len, dass ich am Wo­chen­en­de zu einer Hoch­zeit muss und noch kein Ge­schenk habe.“
Ge­lo­gen.
Also, fast.
Am Wo­chen­en­de fin­det wirk­lich eine Hoch­zeit statt. Mein Team­ka­me­rad Erik hei­ra­tet seine Ver­lob­te Blue. Ich habe be­reits ein Ge­schenk, aber kein Pro­blem damit, noch eins zu kau­fen.
„Haben Sie schon eine Vor­stel­lung oder brau­chen Sie ein paar Vor­schlä­ge?“
„Vor­schlä­ge, bitte.“ Ich schen­ke ihr ein leicht ver­le­ge­nes, doch hof­fent­lich char­man­tes Lä­cheln. „Shop­pen gehen ist nicht mein Ding.“
Sie geht zu einem Regal mit Töp­fer­wa­re, das mit in­ter­es­san­ten Ein­zel­stü­cken be­füllt ist. Sie nimmt eine Vase in die Hand, die zimt­far­ben und mit gel­ben Mus­tern ver­ziert ist.
„Wie wäre es mit so etwas?“
Ich nehme die Vase in die Hand und tue so, als ob ich sie gründ­lich be­trach­ten würde. „Ich glau­be eher nicht, dass diese ihren Ge­schmack trifft.“
In Wahr­heit käme die Vase schon hin. Ich kenne mich nicht allzu gut aus mit sol­chen Din­gen, aber wenn ich das erste ak­zep­tie­re, das sie mir zeigt, ist das Ge­spräch schnell zu Ende und ich muss wie­der gehen.
Als Nächs­tes zeigt sie mir zwei Mes­sing­ker­zen­stän­der.
„Zu for­mell“, sage ich.
Dann einen Por­zel­lan­bil­der­rah­men.
„Zu weib­lich.“
Eine Spiel­uhr.
„Auch zu weib­lich.“
Als Nächs­tes zeigt sie mir einen aus­ge­fal­le­nen Wein­fla­schen­öff­ner. Das ist das idea­le Ge­schenk. Zö­ger­lich nicke ich lä­chelnd. „Per­fekt.“
„Super.“ Sie geht an mir vor­bei zur Kasse.
Sie riecht nach Va­nil­le mit einem Hauch von Oran­ge. Ich mag den Duft und weiß gar nicht mehr, wann mir der Ge­ruch einer Frau je so ge­fal­len hat.
„Soll ich es als Ge­schenk ein­pa­cken?“
„Das wäre fan­tas­tisch.“ Alles, was mir die Mög­lich­keit gibt, sie um ein Date zu bit­ten, ist mir recht.
Und das werde ich auf jeden Fall tun.
Sie ist heiß und hat etwas Ner­di­ges mit der Bril­le und dem un­schul­di­gen Duft. Ihre Klei­dung ist leicht zu groß, nicht fi­gur­be­tont und nicht so of­fen­her­zig wie bei den meis­ten Frau­en, mit denen ich sonst aus­ge­he. Sie ist wie eine Brise fri­schen Winds. Was mich er­staunt, denn ich habe noch nie auf die­sen Typ Frau ge­stan­den.
„Wie lange ar­bei­ten Sie schon hier?“, frage ich ge­ni­al ein­falls­reich, wäh­rend sie unter dem Tre­sen nach dem Ge­schenk­pa­pier greift.
„Der Laden ge­hört mir“, ant­wor­tet sie, ohne mich an­zu­se­hen.
In ihrem Ton schwingt ein La­chen und gleich­zei­tig Stolz mit, weil ich nicht auf die Idee ge­kom­men bin, sie könn­te die Be­sit­ze­rin sein.
„Wow“, sage ich über­rascht und ehr­lich be­ein­druckt. Der Laden muss recht gut lau­fen, denn das hier ist ein Be­zirk in Pho­enix, in dem die Mie­ten teuer sind.
„Vor einem hal­ben Jahr habe ich er­öff­net. Ich habe mir mei­nen Le­bens­traum damit er­füllt und so.“
„Wie schön.“ Ich sehe sie be­wun­dernd an, als sie mir den Rü­cken zu­dreht. „Dann nehme ich an, dass Sie Clar­ke sind von Clar­ke’s Cor­ner?“
Schnell dreht sie sich um und ich kann ge­ra­de noch den Blick von ihrem Hin­tern nach oben heben. „Genau. Ich bin Clar­ke Web­ber.“
„Aaron Wylde“, ant­wor­te ich. Ich be­ob­ach­te sie genau, um fest­zu­stel­len, ob sie mich er­kennt, denn schließ­lich bin ich hier ein be­kann­ter Eis­ho­ckey­spie­ler. Doch schon beim Rein­kom­men schien sie mich nicht er­kannt zu haben, oder sie ist eine ex­zel­len­te Schau­spie­le­rin.
Sie nickt nur freund­lich. „Schön, Sie ken­nen­zu­ler­nen.“
Tja, sie hat keine Ah­nung, wer ich bin, was be­deu­tet, dass sie kein Eis­ho­ckey­fan ist. Das über­rascht mich nicht. Auch wenn die Ven­ge­an­ce letz­tes Jahr viel Auf­merk­sam­keit damit er­regt haben, nach Pho­enix zu kom­men, ist nicht jeder ein Fan. Erst letz­tens habe ich einen Ar­ti­kel ge­le­sen, der von 2,9 Mil­lio­nen TV-Zu­schau­ern beim Fi­na­le des Stan­ley Cups sprach. Im Ver­gleich dazu haben 19,3 Mil­lio­nen Men­schen das Fi­na­le von Game of Thro­nes ge­se­hen. Eis­ho­ckey ist of­fen­sicht­lich eher eine Ni­schen­sport­art.
Clar­ke wen­det sich mir zu und holt mich aus den Ge­dan­ken.
„Wird die Hoch­zeit for­mell oder eher lo­cker ge­fei­ert?“
Sie hält mir zwei ver­schie­de­ne Ge­schenk­pa­pie­re hin. Wahr­schein­lich ist eins davon schi­cker als das an­de­re, aber woher zum Geier soll ich das wis­sen?
„Sie fin­det im Frei­en statt, also tippe ich auf lo­cker.“
„Okay.“ Sie be­schäf­tigt sich mit dem Ein­pa­cken und ent­fernt zu­erst das Preis­schild.
Ich plap­pe­re wei­ter, was ziem­lich un­ge­wöhn­lich für mich ist. „Es war eine spon­ta­ne Ent­schei­dung. Das Paar ist ver­lobt und woll­te ei­gent­lich grö­ßer fei­ern, aber eine plötz­li­che Schwan­ger­schaft kam dazu, und jetzt haben sie ent­schie­den, noch vor der Ge­burt zu hei­ra­ten.“
„Oh, wie schön.“ Man hört ihr das Lä­cheln an. „Und falls sie schon einen Fla­schen­öff­ner haben, was sehr gut der Fall sein könn­te, ist es immer gut, noch einen in Re­ser­ve zu haben.“
Nach­dem das Ge­schenk ein­ge­packt ist, geht sie an die Kasse. Ich ge­ra­te in Panik, denn gleich ist alles er­le­digt. Dann wird von mir er­war­tet, dass ich mit dem Fla­schen­öff­ner, den ich gar nicht brau­che, den Laden ver­las­se – und die schö­ne Frau wird nur noch eine Er­in­ne­rung sein.
Ich zer­bre­che mir das Hirn, um das Ge­spräch in die Rich­tung zu len­ken, die ich brau­che, um sie zu einem Date ein­zu­la­den.
Fuck. Das ist echt schwer.
Das kommt si­cher davon, nichts Bes­se­res als ein Play­boy zu sein, der von Bett zu Bett hüpft. Nor­ma­ler­wei­se kann ich mich auf mein Aus­se­hen oder meine Be­kannt­heit ver­las­sen. Die meis­ten mei­ner Er­obe­run­gen fin­den nach den Spie­len in Bars statt, in denen sich mir buch­stäb­lich Dut­zen­de Puck-Häs­chen an den Hals wer­fen und von denen ich mir nur eins aus­su­chen muss, das mir am bes­ten ge­fällt.
„Was für Bü­cher ver­kaufst du denn?“ Ich gehe zum Du über, da wir beide noch jung sind.
Clar­ke blin­zelt mit die­sen ver­träum­ten Augen und zieht die Brau­en leicht zu­sam­men, als wäre das eine ab­we­gi­ge Frage an eine Buch­la­den­be­sit­ze­rin.
„Ähm, ein biss­chen von allen Gen­res. Und wenn ich etwas nicht habe, kann ich es pro­blem­los be­stel­len. Hast du ein be­stimm­tes Buch im Sinn?“
Schon wie­der eine Un­ter­hal­tung, die in eine Sack­gas­se führt. Ich habe seit Jah­ren kein Buch mehr ge­le­sen.


Clar­ke

Wäre der Mann nicht so ver­dammt at­trak­tiv, würde ich das Ge­spräch ab­wür­gen, damit er end­lich geht.
Aber nur, weil er der schöns­te Mann ist, den ich je ge­se­hen habe, be­deu­tet das nicht, dass er ein guter Mensch ist. Ich weiß selbst am bes­ten, dass gutes Aus­se­hen nichts mit dem In­ne­ren eines Men­schen zu tun hat. Im Ge­gen­teil. Wahr­schein­lich ist es eher ein guter Hin­weis dar­auf, dass es sich um ein ego­is­ti­sches Arsch­loch han­delt. Zu­min­dest nach mei­ner Er­fah­rung, die wahr ist und be­stä­tigt wurde.
Und, Gott, er ist au­ßer­dem ein biss­chen selt­sam. Er ringt um Worte und ver­sucht krampf­haft, ein Ge­spräch am Lau­fen zu hal­ten. Wirkt ner­vös und be­nimmt sich ab­so­lut merk­wür­dig. Wäre er nicht so höf­lich, könn­te ich glatt Angst be­kom­men, doch ich glau­be, er ist ein­fach nur selt­sam.
„Lei­der fehlt mir mo­men­tan die Zeit zum Lesen“, er­wi­dert der Mann auf meine Frage nach dem Buch.
Wie hieß er noch gleich? Ervin? Allen?
Aaron?
Ich be­trach­te ihn ge­nau­er. Er ist de­fi­ni­tiv einer die­ser Frei­zeit­sport­ler. Seine Fit­ness­kla­mot­ten sind teuer. Er trägt eine edle Arm­band­uhr, was be­deu­tet, dass er gut ver­dient. Viel­leicht ein Ver­mö­gens­be­ra­ter? Einer von denen, die gern in Form blei­ben, um im Anzug gut aus­zu­se­hen. Si­cher­lich ist er Mit­glied in einem ex­klu­si­ven Club, in dem man an fünf Tagen die Woche Golf und ne­ben­her Flag Foot­ball spielt.
Ich lä­che­le höf­lich, möch­te aber am liebs­ten die Augen ver­dre­hen, wenn je­mand sagt, er hätte keine Zeit zum Lesen. Wenn man Bü­cher liebt wie ich, dann fin­det man die Zeit dazu. Wenn je­mand nicht liest, dann weil er es nicht mag, was ihn in mei­nen Augen zu einem dum­men Men­schen macht. Ich meine, wer mag denn keine Bü­cher? Man lernt etwas aus ihnen, sie brin­gen einen zum Wei­nen und zum La­chen und be­för­dern einen in an­de­re Wel­ten.
Der Mann ist wirk­lich selt­sam.
„Ich tippe das schnell in die Kasse ein …“
Er schlägt sich mit der Hand vor die Stirn, als wäre ihm etwas ein­ge­fal­len, bei dem es um Leben und Tod geht. „Da ist ja noch eine Hoch­zeit! In zwei Wo­chen muss ich zu noch einer Hoch­zeit und brau­che dafür auch ein Ge­schenk. Und wenn ich dar­über nach­den­ke, ist im Juli noch eine, also brau­che ich noch zwei Ge­schen­ke.“
„Oh, okay“, murm­le ich, lege das ein­ge­pack­te Ge­schenk auf den Tre­sen und gehe nach vorn. Der Typ ist echt ko­misch drauf. „Mal sehen, was wir noch fin­den.“
Fünf­zehn Mi­nu­ten spä­ter haben wir für das eine glück­li­che Paar eine Vase aus­ge­sucht und für das an­de­re einen Bild­band mit Fotos aus dem Süd­wes­ten. Ich soll alles eben­falls ein­pa­cken, was ich schnell er­le­di­ge, bevor ich es dann in die Kasse ein­tip­pe.
„Ich weiß, dass das etwas plötz­lich kommt“, sagt der Mann zö­ger­lich, „aber wür­dest du zu der Hoch­zeit am Wo­chen­en­de als meine Be­glei­te­rin mit­kom­men? Es gibt eine tolle Party da­nach mit einem super BBQ und einer Live-Band.“
Ich hoffe, dass mein Lä­cheln höf­lich und be­dau­ernd genug aus­fällt. „Das ist nett von dir, aber nein, danke.“
„Hast du einen fes­ten Freund?“
„Nein.“ Dumm von mir, ich hätte ein­fach Ja sagen sol­len.
„Bist du ver­hei­ra­tet?“
Ver­damm­te Wahr­heit. Ich schüt­te­le den Kopf. „Nein, aber …“
„Dann sag bitte Ja.“ Er ver­strömt Selbst­si­cher­heit, lehnt sich an den Tre­sen und lä­chelt keck.
Zu­ge­ge­ben, es ist ein um­wer­fen­des Lä­cheln, kom­plett mit Grüb­chen und allem Drum und Dran. „Es tut mir leid, Ervin …“
Das nervt ihn ein wenig. „Aaron.“
„Aaron“, wie­der­ho­le ich und ver­knei­fe mir ein La­chen. „Aber, nun ja … du bist lei­der nicht mein Typ.“
Sein über­rasch­tes Blin­zeln sagt mir, dass das wohl noch keine zu ihm ge­sagt hat.
Er run­zelt die Stirn. „Und was genau ist dein Typ?“
Ei­gent­lich habe ich kei­nen be­stimm­ten. Ich war schon mit ver­schie­de­nen Män­nern aus. Mit einem DJ, einem Som­me­lier, einem Dach­de­cker, al­lein in den ver­gan­ge­nen zwei Mo­na­ten. Doch die­ser Mann bringt meine Alarm­glo­cken zum Läu­ten. Nicht aus Angst, son­dern er scheint ge­ra­de­zu nach Kom­pli­ka­tio­nen zu rie­chen.
Da ich stets auf meine In­tui­ti­on höre, ti­sche ich ihm noch eine wei­te­re Lüge auf, von der ich weiß, dass sie bei ihm funk­tio­nie­ren wird, schließ­lich hat er schon ei­ni­ges von sich preis­ge­ge­ben. „Ich stehe mehr auf in­tel­li­gen­te Nerds. Du weißt schon, diese Leute, die stän­dig die Nase in ein Buch ste­cken und auf An­hieb Mar­cel Proust zi­tie­ren kön­nen.“
Er blin­zelt ir­ri­tiert und hat kein Wort ver­stan­den. Wirk­lich ein rei­ner Sport­ler­typ. An­schei­nend habe ich ihn so scho­ckiert, dass er ver­stummt ist. Er sagt nichts mehr, wäh­rend ich die Kasse be­die­ne.
„Das macht dann 179,32 Dol­lar.“
Aaron holt einen Clip aus der Ho­sen­ta­sche, in dem Geld­schei­ne und eine Kre­dit­kar­te ste­cken. Er zahlt mit der Karte.
Ich ste­cke seine Ge­schen­ke in eine Tra­ge­tü­te, wäh­rend er einen neuen Ver­such star­tet, mich zu einem Date zu über­re­den.
„Wie wäre es mit einer klei­nen Wette? Wenn ich ge­win­ne, gehst du mit mir zu der Hoch­zeit“, sagt er plötz­lich.
Er ist hart­nä­ckig, das muss man ihm las­sen. Ich muss zu­ge­ben, dass er meine Neu­gier ge­weckt hat. Ich neige den Kopf leicht zur Seite. „Woran hast du dabei ge­dacht?“
„Nun ja, ich habe frü­her viel ge­le­sen“, sagt er schnell und stützt sich mit bei­den Un­ter­ar­men auf dem Tre­sen ab. Seine Augen fun­keln her­aus­for­dernd. „Da­mals in der High­school und so. Gib mir ein Zitat aus einem be­kann­ten Klas­si­ker, der dir ge­fällt, und wenn ich er­ra­te, wer es ge­schrie­ben hat, kommst du mit zur Hoch­zeit.“
Ich frage mich, ob das eine wohl­über­leg­te Falle ist. Aber nein, er ist wirk­lich nicht an Bü­chern in­ter­es­siert. Er hat noch nicht einen Blick auf meine Bü­cher­re­ga­le ge­wor­fen, in denen sich wun­der­ba­re Li­te­ra­tur be­fin­det. Er schießt ins Blaue hin­ein, und egal, wel­ches Zitat ich ihm gebe, er wird wahr­schein­lich sagen, es sei aus Mel­vil­les Moby Dick, oder mit ir­gend­et­was an­de­rem her­aus­plat­zen, das eine phal­li­sche Sym­bo­lik hat.
„Okay.“ Ich schaue an die Decke und denke an die wun­der­ba­ren Klas­si­ker, die ich liebe. Ein paar, die zu leicht zu er­ra­ten wären, lasse ich außer Acht. Zum Bei­spiel Der Ruf der Wild­nis, Wer die Nach­ti­gall stört und Gul­li­vers Rei­sen.
Eines er­scheint mir im Mo­ment sehr pas­send.
Ich lä­che­le ihn ver­schmitzt an. „Einen un­rei­fen Men­schen er­kennt man daran, dass er edel für eine Sache ster­ben will, wäh­rend ein rei­fer Mensch de­mü­tig für eine Sache leben will.“
Aa­rons Ge­sicht ist leer wie eine un­be­mal­te Lein­wand. Er wirkt nicht, als ob er über­haupt nach­den­ken würde, run­zelt nicht die Stirn oder reibt sich das Kinn.
Ich ste­cke den Kas­sen­bon in die Tüte, schie­be sie über den Tre­sen und ver­su­che, nicht selbst­ge­fäl­lig zu grin­sen.
„Das ist von Sa­lin­ger“, sagt Aaron in neu­tra­lem Ton­fall. „Der Fän­ger im Rog­gen, glau­be ich.“
Ich bin über­rascht, dass mir nicht das Kinn auf den Tre­sen hin­un­ter­fällt. Ich muss fest­stel­len, dass ich den Mann ernst­haft un­ter­schätzt habe. Ich habe ihn für einen Hin­ter­wäld­ler ge­hal­ten, für ein un­ge­bil­de­tes In­di­vi­du­um, und das nur auf­grund sei­nes Aus­se­hens und sei­ner Aus­sa­ge, keine Zeit zum Lesen zu haben.
Oder er ver­arscht mich ir­gend­wie.
Skep­tisch ver­en­ge ich die Augen, was ihn amü­siert.
„Möch­test du Ver­dop­peln oder nichts spie­len?“, schlägt er vor. „Ich brau­che an dem dar­auf­fol­gen­den Wo­chen­en­de auch noch eine Be­glei­tung zur Hoch­zeit.“
Er muss es zu­fäl­lig er­ra­ten haben. Der Fän­ger im Rog­gen war doch zu ein­fach. Jeder mit einem High­school-Ab­schluss kann das wahr­schein­lich er­ra­ten. Ich habe es ihm viel zu leicht ge­macht.
„Deal“, ant­wor­te ich und bin si­cher, dass er es nicht noch mal er­ra­ten kann. Ich suche nach einem Buch. Etwas Ro­man­ti­sches. Und zur Si­tua­ti­on pas­send.
„Wir alle wis­sen, dass er ein stol­zer, un­an­ge­neh­mer Mann ist. Aber das be­deu­tet nichts, wenn du ihn wirk­lich magst.“
Er­leich­tert sehe ich, dass Aaron auch Sinn für Humor hat, denn er ist nicht be­lei­digt, son­dern lacht auf. Er schüt­telt den Kopf. „Touché.“ Eine Welle des Tri­umph­ge­fühls wäscht über mich, doch dann spricht er wei­ter. „Stolz und Vor­ur­teil. Jane Aus­ten.“
„Wie zur Hölle … du ver­äp­pelst mich doch!“
Er zeigt mir seine lee­ren Hände. „Wie denn? Habe ich etwa ein ge­hei­mes Zi­ta­ten­buch ir­gend­wo ver­steckt?“
„Du hast mich rein­ge­legt!“
„Nein“, kor­ri­giert er. „Ich habe dir einen Wett­streit an­ge­bo­ten und du hast ihn an­ge­nom­men.“
„Ich komme mir aber ver­arscht vor“, mur­me­le ich.
„Wenn du mich vor­her ge­fragt hät­test, ob ich be­le­sen bin, hät­test du nicht mit­ge­spielt. Ich kann nichts dafür, dass mein Dad Pro­fes­sor für Eng­li­sche Li­te­ra­tur war. Ich glau­be, dass ich viel mehr Klas­si­ker zi­tie­ren kann als du als Buch­händ­le­rin.“
Bevor ich etwas sagen kann, wird die La­den­tür schwung­voll ge­öff­net, so­dass sich das Glöck­chen fast über­schlägt und die Tür an einen Schau­tisch knallt.
Pein­lich be­rührt zieht die Frau das Ge­nick ein und sagt: „Sorry.“
Ve­ro­ni­ca, meine beste Freun­din. Was das Aus­se­hen an­geht, hat sie alles, was ich nicht habe. Lange Beine, große Brüs­te und Haare in der Farbe Ca­li­for­nia-Gold­blond. Sie trägt ein De­si­gner-Fit­ness-Out­fit und hat einen Be­cher mit einer Kaf­fee­spe­zia­li­tät aus dem Café ne­ben­an in der Hand.
Aaron sieht sie kurz an, doch sein Blick ver­weilt nicht auf ihr. Er wen­det sich di­rekt wie­der mir zu. Er nimmt sein Handy aus dem Band um sei­nen Arm. „Gib mir deine Han­dy­num­mer.“
Alles in mir re­bel­liert da­ge­gen. Doch nur, weil ich mir selbst übel nehme, ihn der­ar­tig falsch ein­ge­schätzt zu haben. Nun bin ich in ein Date mit einem Mann ge­ra­ten, bei dem sämt­li­che mei­ner Alarm­glo­cken läu­ten.
Vor­wurfs­voll rat­te­re ich meine Num­mer her­un­ter. Er tippt sie in sein Handy und ruft mich so­fort an. Mein Handy be­fin­det sich in mei­ner Hand­ta­sche hin­ter dem Ver­kaufs­tre­sen, doch ich igno­rie­re es. Er will mir damit nur seine Num­mer über­mit­teln. Ich werde sie bei mir ein­spei­chern und mir spä­ter eine Aus­re­de ein­fal­len las­sen, um das Date ab­zu­sa­gen. Eine kurze Text­nach­richt soll­te ge­nü­gen.
„Ich sehe dir an, was in dei­nem hüb­schen Kopf vor­geht“, sagt er ne­ckend. Meine Wan­gen wer­den heiß. „Du willst mir nach­her per Nach­richt ab­sa­gen. Aber das ist eine Ge­wis­sens­sa­che. Ich habe fair ge­won­nen, und wir wer­den sehen, wie viel Ehr­ge­fühl in dir steckt.“
Ich knur­re tief in mei­ner Kehle. Er wagt es tat­säch­lich, mir den Feh­de­hand­schuh hin­zu­wer­fen. Da mir In­te­gri­tät wich­tig ist, kann ich jetzt auf kei­nen Fall mehr ab­sa­gen.
„Aber du kannst mir gern deine Adres­se schrei­ben.“ Er zwin­kert und nimmt seine Ein­kaufs­tü­te vom Tre­sen. „Damit ich weiß, wo ich dich am Sams­tag ab­ho­len soll. So um fünf Uhr nach­mit­tags.“
Ich werfe einen Blick zu Ve­ro­ni­ca. Sie tut so, als würde sie die Waren be­trach­ten, aber ich weiß, dass sie genau zu­hört.
Ich sehe Aaron an und hebe das Kinn. „Ich gebe meine Adres­se kei­nem Frem­den. Du kannst mir schrei­ben, wo die Hoch­zeit statt­fin­det, und wir tref­fen uns dort.“
„Okay, auch gut.“ Er dreht sich um und geht zur Tür.
Ve­ro­ni­ca steht ihm im Weg, doch er nickt ihr nur höf­lich zu und geht an ihr vor­bei. Hin­ter sei­nem Rü­cken fä­chert sie sich thea­tra­lisch Luft zu, womit sie zeigt, wie heiß sie ihn fin­det. Ich kann kaum er­war­ten, sie dar­auf hin­zu­wei­sen, dass er dies wahr­schein­lich in der spie­geln­den Schei­be der Tür vor ihm sehen kann.
Aaron legt die Hand an die Klin­ke und dreht sich noch ein­mal um. „Wenn du Lust hast, mich vor der Hoch­zeit noch ein biss­chen bes­ser ken­nen­zu­ler­nen, brauchst du mich nur an­zu­ru­fen. Wir kön­nen gern etwas trin­ken oder essen gehen. Oder ein­fach über klas­si­sche Li­te­ra­tur reden, wenn du magst.“
Mein Ge­sicht wird schon wie­der heiß. Eine wei­te­re Er­in­ne­rung daran, wie falsch ich lag und dass wir tat­säch­lich etwas ge­mein­sam haben.
Der dumme Sport­ler ist an­schei­nend gar kei­ner.